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Full text of "Gesammelte Werke"

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Geſammelte Werke 


des Grafen 
Adolf Friedrich von Schack. 
In ſechs Bänden. 


Mit dem Bilöniffe des Verfaſſers. 


Dritter Band. 


Inhalt: Epiſoden. — Ebenbürtig. 


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Stuttgart, 
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 


1885. 


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on Gebrüder Krön 


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ode 


Erfzählende Dichtungen. 


Vierte Auflage. 


Schack, Geſ. Werke. III. 1 


Her Hruu Gräfin 
Marie uon Schleinif 


in Berlin 


verehrungsvoll gewidmet. 


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Giorgione. 


1 


Noch einmal ſteig empor im alten Glanz 
Mit deinen goldnen Kuppeln von Byzanz 
Und deinen Thürmen, die wie Minarete 
Zum blauen Himmel ragen! Stadt der Städte, 
Nicht ſo wie heute, wo in ſtummem Weh 
Durch deine öden Straßen ſchluchzt die See, 
Will ich dich ſchaun — nein, herrlich, wie du warſt, 
Als du den üpp'gen Lenz der Kunſt gebarſt, 
Der, ob auch jede Blüthe ſonſt geknickt, 
Uns noch mit Regenbogenpracht entzückt, 
Phantaſtiſch wie die Fluth, aus deren Schaum 
Du dich erhobſt! — Ein bunter Märchentraum, 
Ein Bau der Feen, aus dem fernen Oſten 
Zu uns getragen und auf Eichenpfoſten 
Ins Abendmeer gebannt, alſo vor mir, 
Venetia, das Flügelleun-Panier 
Weitflatternd ob der blauen Adria, 
Mit deinen Siegstrophäen ſtehſt du da. 
Die Gärten ſeh' ich über den Kanälen 


— 


Und die Paläſte, wo in reichen Sälen 
Palma und Gian Bellin und Pordenone 
Als Meiſter walten, und hoch vom Balkone 
Schwarzäugig, goldgelockt die hehren Frauen, 
Die ſie unſterblich machten, niederſchauen. 
Faſt für der Menge fluthendes Gedräng 
Iſt des St. Marcus Rieſenplatz zu eng; 
Zahlloſe reichgeſchmückte Nachen wogen 

Hin unter Brücken, deren mächt'ger Bogen 
Vom Tritt der Käufer und Verkäufer hallt, 
Und ringsher über die Lagunen wallt 

Bis ſpät im Dunkel Gondoliergeſang. 
Dann vor den Fenſtern Mandolinenklang, 
Guitarrenton zu nächt'gen Serenaden 

Und Liebesflüſtern unter den Arkaden. 


5) 


+ 


Heimkehrend aus Treviſo, wo noch heut 
Sein Meiſterbild uns Aug' und Herz erfreut, 
Fliegt in der Barke durch den Canal grande 
Giorgione der Piazzetta zu. Am Strande 
Erblickt er den geliebten Schüler ſchon, 
Sebaſtian, ſeines todten Freundes Sohn 
Und theuer ihm, als obs ſein eigner ſei. 
Bald in den Armen liegen ſich die Zwei; 
Begruß und Wiedergruß und Druck von Händen 
Und Frag' und Antwort wollen nimmer enden: 
„Ein Jahr, o eine Ewigkeit dies Jahr, 
Nicht ſah ich dich! Wie ſchnell, wie wunderbar 
Biſt du erblüht! Als ich dich ließ, faſt Knabe 
Noch ſchienſt du mir; jetzt, mit dem Feldherrnſtabe 
Gemalt, fürwahr gäbſt du ein Gegenſtück 


7 


Zu meinem Gaſton mit dem Adlerblick. 

Doch, mein Sebaſtian, nicht durch Schild und Lanze 
Zu ſiegen trachte du! mit edlerm Kranze, 

Wie ihn die Kunſt auf würd'ge Stirnen drückt, 
Sei einſt gleich unſerm Gian Bellin geſchmückt! 
Nun? warſt du fleißig an der Staffelei, 

Und ſind die Heil'gen ſchon gemalt, die drei, 

Von denen mir dein Brief berichtet hat?“ 


Auf alle Fragen, die der Meiſter that, 
Empfing er von Sebaſtian Beſcheid, 
Und in des Jünglings freudigem Geleit 
Hinſchreitend längs der Riva der Sclavonen, 
Von Neuem hebt er an: „Hier werd' ich wohnen, 
Vor mir das blaue Meer und nah bei ihr, 
Bei Angela! Ein Traum faſt däucht es mir, 
Daß ſie, die vor der Seele anmuthvoll 
Mir ſtets geſchwebt, mein Auge ſchauen ſoll. 
Als klein hab' ich ſie auf dem Arm gehalten, 
Von Jahr zu Jahr ihr Werden und Entfalten 
Belauſcht und ihre Kunſt im Spiel der Laute 
Stets wachſen ſehn; ſchon mit dem Kind getraute 
Kein Meiſter ſich den Wettſtreit einzugehn; 
Und ſeh' ich nun die Jungfrau vor mir ſtehn, 
Der Roſe gleich, die aus der Knospe brach, 
Wie wird mir fein? Bei ihrem Lautenſchlag 
Wie muß das Herz mir beben! Sieh, wir nahn 
Der Schwelle; auf nachher, Sebaſtian!“ 


Betroffen bleibt, als ſo der Meiſter ſpricht, 
Der Jüngling ſtehn, todbleich ſein Angeſicht; 
Stumm in die Weite vor des Mädchens Haus, 
Drin Jener eintritt, ſtarrt er lang hinaus. 


3. 


Auffteigt Giorgione zum Gemache leife, 
Wo ſeine Angela, ſeit früh ſchon Waiſe, 
In Obhut braver Schiffersleute weilt. 
Da horch! was hemmt, indeß er aufwärts eilt, 
Den Schritt ihm plötzlich auf dem Corridor? 
Ein Klang hallt aus dem Garten ihm ans Ohr, 
Wie wenn der Wind durch Harfenſaiten bebt. 
Und lauter dann und immer voller ſchwebt 
Der Ton herüber; jeglicher Akkord 
Iſt wie ein Seufzer, wie ein Klagewort 
Sehnſücht'ger Liebe; ſolche Töne waren 
Dem Mädchen fremd geweſen, als vor Jahren 
Sie oft ihm ſeine Lieblingsmelodien 
Geſpielt, indeſſen mit dem Tamburin 
Die Freundinnen beim luſt'gen Klang der Schelle 
Umhergehüpft im Tanz der Tarantelle. 


Zu ſingen nun beginnt ſie; leiſe ſchleicht 
Er in das Gärtchen ein, fein Tritt jo leicht, 
Daß nichts die Sängerin, die in ihr Lied 
Verſunkene, gewahrt. Sie iſts; er ſieht, 
Durch ein Gebüſch vor ihr verſteckt, die Holde, 
Die einzig Theure, von der Locken Golde 
Das Haupt umwallt; was er im kühnſten Traum, 
Als mählig ſie erblühte, ahnend kaum 
Gehofft, nun ſteht es herrlich und vollendet 
Vor ſeinem Blicke da, der wie geblendet 
Hin über all die Wunderreize ſtreift. 
Wie des Granatbaums Frucht, die vollgereift 
Herniederfällt noch eh die Hand ſie pflückt, 
Wird ihm dies Mädchen ſein. Er ſchaut entzückt 
Das ſchöne Antlitz, blaß gleich dem Jasmine, 
Halb hingeſunken auf die Mandoline, 


8 


Der liebetiefen Augen zartes Braun, 

Draus ſüße Schauer auf ihn niederthaun; 

Er hört, wie, ihrer tiefſten Bruſt entquollen, 
Die Stimme ſich im ſanften, ſeelenvollen 
Geſange auf den Saitenklängen wiegt. 

„Mir gilt dies Lied; zu mir fernhin nun fliegt 
Ihr der Gedanke; hab' ich doch das Kind, 
In ihm die Jungfrau ahnend, ſchon geminnt 
Und ihr noch halb im Scherze zugeſchworen, 
Daß ich zu meiner Braut ſie auserkoren; 

Sie zeigte früh mir ſchon im kind'ſchen Spiel, 
Daß auch in ihrem Herzen ein Gefühl 

Der Liebe nach und nach für mich erwachte; 
Selbſt wenn ſie ſpottete und wenn ſie lachte, 
Nie ward ich irr an ihr, und überreich, 

So wie in Blüthenpracht der Mandelzweig, 
Hat nun zu ihrem alten Spielgenoſſen 

In Liebe ihre Seele ſich erſchloſſen.“ 


Er denkts und will die Arme nach ihr breiten; 
Was hemmt ihn plötzlich da? Zum Klang der Saiten 
Tönt es: „o mein Sebaſtian!“ an ſein Ohr, 
Und „mein Sebaſtian!“ nochmals, wie zuvor, 
Hört er ſie ſeufzen in der Liebe Weh. 

So wie dem Wandrer im Gebirg, wenn jäh 
Bei Nacht ein Blitzſtrahl vor ihm niederfällt 
Und grauſenvoll des Abgrunds Schlund erhellt, 
An dem er ſteht, iſt ihm bei dieſem Wort. 

Er ſtürzt wie ſinnlos aus dem Garten fort, 

Und Angela erhebt das Haupt voll Schreck; 

Erſt jetzt ihn ſieht ſie, wie er dem Verſteck 
Entflieht; ſie eilt ihm nach, ſie will ihn rufen, 
Doch ſchon iſt er hinab die Treppenſtufen. 


0 


4. 


Von Platz zu Platz, Kanale zu Kanal, 
Raſtlos getrieben von der Seelenqual, 
Eilt durch Venedigs Gaſſen-Labyrinth 
Der Meiſter hin — vergebens, er entrinnt 
Den marternden Gedanken nicht: betrogen! 
Von Denen, die er liebevoll erzogen, 
Schmachvoll getäuſcht! Kein Zweifel, der noch bliebe; 
Geſtohlen hat Sebaſtian ihm die Liebe, 
Nach der er all ſein Glück auf Erden maß. 
Er denkt, wie bei dem Namen Angelas 
Sein Schüler bleich ſich abgewendet hat, 
Und neues Zeugniß iſts für den Verrath. 
„Der Schändliche, der Alles mir verdankt, 
Der mählig ſich an mir emporgerankt, 
Wie Epheu an dem Stamm! Doch in ſein Nichts 
Zurück werd' ich ihn ſchleudern, Angeſichts 
Von ihr, zu der ſich ſeine Blicke huben, 
Den Frechen züchtigen gleich böſen Buben! 
Ei, wie es kost, das junge Liebespaar; 
Wie mag Giorgione auch, dem bald das Haar 
Ergrauen wird, ſich thöricht unterfangen, 
Mit ſolchem Milchgeſicht von Roſenwangen 
Den Wettkampf einzugehn? Doch kann ſichs fügen, 
Du holde Unſchuld mit den Engelszügen, 
Daß du mit dem Betrogenen, Verſchmähten, 
Gezwungen wirſt vor den Altar zu treten. 
Du wollteſt meine Liebe nicht, wohlan, 
Laß ſehn, was ich von dir ertrotzen kann!“ 


Gejagt vom wilden Sturme der Gedanken, 
Raſtlos forteilt er, ſeine Tritte ſchwanken, 
Und auf der Stirn ihm liegts wie Blei ſo ſchwer. 
Ihm iſt, als ob ein nächt'ges Geiſterheer 


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Mit dunkeln Flügeln ihm das Haupt umſchwirrte, 
Und ſinnberaubt zuletzt ſinkt der Verirrte 
Hin vor dem Thor von St. Johann und Paul. 


Schon auf den zack'gen Höhen von Friaul 
Verglomm der Tag; allmählig ſeine blaſſen 
Lichtſtrahlen durch die volkserfüllten Gaſſen 
Ergießt der Mond: da zieht ein muntrer Schwarm 
Von Malern, aus der Werkſtatt Arm in Arm 
Heimkehrend, an dem Kirchenthor vorbei; 

Sie forſchen, wer der Hingeſunkne ſei; 

Hinab ſich beugen ſie und ſchaun erſchreckt, 
Wie reglos auf den Boden hingeſtreckt 

In Fiebergluth mit halbgeſchwundnen Sinnen 
Der Meiſter liegt. Sie tragen ihn von hinnen 
Und legen den Erkrankten, der nur matt 

Noch aufblickt, ſorgend auf die Lagerſtatt. 


Früh Morgens hört Sebaſtian mit ſchwerer 
Betrübniß, was geſchehn; hin zu dem Lehrer 
Eilt er voll Angſt und trifft ihn auf den Pfühl 
Starr hingebannt; die Schläfe fiebert ſchwül, 
Im Antlitz wechſelt Todtenblaß und Roth, 
Und durch die Adern pochts wie naher Tod. 
Auch Angela fliegt tiefbewegt herbei, 

Und ſorgend, pflegend weilen nun die Zwei 
Am Bett des Kranken, ſelbſt die Nächte wach. 
Sie ſpähn jedwedem ſeiner Züge nach, 

Ob ſich nicht Hoffnung zur Geneſung zeigt; 
Bald er, bald ſie hin über ihn geneigt, 
Aufhorchen ſie, wie er, vernehmbar kaum, 

Von ſeinen Qualen ſpricht im Fiebertraum, 
Und ſengend, wie ein Pfeil von glühndem Erz, 
Bohrt jedes Wort ſich in ihr tiefſtes Herz. 

Zu reden nicht noch athmen wagen ſie, 


Be 


Mit Blicken nur einander klagen fie, 
Daß ſchwerer er und immer ſchwerer krankt. 


Lang ſo am Grabesrand hat er geſchwankt; 
Da einſt, als durch das Fenſter, rebumgittert, 
Der erſte Lichtſtrahl auf ſein Lager zittert, 
Scheint es, daß minder heiß die Stirne glühe. 
Entſchlummert liegt er ſanft im Schein der Frühe, 
Und nieder knien die Beiden im Gebete, 

Dem Himmel für des Meiſters langerflehte 
Geneſung dankend. Zu dem Mädchen leiſe 
Spricht dann Sebaſtian: „Eine arme Waiſe, 
Ob auch von anderm Elternpaar geboren, 
War ich wie du; fremd ſtanden wir, verloren 
In dieſer weiten Welt; wer bot uns da 

Die Rettungshand? Wer — ſag es, Angela — 
Hat unſre Kindheit liebevoll gehegt? 

Muß ich ihn nennen erſt, der uns gepflegt 
Und vor des Lebens rauhem Sturm gehütet? 
Wie Frühlingsluft, die über Knospen brütet, 
Umgab uns ſeiner Liebe warmer Hauch, 

Und, wie zwei Blüthen an demſelben Strauch, 
Erſchloß in ſeines Geiſtes Sonnenſcheine 

Der Kunſt ſich deine Seele wie die meine; 

Er war es, der die kleine Hand mir führte," 
Als ſie noch kaum den ſchweren Stift regierte; 
Er ſpannte dir zuerſt der Leier Saiten 

Und lehrte dich, ihn beim Geſang begleiten. 
Alles, ja Alles, was wir ſind und haben, 
Ihm ſchulden wirs, und nun für all die Gaben 
So brächten wir ihm Dank? Du haſt gehört, 
Was für ein Gram ihm an der Seele zehrt; 
Geloben laß uns drum: wenn im Geheimen 
Gefühle, Wünſche uns im Herzen keimen, 

Die Andres wollen, als was ihn beglückt, 


4448. 

In der Geburt ſchon ſeien ſie erſtickt! 

Treu werd' ich dir, wie in der Kindheit Jahren, 
Die Liebe, die ein Bruder fühlt, bewahren; 
Allein bei dir und in Venedig iſt 

Für mich nicht ferner mehr zum Bleiben Friſt: 
Ich will nach Rom und, nur der Kunſt geweiht, 
Vergeſſen, daß noch andre Seligkeit 

Auf Erden iſt. Doch du, wenn wir uns trennen, 
O Schweſter — ſo muß ich fortan dich nennen — 
Bleib hier zurück an unſres Meiſters Seite! 
Jedwedem, auch dem kleinſten Wunſch bereite 
Erfüllung, den dein Blick im Aug' ihm liest, 
Und wenn es ganz von Wonne überfließt, 

So denk, daß glücklich du auch mich gemacht! 
Gelobſt du mirs? Doch, weil er ſonſt erwacht, 
Sprich leiſe!“ — 


Angela, die Hand ihm reichend, 
That das Gelübd'; in Thränen und erbleichend 
Sank ſie dem Jüngling an die Bruſt, und lange 
Umarmt ſich hielten Beide Wang’ an Wange, 
Indeſſen um des Schlummernden Geſicht 
Ein roſig Lächeln ſpielt' im Morgenlicht. 


5. 


Allmählig fühlt Giorgione ſich geneſen; 
Vom Lager, drauf er lang gebannt geweſen, 
Erhebt er ſich in mancher Stunde ſchon, 
Um, in dem Seſſel lehnend, vom Balkon 
Die friſche Luft des Meeres einzuſaugen, 
Sich zu ergötzen, wie vor ſeinen Augen 
Die hehre Stadt mit ſeedurchſtrömten Gaſſen, 


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Paläſten, Inſeln, Tempeln und Terraſſen 
Leuchtend emporſteigt, und den Glockenſpielen 
Zu lauſchen von den ſchlanken Campanilen. 


Wie alſo wieder Kraft und friſcher Muth 
Ihm durch die Adern ſtrömte, wie die Fluth 
Des jungen Lebens mächtig nach und nach 
In ihm aus halb verſiegten Quellen brach, 
Schwand mit dem Fiebertraum auch der Verdacht, 
Der ihn geängſtet, hinter ihm in Nacht, 
Gleich einem Wetter, welches fern verrollt. 
So liebevoll war Angela, ſo hold! 

Mit blaſſem Schein auf ihren Zügen lagen 
Die Sorgen noch, die ſie um ihn getragen; 
Erſt an der Röthe ſeiner Wange glühte 
Auch ihre hoch und höher auf, als blühte 
Geneſend ſie dem Leben neu entgegen. 

Und wider ſie den Argwohn konnt' er hegen? 
Der Jüngling auch, der Tag für Tag aufs Neue 
Ihm ſeine Liebe zeigte, ſeine Treue, 

Wie hatt' er ihn ſo ungerecht verkannt! 

Und als Sebaſtian gar vom Tiberſtrand 
Ihm ſprach, daß er der Heimath Lebewohl 
Nun ſagen wolle, um ans Kapitol 

Zum hohen Meiſter Michel Angelo 

Zu ziehn, da, ſeliger Gewißheit froh, 
Glaubt' er an eines neuen Lebens Schwelle 
Zu ſtehn, durch deſſen Frühlingsſonnenhelle 
Ihn das geliebte Mädchen führen werde. 
Bald auch, daß ſie das höchſte Glück der Erde 
Mit ihrer Hand ihm ſchenke, bat er ſie, 

Und ſüßer als die ſchönſte Melodie, 

Zum Lautenklang geſungen, ſcholl das Ja 
Ihm von den Lippen ſeiner Angela. 


Feen, — 


6. 


Selig Giorgione nun, der edle Meifter! 
Wie jubeln ihm verjüngt die Lebensgeiſter, 
Seitdem er in den Augen ſeiner Braut 
Glanzvoll die Welt zurückgeſpiegelt ſchaut! 
Wie, denkend, daß er bald ſich ihr vermähle, 
Erbebt in freud'ger Hoffnung ſeine Seele! 
Vereinen ſoll der Tag der Auferſtehung 
Die Beiden am Altar, und nach Begehung 
Des Feſtes wird zur Stadt, die ihn gebar, 
Nach Caſtelfranco, das beglückte Paar 

Der Nachen tragen, während fern hinüber 
Zur alten Weltgebietrin an der Tiber 
Sebaſtian für immer ſcheiden will. 


Inzwiſchen, o wie lieblich der April! 
Vorboten ſchon vom nahen Oſterfeſte, 
Herwehen von der Brenta milde Weſte, 

Und da die Frühlingsſonne wärmern Strahl 
Herniedergießt, um Hafen und Kanal, 

Lagune, Meer und Inſeln zu vergolden, 
Schweift an der Seite Angelas, der holden, 
Und neben ſich den Jüngling als Begleiter, 
Giorgione durch die Stadt dahin. Bald heiter 
Die lieben Plätze ſucht er wieder auf, 

Wo er die andern Knaben oft im Lauf 

Beſiegt hat oder den Ballon geſchlagen; 

Bald, in der Gondel ſanft dahingetragen, 
Sieht er die Säulen mit den wehnden Fahnen, 
Die an bezwungne Königreiche mahnen, 

Die Tempel und die bleigedeckten Dome 

Wie traumhaft tauchen aus dem Wellenſtrome, 
Indeß fernhin die blauen Euganeen 

Gleich zack'gen Inſeln aus der Fluth erſtehen. 


— 16 


Doch wenn auf Stadt und Meer und Prachtgebäude 
Sein Blick geſchweift und er des Herzens Freude 
Mit den Begleitern theilen will, warum 

In ſich verſunken ſchlagen ſie ſo ſtumm, 

Als bebten ſie vor ihm, die Augen nieder? 

Er bittet Angela, daß ſie die Lieder 

Ihm ſingen ſoll, die ihm vor allen lieb. 

Zur Laute greift ſie wohl; allein wo blieb 

Die alte Meiſterſchaft? Sie bebt, ſie ſtockt, 

Die Klänge, die den Saiten ſie entlockt, 
Verſchmelzen nicht harmoniſch zu Akkorden. 
Sebaſtian auch, ein Andrer ganz geworden 

Iſt er als einſt: der alle die Genoſſen 

Durch Scherze ſonſt ergötzt und Spiel und Poſſen, 
Als wär' es Carneval das ganze Jahr, 

Nun iſt der Mund ihm jedes Lächelns bar; 

Und wie der Feſttag näher rückt, ſo minder 
Erkennt der Meiſter noch die frohen Kinder 

Von ehedem; was mag ſie nur betrüben? 


Sie zu erluſt'gen, an den Lido drüben 
Fährt er mit ihnen, wo die öden Dünen 
Nun in dem Hauch des Lenzes blühn und grünen, 
Zur Riva führt er ſie, wo buntgemengt 
Das Volk ſich rings um den Erzähler drängt, 
Und Abends auf den Markusplatz, den weiten, 
Von Lampen flimmernden, wo an den Seiten 
Auf den Gerüſten ſich in ſcheck'gen Trachten 
Die Masken tummeln, die ſtets neu belachten; 
Allein nicht Truffaldin noch Pantalon 
Erheitert ſie. Wohl ſucht den muntern Ton 
Von ſonſt der Jüngling, wohl zum Lächeln zwingt 
Das Mädchen ſich — vergebens, es mißlingt, 
Und mehr und mehr — der Meiſter ſiehts mit Bangen — 
Verblühn die Roſen auf der Beiden Wangen. 


—1 
. 


Erſchienen iſt Venedigs ſchönſter Tag, 
Das Palmenfeſt. Es bebt vom Ruderſchlag 
Die Fluth in den Lagunen und Kanälen; 
Hin durch die Brücken, an den Hafenpfählen 
Vorüber, die im Morgenlichte glühn, 
Wie wogen, reich bekränzt mit Frühlingsgrün, 
Ins Meer hinaus die buntbeflaggten Nachen! 
Aus jedem ſchallt Geſang und Scherz und Lachen 
Von ſchönen Frauen, die, im Arm die Cither, 
Den Frühling grüßen, während ſchmucke Ritter, 
Umfluthet von den goldnen Lockenringen, 
Mit Schmeicheln ihren ſchlanken Leib umſchlingen. 
Kaufherrn bei Jünglingen altedlen Stamms, 
Bildhauer, Maler, die im ſeidnen Wamms 
Mit weißer Feder auf dem Sammtbaret, 
Im Mantel die mit Degen und Stilet, 
Zur Brenta ſchiffen ſie im frohen Zug; 
Und jenes Boot, an deſſen Vorderbug 
Die Muſchelhörner blaſen Meertritonen, 
Kennt ihr das zierliche? Es trägt Giorgionen 
Und jene Zwei, die nie von ihm getrennt. 
Leichthin durch das beſchäumte Element 
Zur Küſte ſchwebt die Gondel in den ſtillen, 
Tiefklaren Strom, in dem die weißen Villen, 
Die Gärten ſich und Rebgelände ſpiegeln. — 


Ans Ufer nun! Schon auf den üpp'gen Hügeln 
In muntern Gruppen ſchweift das Volk umher; 
Die ſonſt nur Himmel ſchaun und Stadt und Meer, 
Jetzt, an den Halden junge Blumen pflückend, 

Mit friſcher Zweige Grün das Haupt ſich ſchmückend, 
Luſtwandeln ſie durch die Orangengärten, 
Mit ihrem Tritt die grünlichen Lacerten 


Schack, Geſ. Werke. III 2 


Aufſcheuchend, die ſich an den Mauern ſonnen. 
Von Fröhlichen, die an den Sprudelbronnen 
Und unter breitem Schattendach der Pinien 
Sich lagern, ſind weithin erfüllt die Vignen, 
Die Myrtenlauben am Geſtad der Brenta; 
Es perlt der Wein, es duftet die Polenta, 
Zum Tanze ruft das wilde Tamburin, 

Und Paare, die ſich ſuchen oder fliehn, 
Hinauf, hinunter ſchwingen um die Wette 

Sie ſich beim luſt'gen Schall der Caſtagnette. 


Giorgione wandelt fern der lauten Menge 
Mit jenen Beiden durch die Laubengänge; 
Obgleich ſo nah an ſeiner Wünſche Ziel, 

Er fühlt: der Freudenklang und Scherz und Spiel 
Sind nicht für ihn, noch ſie. Bald in den Wald, 
Wohin nur matt des Jubels Stimme ſchallt 
Und kühler Schauer auf ſie niedertrieft, 

Sich flüchten ſie; in Sinnen ganz vertieft, 
Bricht ihrer Einer ſelten nur das Schweigen 
Mit hingeworfnem Wort, dann neu beſteigen 
Zur Heimfahrt nach Venedig ſie das Boot. 
Raſch geht die Fahrt; ſchon glüht das Abendroth 
Durch Purpurrauch der Wolken, als ergöſſe 

All ihre Flammenwirbel eine Eſſe; 

Hinwogts in feur'gen Streifen auf den Wellen 
Und ſprüht oſtwärts zum Horizont in hellen 
Lichtgarben, daß Venedigs Thürmeſpitzen, 
Kuppeln und Säulen in dem Goldglanz blitzen. 
Doch mit der Sonne, da ſie ſinkt, ſchnell taucht 
In Dunkel Alles; nur noch leiſe haucht 

Die Nacht, als ob ſie ſchlummernd Athem hole; 
Zum Ruderſchlag ertönt die Barcarole 

Des Gondoliers, indeſſen ſanft der Kahn 
Hinſchwebt auf kaum bewegtem Meeresplan. 


er; 


Stumm läßt Giorgione aus der Gondel vorn 
Beim Lichte, das aus ſeinem Silberhorn 

Der junge Mond ergießt, das Auge ſchweifen. 
Da, wie ihm träumend die Gedanken ſtreifen, 
Fällt ihm der Blick auf Angela: ſie liegt 
Halbſchlummernd in Sebaſtians Arm geſchmiegt, 
Das Haupt an ſeine Bruſt zurückgelehnt; 
Des Jünglings Auge aber ruht bethränt 

Auf ihr; er trinkt, hin über ſie geneigt, 

Den ſüßen Duft, der ihrem Mund entſteigt, 
Und Seufzer haucht er aus in Seelenqual, 
Da er ſich ſagt, daß nun zum letzten Mal 
Er die Geliebte ſo im Arme hält, 

Um in die weite, unbekannte Welt, 

Die kalte, bald für immerdar zu ſcheiden. 


Lang ſchaut Giorgione ſinnend auf die Beiden, 
Dann ſpricht er vor ſich hin: „Konnt' ich bethört 
Den Schatz begehren, welcher ihm gehört? 

Der Jüngling, meines liebſten Freundes Sohn, 
Um meinethalb, dem ſchon der Lenz geflohn, 
Sollt' er des Lebens Herrlichſtes verſcherzen? 
Und an des Mädchens fünfzehnjähr'gem Herzen, 
Das in dem ſeinen eben Wurzeln ſchlug 

Und knospend ſich erſchloß, übt' ich Betrug? 
Was kann ich anders bieten ihr als Trümmer? 
Umſonſt wär's, aus der Aſche flücht'gen Schimmer 
Zu fachen, wenn der Flamme Glanz verglüht. 
Für mich nicht iſts, daß ihre Jugend blüht; 
Ein Frühlingswetter, nicht das Sturmgetoſe 
Des öden Herbſtes breche dieſe Roſe!“ 


Hintritt er zu dem Paare; ſüß erſchreckt 
Erhebt ſich Angela, vom Schlaf erweckt, 
Und Beide ſtaunen ſprachlos, wie er ſpricht: 


— N ee 


„Verhehlt mir länger eur Geheimniß nicht, 
Ihr Vielgeliebten! Heil und Frieden ſei 
Mit euch in eures Lebens ſüßem Mai! 
Zum Himmel fleh' ich, daß aus reinſtem Blaue 
Er huldreich, immer lächelnd, auf euch ſchaue 
Und Glück in Fülle auf euch niederregne, 
So wie ich euern Bund von Herzen ſegne! 
Erfahr, Sebaſtian! wiſſe, Angela! 

Der Tag, der eure Wünſche krönt, iſt nah: 
Am Oſterfeſt ſollt ihr, ein frohes Paar, 

Im Marcusdom hintreten zum Altar.“ 


Des Meiſters Hand mit Thränen netzend, knieten 
Die Beiden, um ihm ihren Dank zu bieten, 
Entzückenſtumm vor ihm, indeß im Flug 
Das Boot ſie wieder an die Riva trug. 


8. 


O Frühling, ſenkteſt du dich je zuvor 
So zauberiſch im Abendpurpurflor 
Hernieder auf die Königin der Meere, 
Wie heut, da zu des jungen Paares Ehre 
In Feſtesſchmuck Giorgiones Villa prangt? 
Mit blaſſem Scheine ob den Gärten hangt 
Die Mondesampel ſchon; allein noch ſprüht 
Vom Horizont empor bis zum Zenith 
Der Spätrothglanz, und durch den Himmel iſt 
Ein roſ'ger Schimmer, klar wie Amethyſt, 
Ergoſſen, der durch duft'ge Nebelſchleier 
Auf Meer und Inſeln hinſtrömt. Von der Feier 
Im Marcusdome drängen ſich die Gäſte 
Durchs Villenthor heran zum Hochzeitsfeſte. 


SR 


Entlang den Laubengang, wo nur verirrte 
Lichtſtrahlen dringen durch das Grün der Myrte, 
Hinauf die Treppe, über Marmorflieſen 

Wogts in die Halle, wo bis zu den Frieſen 
Empor Giovannis heitre Arabesken 

Sich ſchlängeln, und Giorgiones Götter-Fresken 
(Wer weiß gleich ihm in Farbengluth zu malen?) 
Glorreich hernieder von den Wänden ſtrahlen. — 


Sieh da, der Meiſter ſelbſt! An ſeinem Arm 
Führt er die Neuvermählten durch den Schwarm 
Der Grüßenden dahin, und aus der Halle, 

Ihm folgend, in den Garten treten Alle, 

Wo Marmorbilder aus Granatenbüſchen 

Die weißen Glieder heben und dazwiſchen 

Im Abendſchein der Strahl des Springquells blinkt, 
Der bald aufſteigt, bald in das Becken ſinkt. 
Auf Goldſandpfaden am Lagunenbett, 

Das in der Wogen tiefem Violett 

Die erſten Sterne ſpiegelt, durch die Gänge 
Hochwipfliger Cypreſſen wogt die Menge 

In langen Reihn; o welche Feſtgenoſſen! 

Hat je ein Gartenraum mehr Ruhm umſchloſſen? 
Nur Wen'ge nenn' ich. Dort im rothen Sammt 
Der Jüngling, deſſen Blick ſo mächtig flammt, 
Er iſts, den ſchon als Knaben ferne Länder 

Mit Ehrfurcht nannten, Tizian, der Vollender 
Von Allem, was Giorgione nur erſtrebt; 

Hold flüſternd an des Hohen Seite ſchwebt 

Das Götterweib, die ſchöne Violante, 

Die er unſterblich auf die Leinwand bannte, 

Ein Staunen und ein Wunder aller Zeiten. 
Nicht fern ihm durch die Lorbeerhecken ſchreiten 
Der Stolz Venedigs, Palma, der erlauchte, 

Der in das Morgenroth den Pinſel tauchte, 


A ee 


Als er in St. Marie auf dem Altare 

Die Barbara gemalt, die wunderbare. 

Dort Gian Bellin, der Greis, ſo ſanft und mild 
Wie ſeine Engel auf dem hehren Bild 

In St. Johann — beklagenswerth, ihr Spätern, 
Euch nenn' ich, daß ihr nie mehr, gleich den Vätern, 
Es ſchauen werdet: ach, verzehrt von Flammen, 
Sank jüngſt die ganze Herrlichkeit zuſammen! 


Zu nachten nun beginnt es; hochauf ſtrahlen 
Die Fackeln auf den Marmor-Piedeſtalen, 
Und an der Tafel unterm Rebengitter 
Mit ihren Damen nehmen Platz die Ritter, 
Giorgione nächſt dem neuvermählten Paar. 
Im Hochzeitglanz, Juwelenſchmuck im Haar, 
Prangt Angela, allein noch heller leuchtet 
Ihr Auge, von der Freude Thau gefeuchtet, 
Da mit dem ihren ſich Sebaſtians Blick 
Begegnet und das wonnige Geſchick 
Ihr kündet, das, aus ſüßer Gegenwart 
Zu ſüßrer Zukunft führend, ihrer harrt. 
Zu voll von Seligkeit iſt ihr Gemüth, 
Als daß in Worten ſie, was in ihr glüht, 
Ihm künden könnte; mit beredtem Schweigen 
Sagt nur ihr Antlitz, daß ſie ganz ſein eigen. — 


Von bunter Lampen Schimmer unterdeſſen 
Erglühn die dunkeln Wipfel der Cypreſſen; 
Daher vom Meer, wo leichte Gondeln gleiten, 
Schallt Lachen und Geſang und Klang von Saiten, 
Und durch das Nachtazur, das tiefe, ſchießend 
Sprühn, rothe Flammen auf den Garten gießend, 
Leuchtkugeln himmelan. Der Feſtesluſt 
Erſchließt ſich mehr und mehr der Gäſte Bruſt, 
Die Herzen heben ſich in höhern Schlägen; 


N 
T 20 


Es weckt der Cyperwein (wie Frühlingsregen 
Lenzdüfte lockt aus wucherndem Geſtäude) 

In jeder Seele die verborgne Freude. 

Da nimmt beim Wiederfüllen des Pokals 

Tizian das Wort: „Nun ziemt dem Wirth des Mahls, 
Den Beiden, welche dieſes Feſtes Krone, 

Ein Lebehoch zu bringen.“ Auf Giorgione 
Schaun Alle und erſchrecken, denn todblaß 

Sitzt er mit ſtarrem Blicke. „Meiſter, was, 

Um Gott, was iſts? — Als ſollte die Cypreſſe 
Bald ſeine Gruft beſchatten, lagert Bläſſe 
Schreckbar auf ſeinem Antlitz.“ Plötzlich bebt 
Bei dieſem Wort Giorgione, er erhebt 

Das Auge, ſucht zum Lächeln ſich zu zwingen 
Und ringt ſich, um das Lebehoch zu bringen, 
Vom Seſſel auf, doch ſinkt ermattet wieder 
Zurück, kalt, ohne Regung alle Glieder. 

Die Luſt verſtummt; ein Flüſtern geht, erſt leis, 
Dann laut und lauter durch der Gäſte Kreis: 
„Weh! von der Krankheit, der die Jugendkraft 
Ihn kaum entriß, neu wird er hingerafft!“ 

Um den Dahingeſunkenen verſtört 

Sich drängen Alle: „Kommt doch zu Euch, hört! 
Hört, edler Meiſter! — Nein, er regt ſich nicht; 
Schafft Hülfe, ſchnell! Des hellſten Sternes Licht, 
Die ſchönſte Perle in des Dogen Krone 

Verlöre dieſer Freiſtaat in Giorgione!“ 


3 


Durch ganz Venedig fliegt von Mund zu Munde 
In Hütte wie Palaſt die Trauerkunde: 
Dahingerafft vom jähen Tode ſei 


ee DE 


Der Meiſter, unter deſſen Hauch ein Mai 
Der Kunſt am Strand der Adria erblüht, 
Wie keiner, gleich von Farbenpracht durchglüht, 
Gleich duftreich noch auf Erden ſich entfaltet. 
„So ſoll denn dieſe Rechte, nun erkaltet, 

Der Faune trunkne Luſt bei Bacchanalen, 
Ariadnes Liebesweh uns nie mehr malen; 

Uns nie des Himmels Glorie mehr erſchließen, 
Daß wir ſchon hier der Sel'gen Glück genießen; 
Uns nimmer mehr die Thäler von Cadore 
Herzaubern, wo mit ſiebenfachem Rohre, 

In breiter Fichten Schatten hingeſtreckt, 

Der Ziegenhirt des Berges Echo weckt?“ 

Als ob der Stadt fortan ihr Liebſtes fehle, 
Schwebt mit den Gondeln über die Kanäle 
Die Klage ſo; doch tröſte dich, Venedig! 

Dein Genius ſchützte dir den Liebling gnädig; 
Dem Tod nicht gönnt er, ihn dahinzuraffen, 
Bis er ein letztes, größtes Werk geſchaffen 
Und noch einmal mit Kraft des Alpenaars 
Den Sonnenflug gewagt. 


Nur Ohnmacht wars 
Geweſen, was ihm tief den Sinn umwoben; 
Zu neuem Leben hat er ſich erhoben. 
Doch wenn er ſonſt im Kreis der Freunde gern 
Bei Scherz und Spiel geweilt, nun menſchenfern 
Streift er allein auf abgelegnem Pfade; 
Nur mit den Wogen, die ſich am Geſtade 
Der Adria, dem hochbeſchäumten, brechen, 
Im Sturm hinüberrudernd, mag er ſprechen. 
Wohl, wenn ihn der Genoſſen einer fragt, 
Ob er erkrankt, ob Gram ſein Herz zernagt, 
Sucht er mit heiterm Blick den Schein der Trauer 
Hinwegzutäuſchen; doch auf kurze Dauer 


I IR as 


Nur führt er irr den Freunden die Gedanken; 

Sie ſehn ihn mehr und mehr gleich Schatten ſchwanken 
Und ahnen mit bekümmertem Gemüthe, 

Daß hingewelkt ihm ſei die Lebensblüthe. 


Der Schmerz, der ihm in jäher Uebermannung 
Plötzlich geraubt der Lebenskräfte Spannung, 
Der Gram um hingeſchwundnes Lebensglück 
Umflort ihm noch die Seele wie den Blick 
Mit düſterm Schleier; aber, gleich wie hell 
Durch Nebelwolken, ein lebend'ger Quell 
Von Strahlenglanz, des Herbſtes Sonne bricht, 
So ringt ſein Geiſt ſich endlich klar und licht 
Aus all der Nacht empor, und wieder glättet 
Sich ſeine hohe Stirn, daß ſanft gebettet 
Auf ihr der Friede ruhe. — Wochen ſchon 
Sind ihm, ſeit er Sebaſtian ſah, geflohn, 

Da tritt der Jüngling mit gewohntem Gruß 

In ſein Gemach. „Hört, Meiſter, den Entſchluß, 
Den ich gefaßt! Mit banger Sorge quält 

Das Leiden mich, das Ihr umſonſt verhehlt; 

Und tiefer noch iſt Angela bekümmert, 

Mit Euch ja würd' uns alles Glück zertrümmert. 
Drum laßt uns ſorgend, pflegend bei Euch weilen! 
Vielleicht, wenn wir auch nicht Eur Leiden heilen, 
Doch helfen wir Euch, daß Ihrs leichter tragt! 
Schon haben wir der Fahrt nach Rom entſagt.“ 
Zu ihm Giorgione: „Freund, die Sorge ſcheuch! 
Für immerdar ſo glücklich wünſch' ich euch, 

Wie ich es bin! Ich fühle friſche Kraft 

Durch meine Adern rinnen, gleich dem Saft, 

Der, in den Reben gährend, feur'gen Moſt 

Zum Herbſt verheißt! Neu ſteigt in mir und ſproßt 
Der alte Schöpfungsdrang empor, und ganz 
Geneſ' ich bald, wenn erſt in Farbenglanz 


— 1 


Ein neues Bild aufblüht von meiner Hand. 
Lang war ich von der Staffelei verbannt; 

Mich treibt das Herz, dahin zurückzukehren, 
Und, Freund, du mußt mir einen Wunſch gewähren: 
Daß ich dein Weib, daß Angela ich male. 

Den ganzen Schmelz aus meiner Farbenſchale 
Und meiner Seele ganze Gluth will ich 
Ausſtrömen auf dies Bild, das jugendlich 

Noch, wenn uns längſt die Todtenglocke ſcholl, 
Den künftigen Geſchlechtern leuchten ſoll. 

Ja, hehr will ich, und mög' ich dann erblaſſen, 
Dies Weib durch alle Zeiten ſtrahlen laſſen, 
Daß noch die ſpäten Enkel mit Entzücken 
Empor zu ihrem Wunderbilde blicken 

Und ins Geheime ſich mit Neid geſtehen: 

Wir werden lebend keine Gleiche ſehen! — 
Wenn ich das Werk vollendet, laß uns ſcheiden; 
Zum großen, ew'gen Rom zieht hin, ihr Beiden! 
Auf eurem Haupte ruht mein wärmſter Segen, 
Und ſtolz klopft mir das Herz in höhern Schlägen, 
Zu denken, wie ſich dort in kühnem Schwung 
Dein Geiſt erheben wird. Kraftvoll und jung, 
Sebaſtian, biſt du noch und darfſt nicht zagen, 
Des Genius höchſten Adlerflug zu wagen, 

Der mir vergönnt nicht ward. Was lieblich nur 
Und ſinnbeſtrickend iſt in der Natur, 

Das war das Reich, in welchem ich gewaltet, 
Und Zauberbilder hab' ich ſo geſtaltet, 

Wie ſie der Pinſel nie zuvor erſchuf. 

Doch an die Kunſt ergeht ein andrer Ruf; 

Vom Irdiſchen ſoll ſie empor ſich ringen 

Und in die ew'ge Welt auf mächt'gen Schwingen 
Empor die Seele tragen. Zieh nach Rom, 
Sebaſtian! Dort nächſt St. Peters Dom, 

Der hoch und höher zu den Wolken ſtrebt, 


8 


Die Marmorſtufen ſteig hinan! Dir bebt 

Das Herz, als ſtündſt du an des Himmels Schwelle, 
Denn vor dir liegt die einzige Kapelle, 

Die göttliche, die ſelbſt der Unerſchaffne 

Mit ſeinem Athem füllt — mit Muth denn waffne 
Dein Herz, damit die Größe der Geſichte, 
Die drinnen deiner harrt, dich nicht vernichte! 
Und haſt du dich geweiht, dann eingetreten 
Zur Decke blick empor, wo die Propheten 

Und die Sibyllen mit den mächt'gen Brau'n 
Wie vom Beginn der Zeiten niederſchaun, 

Und überm Meer, dem ſchöpfungſturm-geſchwellten, 
Unnahbar groß er ſelbſt, der Herr der Welten, 
In Allmacht ſchwebt, den ſchnaubenden Orkan 
Am Zügel führend und die hehre Bahn 

Den jungen Sonnen weiſend — im Beginn, 
Sebaſtian, wohl verzagen wird dein Sinn, 
Wenn über dir dies neue Gottesreich 

Der Kunſt aufgeht und, Sternenbildern gleich, 
Sich dir all die gigantiſchen Geſtalten, 

Des Genius höchſte Schöpfungen, entfalten; 
Doch Tag für Tag dort pilgre hin und ſtähle 
Den Geiſt an Buonarottis Rieſenſeele, 

Die vom Gewölb auf dich herunterſieht, 

Bis du, in ſtiller Andacht hingekniet, 

In dir die neue Weihe fühlſt, und Stärke 

Und Muth gewinnſt zum eignen großen Werke! 
Zu deiner Angela dann kehr zurück, 

Und reifen mag durch ihrer Liebe Glück, 

Wie Trauben an der Sonne Flammenherd, 
Die Frucht, die dir der Genius beſchert! 

Und nun, geliebter Schüler, ſchwör' mir du 
Mit heiligem Gelübd' und Handſchlag zu, 
Treu zu erfüllen, was ich dir geboten, 

Als wär's der letzte Wille eines Todten! 


28 


Für Alles, was ich je an dir gethan, 

Sei das der Dank. O mein Sebaſtian, 

Sohn meines Leo, mehr als du gedacht, 

Der Opfer größtes hab' ich dir gebracht, 

Doch freudig that ichs — dieſes eine nur 

Will ich als Lohn. Nun? leiſteſt du den Schwur?“ 


Und ſchluchzend zu des Meiſters Füßen ſinkt 
Der Jüngling nieder; ihm im Auge blinkt 
Das helle Naß der Thränen, lautlos preßt 
Er ſtatt des Schwurs Giorgiones Rechte feſt 
In ſeine Hand; ſtumm liegen dann im warmen 
Herzenserguß die Zwei ſich in den Armen. 


10. 


Beim Frühroth ſchon rafft von der Lagerſtätte 
Der Meiſter ſich empor, um die Palette 
Zum Tagewerk zu rüſten — ſieh, und bald 
Naht Angela, vom Lockenhaar umwallt, 

Das um die Schultern in gelösten Flechten 
Herniederrollt, die Laute in der Rechten, 
Schön wie die erſte Roſe, die dem Mai 

Ihr duftend Herz erſchließt! Der Staffelei 
Genüber, wo der Seſſel ihr bereitet, 
Hinlehnt ſie, und die weiße Rechte gleitet 
Sanft ob den Saiten, daß mit leiſem Schall 
Töne auf Töne, wie im Widerhall 

Von ihres Herzens Träumen und Empfinden, 
Sich zum Akkord, zur Melodie verbinden. — 
Giorgione ſchaut indeß vom Malgerüſte 

Ins Antlitz ihr, das morgenlichtgeküßte, 

Ins tiefe, dunkelglühnde Augenpaar, 


END R 


In welchem ihre Seele wunderbar 

Geſpiegelt ſchwebt. Um aus des Mädchens Zügen 
Ein Bild, dem keins ſich meſſen kann, zu fügen, 
Gönnt er, durch alle Farbentöne meiſternd, 

Sich an dem Anblick immer neu begeiſternd, 

Bis ſpät ſich keine Raſt; wenn überwacht 

Sein Auge kurz ſich ſchließt, um Mitternacht 
Erſehnt er wieder ſchon die Morgenröthe, 

Daß ins Gemach zu ihm die Holde trete 

Und ihm durch ihrer Laute ſüße Töne 

Den letzten Zwieſpalt in der Bruſt verſöhne. 

So, wie er Tag für Tag am Werke ſchafft, 
Scheint er verjüngt in neuer Lebenskraft 
Emporzublühn, ſein Auge leuchtet klarer, 

Da immer herrlicher und immer wahrer 

In Farb' und Formenfülle ihm das Bild 

Der Lautenſpielerin entgegenquillt. 

Wie ſchön das Weib auch ſein mag, das er liebt, 
In höherm Glanz, als ihn die Erde giebt, 
Strahlt dies ihr Bild, von ſeinem Geiſt verklärt; 
Denn an der Seele Born hat ers genährt, 

Es mit des eignen Lebens Hauch getränkt, 

Und, mit Unſterblichkeit von ihm beſchenkt, 

Wird nun, von allen Erdenſchlacken rein, 

Aus ſeiner Seele neu zu höherm Sein 

Geboren, dieſes Weib den künft'gen Jahren 

Des Meiſters hohe Liebe offenbaren. 


Als er den letzten Pinſelſtrich gethan, 
Im Abenddunkel tritt Sebaſtian 
Mit Angela zu ihm. „Nach all der Mühe 
Bedürft Ihr langen Schlaf, und in der Frühe 
Soll uns die Gondel nach Fuſine tragen; 
Von dort empfängt uns Rom nach wenig Tagen. 
Lebt wohl denn, und dem Himmel ſeis gedankt, 


ä 2 


Daß wieder nun, als wärt Ihr nie erkrankt, 
Ein neues Roth auf Euren Wangen glüht, 
Daß heiterer, als jemals, im Gemüth 

Wir Euch verlaſſen. Meiſter, lebt denn wohl! 
Eur Wille nur iſt unſres Lebens Pol, 

Und wenn dereinſt aus Rom wir wiederkehren, 
Dann ſollt Ihr ſagen unter Freudenzähren: 
„Ich weiß, daß treu Ihr dem Gelübde bliebt! 
Ihr wart es werth, daß ich Euch ſo geliebt!“ 


11. 


Und bei des nächſten Morgenroths Erwachen 
Schwebt übers Meer auf leichtbewegtem Nachen 
Das junge Paar hinweg. Doch als der Strahl 
Der Sonne dämmernd in den Arbeitſaal 
Giorgiones dringt — o welcher Anblick drinnen! 
Gebrochnen Auges, mit geſchwundnen Sinnen 
Liegt, rückwärts hingeſunken vor dem Bild, 

Der Meiſter in dem Seſſel da. Gleich mild, 
Doch heitrer ſcheint er, als da er gelebt; 

Dies ſanfte Lächeln, das den Mund umſchwebt, 
Auf allen Zügen dieſer Engelfrieden — 

O, kann es ſein? Iſt wirklich er geſchieden? — 


Er iſt es; bei des Morgens erſtem Roth 
Gebrochen hat ſein edles Haupt der Tod; 
In ew'ger Jugend aber auf ihn hin 
Schaut vom Gerüſt die Lautenſpielerin. 


II. 


Glycera. 


Seit der Väter Zeit wohl hat den Söhnen 
Von Athen der Dionyſien Feier 
Als der Feſte herrlichſtes gegolten, 
Doch des Alexander mächt'gem Günſtling 
Harpalus zu Ehren, der in Tarſus 
Königlicher Macht ſich rühmt, noch ſchöner 
Wird ſie heut als je zuvor begangen. 
An Altären, die auf allen Straßen 
Prangen, bringen kranzgeſchmückte Mädchen 
Ihre Spenden dar aus Opferkörben, 
Chorgeſänge tönen, und am Ufer 
Des Ilyſſus in den Rebengärten 
Lockt der Cymbel Schall zum frohen Tanze. 
Auf gefüllten Schläuchen auf und nieder 
Bei des Volkes jubelndem Gelächter 
Hüpfen Jünglinge, vermummt als Satyrn, 
Und nicht faſſen in den weiten Hallen 
Kann des Bacchus rieſiges Theater 


5 
r 


All die Schaaren, die ſich zu der Dichter 
Wettkampf drängen. 


Diesmal auch, wer könnte 
Um die Stirn den Siegeskranz ſich flechten, 
Als der Muſen Liebling, als Menander? 
Voll Verlangen, der Komödie Meiſter 
Zu gewahren, ſchweifen durch die Sitzreihn 
Aller Blicke. „Iſt es Jener“ — hört man 
Fragen — „mit dem feingeſchnittnen Munde, 
Den Gelächter fort und fort umgaukelt? 
Jener mit den blitzend-ſchwarzen Augen, 
Draus der Scherz zu ſprühen ſcheint?“ 


Vergebens. 
Keiner ſieht ihn. Um des jüngſten Luſtſpiels 
Schickſal unbekümmert, fern den Feſten 
Läßt der Dichter einſam vom Piräus 
Sich nach Salamis hinüberrudern. 
Er, der hundertmal durch ſeine Geiz'gen, 
Seine liſt'gen Sklaven und Verliebten 
Selbſt den Finſterſten die Stirn entrunzelt, 
Deſſen Witz auf Aller Lippen gaukelt, 
Düſter vor ſich nieder in die Wogen, 
Die mit weißem Giſcht das Boot umfreifen, 
Starrt er nun. „Ja, treulos mich verlaſſen 
Hat die Schnöde! — Glycera! iſts möglich, 
Du, an deren Lippen mir ein neuer 
Frühling aufgeblüht, von der ich dachte, 
Noch das ſpätſte Alter mir zur Jugend 
Wandeln ſollteſt du, mich ſo verrathen 
Haſt du nun? Mich, der ich meiner Dichtung 
Ganzes Füllhorn über dich geſchüttet, 
Der ich nach des Bacchus Epheukranze 
Nur geſtrebt, um dich mit ihm zu ſchmücken, 


33 


Mich für Harpalus, den Weiberhelden 

Mit den ſalbenduftgetränkten Locken, 

Konnteſt du verſchmähen? — Ja, ich ſelber 
Sah ſie an des Macedoniers Seite 

Durch die Stadt im goldnen Wagen fahren, 
Liebesblicke mit dem Gecken tauſchen, 

Sah ſie Hand in Hand mit ihm, als wär' er 
Ihr Gemahl, zur Morgenopferfeier 

Ins Olympion treten. — Wohl! zerriſſen 
Sei das Band, das mich an ſie gekettet! 
Fluch der Argen, die in ihre Netze 

Mich gelockt!“ — Er denkts, und wie von ſchwarzer 
Klippe ſich ein Schwarm von Meeresvögeln 
Aufſchwingt, bis von unzählbaren Flügeln 
Allumher die Luft erdunkelt, alſo 

Finſter, immer finſtrer in der Seele 

Hebt ſich ihm Gedanke auf Gedanke. 


An der Inſel Felſenküſte landend, 
Aufwärts klimmt er, bis in einer Bergſchlucht, 
Halb verſteckt von düſtern Terebinthen, 
Ihn ein Landhaus aufnimmt. Dort wie oft nicht, 
Fern der lauten Stadt, nur mit den Muſen 
Zwieſprach pflegend, war er ehmals glücklich! 
Seine Thais, ſeinen Abergläub'gen, 
Seine Fiſcher, die der laute Jubel 
Griechenlands gekrönt, dort in der Stille 
Hat er ſie erſonnen, dort vor Kurzem 
Noch mit Glycera des Lenzes wonn'gen 
Mond verlebt, und wenn ein Vers von Anmuth 
Ihm gelungen, ſich durch ihrer Hände 
Druck, durch einen Kuß von ihrem Munde 
Mehr belohnt gefühlt, als hätt' im heil'gen 
Hain Olympias Hellas ſelbſt ein Denkmal 
Ihm errichtet. Aber nun: „Dem Zeus ſelbſt“ — 
Schack, Geſ. Werke. III. 3 


Murrt er dumpf — „nicht feinen Eid beim Styx mehr 
Glaub' ich, ſeit ich ſi e als falſch erfunden. 

O, ſo klar, wie durch kryſtallne Wäſſer 

Unten tief der Silberboden leuchtet, 

Wähnt' ich durch den Spiegel ihrer Augen 

Bis auf ihres Herzens Grund zu ſchauen! — 
Und ſie falſch! So iſt das ganze Daſein 

Nichts als Trug, durch den der Tod voll Argliſt 
Sich zum Leben aufſchminkt, ſo iſt Liebe 

Nur ein Köder, um uns in der Sünde 

Netz zu fangen!“ 


Und mit einem Sklaven, 
Dem des kleinen Haushalts Sorge obliegt, 
Birgt ſich in die Einſamkeit Menander. 
Nur der altersgrauen Bäume Wipfel, 
Die zu Häupten ihm im Windhauch flüſtern, 
Sind ſein Umgang; wie die Wetterwolke, 
Wenn ſie ihres Regens Wucht zu tragen 
Kaum vermag, iſt ſchwer ſein Herz; der Seele 
Bitterkeit in Liedern auszuſtrömen, 
Selbſt bleibt ihm verſagt. 


Auf Wochen 
Schwinden Wochen ſo. Da aus Jonien 
Auf beſchwingtem Schiffchen bringt ein Bote 
Einen Brief von Glycera; doch zürnend 
Weigert ſich der Dichter, ihn zu nehmen. 
„Nach Milet gar iſt ſie ihrem Buhlen 
Nun gefolgt, die Arge, und zum Hohn mir 
Selber kündet ſies! Zurück den Brief ihr 
Bring und dies dazu!“ Auf eine Tafel 
Haſtig ſchreibt er dann: „Aus ſeinem Herzen, 
Falſche, reißt für immerdar Menander 
Dein Gedächtniß, und den Göttern wird er 


— 35 — 


Danken, wenn in ſeinen nächt'gen Traum ſelbſt 
Nie dein Bild ſich mehr verirrt!“ 


Den Boten 
Mit der Antwort ſendet der Empörte 
So hinweg, ihm aber löst die Muſe 
Endlich neu mit ihrem Kuß die Lippen, 
Daß dem Strom gleich, wenn die Frühlingsſonne 
Ihn befreit hat von des Eiſes Banden, 
Hin ſein Grimm im wilden Rhythmus fluthet. 
Einen Weiberfeind zu dichten hebt er 
An, drin Alles, was er ſelbſt erlebt hat, 
Unter dünnem Schleier, leicht erkennbar, 
Vor des Volkes Ohr und Blick zu führen 
Er gedenkt. „Ja, ohne Maß betrogen, 
Ohne Maß auch Rache will ich üben. 
Raſt nicht, bis mein Miſogyn vollendet, 
Gönn' ich mir; ſchon beim Lenäenfeſte 
Soll Athen mein Strafgericht erleben. 
Wenn ſich kaum des nächſten Mondes Sichel 
Dämmernd zeigt, hinüber zum Piräus 
Trage mich das Boot, daß im Theater 
Selbſt ich Zeuge ſei, wie meine Pfeile 
Dieſes Weib durchbohren. Iſt ſie fernhin 
Bis an Indiens Gränzen mit dem Buhlen 
Auch entflohen, ſie ereilen werden 
Meiner Verſe flammende Geſchoſſe; 
„Falſch wie Glycera, das ſoll ein Sprichwort 
Noch den ſpäteſten Geſchlechtern werden!“ 


Und der frühſte Morgen, wenn die Sonne, 
Her von Aſien wandelnd, auf der Inſel 
Felſenſpitzen ihren erſten Lichtſtreif 
Wirft, ſchon trifft den Meiſter bei der Arbeit, 
Wie ſein Stift auf die Papyrusblätter 


Seines Herzens ganzen Ingrimm ſchüttet. 
Allen Schmerz getäuſchter Liebe ſtrömt er 
Glühend heiß, wie er aus ſeiner Seele 
Fluthet, in ſein Werk; nur wenig Tage, 
Und das Luſtſpiel — nein, nicht alſo heißen 
Darf es, denn getränkt mit Thränenſtrömen 
Hat der Dichter jeden ſeiner Verſe — 

Nach Athen hinüber bringt der Sklave. 


Unterdeß zum Feſte der Lenäen 
Rüſtet ſich die Stadt; von Argos nahen 
Gäſte, von Korinth, von Epidaurus, 
Ja, Verlangen, ſich an der Komödie 
Von Thalias Liebling zu ergötzen, 
Lockt von Rhodos, lockt von Lyciens Küſten 
Fremdlinge herbei, und Vorbereitung 
Zu dem Feſte treffen ſchon die Spieler. 


Eben, in der Rechten eine Rolle, 
Drauf ihr Blick ruht, wandelt im Gemache 
Eunosé, die Prieſterin der Here, 
Auf und nieder. Durch das Thor zu ihr da 
Sieht ſie Glycera, die Freundin, treten. 
„Biſt dus wieder? Tauſendmal willkommen! 
Dank den Göttern, daß ſie aus Jonien 
Heim zu uns dich führen! doch was haſt du, 
Theure? Todtenbleich ſind deine Wangen, 
Und dein Auge trägt die Spur von Thränen.“ 


Lange ſchweigend in der Freundin Armen 
Ruhte Glycera. Sich mählig faſſend 
Dann erzählt ſie, wie Menander zürnend 
Ungeleſen ihren Brief gelaſſen 
Und den Boten ihr mit bittern Worten 
Heimgeſandt. „Und welche Schuld denn trag' ich? 


Dieſer Harpalus, der meinem Vater, 

Als verfolgt von Alexanders Schergen, 

Schutz gewährt, bei dem im Schloß zu Tarſus 
Ich verlebt der Kindheit frohe Jahre, 

Konnt' ich fremd von ihm zurück mich halten, 
Als er heiſchte, daß ich zu den Tempeln 
Unſres herrlichen Athen, zur Werkſtatt 

Des Lyſipp, zu Stoa und Theater 

Ihn begleitete? Ihm bis Milet noch 
Nachzufolgen und den Freund zu laſſen, 

Ich beſchwör's, durch Bitten und Beſtürmen 
Nur mir rang ers ab. — Und nun des Treubruchs 
Des Verrathes zeiht mich mein Menander. 
O, ich kenn' ihn, wie ein böſer Dämon 

Ihn bemeiſtert, wie mit ſelbſtgeſchaffnen 
Irrgebilden ſich ſein Geiſt umdunkelt, 

Daß in Eins ihm Schein und Weſen ſchwimmen! 
Aber hin zu ihm! Und wenn er grauſam 
Mir die Thür verſchließt, an ſeiner Schwelle 
Will ich knien und flehen, bis er öffnet 

Und mich hört, und ich bis in die tiefſten 
Falten ſeine Seele von des Argwohns 

Gifte rein'ge!“ 


7 


Liebreich zieht die Freundin 
Sie auf einen Seſſel ihr zur Seite 
Nieder. „Handle vorbedächtlich, Theure! 
Nicht vermehren möcht' ich deinen Jammer, 
Aber wiſſen mußt du, was erſt eben 
Klar mir in der Seele aufſteigt. Bittrer 
Iſt der Groll und tiefer die Verblendung 
Deines Freundes, als du denkſt. Im Luſtſpiel, 
Nein, im gift'gen Spottgedicht dein Bildniß, 
Wie es ſich verzerrt in ſeiner Seele 
Spiegelt, allem Volke vor die Augen 


N Re 


Will er führen. Zwar dich nennt er Myrtis, 
Sich Leucippus; doch ein leichter Schleier 
Deckt euch Beide nur, und unter jener 
Buhlerin, der treulos-falſchen, die er 

Dem Gelächter, der Verachtung preisgiebt, 
Wird man, wie entſtellt auch, dich erkennen. — 
Dir im Angeſicht die Frage leſ' ich, 

Wie die Kunde deſſen mir gekommen, 

Da uns Frauen in Athen die Bühne 

Streng verſchloſſen iſt. Erfahre! geſtern 
Brachte Agathon, der muntre Knabe, 

Meiner Schweſter Sohn, die arge Rolle 

Mir, die er zu ſpielen auserſehn iſt. 

Tief entrüſtet — denn der Sinn des Ganzen 
War alsbald ihm klar geworden — klagt' er, 
Zwingen wolle ihn der Scenenleiter, 

In der Myrtis meiner beſten Freundin 
Zerrbild den Athenern vorzuführen. — 

So vertrau denn mir, und meinem Rathſchlag 
Leiſte Folge! Wenn du vor Menander 
Selber träteſt, deiner Worte keinem 

Würd' ein Ohr er leihn; doch mir, ſo hoff' ich, 
Solls gelingen, ſeinen Wahn zu ſcheuchen. 
Gleich zu dem Erzürnten auf die Inſel 

Eil' ich, daß ich Alles ihm verkünde 

Und ihm vor das Herz in warmen Worten 
Deine wandelloſe Treue führe. 

Glaube mir, nicht widerſtehen wird er, 

Und zurück in deine Arme bring' ich 

Den Verſöhnten. Lebe wohl! In Kurzem 
Wieder ſiehſt du mich.“ 


In ihre Arme 
Schloß noch einmal Eunos die Freundin 
Und enteilte. Bangender Erwartung 


— 898 


Voll, blieb Glycera zurück; der Myrtis 
Rolle las ſie, und bei jedem Worte, 
Jedem Zug der Argliſt, die der Dichter 
Ihr geliehen, ſtürzten Thränen Grams ihr 
Ueber ſolch Verkanntſein aus den Augen. 


Schlaflos Nachts auf ihrem Lager bleibt ſie, 
Und als Eos, über den Hymettus 
Steigend, nun dem Tag die Purpurthore 
Oeffnet, läßts nicht Raſt der Ueberwachten; 
Daß die fieberglühnde Stirn im Lufthauch 
Der bethauten Frühe ſie erfriſche, 
An den Quell Kallirrhos hinunter 
Schreitet ſie. In myrtenlaubumſchlungner 
Grotte ragt, der Aphrodite heilig, 
Ein Altar dort, mit den Opferſpenden 
Liebender bedeckt. Auf ſeine Stufen 
Hin kniet Glycera, um von der Göttin 
Troſt ſich zu erflehn; und wie ſie betend 
Zu dem Marmorbild der Hohen aufblickt, 
Sieh! ſo mild, ſo freundlich auf ſie nieder 
Lächelt Jene, daß von neuem Leben 
Sie das Herz durchſtrömt fühlt und von Hoffnung, 
Die erhabne Schützerin der Liebe 
Werd' in ihre mächt'ge Hut ſie nehmen. 
So des Wegs vorbei am Theſeustempel 
Unter ſchattenden Platanen lenkt ſie 
Ihre Schritte ſüdwärts, um zu ſpähen, 
Ob nicht Eunos die heißerſehnte 
Botſchaft bringe. Sieh, und plötzlich vor ihr 
Steht die Freundin; doch ihr Blick ſcheint Böſes 
Zu verkünden; tiefaufathmend ſpricht ſie, 
Oft im Reden ſtockend: „All mein Mühen 
War umſonſt; gekränkt in tiefſter Seele, 
Sich betrogen wähnend, meiner Reden 


a 


Achtete Menander nicht, nein, ſchwur mir, 

Nie mehr ſollteſt du vors Aug' ihm treten, 
Die ſo ſchmählich du mit ſeinem Herzen 

Spiel getrieben; einmal nach Athen noch 

Zum Lenäenfeſte woll' er kommen 

Und dem Haß der ſpäteſten Geſchlechter 
Deinen Treubruch weihn, doch dann für immer 
Von der Welt und von den Menſchen ſcheiden; 
Wenn des Spiels in ſeinem Weiberhaſſer 
Agathon ſich weigere, ſo werde 

Sich ein Andrer in die Rolle fügen. 

Was denn bleibt? Dein Schickſal ſcheint beſiegelt.“ 


Auf der Freundin Schulter ihre Stirne 
Trauernd drückte Glycera und ſetzte 
Stumm ſich neben ſie auf eine Ruhbank, 
Ueber der im Laube Nachtigallen 
Sich im Chorlied übten. Ihrem Sinnen 
Endlich ſich entreißend, nahm das Wort ſie: 
„Schlimm iſt, was du bringſt, und dennoch dämmert 
Mir ein Hoffnungsſtrahl in dieſem Dunkel. 
Aphrodite, die erfindungsreiche, 
Zeigt mir, ob auch fern und wie durch Nebel, 
Einen Plan, wie ich mit deiner Hülfe 
Und mit Agathons des Wahnes Binde 
Von Menanders Augen reißen könne 
Und mir ſeine Liebe neu erobern, 
Meines Lebens einz'ges Glück. O Freundin! 
Düſter, wie der Hades, iſt die Welt mir 
Ohne ſie. Erſt mit mir ſelbſt berathen 
Muß ich mich in Einſamkeit; doch eilends, 
Wenn mir der Gedanke reif geworden, 
Meiner Eunoö verkünd' ich Alles.“ 


Alſo trennten ſich die Zwei. Am Morgen 
Drauf beginnt das Feſt. Auf allen Gaſſen 


ae 


Welch Gewühl! Den Thyrſus ſchwingend jubeln 
Schwärme von Mänaden durch die Stadt hin, 
Und um Opferherde, drauf des Weinſtocks 
Feind, der Bock, in Flammen ſeine Schuld büßt, 
Tanzen muntre Chöre, Dithyramben 

Zu des Sorgenſcheuchers Preiſe ſingend. 


Und es kommt der Tag, an dem das Luſtſpiel 

Alle ſchon beim Frühroth zum Theater 

Zieht, die einen Platz erkämpfen wollen. 

„Ueber Glycera, die ſchöne, falſche“ — 

Flüſtert es von Munde hin zu Munde — 
„Soll Gericht ergehn in der Komödie, 

Und als Myrtis ihr Hetärenhandwerk 

Aller Welt vor Augen wird ſie führen. 

Auch der Dichter ſelbſt hat als Leucippus 

Sich, der Weiberfeind, darin geſchildert.“ 


Endlich vollgedrängt ſind alle Plätze, 
Stufe über Stufe bis nach oben; 
Vorn auf Teppichſitzen die Archonten 
Mit der Bundsgenoſſen Abgeſandten. 
Gleich dem Rauſchen in den mächt'gen Tannen 
Am Pentelikon, wenn ihre Wipfel 
Sich im Windhauch ſchwingen, geht Gemurmel 
Der Erwartung durch die Menge! „Still!“ dann 
Tönts dazwiſchen, doch das Lärmen wächst nur, 
Bis der Vorhang ſinkt und von den Sitzen 
Jeder Blick ſich nach der Scene richtet, 
Wo in Masken ſich die Spieler zeigen. 
Bald durch ihrer Verſe ſüßen Wohllaut, 
Der Verwicklung feſtgeſchlungne Fäden 
Feſſelt die Komödie Ohr und Seele, 
Und in athemloſer Spannung folgen 
Alle Myrtis' Liſten, wie ſie, Liebe 


2 


Heuchelnd, durch den Zauber ihrer Stimme, 
Durch des Flötenſpieles Kunſt Leucippus 
So bethört, daß einen Eid er ſchwören 
Möchte, ihres Herzens erſte, einz'ge 
Neigung ſei für ihn; wie doch auch Andre 
Sie zugleich mit ihres Netzes Garnen 

Zu umſtricken weiß, bis fern aus Oſten 
Vom Hydaspes her ein Fürſt der Inder, 
Reich an Macht und Schätzen, nach Athen kommt, 
Und ſie, aller frühern Schwüre ſpottend, 
Ihm ſich als Erkornem in den Arm wirft. 


In der Scenen Fortgang oft zum Lobe 
Agathons — er ſpielt der Myrtis Rolle — 
Wird der Beifall laut; der Hörer Einer 
Oft auch flüſtert in das Ohr des Andern: 
„Dieſe Glycera! durch ihre Künſte 
O wie Viele hat ſie nicht betrogen!“ 
Endlich kommt des Luſtſpiels letzte Scene, 
Wo Leucipp aus tiefempörter Seele 
Seines lang zurückgehaltnen Zornes 
Fülle auf die Buhlerin entladet 
Und, der Weiber ganz Geſchlecht verfluchend, 
Myrtis von ſich ſtößt, daß ſie den Inder, 
So wie ihn, nach Herzensluſt betrüge. 


Vor dem Zürnenden, von ſeines Grimmes 
Wucht erzitternd, ſprachlos da ſteht Myrtis; 
Jeder glaubt, auf ihrem Antlitz müßt' er, 
Wenn die Maske das Geſicht nicht deckte, 
Leichenbläſſe ſchauen. Lang nach Worten 
Ringt ſie, doch verhaltne Thränen ſcheinen 
Ihre Stimme zu erſticken. Endlich 
„Mein Leucippus!“ ſpricht ſie, und beim erſten 
Laute geht ein Murmeln des Erſtaunens 


Durch der Hörer Reihen: „Nicht die Stimme 
Agathons iſt das; was mag geſchehn ſein? 
Ward er krank, ſo daß für ihn ein Andrer 
In die Rolle eintrat?“ Nach dem Sitze 
Neben der Orcheſtra deutet Einer: 

„Seht den Dichter! ſeht Menander! Was nur 
Iſt ihm plötzlich? Wie im Krampf zuſammen 
Fährt er; nun erhebt er ſich und drängt ſich 
Nach der Bühne zu hin durch die Sitzreihn!“ 
Aber Myrtis, mehr und mehr ſich faſſend, 
Redet weiter: „O, welch unglückſel'ges 
Truggewebe, von dem eignen Argwohn 

Nur geſponnen, mein Leucippus, hat dir 

So den Geiſt verdunkelt! Dieſem Inder — 
Oft gehört aus meinem Mund ja haſt dus — 
Mehr als einem ſonſt auf dieſer Erde 
Schuld' ich Dank, denn meines Vaters Leben, 
Der, verfolgt von anderm höherm Fürſten, 
Schutz bei ihm geſucht, hat er gerettet 

Und mich ſelbſt, das Kind, in ſeinem Schloſſe 
Liebevoll gehegt. Auf ſeinen Knieen, 

Da mein Mund noch kaum die erſten Worte 
Stammeln konnte, hab' ich oft geſeſſen, 
Während er, mich ſtreichelnd, ſüße Märchen 
Mir erzählte. Als an ſeinem Hofe 

Meinem Vater dann das Heimweh länger 
Raſt nicht ließ, mit reichen Spenden hat er 
Uns entlaſſen, und ſo oft ſeitdem mir 
Meiner Kindheit Morgen vor die Seele 
Wieder trat, gedacht auch hab' ich ſeiner 

Und der Götter Segen auf ſein theures 
Haupt herabgefleht. Nach langen Jahren 
Kam er nun in unſre Stadt; und durft' ich 
Zögern, ihm den ſpäten Dank für frühe 
Nievergeßne Wohlthat darzubringen? 


AN 


Freundlich und des Kindes noch gedenkend, 
Mich empfing er, und auf ſein Verlangen 

Zu den Wundern von Athen begleiten 

Mußt' ich ihn. Schon in der nächſten Frühe, 
Mein Leucippus, wollt' ich das dir künden, 
Aber du — wohin? nicht Einer wußt' es — 
Warſt verſchwunden. Bald zum eignen Schrecken 
Ward ich inne, wie mein einſt'ger Schutzherr 
Mehr begehrte, als ich bieten konnte; 

In ſein Goldland wollt' er heim mich führen, 
Daß mit ihm ich Reich und Thron und Krone 
Als Gemahlin theilte; doch ich ſchwur ihm, 
Meinem Eide, wie des Herzens Banden, 

Die an dich mich feſſelten, nie würd' ich 
Untreu werden; nur daß bis Miletus, 

Wo die Schweſtern mir, die lieben, weilen, 
Ich ihm folgte, hat er mir durch Bitten 
Abgerungen. Dort erſt ward mir Nachricht, 
Wo du weilteſt, und alsbald auch gab ich 
Kunde dir von meiner nahen Heimkehr, 

Aber ungeleſen mir das Schreiben 

Sandteſt du zurück. O, mein Leucippus! 
Wie verkennſt du mich! Und doch von Anfang 
Hat mein Denken all und all mein Fühlen 
Klar, ſo wie des Juni wolkenloſer 
Sternenhimmel, vor dir dagelegen; 

Nur für dich hab' ich gelebt, und glücklich 
Dich zu ſehn war meiner Tage Sinnen, 
Meiner Nächte Traum; für dich die Krone 
Gab ich hin und alle Schätze Indiens, 
Nichts von dir je ſucht' ich und dem Deinen, 
Als nur deine Liebe — und nun alles 
Niedern, dran im Traum ſelbſt meine Seele 
Nie gedacht hat, mich zu zeihn vermagſt du? 
Hab' ich das um dich verdient?“ 


EINEN) ER 


In Schluchzen 
Brach ſie aus. Der Spieler des Leucippus 
Stand betroffen da, der Rede Faden 
Fand er nicht; Verwirrung auf der Hörer 
Sitzen miſchte ſich der ſeinen; endlich 
Neu ergießt er der ergrimmten Seele 
Zornfluth über Myrtis, ſie des Abgrunds 
Finſtern Mächten weihnd, den Eumeniden, 
Daß die Schlangenlockigen zum Orkus 
Sie hinuntergeißeln, wo die Falſchheit 
Und der Schwüre Bruch in ew'ger Qual ſie 
Büßen ſoll — er ſelbſt, den Menſchen ferne, 
Will in tiefſter Einſamkeit bereuen, 
Daß an eines Herzens Treue jemals 
Er geglaubt. Da, als er ſich zum Abgehn 
Wendet, hält ihn Myrtis feſt: „Und falſch mich 
Kannſt du nennen? falſch? Der ew'gen Götter 
Blitzſtrahl ruf' ich auf mein Haupt hernieder, 
Wenn, ſeitdem zum erſten Mal in deinen 
Armen ich geruht, ich eine Freude 
Je gekannt, als die mit dir ich theilte, 
Andern Willen je gehabt, als deinen. 
Jeder Platz, wo du geweilt, der Hausrath, 
Welchen du berührt, dein Schatten ſelber 
War mir heilig. Alle Erdengüter, 
Ja, die Wonnen des Olymp, der Götter 
Seligkeit und ewig blühnde Jugend 
Hätt' ich für ein Lächeln deines Mundes 
Hingegeben; mehr als Mond und Sonne 
Galt mir deiner Augen Licht; mein Himmel 
Lag in deinem Herzen.“ — Und vom Antlitz 
Glitt ihr, wie ſie ſprach, die Maske nieder — 
„Glycera!“ erſcholl es von den Sitzreihn — 
Und zum Sceneneingang, wo der Dichter 
Stand, die Arme ſtreckte ſie: „Menander, 


93 


Mein Menander! Wenn nur etwas jemals 
Lieb an Glycera dir war, wenn je ſie 

Eine frohe Stunde dir bereitet, 

O, ſo laß den Argwohn! gieb den Glauben, 
Den verlorenen, an meine Treue 

Mir zurück! Dann, muß es ſein, als Sklavin 
Dienen werd' ich dir und will mich glücklich 
Preiſen, darf ich nur, am Boden knieend, 

Dir Ermüdetem das Fußbad reichen 

Und das Lager ſorglich dir bereiten, 

Daß du ſanft drauf ruheſt! Ja, ich ſeh' es, 
Dir vom Herzen ſchmilzt das Eis, im Auge 
Quillts dir feucht! O, laß die Thränen rinnen! 
Lang nach dieſem Thau hab' ich geſchmachtet, 
Der mir deiner Liebe neuen Morgen 

Kündet. Komm zurück in meine Arme, 

Daß in Eines unſer Beider Leben 

Sich wie ehmals ſchlinge! Wenn dir Schwermuth 
Auf der Seele laſtet, dich erheitern 

Will ich, wenn du leidend biſt, dich pflegen, 
In der Einſamkeit mit holdem Plaudern 

Dir die Stunden kürzen! Jeden Morgen 
Soll mein Kuß zu ſchönem Tag dich wecken! 
Erſt vereinigt opfern wir den Göttern, 

Dann der Muſe führ' ich in den Arm dich, 
Gern mit ihr dich in der Stille laſſend, 

Daß in goldner Frühe dir der Dichtung 
Schöne Früchte reifen. Aber rufſt du 

Nach vollbrachter Arbeit mich, dir danken 
Will ich mit des Herzens wärmſtem Beifall 
Für der Verſe jeden und nicht ruhen, 

Bis dein Werk vor aller Griechen Augen 

Auf der Bühne prangt. Die Spieler lehr' ich 
Deine Trimeter und Anapäſte 

So, wie ſie mein Ohr entzücken, ſprechen, 


ee 


Richte Masken ihnen zu und Kleider 

Und erwart' in Furcht halb, halb in Freude, 
Daß des Feſtes großer Tag erſcheine. 

Wenn das Stück beginnt, mag kaum mein Auge 
Aufzuſchauen ſich getraun, mein Herz klopft 
Angſtvoll, bis die Hörer Beifall klatſchen, 

Und erſt dann, beim Dionyſos! wieder 
Athmend, ſchließ ich dich in meine Arme 

Und bekränze mit dem heil'gen Epheu 

Dir das Haupt.“ 


Sie ſprachs. Halb vor mit ſchwanken 
Schritten auf die Scene trat Menander, 
Drückte ſeinen Kuß auf ihre Stirne, 
Hing am Hals ihr, und durch ihre Thränen 
Leuchteten in Freude Beider Augen. 
Tiefe Stille war im ganzen Hauſe. 


III. 


Ubaldo Lapo. 


T. 


G ſchöne Zeit der Kunſt! Seitdem Athen 
In Staub ſank bei der Völkerſtürme Wüthen, 
Hat eine gleiche nicht die Welt geſehn, 

Wie da im freud'gen Wiederauferſtehn 

Sich in Florenz die Götter alter Mythen 

Im Morgenlicht des neuen Tages ſonnten 
Und wieder ſich zu freiern Horizonten 

An ihrer Hand empor die Menſchheit rang. 
So wie der Hauch des Mai durch die erſtarrten 
Gefilde, ging ein friſcher Lebensdrang 

Dahin durch alle Seelen und umſchlang 

Die Zinnen und die Thürme und die Warten 
Der düſtern Stadt mit jungem Frühlingsgrün 
Und ließ zu einem großen Zaubergarten 

Von Stein des goldnen Arno Strand erblühn. 
Mit Marmorbildern füllten ſich die Säle, 

Um der Korinther ſchöne Kapitäle 

Wand rankend der Akanth ſich himmelwärts, 
Und vor Ghibertis Geiſte ſchmolz das Erz 
Im Guſſe zu den Paradieſesthüren, 


3 


Die noch in St. Johanns Kapelle führen. 
Verwandelt ward zur Göttin Griechenlands 
Die hagere Madonna von Byzanz, 

Der bleiche Chriſtus lächelte verklärt, 

Und Benvenutos Perſeus mit dem Schwert. 
Vertrieb der Heil'gen klägliche Geſtalten, 
Indeß von Donatellos ehrnen Faunen 

Die Stimmen höhnend hinter ihnen hallten: 
„Armſel'ge! bei des jüngſten Tags Poſaunen 
Dereinſt mögt ihr gerecht erfunden werden, 
Doch aus für immer iſt eur Reich auf Erden!“ 


Von jenem Hang, der an des Arno Borden, 
Wie nirgend ſonſt, ſich regt' und Blüthen trieb, 
War auch erfaßt Ubaldo Lapo worden. 

Seit er, noch Kind, beraubt der Eltern blieb 
Und ihn in Obhut Michel Angelos 

Der Vater auf dem Sterbebett geſtellt, 

Sein Traum geweſen wars, als Bildner groß 
Mit ſeinem Ruhm zu füllen einſt die Welt; 
Und da der Meiſter ſich zuerſt geſträubt, 
Mit Bitten hatt' er ihm das Ohr betäubt, 
Bis Jener ſeinem Drängen nachgegeben. 


In ſeiner Werkſtatt ſchafft der Jüngling ſo 
Und thut, der neu vollbrachten Arbeit froh, 
Den letzten Schlag an einen Marmor eben, 
Als Michel Angelo in Reiſetracht 
Eintritt und ihm die Hand entgegenſtreckt. 
Ubaldo, überraſcht und halb erſchreckt, 

Blickt zu ihm auf: „Wer hätte das gedacht? 

Ihr, Meiſter, hier? Seid tauſendmal willkommen! 
So habt Ihr Eure Romfahrt wohl vollbracht? 
Bang war mir Eurethalb das Herz beklommen, 
Schack, Geſ. Werke. III. 4 


— 50 — 


Denn Räuber hauſen, heißts, am Traſimener.“ — 
„Nicht hatt' ich ihrer Acht“, erwidert Jener, 
„Noch ſcheu' ich ſo die ehrlichen Banditen, 

Die offen auf dem Heerweg Trotz uns bieten, 
Wie die verkappten innerhalb der Mauern, 

Die hier bei uns auf Straßen und auf Plätzen 
Die günſt'ge Stunde zum Verrath erlauern.“ 


Dann auf Übaldos Ladung, ſich zu ſetzen, 
Wirft in den Armſtuhl nieder ſich der Meiſter 
Und läßt die Blicke zu der Werkſtatt Seiten, 
Wo Bilder ſich an Bilder reihen, gleiten: 
„Trau' ich den Augen? Alle guten Geiſter! 
Geduldig war der Marmor und der Thon; 
Statue an Statue drängt ſich ja, Modell 
Dicht an Modell auf jeglichem Geſtell; 

Allein du ſelbſt, kannſt du — geſteh mirs, Sohn! — 
Dich deiner Arbeit freun? Hier der Geſell, 

Der ſich ſo linkiſch ſpreizt, ſoll Jupiter 

Das ſein, der Götter und der Menſchen Herr? 
Zehn Fuß zwar mißt er; doch nach einem Zolle, 
Der gut, ſpäh' ich vergebens an dem Bild; 

Wie aufgepolſtert iſt der Kerl aus Wolle, 

Ein Brei ſein ganzer Leib; es macht mich wild, 
Die Pfuſcherei zu ſehn. Dort Mars — die Knochen 
In allen Gliedern ſcheinen ihm gebrochen, 

In Frauenkleider ſollte man ihn ſtecken; 

Doch dazu ſelbſt taugt nicht ſolch traur'ger Held. 
Dort das Modell vom Faune mit dem Becken! 

Ein Mädchen, das nach Vorſchrift des Pariſer 
Tanzmeiſters ihre Füße zierlich ſtellt, 

Glaub' ich vor mir zu ſehn; und nun gar dieſer 
Apollo, welche Mißgeburt! — Nein, Junge, 

Zur Schmeichelei gab Gott mir nicht die Zunge, 
Drum ſag' ichs grade dir heraus: nie wird 


— 51 — 


Aus dir ein Künſtler werden; kehr denn um, 
So lang es Zeit noch iſt.“ 


Die Blicke ſtumm 
Zu Boden ſchlug Übald und ſtand verwirrt, 
Das Antlitz überflammt von hohem Roth. 
Und wieder anhub Jener: „Vor dem Tod 
Vertraute noch — oft hab' ichs dir geſagt — 
Dein Vater ſeinen letzten Wunſch mir an, 
Ein Krieger möchteſt du, ein Reitersmann, 
So wie er ſelber, werden. Unverzagt, 
Ruhmvoll hat für die Freiheit unſrer Stadt 
In zwanzig Schlachten er gekämpft, geblutet. 
Wohlan denn! wenn den Meißel du entmuthet 
Bei Seite legſt, ſo winkt ein Lorbeerblatt, 
Vielleicht ein voller Kranz dir auf der Bahn, 
Auf welcher glorreich er und ſchon dein Ahn 
Und Aeltervater dir voraufgeſchritten. 
Wenn ich dich auch zu zwingen nicht vermag — 
Denn mündig biſt du — ernſtlich doch dich bitten, 
Dir rathen will ich. Jeder Meißelſchlag, 
Den du noch thuſt, iſt, glaub, in Luft gethan; 
Für immer fahren laß darum den Wahn, 
Erringen könnteſt je durch Kunſt du Ehre! 
Selbſt lachen wirſt du über dieſes leere 
Machwerk, wenn erſt verflogen iſt dein Rauſch. 
Jetzt eben in der Jugend voller Stärke 
Blühſt du, ein Zwanzigjähriger; vertauſch 
Die Bildnerei denn mit dem Waffenwerke! 
Vielleicht bald deiner können wir bedürfen, 
Denn ſchon hört man von feindlichen Entwürfen 
Der Kaiſerlichen, in die Tyrannei 
Der Medicäer wieder uns zu knechten; 
Da iſt nicht Rettung, als wenn alle ächten 
Söhne der Väter, Alle, denen frei 


1 


Und kühn das Herz ſchlägt, ſich zum Kampf bereiten. 
Vom trefflichen Ferrucci wird ein Heer 

Schon Tag für Tag geübt zur Gegenwehr, 

Und vor der Stadt den Feſtungsbau zu leiten 
Ward mir vertraut. So rüſte dich bei Zeiten, 
Daß du gewandt, das Schwert zu führen, ſeiſt. 
Wie freudig nicht wird deines Vaters Geiſt 
Herniederſchauen, wenn er als Soldaten 

Den Sohn erblickt, wenn gar von deinen Thaten 
In ſeinen Himmel ihm die Kunde ſchallt! — 
Gehab dich wohl für heute, mein Ubalo, 

Und glaube mir, aus treuem Herzen kam, 

Wenn auch in rauhem Wort, was ich geſprochen.“ 


2. 

Von Unmuth halb bewältigt, halb von Scham, 
Blieb regungslos der Jüngling, wie gebrochen, 
Und konnte lange ſich empor nicht raffen. 

Was er mit voller Seelenkraft geſchaffen, 
Woran er ſich vom erſten Strahl des Lichts 
Bis in die Nacht gemüht, es ſollt' ein Nichts, 
Nur werth des Lachens ſein? und eitel Dunſt 
Sein hoher Traum, als Meiſter in der Kunſt 
Einſt dazuſtehn? „Vergebens denn geflammt 
Hat mir das Feuer der Begeiſterung, 

Da Michel Angelo mich ſo verdammt? 

Allein ein Greis iſt er, und ich bin jung; 
Und ſchaun auf das, was Jünglinge geſtalten, 
Nicht immerdar mißgünſt'gen Blicks die Alten? 
Verkennt er nicht auch deshalb mich vielleicht, 
Weil ſeiner Weiſe meine Art nicht gleicht?“ 


9 


So gingen ihm im Haupte die Gedanken; 
Doch wenn ſein Geiſt auf einen Augenblick 
Sich aufgerungen, bald von Neuem ſanken 
Die Schwingen dem entmutheten zurück. 

Schon durch den Erker in die Werkſtatt hatten 
Gebreitet ſich die Abenddämmerſchatten, 

Da auf die Locken drückt' er das Barett 

Und ſchritt hinaus, entlang dem Arnobett 

Und weiter auf den Platz der Signorie. 

Dort im Palaſt mit hangendem Balkone, 

Dem Bau des Brunelleschi, wohnte ſie, 

Die hoch er hielt als aller Weiber Krone, 

Die ſchöne junge Wittwe, Aloiſe. 

Geſchmückt für ſie mit reichem Marmorfrieſe 
Hatt' er den Saal, und wenn beim Werk er war, 
Ließ ſie ihr blaues Auge himmelklar 

Hold auf ihm ruhn — ſo ſah er bald die Kluft 
Von ihm zu ihr vor ſeinem Blick verſchwinden, 
Und ſelbſt die Hoffnung, ihr ſich zu verbinden, 
Schien ihm kein Traum mehr. — 


Wie in Frühlingsluft 
Gefangne, athmet aus der Herzensqual 
Er auf, als er eintritt in ihren Saal 
Und ſich zwei Arme ihm entgegenbreiten. 
Der Jüngling drückt Alviſe an die Bruſt, 
Und kurz erzittert, wie geſchwungne Saiten 
Vom Klange der Muſik, ſein Herz von Luſt, 
Doch bald ſinkt er zurück in trübes Brüten. 
„Freund! was umdüſtert heute deinen Sinn?“ — 
Fragt ſie und führt ihn zu der Ruhbank hin, 
Auf die ein Oleander ſeine Blüthen 
Aus einer Jaſpisvaſe niederſenkt — 
„Trüb ſcheint dein Auge von verhaltnen Thränen; 
Was iſt geſchehen? hat dich wer gekränkt? 


Vertrau's mir, daß ich Stille deinen Harm!“ 

Er muß ſich hin an ihren Buſen lehnen, 

Sanft drückt ſie ihn in ihren weißen Arm 

Und ſpielt mit ſeinen duftgetränkten Locken. 

Da endlich ihr erzählt er, doch mit Stocken, 
Wie ihn und all ſein Streben, all ſein Hoffen 
Des Meiſters Wort mit gift'gem Pfeil getroffen, 
So daß er muthlos nur an Sterben denkt. 
Doch ſie lacht auf: „Und um den alten Prahler 
Dich kümmerſt du? Er meint, als Bildner, Maler, 
Baumeiſter herrſchen müſſ' er unumſchränkt, 

Ein König von Florenz. Wenn ganz verrenkt 
Des Leibes Glieder ſind, nicht zu den Füßen 
Die Beine paſſen, noch zum Kopf der Rumpf, 
Das rühmt er als der ächten Kunſt Triumph, 
Und wer es anders macht, der muß es büßen.“ — 
Ihr in das Antlitz blickt der Jüngling groß: 
„Du ſchmähſt Italiens größten Genius?“ — 
— „Nenn' ihn nicht alſo! Roh und anmuthlos, 
Nur für Barbarenſeelen ein Genuß, 

Sind die Geſtalten, die er ſchafft; doch deine, 

O mein Übald, wie hold, wie ſüß, wie weich! 
Wie zauberſt du die Formen aus dem Steine 
Und überſchütteſt ihrer jede reich 

Mit Schönheitreiz! Und wenn ich gar erwäge, 
Wie du ſchon Alle hinter dir gelaſſen, 

So jung du biſt, dann weiß ich kaum zu faſſen, 
Welch höhre Werke deine Meißelſchläge 

Noch einſt, wenn vollends deine Kunſt gereift, 
Ins Leben rufen werden. Keiner nennen 

Wird dann mehr Den, noch ſeinen Namen kennen, 
Der jetzt mit Schmähungen dich überhäuft.“ 


Die ſüßen Schmeichellaute einzuſaugen 
Ward nicht der Jüngling müd: mit freierm Schlag 


— 55 —ͤ— 


Hob wieder ſich ſein Herz, und in die Augen 
Der Lieblichen, in deren Arm er lag, 

Sah er zum erſten Male wieder heiter. 

„Auch glaub das Eine mir,“ — ſprach Jene weiter — 
„Neid iſts vor Allem, was den Alten treibt, 
Auf das, was du geſchaffen haſt, zu ſchmähen! 
Er weiß und fühlt es wohl, daß nichts ihm bleibt, 
Als deinem Siegeszuge nachzuſehen, 

Wenn weiter du verfolgſt des Ruhmes Pfad. 
Darum bring ihm von ſeiner böſen Saat 

Die Ernte heim und ſchüttle ſo die Laſt 

Des Unmuths ab! Seit lange ſchon verhaßt 
Iſt mir der alte grimme Demokrat, 

Weil er zum Sturz der edlen Medici, 

Die tückiſch er der Willkürherrſchaft zieh, 

Den Pöbel von Florenz geſtachelt hat. 

In die Verbannung mußten, gleich ſo Vielen, 
Auf ſeinen Antrieb meine Brüder ziehn — 
Nun, zücht'gen werden ſie mit Nächſtem ihn; 
Doch ſchon zuvor ihm einen Streich zu ſpielen 
Iſt mir ein wahres Labſal. Höre nun! 

Jetzt eben jubelt mit der Masken Schwall 
Hin durch Florenz der muntre Carneval, 

Und der Groß-Mogul tummelt mit Neptun 
Und Arlechino ſich im luſt'gen Schwank. 

Da ſoll zu Hohn und Spott des alten Narren 
Ein Zug ſich bilden und mit einem Karren 
Von Platz zu Platze ziehn. Auf jeder Bank 
Des Wagens ſteht in grauſiger Verrenkung, 
Wie er ſie liebt, die Muskeln hochgeſpannt, 
Ein tollverzerrtes Bildwerk ſeiner Hand; 

Und vor dem Wagen, ihm zu größrer Kränkung, 
Spottlieder ſingend, die der Hörer Ohr 
Betäuben, geht ein Muſikanten-Chor. 

Du, mein UÜbaldo, ordne ſolchen Zug! 


Der jungen Freunde haft du ja genug; 

Wenn ihr, Antlitz und Glieder marmorweiß, 
In ſolche Statuen luſtig euch vermummt, 
Tragt ihr davon des ganzen Faſchings Preis, 
Und noch auf Monde lang, glaub mir, verſtummt 
Nicht das Gelächter über dieſe Poſſe. 

Ich ſelber leihe gerne die Karoſſe, 

Die dazu noth.“ — „Nein“, fiel Ubaldo ein, 
„Mag ſchwer der Meiſter mich beleidigt haben, 
Nicht dergeſtalt gleich ungerathnen Knaben 

Will ich an ihm mich rächen — nochmals nein! 
Doch, daß ich alle Kraft zuſammenraffe 

Und immer Größres, immer Schönres ſchaffe, 
Alviſe, das ſoll meine Rache ſein!“ — 

„So ernſt doch iſt der Maskenſcherz, bei Gott, 
Nicht, wie du glaubſt! Und hat er ſolchen Spott 
Nicht überreich verdient? Wenn dem Verdruß, 
Den er dir angethan hat, Luft zu machen 

Du ſelbſt nicht Luſt haſt, ſchaffe den Genuß 
Doch mir, Ubalto! O, wie werd' ich lachen, 
Der Kurzweil zuzuſchauen vom Altane! 

Von jeher war ich Freundin ſolcher Schwänke 
Und ſehe ſchon die luſt'ge Karavane, 

Wie ihr, verrenkt die Glieder, die Gelenke 
Verdreht nach Michel Angelos Schablone, 

Hin durch die Straßen fahrt; ein Cicerone 
Steht neben euch und zeigt auf jedem Brette 
Die Statuen, in komiſchem Sonette 

Jedwede feiernd, und ein Weihrauchfaß 

Zu Ehren des modernen Phidias 

Schwingt vor dem Zug ein andrer Maskenträger, 
Indeſſen Buben, Sänger, Lautenſchläger 
Jubelnd voranziehn — herrlich, köſtlich das! 
Nein, dieſe Luſt mir weigern darfſt du nicht! 


— 


Und wenn du mir nicht das Verſprechen giebſt, 
So muß ich glauben, daß du mich nicht liebſt.“ 


Noch lang, bis grauend ſchon das Morgenlicht 
Durchs Fenſter einfällt, reden ſo die Beiden, 
Bis ihr zuletzt der Jüngling vor dem Scheiden 
Mit halbem Wort, was ſie verlangt, verſpricht. 


2 
.) 


Ubaldo, in die Wohnung heimgekehrt, 
Sucht Schlaf, allein umſonſt; zu mächtig gährt 
In ſeiner Bruſt der Zwieſpalt der Gefühle 
Und treibt hinaus ihn wieder in die Kühle. 
Unmuth, all das, woran er hochbegeiſtert 
Geſchaffen hat, als Stümperwerk gemeiſtert, 
Verhöhnt zu ſehn als kindiſchen Verſuch; 
Argwohn, daß Buonarotti ſolchen Spruch 
Aus Neid gethan, wie Aloiſe glaubt; 
Verlangen, ſich für dieſe Schmach zu rächen; 
Dann Ehrfurcht vor des Meiſters greiſem Haupt, 
Und wieder das gegebene Verſprechen — 
Er kämpft und ſchwankt, wofür er ſich entſcheide, 
Und wie der Strauch des Ginſters auf der Heide 
Sich hin und her im Hauch der Stürme wirft, 
Die bald aus der Schlucht, bald aus jener brechen, 
So ſein Gemüth. In durſt'gen Zügen ſchlürft 
Er ein den Balſamhauch der Morgenfriſche, 
Doch mehrt er ihm der Seele fieberiſche 
Erregung nur. 


Hin an den Stromgeländen 
Des Arno irrend, auf ein Marmorſtück 


n 


Wirft er, ermüdet, ſich zuletzt zurück: 

„Durch ſolchen Bubenſtreich ſollt' ich mich ſchänden? 
Hinweg, Verſucherin! Mein Wort gegeben 

Dir hätt' ich? Liſtig und nach Widerſtreben 

Nur halb entrangſt dus mir.“ 


Indeß in Brüten 
Er ſo am Ponte Vecchio ſinnt und ſinnt, 
Schon in den Gaſſen von Florenz beginnt 
Es ſich zu regen, und wie ſeinen Blüthen 
Voraus der Lenz bereits im lauen Hauch 
Des März die erſten Schmetterlinge ſendet, 
So ſchickt der Faſching einzle Masken auch, 
Eh er in reicher Fülle ſie verſchwendet, 
Auf Plätz' und Straßen aus, und der Balkon 
Und jener wird mit Teppichen bedeckt. 
Durch einer wohlbekannten Stimme Ton 
Wird da Übald vom Brüten aufgeſchreckt, 
Blickt auf und ſieht den jungen Grafenſohn 
Ascanio Strozzi, dem ſein Wappenſchild 
Und Ahnenglanz und Reichthum minder gilt, 
Als die Palette, die er führt. „Geprieſen 
Mein gutes Glück“ — ruft ihm Ascanio zu — 
„Daß ich dich finde, denn von Aloiſen 
Werd' ich zu dir geſandt.“ — „Bei ihr warſt du?“ — 
„Auftrug ſie mir, mit Fresken eine Wand 
Für ſie zu ſchmücken; juſt wollt' ich beginnen; 
Da von dem Schwank, der dir bereits bekannt, 
Mir ſprach ſie; Schönres läßt ſich nicht erſinnen! 
Es wird ein Feſt für Götter! Komm, bei Zeiten 
Laß dieſen Maskenſcherz uns vorbereiten! 
Zu unſern Freunden hab' ich ſchon geſandt, 
Daß ſie uns beiſtehn.“ Und ihn an der Hand 
Fortziehn will er; doch: „Solchen Bubenſtreich 
Mir ſinnſt du an? Ich überlaſſ' ihn euch, 


— — 


Wofern ihr euch nicht ſchämt,“ ruft Jener aus. 
Allein von andern Jünglingen inzwiſchen, 

Die lachend ſich in ihre Zwieſprach miſchen, 
Sind Beide ſchon umringt. „Bei mir zu Haus 
Hab' ich ein Mahl für uns beſtellt; dort laßt 
Uns fröhlich ſein; auch dich lad' ich zu Gaſt,“ 
Spricht Strozzi weiter, während er am Arm 
Den immer zögernden Übaldo faßt. 

Und ſchon in Faſchingslaune wälzt der Schwarm 
Mit Jenem in der Mitte dem Palaſt 

Ascanios ſich zu. Eintraten Alle 

In die mit friſchem Grün geſchmückte Halle 
Und weiter in den marmorblanken Saal, 

Wo ſich Feſtons und blumige Guirlanden 

Von Säule hin zu Säule duftend wanden, 

Und leuchtend auf die Tafel, die zum Mahl 
Geſchmückt war, durch die Kuppel der Rotunde 
Herniederzitterte des Himmels Blau. 

Dem Wirth gehorſam ſetzten in die Runde 

Die Gäſte ſich, und einen mächt'gen Pfau, 

Das köſtlichſte Gericht für Florentiner, 

Auf einer Silberplatte brachten Diener 

Und Muſcheln, an Gorgonas Felsgeſtaden 

Von Tauchern abgerungen den Najaden. 

Aus Bechern, dran, von Benvenutos Hand 
Gebildet, Nereiden und Tritonen 

Sich haſchen, gießen Weine wärmrer Zonen 
Das Sonnenfeuer, das auf ſie gebrannt, 

In alle Herzen, und des Frohſinns Töchter, 
Beſchwingte Scherze, gaukeln mit Gelächter 

Von Mund zu Mund. Da mit dem Becher klirrt 
Zum Zeichen, daß man ſchweigen ſoll, der Wirth: 
„Vertheilen will ich nun der Rollen jede 

Für unſern Aufzug.“ Aber in die Rede 

Fällt ihm Übaldo: „Immer noch der tolle 


ea 


Boshafte Plan? Ich ſpiele keine Rolle.“ 
Drauf Jener weiter: „Zu gerechtem Grolle 
Gab Buonarotti dir doch Grund zumeiſt. 
Daß er dich nur den Damen-Sculptor heißt, 
Weiß ganz Florenz, auch daß er oft gemeint, 
In Zucker müßteſt, ſtatt in Stein, du meißeln; 
Und wer ſich ſo dir zeigt als offnen Feind, 
Durch Spott vor Aller Augen ihn zu geißeln, 
Gewährt dir Labſal nicht?“ Übaldo ſchweigt, 
Indeß der Wein, der Cyperns Strahlengluth 
Noch birgt in ſeiner Wellen goldner Fluth, 
Ihm ſinnbewältigend zu Haupte ſteigt. 

Und neu anhebt Ascanio: „Den Ruin 

Der Künſte bringt uns dieſer alte Narr; 

Auf die Madonnen unſres Perugin 

Schmäht er, ſie hätten ewig den Katarrh, 
Drum das Geſicht verzögen ſie zum Weinen — 
Als Muſter gelten ſollen nur die ſeinen, 
Zwitter von Mann und Weib, mit den verdrehten 
Gliedmaßen und dem hagern Leibe, dran 

Man ſelbſt der Knochen kleinſten zählen kann! 
Ans Werk nun! — Beppo, du ſpielſt den Propheten 
Jonas, der rückwärts wie ein Trunkenbold 
Das Haupt wirft! Euch, Arrigo und Bartold, 
Geb' ich die Sklaven, die mit einem Beine 
Nach links, dem anderen nach rechtshin gehn; 
Für dich, Pandolf, iſt Moſes auserſehn, 

Das Monſtrum, das im Arme Kieſelſteine 
Anſtatt der Muskeln hat; Brunetto, du 

Stellſt Bacchus vor, die grauſe Mißgeſtalt 
Mit aufgeſchwemmtem Leibe; dir, Übald, 
Theil' ich den ungeſchlachten David zu, 

Die Ausgeburt von Ungeſchmack und Schwulſt: 
Ausſtopfen wollen wir dir Glied an Glied 


a 


Mit Wolle, bis zu einem großen Wulſt 
Du wirſt, der jenem David ähnlich ſieht.“ 


Ubaldo ſchwankt noch, aber in ihm pulst 
Die Gluth des Weines, ſeine Schläfe pocht 
Von Unmuth über den gekränkten Stolz, 
Der fort und fort in ſeiner Seele kocht. 
So endlich ſpringt er auf und ruft: „Ihr wollts, 
Wohlan!“ Und Alle treffen unter Leitung 
Ascanios für den Zug die Vorbereitung. 


4. 


An Fenſtern, auf Balkonen und Terraſſen 
Dicht drängt ſich Haupt an Haupt, und auf den Gaſſen 
Wie wogt und ſchwillt der bunte Mummenſchanz! 
Poeten, auf dem Haupt den Lorbeerkranz, 
Doctoren mit Perrücken und mit Brillen! 
Eſſenzen bietet, Elixire, Pillen 
Mit Stentorſtimme feil der Charlatan, 

Indeſſen auf ihn nieder vom Altan 

Ein weißer Hagel von Confetti ſtäubt. 
Dazwiſchen hallt Geſchnarr von Dudelſäcken 
Und Schall von Pfeifen, der das Ohr betäubt. 
Barbiere tragen auf dem Haupt ihr Becken, 
Im wehnden Kleide gaukelt Columbine, 

Der Capitano fuchtelt mit dem Schwert 

In Lüften hoch — da auseinander fährt 

Die Menge rings; es klirren Tamburine, 
Dazwiſchen tönt Gelächter, Schall von Bechern, 
Und her auf laubbekränzten Wagen zieht, 
Evviva Bacco jubelnd und im Lied 

Den Weingott preiſend, eine Schaar von Zechern. 


DE 


Von Porta Pinti jo zum Römerthore, 
Vom Ponte Vecchio nach Marie del Fiore 
Und nach dem ſtolzen Platz, auf den die Braut 
Des Michel Angelo herniederſchaut,! 
Wälzt das Gewühl ſich hin. Mit Maſt an Maſt, 
Dran bunte Fahnen wehn, iſt der Palaſt 
Der Signorie umringt; dort um die Bogen 
Orgagnas ſchlägt das Feſt die höchſten Wogen, 
Und fort und fort, je mehr der Tag ſich neigt, 
Noch aus der finſtern Seitengaſſen Enge 
Strömts zu dem Platz heran und ſchwillt und ſteigt 
Zu immer höhrer Fluth. Der Podeſta 
Schaut vom Balkon herab auf das Gedränge; 
Auf einmal ſchallt ein Ruf: „Sieh da! ſieh da!“ 
Und Bahn bricht ſich ein Wagen durch die Menge, 
Nach dem ſich ſtaunend richtet jeder Blick. 
Beſetzt — das iſt der tollſte aller Schwänke — 
Sind mit lebend'gen Statuen die Bänke, 
Davon der einen jedes der Gelenke 
Gebrochen ſcheint, der andern das Genick; 
Mit rechtem Arme ſtützt aufs linke Knie 
Der dritte ſich — heraus kaum wieder finden 
Kann man ſich aus der Glieder Irrgewinden — 
Und lautes Lachen ſchallt umher: „Sieh! ſieh! 
Von Michel Angelo ſind das die Bilder, 
An eines jeden Fuße zeigen Schilder 
Zum Ueberfluſſe noch den Namen an: 
Adonis dort, die Mißgeburt, dort Moſes, 
Der ſeiner Muskeln Laſt kaum ſchleppen kann, 
Dort David — ja, in Wahrheit, ſolch monſtroſes 
Gebild iſt er, ſolch ſchwamm'ges Ungethüm!“ 
Und wie der Wagen hinrollt, wälzt mit ihm 


! Die Kirche Santa Maria Novella, für die Michel Angelo 
eine ſolche Vorliebe hatte, daß er ſie ſeine Braut nannte. 


— c 


6 


Sich ſchallendes Gelächter durch die Schaaren 
Gedrängten Volks, und ſchmetternde Fanfaren 
Ertönen, und bei gellem Pfeifenklang 

Reiht lärmend eine Bande Poſſenreißer 

Mit Klappern, Knarren und mit Spottgejang 
Sich vor dem Zug. 


Ubaldo, der als weißer 
Marmorkoloß, die Glieder aufgebauſcht, 
Reglos daſteht, fühlt, wie ſchon nach und nach 
Der wirre Geiſtestaumel ihm verrauſcht, 
Der ihn fortriß, als er zu Hohn und Schmach 
Des Meiſters ſich den Andern zugeſellt. 
Ihm iſt wie Dem, der arge That verbrach, 
Und wie ein Chor von Höllenfurien gellt 
Ihm vor dem Ohr des Volkes Hohngeſchrei, 
Der Spießgeſellen Spottlied. Eben da 
Am Signorie-Palaſt rollt er vorbei 
Und ſieht zu ſeinen Häupten nah, ganz nah 
Den David Buonarottis ſich erheben, 
Wie ihn die Sonne untergehend eben 
Mit vollem Purpurglorienſchein umflammt; 
Kaum wagt er aufzuſchaun: ihm iſt, als drohe 
Mit der erhobnen Schleuder ihm der hohe 
Göttliche Jüngling, um das Rächeramt 
Des Meiſters an dem Frevler zu vollziehn. 
Nur weiter, weiter! Aber rings um ihn 
Drängt ſich ſo dicht das Volk, daß nicht mehr Bahn 
Dem Wagen bleibt; und während ihm verwirrt 
Der Blick bald hierhin und bald dorthin irrt, 
Glaubt er zu ſchaun, wie drüben vom Altan, 
Von eines jungen Mannes Armen traut 
Umſchlungen, Aloiſe niederſchaut. 
Und ſchärfer blickt er zu — ja, er erkennt: 
Ascanio, kein Andrer iſt der Mann; 


u ie 


Zu ihr zu eilen, als der Zug begann, 
Hat von den Anderen er ſich getrennt. — 


Reglos nach ihm hinſtarrt Übald; er fühlt, 
Zurück in jähem Strome ſchießt ſein Blut. 
Nun zu dem Allen, was ſein Herz zerwühlt, 
Das Letzte noch, betrogner Liebe Wuth! 

Wie Einer, den des Himmels Blitz erſchlagen, 
Stürzt ſinnberaubt er nieder in den Wagen. 


5. 

Der Jüngling ward in Haſt von den Gefährten 
Durch das Gewühl in ſein Gemach getragen; 
Sie aber, nur der Kurzweil denkend, kehrten 
Zur Faſchingsluſt zurück. Und ſo ſeit Tagen 
In hoher Gluth des Fiebers liegt Ubald, 
Vom Diener Carlo, der zu ſeinen Häupten 
Am Lager daſitzt, ſorglich-treu gepflegt. 
Bewußtlos iſt er, und wenn im betäubten 
Gehirne halb ſich ihm Bewußtſein regt, 

So irrt bald die, bald jene Mißgeſtalt 

An ihm vorbei; bald mit verzerrten Zügen 
Starrt Aloiſe ihm ins Antlitz kalt 

Und fragt: Was trauteſt du auch meinen Lügen? 
Bald Michel Angelo glaubt er zu ſchauen, 
Dem zornig unter ſeinen hohen Brauen 

Das Auge flammt; drauf wiederum hallt wilde 
Muſik ins Ohr ihm, und bei dem Getön 
Sieht er ſich ſeiner eignen Kunſt Gebilde, 

Die Götter des Olymp, im Tanze drehn 

Und hört ſie lachen: Ei, wir ſind doch ſchön! 


— — 


Einſt, als es morgenhell im Stübchen ward, 
Zerrann die Nacht, die ſeinen Geiſt umwoben; 
Zum erſten Male, matt das Haupt erhoben, 
Mit klarern Augen ſchaut er auf. Was ſtarrt 
Und ſtarrt er unverwandten Blickes ſo? 

Er iſts, ja, es iſt Michel Angelo, 

Der neben ihm am Lager ſitzt. Den Blick 
Des Meiſters nicht ertragend, wirft der Kranke 
Erſchrocken auf das Kiſſen ſich zurück — 

Ihn mahnt ſein erſter, dämmernder Gedanke 
An ſeine Schuld; er glaubt, das Strafgericht 
An ihm vollziehen wolle Jener, deckt 

Mit beiden Händen ſich das Angeſicht 

Und liegt von Neuem reglos hingeſtreckt. 


Ein Tag und eine Nacht fliehn abermals; 
Da wiederum den Schein des Morgenſtrahls 
Fühlt er belebend in ſein Antlitz blitzen, 
Fühlt in der ſeinen ruhen eine Hand, 
Schaut auf und ſieht an ſeines Bettes Rand, 
So wie zuvor, den Buonarotti ſitzen: 
„Glückauf, mein Sohn! die Krankheit iſt gebrochen; 
Viel Sorge trug ich deinethalb ſeit Wochen.“ 
Noch ſtarr, nachdem der Alte ſo geſprochen, 
Liegt erſt Ubald; Verzeihung flehend dann 
Die beiden Arme ſtreckt er ihm entgegen. 
„Was meinſt du, Sohn?“ — hebt Jener wieder an — 
„Von deiner Kindheit an auf allen Wegen, 
Du weißt es ja, wünſch' ich dir Heil und Segen.“ 
Und ſchluchzend auf des Meiſters Rechte preßt 
Der Jüngling ſeinen Mund mit heißen Küſſen 
Und netzt ſie mit des Auges Thränengüſſen. 
Zuletzt allein mit ſeinem Diener läßt 
Ihn Buonarotti: „Ruhe thut dir noth; 
Du wirſt mich wieder ſehn beim Morgenroth.“ 


Schack, Geſ. Werke. III. 5 


Eee 


Und in der Frühe, als ſein Schlummer weicht, 
Gewahrt der Jüngling, wie mit leiſem Tritte 
Der Meiſter wieder an ſein Lager ſchleicht, 
Fühlt, wie er freundlich ihm die Rechte reicht, 
Und hört ihn ſprechen: „Mein Übald, ich bitte, 
Sei nicht erzürnt, wenn ich dir wehe that; 

Oft rauh ſind meine Worte — Jeder hat 

So ſeine Art — zu Herzen dir vielleicht 

Nahmſt du zu tief, was ich geſprochen habe; 
Doch glaube mir, gut wars von mir gemeint! 
Daß nur gering mir deine Künſtlergabe 
Bedäucht, mußt' ich dir jagen als dein Freund. 
Allein dir hängt einmal daran der Sinn; 

So ſeis! Gieb ganz der Bildnerei dich hin! 
Vielleicht zu Höherm auch durch ſtetes Ringen, 
Als ich gedacht, kannſt du empor dich ſchwingen.“ 


Leuchtenden Blicks ſchaut ihn der Jüngling an. 
Noch ruht auf ſeinem Mund des Schweigens Bann; 
Doch heißen Danks, da ihm verſagt das Wort, 
Will er zu Buonarottis Füßen ſinken; 

Da mahnt der Meiſter ihn mit ernſtem Winken, | 
Auf feinem Pfühl zu bleiben, und fährt fort: 
„Bald ganz, mein Sohn, dem Himmel ſeis gedankt, 
Wirſt du geneſen ſein; in Carlos Hut 

Drum laſſen kann ich dich. Seit du erkrankt, 

Vor vieler Arbeit hab' ich kaum geruht, 

Und, nun mein Werk in der Lorenz-Kapelle 
Glücklich vollendet, muß ich Feſtungswälle 

Am Pinti-Thore, Schanzen baun und Thürme, 
Denn wider uns heran ziehn ſchwere Stürme. 
Schon naht das Heer des Kaiſers, das mit Tod 
Die Freiheit unſrer theuern Stadt bedroht; 

Allein bald wird der Eingang jedes Thors 
Umſtarrt von Paliſſaden ſein und Forts, 


ee 


Der Boden allumher von Minen hohl; 
Dann komme nur der Feind! — Übald, leb wohl!“ 


6. 


In ſchnellerem Geneſen Tag für Tag 
Und friſcher Kraft aufblüht der Jüngling nun; 
Sein Herz thut immer höhern, höhern Schlag 
Und läßt ihn kaum noch auf dem Lager ruhn. 
Der vielgeliebten Kunſt zurückgegeben, 
Verſöhnt fühlt er aufs Neue ſich dem Leben. 
Wohl die Erinnrung an Alvife legt 
Noch über ſeine Stirne düſtre Falten, 
Doch ſagt er ſich: „Die Sinne, tief erregt, 
Vielleicht nur täuſchten mich durch Truggeſtalten, 
Und ſeh' ich ſie, ſo wird ſich Alles klären, 
Daß ich ſie ſelber wegen meines leeren 
Argwohnes um Verzeihung bitten muß.“ 
So eilt er, aufgerafft von ſeinem Pfühl, 
Hinaus zur Thür in plötzlichem Entſchluß 
Und weiter längs des Stroms. O, im Gefühl 
Erneuter Stärke, wie ſo friſch, ſo frei 
Hebt ſich der Odem ihm im Hauch des Mai, 
Der eben her von Belloſguardos Hügel 
Laufächelnd weht! Er ſtürmt, als hätt' er Flügel, 
Zu der Geliebten Haus und pocht ans Thor; 
Da von des Pförtners Mund ſchallt an ſein Ohr 
Die Kunde: „Graf Ascanio Strozzi hat 
Mit Donna Aloiſe ſich vermählt; 
Auf eine Villa nun am Meergeſtad, 
Die ſie zum Sommerſitze ſich gewählt, 
Sind ſie gereist.“ Wie von des Blitzes Strahl 
Getroffen, ſtarrt Ubaldo bei der Kunde; 


Bewußtlos taumelnd dann von dem Portal 
Stürzt er hinweg; die Häuſer in der Runde 
Drehn ſich um ihn, den Boden fühlt er ſchwanken, 
Und zuckend, wie in unterird'ſcher Höhle 
Schlagende Wetter, ſchießen Irrgedanken 

Hin durch das tiefe Dunkel ſeiner Seele. 

Schon nachtets; ſelten, immer ſeltner hallt 

Ein Fußtritt von des Platzes mächt'gen Quadern 
Zurück, vom Apennin her weht es kalt; 

Doch er, dem ſiedend heiß durch alle Adern 

Das Blut dahinrollt, achtet deſſen nicht 

Und wirft ſich nieder zu des Perſeus Füßen, 

An Aloiſens Fenſter das Geſicht 

Noch fort und fort gebannt. „Sie ſoll mirs büßen, 
Ja, Rache, Rache!“ rufts in ihm, „nie ſolch 
Gericht noch ſoll die Welt geſehen haben, 

Wie es an der Verrätherin mein Dolch 
Vollſtrecken wird.“ 


In Schlaf und Traum begraben 
Liegt ſchon die Stadt, als er noch Plan auf Pläne 
Im Geiſte wälzt; wie tief die Schlucht auch gähne, 
Wie fern der Strand ſei, wo ſie ſich geborgen, 
Nacheilen will er ihr und ſchon vor Morgen 
Aufbrechen zu der Fahrt. So, wie er ſinnt 
Und ſinnt, zuletzt in wüſten Traum zerrinnt 
Das Denken ihm. Alriſe, ach Alviſe! 
Die Worte dumpf noch haucht er in den Wind, 
Dann ſinkt bewußtlos auf des Bodens Flieſe 
Das Haupt ihm hin. 


Vom Morgenlicht geweckt, 
In deſſen Strahle ſich der Rieſenſchatte 
Von Buonarottis David weithin ſtreckt, 
Erhebt Ubald ſich von der kalten Platte, 


1 


Auf der er lag; noch wie im Wirbel kreist 
Alles, was er erlebt, vor ſeinem Geiſt 

Und dünkt ihn faſt ein Bild, vom Fieberwahn 
Erzeugt, ein nächt'ger Spuk. Dann nach und nach 
Von Neuem wird in ihm der Racheplan 

Mit der Erinnrung des Geſchehnen wach — 
Und doch, ein Schwanken kommt in den Entſchluß, 
Nicht gleich aufbrechen kann er zu der That; 
Daß er zu Buonarotti eilen muß, 

Der ihn vom Grabesrand geriſſen hat, 

Sagt ihm ſein Herz. Und als er ſo den Pfad 
Zum Pinti-Thore ſchreitet, nimmt er wahr, 
Wie hier und dort das Volk ſich gruppenweiſe 
Zuſammendrängt. Vorbei an einer Schaar, 
Die ſich um einen Redenden im Kreiſe 
Geſammelt hat, kommt er und hört, wie ſchon 
Her von Bologna durch den Apennin 

Die Kaiſerlichen und die Spanier ziehn 

Und mit Belagerung Florenz bedrohn, 

Es neu zu ſchmieden ins verhaßte Joch. 

Das Heer Ferruccis, ſo vernimmt er noch, 
Sei ihnen halb gewachſen kaum an Stärke; 
Und weiter fragt man, ob die Feſtungswerke, 
Die Buonarotti leitet, auch der Macht 

Der Feinde trotzen können; doch ſein Ohr 

Nur hört, ſein Geiſt hat kaum der Rede Acht, 
Und vorwärts eilt er auf dem Weg zum Thor, 
Wo er den Meiſter anzutreffen denkt. 

Da, als er eben auf dem Gang vorbei 

Am Platz von St. Lorenz die Schritte lenkt, 
Zu ſeiner Seite reden hört er Zwei: 
„Vollendet auf der Medicäer Grab 

Stehn nun die Bilder Michel Angelos; 

In keinem Werk noch, das der Welt er gab, 
Hat er ſo herrlich ſich gezeigt, ſo groß.“ 


De 


Nicht widerſtehen kann bei dieſem Worte 
Übald; und wärs für einen Augenblick, 
Selbſt muß er ſchaun des Meiſters Meiſterſtück. 
Da, als er eingetreten durch die Pforte 
Von St. Lorenz und in die Grabkapelle, 
O ungeahnte Herrlichkeit um ihn! 
Bewältigt ſteht er da, und hinzuknien 
Zwingts ihn, wie in des Morgens Dämmerhelle 
Die Bilder Buonarottis von den Wänden 
Urweltlich groß auf ihn herniederſchauen. 
Von Menſchen nicht, nein, von Titanenhänden 
Aus Felſen ſind die mächtigen gehauen, 
Und ein Titanengeiſt hat ſie geboren! 
Wie ruht ſie dort, in dunkeln Traum verloren, 
Die alte Nacht, die, kaum dem Weltabgrunde 
Entſtiegen, das Geheimniß aller Dinge 
In ſtarrer Bruſt verſchließt! Es iſt, als ringe 
Mühſam ein Odem ſich von ihrem Munde, 
In dem das erſte Leben kämpft mit Tod. 
An ihrer Seite auf dem Sarkophag 
Halb aufrecht blickt der erſtgeborne Tag 
Dem jungen Licht entgegen und bedroht 
Die Finſterniß, die noch mit ihren Falten 
Ihn zu umſchlingen trachtet — in der Ferne 
Beim Zitterlichte untergehnder Sterne 
Schaut er, wie Länder, Meere ſich dem alten 
Chaos entwinden — o! noch nie ein Andrer, 
Nur Dante hat, der gotterfüllte Wandrer, 
Durch Höll' und Büßungswelt und Himmelreich 
Im Dichtungsſturm zu Werken, dieſen gleich, 
Sich aufgeſchwungen — 


Und rings an der Wand 
Die andern hehren Bilder! Hier Aurore, 
Die aus den Locken über Meer und Land 


9 


Den Morgen ſchüttelt, während ihre Hand 
Den Vorhang lüftet an des Tages Thore — 
Die Abenddämmrung dort, ſo ſchwermuthvoll, 
Wie wenn ſie der Campagna Tempeltrümmer 
Umleuchtet mit dem letzten matten Schimmer. — 
Ubald weiß nicht, wohin er ſchauen ſoll, 
Kaum faſſen kann er all die Herrlichkeit 

Der neuen großen Welt, die ihn umfängt: 
An dieſem Bild bald, bald an jenem hängt 
Sein Auge ſtaunend; doch, als ob entweiht 
Durch ſeinen Blick ſo Göttlich-Hohes würde, 
War ihm zu Sinn; es wuchtete die Bürde 
Der Schuld auf ſeiner Bruſt mit Centnerlaſt. 
Noch einmal ſah er auf; dann, ſchnell gefaßt, 
Aus der Kapelle und aus St. Lorenz 
Forteilend durch die Straßen von Florenz, 
In ſeine Werkſtatt trat er feſten Schritts 
Und ſchlug mit eines wucht'gen Hammers Rücken 
Die Bilder all, die er geformt, zu Stücken, 
Bis, wie zerſchmettert von des Himmels Blitz, 
Am Boden lag, was irgend er geſchaffen, 
Ein Wuſt zerſtörter Statuen und Büſten. 


Drauf von der Wand nimmt er des Vaters Waffen, 
Geht, ſich von Haupt zu Fuß in Erz zu rüſten, 
Am Ponte Vecchio noch zu einem Schmied, 
Schnürt ſich in Panzermaſchen jedes Glied 
Und eilt ans Nordthor, wo von einer Schanze 
Den Bau der Feſtung Buonarotti leitet. 


Der Meiſter ſieht verwundert, wie mit Lanze 
Und Helm zu ihm heran ein Jüngling ſchreitet, 
Und will kaum ſeinen Augen traun, ſo fremd 
Erſcheint er ihm. „Iſts möglich, mein Ubald, 
Als Krieger du im ehrnen Panzerhemd, 


N ee 


Das Schwert des Vaters um den Leib gejchnallt? 
Komm an mein Herz!“ Und ihn mit Ungeſtüm 
Will er umarmen; doch, ins Angeſicht 

Dem Greis zu ſchauen, wagt der Jüngling nicht; 
Auf Knieen hin zu Füßen ſinkt er ihm 

Und küßt die Hand dem hohen Angelo 

Und liegt ſtumm, ohne Regung lange ſo. 

Dann ſtürmt er zu Ferruccis Heere fort, 

Das bei Piſtoja ſich der Feindesmacht 
Entgegenſtemmt; und tapfer kämpfend dort 
Gefallen iſt er in der erſten Schlacht. 


IV. 


Heinrich Dandolo. 


Durch die beſchäumten Wogen ſtreicht 
Venedigs ſtolze Flotte leicht 
Und bahnt, ſo wie ein Kranichzug 
Gen Oſten ſtrebt in hurt'gem Flug, 
Der Segel Schwingen ausgeſpannt, 
Die Straße ſich zum Morgenland. 
Noch nie ein gleich Geſchwader ſah 
Zuvor die blaue Adria: 
Umwogt von buntem Flaggenſpiel, 
Fünfhundert Schiffe Kiel an Kiel, 
Sie alle hochgemaſtet, 
Mit Kriegsgeräth belaſtet, 
Bewehrt mit Zinnen und mit Thürmen 
Und Wurfgeſchütz zum Mauerſtürmen. 
Wie blinkt auf jeglichem Verdeck 
Kampfluſt aus tauſend Augen keck, 
Wie wimmelt drauf das Kriegerheer 
Mit Schwert und Panzer, Schild und Speer! 
Venedigs junge Nobili, 
Die Contarini, Foscari, 


re 


Im Kreiſe ihrer Bogenſpanner 
Erheben Jeder hoch ſein Banner, 
Indeſſen ihre Lanzenſpitzen 

Im Licht der Morgenſonne blitzen; 
Daneben Grafen und Barone 

Aus Artois und vom Strand der Rhone, 
»Aus Flandern und aus Hennegau 
Mit Fahnen roth und weiß und blau. 
In allen glänzten Wappen hoch, 
Doch herrlich über ihnen flog 

Des heil'gen Marcus Flügelleu, 

Der, wie der Hund dem Herren treu, 
Seit ihres Reiches Anbeginn 
Geſchützt die Meereskönigin. 


Der Roſſe Wiehern und Geſtampf, 
Der Waffen Klirren überſcholl 
Das Wogendonnern und Geroll. 
Als ging' es heute ſchon zum Kampf, 
Erhoben ſich der Krieger Rufe, 
Und zu dem Fall der ehrnen Hufe 
Erdröhnte der Drommeten Gellen — 
Naht dieſe Flotte deinen Wällen, 
Dann, trotz der Mauern feſtem Kranz, 
Erzittre, mächtiges Byzanz! 


Die Segel ſchwellt ein friſches Wehn 
Her von Friauls beeisten Höhn, 
Und in der Ferne ſchwach und ſchwächer 
Hinſchwinden ſchon die Kuppeldächer 
Und Thürme der Lagunenſtadt; 
Nur hier und da noch dämmert matt, 
Aufragend aus dem Wogenſpiele, 
Ein Zinnenthor, ein Campanile, 
Dann ſenkt auch er ſich in die Fluth. 


Die Abendſonne geht zur Rüſte, 
Und weſtlich an Italiens Küſte 
Schwimmt Luft und Meer in goldner Gluth. 
Da, ſieh! auf der Galeere dort 

Mit purpurſammt⸗behängtem Bord, 
Iſt es ein Feſt, das man bereitet? 
Auf Teppichen, die man gebreitet, 
Reiht ſich ein edler Ritterkreis, 

Und unter ſeidnem Baldachin, 

Das Kleid beſetzt mit Hermelin, 
Auf höherm Seſſel ruht ein Greis; 
Hin ob der Bruſt wallt ſilberweiß 
Bis an den Gürtel ihm der Bart, 
Die Augen deckt ihm eine Binde; 
Er iſts, der hochberühmte Blinde, 
Das Haupt der ganzen Kriegerfahrt, 
Der Doge Heinrich Dandolo. 


Stumm blicken noch auf ihn die Andern, 
Da hebt er mit der Rechten froh 
Den Goldpokal und redet ſo: 
„Stoßt an, Herr Balduin von Flandern, 
Herr Markgraf Bonifacius! 
Auf gute Fahrt zum Bosporus! 
Bald, wenn der Fahrwind günſtig haucht 
Sehn werdet ihr, wie rieſengroß 
Aus der Propontis Wogenſchooß 
Die Kaiſerſtadt des Oſtens taucht, 
Die herrliche, mit Hippodromen 
Und bleigedeckten Tempeldomen, 
Mit Prachtpaläſten, Erzkoloſſen, 
Auf drei Geſtade hingegoſſen. 
Die Säulen und die Marmorbäder, 
Aufleuchtend aus dem Grün der Ceder, 
Dazwiſchen Villen, Mauſoleen 


— 76 — = 


Und Obelisken, Siegesbogen — 

O wahrlich! wer es nicht geſehn, 
Ward um das Herrlichſte betrogen! — 
Mir deckt das Auge ew'ge Nacht, 
Nicht ſchaun mehr werd' ich jene Pracht, 
Doch ſtrahlend, wie ich einſt ſie ſah, 
Als hell mir noch die Sonne ſchien, 
Steht ſie vor meinem Geiſte da, 

Die hohe Stadt des Conſtantin. 

Was ich als Jüngling dort erlebt, 

O, denk' ich dran, noch immer bebt, 
Ob auch das Alter dreifach Erz 
Darum gelegt, mein altes Herz 

In Weh und Wonne, Lieb' und Haß! 
Und vor des Auges dunkler Höhle 
Stehn mir Geſtalten ſchreckenblaß; 

So tief iſt keine Nacht auf Erden, 

Wo ſie mir nicht erſcheinen werden. 


„Daß ich von jener Zeit erzähle, 
Habt ihr begehrt; wohlan, es ſei! 
Noch einmal gleite vor der Seele 
So Luſt wie Leid von einſt vorbei! 


„Kaum dreißig zählt' ich, und mein Haar, 
In Locken um das Haupt gerollt, 
Trug leuchtend noch des Löwen Gold. 
Nachdem ich früh in Kriegsgefahr 
Zu Land und See den Candioten, 
Den Dalmatinern Trotz geboten 
Und doppelt mit dem Siegeskranz 
Die Stirne mir geſchmückt, verlieh 
Mir Amt auf Amt die Signorie. 
Sie ſendete mich nach Byzanz, 
Des Freiſtaats Macht, die weithin ſchon | 


**! 


9 


Den Schatten ihrer Flügel warf, 
Zu ſchützen vor der Feinde Drohn; 
Und, wenn ichs alſo ſagen darf, 

Ein wackrer Schirmer war ich ihr. 
Sah auch der Kaiſer noch ſo ſcheel 
Auf unſre Macht im Archipel, 

Zu Recht bekennen mußt' er mir, 
Daß über zwanzig Griechenſtädte 
Des heil'gen Marcus Banner wehte. 
Für mein Venedig blieb nicht leicht, 
Was ich begehrte, unerreicht; 

Konnt' ichs durch Trotzen nicht erzwingen, 
Als Höfling wußt' ichs zu erringen! 
Denn, Freund der hohen Byzantiner 
Und ihrer Fraun ergebner Diener, 
Zu Hofe ging ich viel als Gaſt, 
Auch war des Kaiſers erſter Sohn, 
Prinz Iſaak, mir im Palaſt 

Ein Anwalt bei des Vaters Thron. 


„Von Neuem wird das Herz mir jung, 
Wenn rückwärts die Erinnerung 
Mich zu den ſel'gen Tagen trägt, 
Als mich am goldnen Horn die ſtillen, 
Von Lorbeergrün verſteckten Villen 
In holder Damen Kreis gehegt. 
Und o! daß ich noch einmal Nächte, 
Wie die am Bosporus, verbrächte, 
Um in den Gärten längs des Meers 
Zu wandeln am Georgenfeſte. 
Mich dünken wills, ein Traum nur wär's, 
Gedenk' ich, wie der Schwarm der Gäſte 
Durch alle Laubengänge ſchwoll 
Und hoch vom Schloſſe der Blachernen, 
Dem Schimmer gleich von tauſend Sternen, 


ER 


Der Schein der Flackerkerzen quoll. | 
Durch Bogenfenſter, goldne Gitter 

Sah man in marmorblanken Hallen 

An ſchöner Frauen Arm die Ritter 
Hinauf, hinab die Treppen wallen. 

Und unten in der Purpurnacht 

Wie wogte nicht in bunter Tracht 

Der Schwarm der Gäſte auf dem Raſen! 
Am Strand dort unter prächt'gem Zelt 
Mit Freunden ſaß ich froh geſellt, 

Vor uns auf Tafeln goldne Vaſen, 
Kryſtallne Becher aufgeſtellt;: 

Und in den Vaſen — o, die Pracht! 
Die rieſenhafte Nuß der Tropen 

Bei der Banane, die Aethiopen 

Vom Nilgeſtade hergebracht! 

Wie ſchimmerte beim Fackelſtrahle, 

Der von den Silberleuchtern hell 
Herniederflammte, im Pokale 

Des Weines herzerfreunder Quell! 


„Nach Feſtesſchluſſe war es Brauch, 
In Gondeln bei dem kühlern Hauch 
Zu ſchiffen durch die Meereswogen; 
Und Looſe wurden dann gezogen, 

Die jedem Ritter eine Dame 

Zutheilten für die Waſſerfahrt. 

Bei einer Looſung ſolcher Art 

Einſt zog ein Blatt ich, drauf der Name 
„Eugenia Dora ſtand; ich ging, 
Geführt von einem Kämmerling, 

Des Namens Trägerin zu grüßen. 

Ich ſtand vor ihr; o, blieb mir Kraft, 
Zu ſtehen? ſank ich hingerafft, 

Anbetend nicht zu ihren Füßen? 


i 


Nicht weiß ichs mehr; doch wenn zurück 
Zu jenem ſel'gen Augenblick 

Mich wieder leitet der Gedanke, 

Iſt mirs, als ob der Boden ſchwanke 
Wie damals, als ich vor ihr ſtand. 
Mich Graukopf würdet ihr verhöhnen, 
Wollt' ich ſo wie ein junger Fant 
Lobpreiſen euch den Reiz der Schönen; 
Nur Eines drum, ein wild Entzücken 
Rann über mich aus ihren Blicken; 
Mir ſchwindelte berauſcht der Sinn, 
Indeß ich durch den Menſchenſchwarm 
Zum Meer ſie führt' an meinem Arm. 
Von einer alten Schaffnerin, 

Sophia, ließ ſie ſich begleiten; 

Und als ich nun an ihrer Seiten 

Im leichten Kahn von dannen glitt, 
Als ſüße Rede ſeelenvoll, 

Drin Schüchternheit mit Neigung ſtritt, 
Von ihren Roſenlippen quoll, 

Da ſchoß mir wechſelnd Blaß und Roth 
Durchs Antlitz hin, wie nie zuvor, 

Es brauste dumpf mir vor dem Ohr, 
Mir war, als führen in dem Boot 
Wir Zwei entgegen ſel'gem Tod. 


„Seit dieſer Nacht beſiegelt wars, 
Daß ich nicht Raſt auf Erden fände, 
Bevor der Segen des Altars 
Mich mit Eugenien verbände. 

Sie wohnte, frühe ſchon verwaist 

Und nur in eines Vormunds Hut, 
Einſam auf ihrem Ahnengut, 

Dort, wo des Pontus Wogenfluth 

Wild um die Klippen ſchäumt und kreist 


Na 


Ihr Schloß, das nah den Symplegaden 
Hinabſah von den Felsgeſtaden, 
Empfing als Gaſt mich täglich bald 

Zu wonnevollem Aufenthalt; 

Denn, was wir uns gelobt im Stillen, 
War ganz nach ihres Vormunds Willen, 
Und mit dem Namen Braut, dem ſüßen, 
Durft' ich vor ihm Eugenien grüßen. — 


„Im Herzen tief fühl' ich nach jenen 
Glückſel'gen Stunden noch ein Sehnen, 
Als Haupt an Haupt gelehnt wir Zwei 
Vom weithin ſchauenden Altan 
Die weißen Segel gleiten ſahn, 

Um uns der Flattermöven Schrei 
Und meerhauchfeuchter Myrten Duft, 
Aufſteigend aus der Felſenkluft. 

Da lag, ſo wie am Horizont 

Des Meeresſpiegels klares Blau, 
Das Leben vor uns hellbeſonnt, 

Und zu dem Bild der lieben Frau 
Aufklommen wir, das hoch, hoch oben 
Von ſteilſter Klippe niederſah, 

Um uns vor der Panagia 

Auf ewig Treue zu geloben. 


„Schon war das Feſt der Hochzeit nah 
Und Morgens früh Eugeniens Ohm 
Gegangen zum Sophiendom, 

Daß er zur Feier Alles rüſte; 

Wie immer ritt bei ſinkendem Tag 
Ich von der Stadt zur Meeresküſte, 
Wo die geliebte Villa lag: 

Da plötzlich ſtürzte bleich, erſchrocken 
Eugenia mit verwirrten Locken 


CH 


Entgegen mir. ‚O gleich“ — rief fie — 
„Noch heute komm nach St. Sophie 
Und, wenn die Kirche uns vereint, 
Fort! fort, noch eh der Morgen ſcheint!“ 
Und ſie erzählte, ſtarr und kalt 

Vor Schrecken noch, als nach der Ville 
Sie einſam in der Mittagſtille 
Gewandelt im Platanenwald, 

Hab' ihr des Kaiſers jüngrer Sohn 
Alexius den Weg vertreten 

Und erſt mit Schmeichelredeton 
Demüthig ihre Gunſt erbeten, 

Doch dann in übermüth'gem Hohn 
Gedroht, leicht ſei es ihm, den frechen 
Starrſinn durch ſeine Macht zu brechen. 
Erſt vor dem Hülfruf meiner Braut 
Entflohen war der Böſewicht. 


„Noch gab mit halberſticktem Laut 
Sie vom Geſchehnen mir Bericht, 
Da kam in athemloſer Haſt 
Ein Bote aus dem Reichspalaſt, 
Der ſchleunig, noch zur ſelben Stunde 
Mich vor den Thron des Kaiſers lud. 
Jäh bei der unwillkommnen Kunde 
Zurück zum Herzen ſchoß mein Blut; 
Doch, konnt' ich trotzen dem Gebot? 
Ich wand mich aus der Theuern Arm: 
Nur Muth, Eugenia, ſcheuch den Harm! 
Heimkehr' ich noch vor Morgenroth — 
Und mag die Hölle uns bekriegen, 
Glaub mir, ich werde ſie beſiegen!“ 
Noch einen Kuß auf ihre Lippen! 
Und ſtadtwärts längs der Uferklippen 
Schack, Geſ. Werke. III. 


Hinſprengt' ich mit verhängtem Zügel 
Zum Schloß auf dem Blecharen-Hügel. 


„Ein Kämmerling ſofort befahl, 
Mir aufzuthun den goldnen Saal, 
Und, meiner harrend, auf dem Thron 
Saß dort der Imperator ſchon: 
„Vernehmt, weshalb wir Euch geladen! 
Stets ſtand als edel und erlaucht 
Eur Freiſtaat hoch bei uns in Gnaden, 
Doch unſre Huld hat er mißbraucht 
Und Städte, die ſeit langen Jahren 
Den Byzantinern eigen waren, 

Für ſich befeſtigt und verſchanzt, 

Ja, dort ſein Banner aufgepflanzt. 
Verſucht denn keinen Widerſtand! 

Ich rath' es Euch zum eignen Beſten, 
Die Schlüſſel liefert jener Veſten, 
Wie ſich gebührt, in meine Hand! 
Und wenn der Vollmacht Ihr entbehrt, 
Ein Monat ſei Euch Friſt gewährt, 
Daß vom Senat Ihr ſie begehrt.“ 
Zur Antwort gab ich, ſchnell gefaßt: 
‚„Gradaus, Herr Kaiſer! offen laßt 
Mich zu Euch reden, feſt und klar! 
So viel an mir, ſoll nimmerdar 

Auch eine jener Veſten nur, 

Ja, ihrer Mauern nur ein Stein 

In Eure Macht gegeben ſein! 

Das ſchwör' ich hier mit heil'gem Schwur; 
Und ſtimmte Doge ſammt Senat 

Für ſolchen ſchmählichen Verrath, 

So faßt' ich im Entſchluß mich kurz 
Und eilte wie auf Windesflügeln 
Meerüber, um zu ihrem Sturz 


Sg 


Das Volk Venedigs aufzuwiegeln.“ 
Aufflammte da des Kaiſers Wuth, 
Und in den Augen Zornesgluth: 

‚Ei, kühne Worte redeſt du,“ — 

Mir donnert' er mit Ingrimm zu — 
Laß ſehen doch, wie lang du jo 

Mir trotzen wirſt mit Frevelmuth! 
Und wärſt du auch wie Eiſen feſt, 
Ich habe Mittel, Dandolo, 

Durch die dein Sinn ſich beugen läßt! 
Zu glauben kaum iſt vom Geſandten 
Der kleinen Stadt im fernſten Winkel 
Des Mittelmeeres ſolcher Dünkel; 
Auf, und ergreift ihn, ihr Trabanten! 
In ſchweren Eiſenketten werft 

Ihn unten in den Kerkerthurm, 

Und täglich ſei die Haft geſchärft, 
Bis er erkennt, daß nur ein Wurm 
Er iſt, den ich zertreten kann.“ 


„Er ſprachs, und Söldner, Mann an Mann, 
Wohl hundert drangen auf mich ein; 
Vergebens ließ in ihren Reihn 

Mein Schwert ich tanzen, wuthentflammt; 
Nicht achtend mein geheiligt Amt, 

Mich packten ſie, hinab die Treppen, 

Fort durch die Straßen mich zu ſchleppen. 
Als Glück noch wards von mir geſegnet, 
Daß, nahe ſchon dem Zwingerthor, 

Mein Freund Antonio mir begegnet; 
Ihm raunt' ich haſtig in das Ohr: 

„Hin zu Eugenien eil und bring, 

Daß ſie dir glaubt, ihr dieſen Ring! 
Schnell, denn Gefahr iſt im Verziehn, 
Zur äußerſten der Symplegaden 


Soll fie noch dieſe Nacht eutfliehn. 
Bei ihrer alten Amme dort 

Beut ſich an waldigen Geſtaden 
Für ſie ein ſichrer Zufluchtsort.“ 


„Die arge Söldnertruppe ſtieß 
Mich in ein düſtres Thurmverließ, 
Das mich, dem Lichte fern, der Luft, 
Mit kaltem Dunſt und Moderduft 
Umſchloß wie eine Todtengruft. 
Ringsum rann von der ſchwarzen Mauer 
Ein feuchter Qualm wie Grabesſchauer; 
Und ich, in ſchweren Eiſenringen, 
Die Hand und Fuß und Hals umfingen, 
Feſt an den Stein geſchmiedet, ſiechend, 
Nichts ſah ich als den matten Strahl, 
Der ſich durch eine Spalte ſtahl, 
Entlang die finſtern Wände kriechend; 
Nichts hört' ich, als bei Nacht und Tag 
Des eignen Herzens bangen Schlag, 
Den Klang des Eiſens, wie es klirrte, 
Daß Seele ſich und Sinn verwirrte. 
Doch, was ich auch ertrug und litt, 
Und ob der Ketten ehrne Klammer 
Mir auch in alle Glieder ſchnitt, 
Im Herzen lag der größre Jammer: 
Durch tiefſte Finſterniß erblickte 
Ich fort und fort Eugeniens Bild; 
Wenn kurz mein Haupt in Schlummer nickte, 
Empor vom Traume fuhr ich wild — 
Sie, die mir Leben war und Licht, 
Ob ſie gerettet, wußt' ich nicht 
Und bat umſonſt um eine Kunde 
Die ſtummen Wände in der Runde. 
Von der Geliebten Roſenmunde, 


Tr Erden 


Mehr als die Hoſtie mir theuer, 

Nun raubte Prinz Alexius 

Vielleicht, der freche, einen Kuß. 

Dacht' ichs, ſo fühlt' ichs bald wie Feuer 
Durch alle meine Adern rinnen, 

Ein Schwindeln bald in meinen Sinnen; 
Wie Ohnmacht ſank es auf mich nieder, 
Und, wieder dann emporgerafft, 

Die Ketten ſchüttelt' ich mit Kraft 

Und ſchrie zu Gott verzweiflungsvoll — 
Vergebens, nur mein Rufen ſcholl 

Rings von den öden Wänden wieder. 


„So waren Wochen, Monde ſchon 
Mir in der Kerkerhaft entflohn; 
Da, horch! — o vielwillkommner Klang — 
Ein Schreiten draußen auf dem Gang, 
Ein Raſſeln in dem roſt'gen Schloß: 
Die Thür ging auf, und blendend floß 
Des Lichts kaum noch gekannter Schein 
In meine Unterwelt herein. 
Mit Dienern im Gefolge, froh, 
Trat vor mich hin Antonio; 
Er wollte reden, doch erſt leiſe 
Fragt' ich ihn nach Eugenias Flucht. 
Drauf er: „In braver Leute Kreiſe 
Gewährt der Inſel wald'ge Bucht 
Ihr einen ſichern Aufenthalt; 
Dich ihr vereinen wirſt du bald, 
Denn deinetwegen nach Venedig 
Bin ich geeilt, dort ſchenkte gnädig 
Der Doge mir Gehör, und leicht 
Ward meines Strebens Ziel erreicht; 
Sieh da, was ich in Händen habe! 
Die Vollmacht iſts zur Uebergabe 


UFER 


Der Veſten an den Gränzbezirken 

Und wird die Freiheit dir erwirken. 
Komm denn, da ſchon in Gegenwart 
Der Großen dein der Kaiſer harrt!' 


„Er ſprach es; ich ſtand wie erſtarrt, 
Und eine höfiſch reiche Tracht, 
Von Golde ſtrotzend und von Sammte, 
Ward von den Dienern mir gebracht; 
Auch ſah ich draußen Hofbeamte 
Und Kämmerlinge, die zu Seiten 
Des Weges zum Palaſt ſich reihten. 
Ich aber ſagte, ſchnell gefaßt: 
„Du warſt mein Freund, Antonio, 
Sag an denn, kannteſt du mich ſo? 
Doch wohl! ich folge zum Palaſt.“ 
Und, ſchnell vertauſchend mein Gewand, 
Das Pergament in meiner Hand, 
In vollem Schmucke des Geſandten 
Hintrat ich vor des Kaiſers Thron. 
Er grüßte mich: „Ich weiß es ſchon, 
Beſorgt ſind deine Anverwandten 
Mehr, als du ſelbſt, für was dir frommt; 
Gut, daß die Vollmacht endlich kommt.“ 
Doch ich fiel ein: Erlauchter Kaiſer! 
Venedigs Doge iſt ein greiſer, 
Im Geiſte ſchon gebrochner Herr; 
Aus Mitleid, das ich nicht begehre, 
Denkt er zu opfern unſre Ehre; 
Allein, gab auch die Vollmacht er, 
Von mir, Venedigs ächtem Sohn, 
Sei nicht geſagt zu Schimpf und Hohn, 
Ich hätte ſchweigend zugeſchaut, 
Wie man, zu retten mir das Leben, 
Die Feſtungen dahingegeben, 


SEIEN. 


Die Venetianer-Hand gebaut. 

Nein, Kaiſer, meinem Eidſchwur glaub: 
So lang ich ganz nicht ſank in Staub 
Und noch mein Herz in Gluth entbrennt, 
Wenn man Venedigs Namen nennt, 
Bei Gott! ſo lang wird keine Scholle 
Von unſerm Boden losgetrennt! 

Und wenn mir dieſes Pergament 

Die Vollmacht zum Verrath verlieh — 
Zur Hölle die verruchte Rolle! 

Sieh da! in Stücke reiß' ich ſie!“ 


„Schnell wars geſchehn; zerriſſen ſtob 
Das Blatt umher; ringsum erhob 
Ein Murmeln ſich von Zorn und Staunen, 
Und drohnde Worte hört' ich raunen. 
Des Kaiſers Augen ſprühten Blitze, 
In Wuth ſprang er empor vom Sitze; 
Kein Wort, ſein Blick nur, tief ergrimmt, 
That kund, welch Schickſal mir beſtimmt. 
Nochmals von Schergen überwältigt, 
Ward ich in Kerkerhaft geſtürzt 
Und ſah mein Leid verhundertfältigt. 
Wie lang ich dort in Ketten lag, 
Wie mir der Jammer Tag für Tag 
Das Leben um ein Jahr gekürzt: 
Ihr Freunde, laßt davon mich ſchweigen! 
Auf meiner Stirn die Furchen zeigen 
Das Weh, das ich nicht künden mag. 
Ich fühlte, Tod war mir verhängt, 
Und ſah, ſchon faſt der Qual erlegen, 
Mit heißer Sehnſucht ihm entgegen, 
Dem Retter, der die Ketten ſprengt. 


„In dumpfem Starren, wie vernichtet, 
Noch lag ich — da erſchollen Stimmen; 


Ba 1 


Vom Lager halb emporgerichtet, 
Gewahrt' ich ferneher ein Glimmen; 
Und nah und immer näher tönt 

Der Rede Schall, und Fackelhelle 
Beſtrahlt des Kerkers düſtre Wälle. 
Mein Geiſt, des Denkens faſt entwöhnt, 
Zu faſſen nicht, noch zu verſtehn 
Wußt' er im Anfang, was geſchehn, 
Erſt mählig ward mir Alles klar, 
Daß Kaiſer durch des Vaters Tod 
Prinz Iſaak geworden war, 

Und daß der Freiheit ſein Gebot 

Mich wieder gab. Als ſo aufs Neu' 
Das Licht ich ſah, das langentbehrte, 
Ihm, meinem Retter, der mir treu 
Die alte Huld auch jetzt bewährte, 
Wohl hätt' ich erſt ihm danken müſſen; 
Doch nicht, wer mich der Haft entriſſen, 
Ich dachte der Geliebten nur; 

Mein Erſtes war, daß ich im Boot, 
Sobald verglüht das Abendroth, 
Geheim auf die Propontis fuhr. 


„Wie ging mein Herz in höhern Schlägen, 
Als dämmernd durch das Morgengrau 
eit ſeinen Küſten, ſchroff und rauh, 

Der Inſelſtrand mir ſchien entgegen, 
Der meines Lebens Kleinod wahrte; 
Als, gleitend in die Uferbucht, 

Ich über der Platanenſchlucht 

Das Häuschen auf dem Fels gewahrte, 
Wohin Eugenia geflohn! 

Ich klomm empor auf den Balkon, 
Schlich ſachte mich hinein zu ihr 

Und ſah ſie noch entſchlummert liegen 


ER II ee 


Und einen Traum — war er von mir? — 
Sich auf dem holden Antlitz wiegen. 
Ihr ſüßer Athem ging und kam, 
Doch, ach! durch langen Trennungsgram 
Glich ſie dem welken Roſenblatt, 

So ſchmachtend lag ſie da, ſo matt; 
Es ſchien, daß ihr ſchon übers bleiche 
Geſicht des Todes Schatten ſchleiche. 
Ich neigte mich auf ihren Mund, 

Um einen Kuß darauf zu drücken, 
Und ſie erwachte — welch Entzücken! 
Doch that kein Wort den Jubel kund, 
Im Auge nur der helle Strahl, 

Der Freudenthränen leuchtend Blinken, 
Von Neuem ſtets und hundert Mal 
Einander in die Arme ſinken, 

Das war die Rede, die wir pflogen, 
Bis des Entzückens wilde Wogen 
Allmählig leis und leiſer wallten; 

Da erſt begann das Zwieſprachhalten 
Und das Berathen, was zu thun. 
Wohl auf den neuen Kaiſer nun 
Durft' ich vertraun; doch Gegner war 
Ihm Prinz Alexius ſtets geweſen 

Und mächtig durch der Großen Schaar, 
Die für den Thronſitz ihn erleſen; 
Von ihm bedrohte uns Gefahr, 

Wenn er den Aufenthalt entdeckte, 

Wo ſich Eugenia verſteckte. 

Alsbald darum uns zu vermählen, 
Beſchloſſen wir, und dann ſofort 

Am Pontusufer einen Port 

Als Zufluchtsſtätte zu erwählen, 

Daß ſicher dort die Gattin weilte, 
Indeß bei jedem Mondesſchluß 


el RE ie 


Ich insgeheim vom Bosporus 

Auf Liebesflügeln zu ihr eilte. 

Dort einfach und uns ſelbſt genug 

In Stille und in heiterm Frieden 

Zu leben hofften wir, von Trug 

Und Glanz und Lärm des Hofs geſchieden. 
Kaum blieb in unſerm neuen Glück 
Nur ein Gedanke an die Pein, 

Die wir erduldet, noch zurück; 

Die Zukunft lag im Sonnenſchein 

Vor mir, wie wenn in einer Helle 
Verſchwimmen Himmel, Luft und Welle. 


„Nur Tage noch, bald nur noch Stunden, 
Und, durch der Ehe Band verbunden, 
Zu unſerm traulichen Aſyl 
Forttragen ſollte uns der Kiel. 

Still ſaßen wir in Abendſpäte, 

Des Prieſters harrend, im Gemach: 
November wars, der Nordwind wehte, 
Die Balken ſchüttelnd, um das Dach, 
Und drunten an der Klippe ſcholl 
Der Brandung donnerndes Geroll. 
Eugenia lag im Arm mir hold, 

Und Schlöſſer bauten wir von Gold 
Uns für den neuen Lebenstag, — 

Da an der Thüre, horch! ein Schlag 
Und wieder einer; Stimmenſchall 

Und Waffenlärm und Roßhuffall! 
Aufſprang ich, und die Gänge all 
Ums Haus ſah ich von Kriegsvolk dicht 
Umſtellt bei rothem Fackellicht. 

Die Thüre wich; mit Ungeſtüm 
Herein drang Prinz Alexius; 

Wild loderten die Augen ihm: 


2 Ni 


„its hier, daß ich dich ſuchen muß" — 
Rief er Eugenien zu — ‚Ei ſieh! 

Nicht ziemt das niedre Dach für Die, 
Die würdig wär', im Herrſcherglanz 
Den Thron zu zieren von Byzanz! 

Du biſt ſo bleich? Du bebſt vor Schreck, 
Daß ich gewittert dein Verſteck? 

Ja, zittre! doch nicht für dein Leben, 
Für den Verräther magſt du beben, 

Um den du, Thörin, mich verſchmäht! 
Wie trotzig dort der Freche ſteht! 

Allein umzingelt iſt er hier, 

Und eher läßt das Pantherthier 

Aus ſeinen Klaun das Reh entfliehn — 
Du magſt mirs glauben — als ich ihn!“ 


„Er winkte, und die dichten Reihn 
Der Söldner drangen auf mich ein; 
An meiner Bruſt noch, mich umklammernd, 
Hing die Geliebte, angſtvoll jammernd, 
Doch mit Gewalt aus meinem Arm 
Riß ſie der wilde Söldnerſchwarm, 
Und überwältigt ſank ich nieder; 
Die Schurken banden alle Glieder 
Mit Stricken mir, und mit dem Knie 
Auf meine Bruſt ſich ſtemmend, ſchrie, 
Mir feſt ins Antlitz ſchaund, der Prinz: 
„Die blauen Augen alſo ſinds, 
Die vielgeprieſenen, durch die 
Er, Liebchen, dich ſo ſehr entzückt? 
Nun, ſorgen werd' ich, daß er nie 
Mit ihnen mehr ein Weib berückt!“ 
Er riefs, indem er höhnend lachte, 
Und auf den Wink des Wüthrichs brachte 
Ein Henkersknecht zwei Eiſenſpitzen, 


* 


An einer Fackel rothgeglüht — 

Kein Helfer rings, um mich zu ſchützen, 
Ich konnte regen nicht ein Glied. 
Eugenia, die der Schergenhand 

Von Neuem ſich mit Macht entwand, 
Warf über mich wie ſinnberaubt 

Sich häuptlings hin: bald mit dem Haupt 
Und bald mit beiden Händen deckte 
Sie mir die Augen; wieder ſtreckte 
Dann flehend, daß er ſich erbarme, 
Empor zum Prinzen ſie die Arme, 
Doch er, ſich freuend ihrer Qual, 
Gebot, ſie von mir fortzureißen; 
Ohnmächtig mit geſchwundnem Sinn — 
Noch ſah ichs — ſank ſie bei mir hin, 
Indeß der Henkerknecht den heißen, 
Rothglühnden, ſcharfgeſpitzten Stahl 
Mir tief in beide Augen bohrte 

Und ew'ges Dunkel ſie umflorte. 

Mir war, als würd' ich in den Schooß 
Der großen Nacht hinabgeriſſen 

Und ſtürzte jählings, bodenlos 

Zu immer tiefern Finſterniſſen, 

Als ſäh' ich mit den beiden leeren 
Aughöhlen aus den Höhn und Tiefen 
Schwarze und ſchwärzre Wellen triefen 
Und immer tiefre Nacht gebären. 


„Starr dann, bewußtlos lag ich lang, 
Bis wieder Lärm und Stimmenklang 
Mich weckte — da durchzuckt' es jäh 
Von Neuem mich wie Todesweh; 

Erſt nun vor meine Seele trat 
Die ganze grauſe Schreckensthat, 
Durch die ich blind für immerdar, 


— 93 — 


Des Jammers Raub geworden war. 
Den argen Prinzen hört' ich lachen: 
„Die Venetianer ſind von je 

Berühmt als tapfer auf der See; 
Wohl, eine Schiffahrt ſoll er machen, 
Wie Keiner ſolche noch vollführt! 

Packt ihn, ſchleppt ihn hinab zum Strand!“ 
Und noch mit Stricken feſtgeſchnürt, 
Ward, regungslos an Fuß und Hand, 
Ich unter ruchlos wildem Spotte 
Dahingetragen von der Rotte, 

Bis lauter mir der Wogen Branden 
Ins Ohr und immer lauter tönte 

Und Prinz Alexius wieder höhnte: 
„Das iſt ein Meer! Wer da zu landen 
Verſteht, heißt wahrhaft ein Pilot! 
Wohlan, mein Seeheld, in das Boot, 
Als Argonaut Euch zu erproben!“ 

Und abermals ward ich erhoben 

Und hoch hinabgeſtürzt; am Giſchte, 
Der weithin ſpritzend um mich ziſchte, 
Am Schwanken und Gekrach der Bretter 
Fühlt' ich, daß ich im Kahne lag 

Und bald hinab und bald nach oben 
Geſchleudert ward vom Wellentoben, 
Indeß das Meer im Sturmeswetter 
Sich brandend an den Felſen brach. 
Noch ſcholl vom Ufer her Gelächter: 
„Der Spaß, in Wahrheit, iſt kein ſchlechter, 
Schon hier geht ihm das Boot in Scheiter.“ 
Und Prinz Alexius befahl: 

Gebt einen Stoß ihm, daß es weiter 
Hinausfliegt in die offne See! 

So, gute Fahrt, Herr Admiral!“ 

Ich fühlte, wie der Nachen jäh 


r 


Mit mir hinweg vom Ufer ſchoß, 
Wie über mir die Fluth ſich ſchloß, 
Und wie ich wieder wolkenhoch 
Dann auf den Wellenſchäumen flog. 


„Dahin, dahin auf meinem ſchwanken 
Fahrzeug mit halbzerſchellten Planken! 
Um mich des Sturms Gebraus und Heulen 
Und das Gekrach der Wogenſäulen, 
Wie berſtend ſie zuſammenſanken! 
Hinab in ſteile Fluthabgründe, 

Wo rings die mächt'gen Waſſerſchlünde, 
Die Höhlungen und grauſen Spalten 
Dem Klang des Donners widerhallten! 
Und ich allein, hülflos und blind, 

Auf öder Fluth vom Wirbelwind 
Umhergeſchleudert im ſchwanken Kahn! 
Die Wellen all, wie, vom Orkan 
Gepeitſcht, ſie kamen oder gingen, 
Anfleht' ich, mich hinabzuſchlingen; 
Den Himmel mit erhobnen Armen 
Bat ich, daß mich und meine Qual 
Zerſchmettere ſein Flammenſtrahl — 
Umſonſt, ſie trugen kein Erbarmen. 


„In dumpfem Starren dann verging 
Mir die Beſinnung, mich umfing 
Ein tiefer Schlaf — wie viele Stunden 
In Ohnmacht ſo mir hingeſchwunden, 
Ich weiß es nicht. Als todesmatt 
Aus der Betäubung ich erwachte, 
War ſtill das Meer um mich und glatt, 
Und nur ein leiſer Windhauch machte 
Den Nachen auf dem Wellenplan 
Hingleiten ſeine feuchte Bahn. 


Ich fühlte warm den Sonnenſchein 

Sich legen auf mein Angeſicht, 

Doch, o! es drang von ſeinem Licht 
Kein Strahl in meine Nacht herein; 
Und wie Erinnerung allmählig 

Mir wiederkehrte, wie ich dachte, 

Daß nun Eugenia ganz unſelig 

Dem Frepler preisgegeben wäre 

Und ich auf unermeßnem Meere 

Des Todes Raub, des grauenvollen — 
Verzweifelnd ſchlug ich da die Stirn, 
Und Fieber jagte mir im tollen 

Gewirr Schreckbilder durch das Hirn: 
Mit meinen Augen, die nicht ſahn, 
Glaubt' ich zu ſchaun, wie um den Kahn 
Ein Heer von nebligen Geſtalten 

Sich drängte; kauernd an dem Rand 
Hört' ich ſie leiſe Zwieſprach halten, 
Sie ſtreckten nach mir aus die Hand, 
Und ‚Er iſt unſer!' jauchzten fie 

Und ſprangen auf und hüpften im Tanz 
Um mich, ein grauſer Mummenſchanz — 
Entſetzen faßte mich, ich ſchrie 

Laut auf und wollte aus dem Nachen, 
Um mir des Sterbens Pein zu kürzen, 
Ins naſſe Grab hinab mich ſtürzen; 
Allein die Grauſen trieben mit Lachen 
Ringsher zurück ins Boot mich wieder, 
Und auf die Planken ſank ich nieder. 


„Dann wars, als trüge übers Meer 
Ein lauer Wind Orangendüfte, 
Südfruchtarome zu mir her, 

Als ob ich zwiſchen Inſeln ſchiffte, 
Wo an den grünenden Geſtaden 


N 


Ein Murmeln ſcholl von Rieſelbächen 

Und Zweig und Wipfel, ſchwer beladen, 
Mich lockten, ihre Frucht zu brechen; 
Ausſtreckt' ich nach ihnen die Hand in Haſt, 
Doch hatte nichts als Luft erfaßt 

Und fuhr empor, von Schreck durchbebt; 
Da fühlt' ich des Hungers entſetzliches Nagen 
Und ſank von Neuem hin mit Zagen, 

Feſt an den Gaumen die Zunge geklebt. 
Durch alle meine Adern kochte 

Das Fieber, meine Schläfe pochte 

In Todesangſt; beſinnungslos 

Bald lag ich da, bald wieder irrten 

Mir die Gedanken, die verwirrten, 

Durchs Weite hin: im Meeresſchooß 

Zu ruhen glaubt' ich ſchon tief unten, 
Von Muſcheln rings umblitzt und bunten 
Korallen, auf dem Bett von Moos. 
Goldklumpen, Schätze ſammt verſunknen 
Schiffstrümmern ſah ich allumher 

Und bleiche Schädel von Ertrunknen, 

Die mich mit Augen hohl und leer, 
Anſtarrten auf dem feuchten Grund. 

Das ſtumme Volk der Tiefe, der Hai, 
Der Schwertfiſch, ſchwammen gierig herbei; 
Und die Rieſenſchlange im Meeresſchlund, 
Wo ſie zum Knäul geballt gelegen, 

Sah ich ſich langſam, langſam regen 

Und auf ſich richten, mit tauſend Ringen 
Und Windungen mich zu umſchlingen. — 


„Nicht weiter, was mit mir geſchah, 
War mir bewußt. Zum Tode matt 
Auf pfühlbedeckter Lagerſtatt, 

Als ich erwachte, lag ich da. 


a 


Noch dumpfen Druck auf meiner Stirn 
Und Schwindeln fühlt' ich im Gehirn. 
Doch, als mir die Beſinnung kam, 
Was glaubt ihr, daß mein Ohr vernahm? 
Ich hörte Venetianerlaut 

Und eine Stimme, mir vertraut: 
Antonio wars, der mit mir ſprach; 
Aus ſeiner Rede nach und nach 

Klar wurde mir was ſich begeben: 

Ich war auf einer Brigg, die eben 
Vom Pontus nach Venedig fuhr. 
Antonio hatte auf der Fahrt 

In meinem Nachen mich gewahrt, 

Und wieder, ob auch langſam nur, 
Ward ich des Todes mächt'gem Arm, 
Der eiſig kalt mich ſchon umſchlungen, 
Durch ſeine Pflege abgerungen. 

Durch meine Adern fühlt' ich warm 
Die Fluth des Lebens wieder fließen — 
Doch, ach! des Lichtes heil'ge Quelle, 
Die Alle labt mit ihrer Helle, 

Wer konnte ſie mir neu erſchließen? 
Und auch den letzten Troſt des Blinden, 
Sich der Geliebten zu verbinden, 

Den einzigen, ſollt' ich entbehren; 

Die ew'ge Nacht, die mich umgab, 

Nur Eine konnte ſie verklären, 

Und dieſe Eine lag im Grab: 
Gebrochen hatte mein Geſchick 

Eugenias Herz; mit ſtierem Blick, 

Seit ich von ihr geriſſen ward, 

Ins Leere hatte ſie geſtarrt 

Und Flüche auf Alexius 

Gemurmelt, bis der Tod ihr mild, 
Schack, Geſ. Werke. III. 


I 


3 


Der rettende, mit kaltem Kuß 
Die Erdenleiden all geſtillt. 


„Ich, nach Venedig heimgekehrt, 
Von Doge und Senat geehrt 
Und nach und nach zu alter Kraft 
Vom Grabesrand emporgerafft, 
Im Wirken für das Wohl des hehren 
Freiſtaats, dem keiner ſich darf meſſen, 
Im Streben, ſeine Macht zu mehren, 
Sucht' ich für meinen Gram Vergeſſen. 
Ob ſonſt auch nichts mein Auge ſah, 
Das hohe Weib Venetia 
Stand immer leuchtend vor mir da; 
Als Zehner und im großen Rath 
Wirkt' ich für ſie mit Wort und That; 
Und, Freunde, nun der Herzogshut 
Auf meinen weißen Haaren ruht, 
Kühn darf ichs ſagen, höher ſtieg, 
Durch mich geführt von Sieg zu Sieg, 
Die Macht der Republik als je: 
Kein Schiff durchfurcht die weite See, 
Das nicht vor ihr die Flagge ſtriche; 
Kein Fürſt iſt, deſſen Kronenglanz 
Nicht vor der Freiheit ſchlichtem Kranz, 
Der ihre Stirne ſchmückt, erbliche; 
Und gegen wen ihr Zorn ergrimmt, 
Eh ſie das Schwert zur Hand noch nimmt, 
Zu Füßen liegt er ihr gekrümmt. 
So iſt für alte Miſſethat 
Die Sühnungsſtunde denn genaht; 
Der Haß, der mir im Herzen gohr 
Und höher ſchwoll von Jahr zu Jahren, 
Sei nun gelöſcht, wenn auf dem Thor 
Des Kaiſerſchloſſes der Blecharen 


gr 


Das Banner von San Marco weht. 
Spät, aber noch nicht allzu ſpät, 

Ereilt die Strafe den Verrath. 

Ihr wißt, den edlen Bruder hat 
Derſelbe Prinz des Throns beraubt, 
Der mir — Verderben auf ſein Haupt! — 
Des Leidens bittern Trank gemiſcht; 
Noch, wenn ſie ſeinen Namen nennen, 
Fühl' ich das heiße Eiſen brennen, 
Das in die Augen mir geziſcht! 

Der Wütherich Alexius! 

Wie wird ſein Muth vergehn, wie muß 
Er zitternd ſich im Staube winden, 
Wenn er den todtgeglaubten Blinden 
In Siegeshoheit vor ſich ſchaut, 

Der an dem Würger ſeiner Braut 

Für tauſend Thaten, gottverflucht, 

Die langverſchobne Rache ſucht. 

Stoßt an, ihr Freunde! Gute Fahrt! 
So wie, mit Blitz und Sturm befrachtet, 
Gewölk, das tief die Welt umnachtet, 
Auf des Sirocco Ruf ſich ſchaart 

Und in Gewitterguß und Flammen 
Herniederſtürzt auf Land und Meer, 
Auf meine Ladung ſo ringsher 

Zog dies Geſchwader ſich zuſammen, 
Und an des Bosporus Geſtaden 

Soll ſich ſein Kriegsorkan entladen, 
Um deine Frevel voll und ganz 

Zu ſtrafen, ſchändliches Byzanz!“ 


Der Doge ſchwieg; von Mund zu Munde 
Ging lautes Staunen in der Runde; 
Mit Händedruck bei Becherſchalle 
Den hohen Greis lobprieſen Alle; 


— 100 — 


Rings von den Kriegern, buntgemengt, 
Die lauſchend ſich herangedrängt, 
Stieg wolkenan der Schlachtruf wild, 
Und dröhnend klirrte Schild an Schild, 
Indeſſen durch den Schaum der Wogen 
Oſtwärts dahin die Schiffe zogen. 


V. 


Der Flüchtling von Damascus. 


Südlich von dem Felſenthore, 
Das, in Fluth die Fluth ergießend, 
Ocean und Mittelmeer 
Mit der Wogen Schwall umbranden, 
Windet ſich ein Zug von Reitern 
Zwiſchen grünumrankten Schluchten 
Berghinan. Voran mit Fahnen, 
Die im Morgenhauche wallen, 
Wegeskundige Aethiopen; 

Hoch auf Berberroſſen dann 

Eine Schaar von Reiſigen, 
Krieger, ataghanumgürtet, 
Weißbeturbant, ihre Lanzen 

In des Frühlichts Strahle blitzend. 


Auf der Höhe, wo zum letzten 
Mal der Blick aufs Meer hinabſchweift, 
Hält der Zug. Sich rückwärts wendend, 
Sehn die Reiter ferne dämmernd 
Hinter Dſchebel Tariks Enge 


— 102 — 


Andaluſiens blaue Küſten, 

Und von manchen Lippen quellen 
Bange Seufzer. Lange haften 

An des Horizontes Saume 

Ihre Blicke wehmuthsvoll; 

Aber Einer, den als Häuptling, 
Alſo ſcheints, die Andern ehren, 
Muſa, winkt gebieteriſch, 

Mit der Hand nach Morgen weiſend, 
Und auf ſteilem Weg landeinwärts 
Geht der Zug gen Oſten weiter. 


Hinter ihnen bald verſchwunden 
Sind die grünen Uferhügel, 
Und in öde Felſenſchluchten 
Stürzt der Pfad. In ſich verſunken 
Bleiben Alle lang, gedenkend, 
Daß mit jedem Fall der Hufe 
Nun das ſchöne Land Hispanien 
Weiter in die Ferne ſchwinde, 
Denkend, wie die Heimgebliebnen 
Drüben im Olivendickicht 
Nun die Mittagsgluth beim Rauſchen 
Des Guadalquivir verträumen. 
„Theure Heimath, die ſo liebreich 
Du am Buſen uns erzogen, 
Deine trauten Stätten, werden 
Wir ſie jemals wiederſchauen? 
Je durch deine Balſamhaine 
Wieder ſtreifen und zur Nachtzeit 
An des Springquells Becken ruhen, 
Wenn die lauen Sommerlüfte 
Durch Limonenäſte fächeln? 
Weit, voll Mühſal und Gefahren, 
Iſt der Weg noch durch dies öde 


— 103 — 


Afrika, und, führt er wirklich 
Durch der Wüſte bleiche Schrecken 
Uns zum Sonnenaufgangslande, 
Wird die Rückkehr auch gelingen?“ 


Leis geflüſtert geht die Klage 
So dahin von Mund zu Munde. 
Doch mit ernſten Worten mahnt 
Muſa die Verzagten: „Mögt ihr 
Eurer kleinen Sorgen denken, 
Da der Islam ſelbſt euch ruft, 
Ihm den ſtrahlendſten Rubin 
In dem Turban des Propheten 
Vor der Räuber Gier zu retten? 
Herrlich über alle Länder, 
Die das Glaubensſchwert erobert, 
Iſt dies Eiland Andaluſien, 
Wo in ewig grünen Wäldern 
Ew'ger Frühling wohnt. Mit hellerm 
Glanz noch, als an Jemens Himmel, 
Leuchteten Arabiens Sterne 
Lang dort, ſeit das Halbmondbanner 
Tarik an ſein Ufer pflanzte. 
In des Nordens rauhe Berge 
Flüchteten erſchreckt die Gothen, 
Und von Calpes Rieſenfelſen 
Bis zum Wall der Pyrenäen 
Stiegen Heiligthümer Allahs 
Ueber Kirchenſchutt empor, 
Und des höchſten Himmels Engel 
Neigten ſich herab, zu lauſchen, 
Wie von tauſend Minareten 
Des Muezzin Iſan-Ruf 
Zu der Gläub'gen Ohr ertönte. 
Raſtlos kreiſend goß das Schöpfrad 


— 104 — 


Waſſerfülle auf die Fluren, 

Wo des ſonn'gen Oſtens Kinder, 

Die Banane und die Dattel, 

In der feuchten Luft des Weſtens 
Zwiſchen ſaft'gem Laubgrün reiften. — 
Aber, ach! dies Bild der Wonne, 
Das der Väter Augen ſchauten, 

Tief getrübt vor Derer Blicken, 

Die jetzt leben, liegt es da. 

Denn der alte Fluch der Wüſte, 

Der die Söhne Ismaels 

Ruhlos kämpfend über ihres 

Sandes öde Flächen hinjagt, 

Traf auch Andaluſiens Volk. 

Hader und Parteiung riſſen 

Es in blut'ger Bürgerkriege 

Wirbel fort, daß Stamm mit Stamm ſich, 
Daß der Bruder mit dem Bruder 
Sich befehdet und das Würgſchwert 
Nimmer in der Scheide raſtet. 

So, von Raub verheert und Plündrung, 
Liegen öd die Ackerfelder, 

Müſſen Saat und Frucht verdorren, 
Und aus ihren Felſenhöhlen 

Brechen die verhaßten Chriſten 
Wieder keck hervor, ihr Kreuz 

Auf die Tempel Allahs pflanzend. 
Wenn nicht eines mächt'gen Herrſchers 
Fauſt die Hydra Zwietracht bändigt, 
Wird durch ſeiner eignen Söhne 
Wahnſinn bald mit Trümmerhaufen 
Ueberdeckt ganz Spanien ſein 

Und der Glaube der Moslimen 

Aus dem Abendlande flüchten. — 
Wie, da ſie der Ordnung Säulen 


— War — 


Einſturz drohen ſahen, jüngſt 

In Jaen die beſſern Männer 

Aller Stämme ſich berathen, 

Um in unſres Vaterlandes 

Letzter, ſchwerſter Noth die Rettung, 
Die noch möglich, zu erkunden: 

Wie mein Rath in ihrem Kreiſe 
Sieg gewonnen und als Boten 
Mich die Scheichs nach Syrien ſenden, 
Wißt ihr, meine Stammgenoſſen! 
Feſt, gleich einem Pol, im Herzen 
Steht die Hoffnung mir, von dort 
Werde neu ein Stern des Heiles 
Ueber Spanien aufgehn — laßt uns 
Denn auf Allah baun, ihr Brüder! 
Mögen böſe Dſchinnenheere, 

Mag die Würgerin Hyäne 

Uns bedrohn mit grimmem Rachen: 
Durch Gebirg und Wüſtenei 

Wird uns ſeine Huld geleiten!“ 


Alſo Muſa, und die Laute 
Des Verzagens niederkämpfend, 
Ziehen an des Häuptlings Seite 
Stumm die Reiſ'gen vorwärts. Kreiſend 
Ueber ihrem Haupt erheben 
Sich die Tag⸗ und Nachtgeſtirne, 
Aber ob die ſcheitelrechte 
Sonne brenne, ob durchs Nachtblau 
Aldebarans Sternbild funkle, 
Hier und da nur kurzes Raſten 
Gönnt die Karavane ſich. 
Hagre Felſen, nur von dürren 
Sträuchen ſpärlich überkleidet, 
Ziehn wie wandelnde Gerippe 


— 106 — 


Längs des Wegs dahin; kein Bächlein 
Labt das Ohr mit ſeiner Wellen 
Kühlem Murmeln; ſelten nur, 

Daß ein Terebinthenwipfel 

Auf den ausgedörrten Boden 
Dürft'gen Schatten breitet. — Weiter 
Schwindet in der ſtummen Wüſte 
Auch die letzte Spur des Lebens; 
Brennend wälzt das unermeßne 
Sandmeer ſeine gelben Wogen, 
Wallt empor in Staubeswirbeln, 

Die der Reiter Turbanhäupter 

Dicht umhüllen. Wären reichlich 
Nicht mit Naß gefüllt die Schläuche, 
Wohl in dieſer weiten Oede 

Müßte Untergang die Kühnen 

Bald ereilen. 


Schon ſeit Tagen, 
Wie auf küſtenloſem Meere 
Fort und fort nach Oſten ſteuernd, 
Sind ſie ſo dahingezogen; 
Plötzlich an des Zuges Spitze 
Ruft den Andern Muſa Halt: 
„Welch ein Klang? Wie bange Seufzer 
Dorther ſchallts, vernehmt ihr nicht?“ 
Mit der Hand zur Seite weist er, 
Und verwundert lauſchen Alle. 
Klagetöne, deutlich hörbar, 
Hallen an ihr Ohrz; ſie ſitzen 
Von den Sätteln ab und ſchreiten, 
Um zu forſchen, was es ſei, 
In des Klanges Richtung weiter. 
Ja, von einer Menſchenſtimme 
Sind die Laute, und alsbald auch, 


ae 


Wie fie ſpähn, gewahren jie 

Einen Wandrer, auf den Boden 
Hingeſunken und vom Sande 

Halb begraben; kaum die Glieder 
Deckt ihm ein zerrißner Kaſtan, 
Und die Binde der Beduinen 

Iſt vom Haupt herabgeſunken. 
Wie des nahen Todes harrend, 
Hält der Unglückſelige 

Auf der Bruſt gekreuzt die Hände; 
Seine Augen, faſt gebrochen, 
Starren regungslos ins Leere. 
Noch auf junge Jahre würden, 
Alſo ſcheints, die Züge deuten, 
Wäre das geblaßte Antlitz 

Nicht von Spuren langen Elends 
Tief gefurcht, nicht Bart und Haupthaar 
Schon mit Grau beſprengt. 


i Voll Mitleid 
Kniet zu dem Verſchmachtenden 
Muſa nieder und befeuchtet 

Ihm aus einem Waſſerſchlauche, 
Den die Sklaven eilends bringen, 
Emſig die verdorrten Lippen; 
Doch vergebens; ſelbſt das Aechzen 
Iſt verſtummt, die Athemzüge, 
Wie ſie gehn und kommen, einzig 
Zeugen, daß der Tod ſein Opfer 
Noch nicht heimgeholt. 


Das Lager 
Aufzuſchlagen, giebt der Häuptling 
Den Befehl, und nichts zu ſparen, 
Um den Sterbenden zu retten. 


1 


Ueber ihm ein ſchattig Zeltdach 
Läßt er ſpannen und beſorglich 
Ihn auf weichem Teppich betten. 
Selbſt bei ihm im Zelte bleibend, 
Fort und fort mit friſchem Naß 
Tränkt er ihn und ſpäht und ſpäht, 
Ob nicht auf die bleichen Wangen 
Neues Roth des Lebens ſteige. 
Siehe! und der Todesmatte 
Schlägt die Augen endlich auf, 
Hebt das Haupt empor mit Mühe, 
Reicht die Rechte wie zum Danke 
Seinem Pfleger hin und ſinkt 
Wieder dann erſchöpft zu Boden. 


Stunden ſchwinden noch; zuletzt 
Scheinen neue Lebenskräfte 
Den vom Grabesrand Erſtandnen 
Zu durchrinnen, und in Worte 
Feur'gen Danks an ſeine Retter 
Bricht er aus. 


Zu ihm ſpricht Muſa: 
„Nicht die Tracht der Beduinen 
Täuſcht mich; deine Rede kündet, 
Daß Damascus deine Heimath. 
Sag denn! kannſt von Abdurrahman, 
Von dem Sohne Moawias, 
Du mir Nachricht geben?“ 


Jener, 
Wie erſchreckt zuſammenfahrend, 
Schüttelt ſtumm das Haupt zur Antwort; 
Dann, das Angeſicht dem Boden 
Zugewandt, aufs Neue reglos 


— 210% 7— 


Liegt er da. Von ſeiner Seite 
Weicht nicht Muſa und verſucht, 
Den Verzagten zu ermuth'gen: 
„Sei getroſt! Gekräftigt wirſt du 
Bald erſtehen und mit uns 

Aus der unwirthbaren Oede 

In die Welt der Menſchen kehren. 
Unterdeß, um der Minuten 

Träges Schleichen zu beflügeln, 
Laß von ihm, nach dem ich forſchte, 
Von dem Sohne Moawias 

Dir erzählen. Meiner Kindheit 
Freund war jener Abdurrahman — 
O, was ſag' ich: Freund? Nicht inn'ger 
Können ſich zwei Brüder lieben. 
Sah der Eine in des Andern 
Augen einen Wunſch nur keimen, 
Ruhe fand er nicht, bevor er 

Die Erfüllung ihm geſchafft. 
Jedem Wort von ſeinem Munde 
Sann ich lange nach, als wär' es 
Tiefer Weisheit voll; und hörte 
Er von ungefähr ein Lied mich 
Singen, bald von ſeinen Lippen 
Scholl dieſelbe Melodie. 

Uns an Wuchs und Antlitz ähnlich 
Waren wir wie Zwillinge; 

Aber er ein Omajjade, 

Hohem Herrſcherſtamm entſproſſen, 
Ich ein elternloſer Knabe, 

Schien ein Abgrund uns zu trennen; 
Dennoch, ſtatt in Stolz von mir ſich 
Abzuwenden, ſann er einzig, 
Meinem Blick es zu verdecken, 
Welche Kluft uns Beide ſchied. 


u 


So beim Lernen wie beim Spiele 
Nie von ihm mich trennen durft' ich; 
In der Kunſt des Lanzenwurfes 
Wie im Tummeln wilder Roſſe 
War ein Wettſtreit zwiſchen Beiden. 
An den grünen Bergeshängen, 
Durch die Thäler von Damascus 
Schweiften wir vereint und träumten, 
Große Thaten einſt zu thun 

Gleich den Helden, den erlauchten, 
Die zuerſt des Islam Banner 
Siegreich von der Inder Gränzen 
Bis ans Meer des Weſtens trugen. 
O, wie oft, bis ſpät zur Nachtzeit 
Schon mit rothem Schein Antares 
Durch das Blätterzeltdach glomm, 
Unter einer Palme Wipfel 

Arm in Arme ſaßen wir, 

Uns mit tauſend heil'gen Schwüren 
Freundſchaft bis zum Tod gelobend 
Und von hohen Planen redend. 
Fern dem Thron als Nebenſprößling 
Des Chalifenhauſes ſtand 
Abdurrahman, doch wir bauten 
Goldne Schlöſſer für die Zukunft, 
Wie er einſt, ein mächt'ger Herrſcher, 
Segnend über weite Reiche 

Walten würde. Als Vezir 

Mich an ſeiner Seite dacht' ich, 
Und im Geiſte ſahen wir, 

Wie die Erde bei des Frühlings 
Regenſchauern, ſchon die Länder 
Unter unſrer Pflege blühen. 

Auf des Rechtes, der Geſetze 
Unerſchütterliche Säulen 


— 11 — 


Feſt der Bau des Reichs gegründet; 
An den Gränzen, waffenſtarrend, 
Eines Kriegsheers Eiſenmauer, 
Daß, geſchützt vor Feindesangriff, 
Jede Friedenskunſt gedeihe — 
Solche Bilder uns zu malen, 
Nimmer müde wurden wir. 

Doch beſchämt oft von des Freundes 
Hohem Geiſte fand ich mich. 

Wenn ich in ſein Auge blickte, 
Wars, als ſäh' ich draus Entwürfe 
Auf Entwürfe, groß und herrlich, 
Gleich des Himmels Sternen leuchten; 
Eine Glorie künft'gen Ruhmes, 
Künft'ger Größe ſchien fein Haupt 
Zu umſtrahlen, und unſterblich, 
Dacht' ich, müßte Abdurrahmans 
Namen einſt auf Erden werden. — 
Trat er aus der hohen Welt 
Seines Denkens dann von Neuem 
In des Lebens niedre Kreiſe, 
Heiter wie ein Kind und einfach 
Schritt er durch der Menſchen Reihen; 
Schon ihn ſehen, war ihn lieben, 
Und der Schatten ſeiner Nähe 
Machte Alles um ihn glücklich. 
Aber, ach! erſt ſeit hinweg 

Ich von ihm geriſſen worden, 

Iſt ſein Sternbild mir im vollen 
Glanze aufgeſtiegen. — Höre! 
Oftmals unter meines Oheims 
Dach, wo ich erzogen wurde, 

Kam der Freund in meine Klauſe, 
Daß mit mir er an des Wiſſens 
Quellen ſeinen Geiſt erlabe. 


zer 


Einft beim Morgendämmern da 
Schreckte mich ein heftig Pochen 

An die Thür empor vom Lager. 

Ich that auf, und Abdurrahman 
Stürzte athemlos herein. 

Eile, Muſa! wirf aufs Roß dich! 
Schleun'ge Flucht nur kann dich retten! 
Beim Chalifen ſind die Männer 
Deines Stamms verleumdet worden, 
Daß Verrath mit Abul Abbas, 
Seinem Feinde, ſie geſponnen, 

Und im erſten Ingrimm hat 

Hiſcham den Befehl gegeben, 

Keinen ihres Bluts, die Weiber 
Selbſt und Kinder nicht, zu ſchonen! 
Eile! nah find ſchon die Häſcher.“ 
Und gewaltſam mich Erſchrocknen 
Aus dem Haufe zog er: „Wenn du 
Je mich liebteſt, ſchwöre nun 

Mir den Eid, mit Haſt des Windes 
In das Abendland zu fliehn! 

Von Saidah wird ein Schiff dich 
Weſtwärts tragen — fort nun, fort!“ 
Und ich that den Schwur; noch einmal 
In die Arme ſank er mir, 

Und mich auf den Renner ſchwingend, 
Faſt beſinnungslos von dannen 
Sprengt' ich. — Was ſeitdem geſchehen, 
Erſt nach Jahren ward mirs kund. 
Noch an mir, dem fernhin Fliehnden, 
Haftete ſein Blick, da nahten 

Sich die Häſcher. Sucht ihr Muſa? 
Wohl, hier ift ex!" rief, entgegen 
Ihnen tretend, Abdurrahman, 

Und zum Richtplatz fortgeführt, 


a 


Seiten Schrittes ans Schaffot 

Trat er hin, wo ſchon der Henker 
Mit dem Beile ſtand. Ein Wort 
Konnt' ihn retten, doch er wußte: 
Wenn er als vom Stamm Omajjas 
Sich bekannte, war den Schergen 
Ich verfallen; ringshin wären 

Sie enteilt, mich einzuholen. 

So, für mich den Tod zu leiden, 
Legt' er auf den Block das Haupt; 
Eben da, ſchon früh zum Jagdzug 
Aufgebrochen, ritt am Richtplatz 
Hiſcham, der Chalif, vorüber, 

Und den Blick von Ungefähr 

Auf den Hingeknieten werfend: 

‚Halt da, halt!‘ dem Henker rief er, 
„Eines Omajjaden Haupt 

Willſt du fällen? — Muſa ſei es, 
Ward ihm Antwort von den Häſchern, 
Aber er: Mit euerm Haupte 

Bürgt ihr mir, daß Muſa nicht 
Mir entrinne! Auf und ſucht ihn! 
Dieſer hier iſt Abdurrahman; 

An dem Male ſeines Nackens 

Ihn erkenn' ich.“ So gerettet 

Ward mein Freund, doch ewig, ewig, 
Gleich als ob er ihn geſtorben, 
Steht ſein Opfertod im Herzen 

Mir geſchrieben. — Ich indeſſen, 
Wie durch Wunder nur den Häſchern 
In das Abendland entronnen, 

Fort und fort nach einer Kunde 
Von dem Vielgeliebten forſcht' ich — 
Ach vergebens! Jahre ſchwanden, 
Lange Jahre, und der Boten, 

Schack, Geſ. Werke. III. 


— 114 — 


Die ich ſandte, kehrte keiner, 
Um auch ſeines Lebens nur 
Eine Kunde mir zu bringen.“ 


Muſa ſprach es und verhüllte, 
In Erinnerung verſunken, 
Trauernd ſich das Haupt. Da plötzlich, 
Von dem Lager aufgerafft, 
Warf mit halberſticktem Schluchzen 
Sich der Fremdling an die Bruſt ihm: 
„Muſa, Muſa, biſt dus wirklich? 
Kennſt du deinen Abdurrahman, 
Deinen Jugendfreund nicht mehr?“ 


Und ſich feſt umſchlungen hielten 
Beide; ihre Lippen bebten 
Aneinander, ihre Thränen 
Miſchten ſich, doch nur der Herzen 
Klopfen ſprach; der Mund blieb ſtumm. 


Endlich: „Ja, alsbald“ — ruft Muſa — 
„Da ich dich erblickte, mahnte 
Mich ein Zug in deinem Antlitz 
An den langverlornen Freund! 
Aber ſo verhüllt in niedre 
Tracht, ſo ganz verwandelt, ſag mir, 
Theurer, konnt' ich dich erkennen? 
Wie geblaßt dein Antlitz find' ich, 
Wie gefurcht die Stirn! Iſts möglich? 
Hier in weltentlegner Wüſte 
Halbentſeelt am Boden lagſt du?“ 


Abdurrahman, auf die Erde 
Starrend, ringt umſonſt nach Faſſung; 
Doch zuletzt, die Lebensgeiſter, 


— II 


Die ſchon halb geſchwunden, mühſam 
Sammelnd, ſpricht er: „Ausgerottet 
Iſt der Stamm der Omajjaden, 

Im Palaſte der Chalifen 

Krächzt ihr heiſres Lied die Eule; 
Ich, allein von all den Meinen 

Noch dem Untergang entronnen, 
Irre hülflos und geächtet, 

Bis auch mich der Abbaſſiden 
Mordſchwert trifft. Vernimm! die Rache, 
Die Omajjas Söhnen lange 

Für vergangne Frevelthaten 

Ueberm Haupt geſchwebt, ereilte 

Den Chalifen. Abul Abbas 

Schlug des Todfeinds Heer; ans Kreuz 
Ließ er den Beſiegten nageln, 

Seine Schlöſſer niederreißen 

Und aus ſeiner Ahnen Gräbern 

In den Wind die Aſche ſtreuen. 

Hin von Mark zu Mark des Reiches 
Trugen Boten den Befehl, 

Alle Glieder des geſtürzten 
Herrſcherhauſes zu erwürgen, 

Und in Strömen floß ihr Blut. 

Um der Omajjaden Leichen 

Stritten ſich die Schakalheerden, 
Ihre Todtenbeine bleichten 

An des Hauran Felſenhängen, 

Und die Spinne wob ihr Netz 

In den leeren Augenhöhlen. 

Nur ein Reſt noch, dreißig Männer — 
Ich Unſeliger mit ihnen, — 

Irrte flüchtig, lagerlos 

Durchs Gebirge. Aus Damascus 
Kam uns von des neuen Herrſchers 


a DW 


Stellvertreter, von Abdallah, 

Da die Botſchaft: „Der Chalife 

Will Omajjas Söhnen länger 

Nicht mehr grollen; den Befehl 

Gab er mir, den Eid der Treue 
Ihnen abzunehmen. Kommt denn 
In mein Schloß! Ein prächtig Gaſtmahl 
Soll den Frieden zwiſchen euch 

Und den Abbaſſiden feiern.“ — 

Kaum Berathung ward gepflogen; 
Aus der Wildniß, wo der Tod uns 
Tag für Tag bedrohte, zogen, 

Froh des neugeſchenkten Lebens, 

Wir zur Stadt. Durchs Thor des Schloſſes 
Waren, mir voran, die Andern 
Schon getreten; plötzlich nahte 

Mir ein Greis! „Hinweg! hinweg! 
Flieh, ſo ſchnell du kannſt, dies Alles 
Iſt Verrath von Abul Abbas!“ 
Schrecken faßte mich, und zweifelnd 
Stand ich erſt, doch bald trieb Scham, 
Daß allein ich fliehen ſollte, 

Den Gefährten nach ins Schloß mich. 
In das Thor der Halle tretend, 
Schon im Kreis dort meine Freunde 
Um das Mahl verſammelt ſah ich. 
Eben ließ der Wirth Abdallah 
Sammt den andern Abbaſſiden 
Seinen Becher auf Verſöhnung 
Fröhlich an die ihren klingen. 
Unbeachtet noch von Allen, 

In die Reihn der Zecher ſetzen 

Wollt' ich mich, doch blieb auf einmal 
An dem Thor wie feſtgewurzelt, 

Als ein Sänger grimmen Ausſehns 


EHRE 


Eintrat und die Saiten wild 
Unter ſeinem Griffe rauſchten. 

In den Adern ſtand das Blut mir 
Bei dem Liede, das er ſang: 
„Allahs Fluch ruht auf Omajjas 
Enkeln bis zum letzten Gliede, 
Und du zögerſt noch, Gebieter, 

In dem Blute der Verhaßten 
Deinen Rachedurſt zu löſchen? 
Auf! mit einem Streich vertilge 
Wurzel, Stamm und Aſt zugleich!“ 
Und das Lied verklang; Abdallah 
Winkte, und in Blutdurſt raſend 
Stürzten mit geſchwungnen Säbeln, 
Piken, Keulen, Eiſenſtangen 
Reihen von Gewaffneten 

In die Halle. Löwen gleich, 
Wenn umzingelt in der Grube, 
War das Häuflein Omajjaden 

In der Mordbegier'gen Mitte. 
Selbſt der Waffen im Vertrauen 
Auf den heil'gen Schutz des Gaſtrechts 
Sich entledigt hatten ſie. 

Horch! und über ihren Häuptern 
Plötzlich ſausten hundert Klingen; 
Von den Hieben ſank der Erſte, 
Sank der Zweite zuckend nieder, 
Und mit Sterbenden im Nu 

War bedeckt der ganze Boden. 
Krampfhaft noch mit letzten Kräften 
Schlangen wüthend ſie die Arme 
Um die Würger, doch, von Keulen 
Hingeſchmettert, nur mit Aechzen 
Allahs Fluch noch auf die Frevler 
Niederflehen konnten ſie. 


I 


Blutende, zerſtückte Glieder 

Lagen rings verſtreut, und gräßlich, 
Jedes Haar des Haupts mir ſträubend, 
Wälzte ſich das Mordgetümmel 

Ueber ſie dahin — nicht lang, 

Und der Letzte meines Stammes 
Stürzte mit geſpaltnem Kopfe 

In die rothe Lache nieder. 

Ueber die erwürgten Leiber 

Wurden Teppiche gezogen, 

Und an ſolcher grauſen Tafel 

Feierten die Abbaſſiden 

Ein entſetzlich Bacchanal. 

Sklaven füllten goldne Becher 

Neu mit Wein, und ſtarr vor Schrecken, 
Hört' ich mit der Sieger Jauchzen 
Und dem Klirren der Pokale 

Der Erwürgten dumpfes Röcheln 

Sich vermengen, während dichter 
Blutqualm, durch den Teppich dampfend, 
Aufwärts bis zur Decke ſtieg. 


„An der Thür wie feſtgebannt 
Stand ich noch, als eine Hand mich 
Mit Gewalt von dannen zog 
Und des greiſen Warners Stimme 
Zu mir ſprach: „Fürwahr, ein Engel 
Aus dem ſiebenten der Himmel 
Hat mit ſeinen Flügeln ſchirmend 
Dich beſchattet, daß nicht Einer 
Dich erkannt als Omajjaden. 

Doch hinweg nun! Flieh, entfliehe 
Bis zum Erdenrand! So lang noch 
Menſchenblicke dich erreichen, 


— 19 — 


Lauert vor dir, hinter dir 
Und zur Seite dir der Tod!‘ 


„Von Entſetzen fortgetrieben, 
Stürzt' ich ſinnlos, athemlos 
Durch das nächt'ge Dunkel weiter. 
Noch der Würger Jubellieder, 
Der Erſchlagnen Jammerrufe 
Tönten mir im Ohre fort, 
Und als, aus den Wolken tretend, 
Mich der Mond beſchien, gewahrt' ich 
Schaudernd, wie mit rothem Naß 
Ganz beſprengt ich war, wie Blut mir 
Tropfend aus den Locken rann. 


„Scheu am Tage mich verbergend, 
Floh ich ſo von Ort zu Orte 
Durch Gebirg und Wüſteneien. 
Jedes Trittes ferner Schall 
Ließ mich einen Mörder ahnen, 
Denn, an Abul Abbas lebend 
Oder todt mich auszuliefern, 
War in jede Mark des Reiches 
Der Befehl ergangen. Zuflucht 
Boten gaſtliche Beduinen 
Endlich mir im fernen Libyen; 
Doch von Neuem tief und tiefer 
Vor der Abbaſſiden Spähern 
In die Wüſten mußt' ich fliehn. 
Ach! was nahm der Tod, den halb ich 
Jüngſt geſtorben ſchon, nicht ganz 
Mich von hinnen? Beſſer wär' ich 
Fern der Menſchenwelt verſchmachtet, 
Als daß, auf Damascus' Zinnen 
Aufgepflanzt, mein Haupt den Feinden 


— 120 — 


Zum Geſpött dient. Ja, ſelbſt ſäh' ich 
Nicht auf jedem Schritt vom Mordſtahl 
Mich bedroht, was ſoll das Leben 

Mir noch ferner? Ach, mein Muſa, 
Hin das Hoffen unſrer Jugend, 

Hin der Traum von großen Thaten, 
Hohem Wirken! Wie die Wüſte 

Um mich her, ſo leer und öde 

Liegt die Welt vor meinen Blicken.“ 


„Nein!“ ruft Muſa — „nein, Geliebter! 
Nicht umſonſt hat ſchützend Allah 
Ueber deinem Haupt gewaltet. 
Herrlich, wie im kühnſten Traum wir 
Niemals hoffen konnten, öffnet 
Nun ein glorreich Feld des Wirkens 
Sich vor dir. Vernimm! der Kämpfe 
Müde, die ihr Land verwüſten, 
Suchten Andaluſiens Scheichs 
Einen Herrſcher, deſſen Hand 
Der Parteien Zwietracht bänd'ge 
Da von Ort zu Orte zog ich, 
Deine Tugend, deine Milde, 

Deines Geiſtes hohe Plane 

Allen vor die Seele führend. 

Siehe! und dein Bild, das leuchtend 
Mir im Herzen ſtets geſtanden, 
Bald ein Hoffnungsſtern dem Volke, 
Wie den Führern wards. Von dir 
Rettung hoffend, mich entſandten 
Sie nach Syrien, dich zu ſuchen 
Und des ſchönſten Landes Krone 
Dir zu bieten. Auf denn! folg mir, 
Daß das Reich der Omajjaden, 
Das im Oſten unterging, 


1211 


Unter dir im Abendlande 
Neu und herrlicher erſtehe!“ 


Und die Wand des Zeltes öffnend, 
Rief den Seinen Muſa zu: 
„Tretet ein! Der Vielerſehnte 
Iſt gefunden! Abdurrahman 
Von der Omajjaden Stamme 
Steht vor euch.“ In Reihen traten 
Jene ſtaunend in das Zelt, 
Und zu ſeines Freundes Füßen 
Hingekniet rief Muſa: „Nimm 
Als Gebieter Andaluſiens 
Meine Huldigung, Erhabner!“ 
Und im Staube rieben Alle 
Ihre Stirnen, und von Aller 
Lippen ſcholls: „Hoch Abdurrahman, 
Der Chalif des Abendlandes!“ 


Drauf, mit Schwertern und mit Lanzen 
Sich um den Gebieter ſchaarend, 
Führten ſchnellen Zugs die Krieger 
Ihn zu Tariks Meeresenge 
Und, die Wogen überſchiffend, 

An des neuen Reiches Strand. 
Jubelnd ihm entgegen eilten 

All die Edelſten des Landes, 

Und, umringt von mächt'gem Kriegsheer, 
Bald mit ſeiner Feinde Blut 
Düngt' er Andaluſiens Felder. 
Dann, wie nach dem Wetterſturme 
Glühender die Sonne flammt, 

Ließ er ſeines Waltens Segen 

Auf ſein Reich herniederſtrömen. 
Auf den Wink des Herrſchers ſtiegen 


— 122 — 


Blühnde Städte, Zwillingsſchweſtern 
Von Damascus, aus dem Boden, 
Schüttete aus tauſend Adern 
Ihren Ueberfluß die Erde. 

Weiß vom Vließe woll'ger Heerden 
Schimmerten die Höhn, die Thäler, 
Und der Weihrauch Jemens füllte 
Mit Arom die trunknen Lüfte. 
Kühngewölbte Brücken führten 

Der Gebirge kühles Labſal 

In der Villen Zauberhaine, 

Ja, zu bunten Feenſchlöſſern 
Blühte ſelbſt der Stein empor, 
Und um all das ſchöne Leben 
Schlang Arabiens Lieblingstochter, 
Dichtkunſt, ihre duft'gen Kränze. 


Bald im alten Cordova 
Hob aus blum'ger Gärten Mitte 
Ein Palaſt der Omajjaden 
Seine rieſ'gen Marmorhallen, 
Dort auf ragender Terraſſe 
Nach vollbrachtem Herrſchertagwerk 
Abends oft ſaß Abdurrahman, 
Und an ſeiner Seite lehnte 
Muſa, ſein Vezir und Freund. 
Unter ihnen dehnten weithin, 
In der Ferne Duft verdämmernd, 
Sich die Fluren Andaluſiens, 
Wo aus Grün der Saaten zahllos 
Villen, Dörfer, Städte glänzten 
Und die wellenreichen Ströme 
Von der Schiffe Menge ſtockten. 
Glitt dann Abdurrahmans Blick 
Auf das Häuſermeer, das wogend 


— nn er 


Sich mit bleigedeckten Kuppeln 
Ueber Berg und Thal ergoß; 

Sah er im Gewühl der Gaſſen 
Lange Karavanenzüge, 

Die des Oſtens reichſte Waaren 
Gegen Spaniens Schätze tauſchten: 
Ruhte ſinnend ihm das Auge 

Auf den Hallen der Medreſen, 

Wo zuerſt der Strahl des Wiſſens 
Durch die Nacht, die rings die Länder 
Noch bedeckte, leuchtend aufſtieg 
Und, von ferne hergepilgert, 

Selbſt des rauhen Nordens Söhne 
An dem Quell der Griechen-Weisheit 
Ihren Durſt nach Bildung löſchten, 
Wohl bewegten Herzens zog er 
Muſa dann an ſeine Bruſt. 

An der Kindheit frohe Tage 

In den Thälern von Damascus, 
An die wunderbar erfüllten 
Jugendträume dachten Beide, 

Und von ihren Wimpern nieder 
Rann der Freundſchaft heil'ge Zähre, 
Während über ihren Häuptern 
Ernſt und groß die Sterne ſtiegen. 


VL 


R o P g. 


1% 


Der Morgen graut; allmählig zündet 
Die nahende Sonne den erſten Glanz 
An Strebebogen und Mauerkranz 
Von St. Sebald; die Glocke kündet 
Die vierte Stunde, und früh ſchon wach, 
Tritt, um ſich der Morgenkühle zu freun, 
Roſa, des Thürmers Töchterlein, 
Hinaus auf des Thurmes ſchwebendes Dach, 
Begießt die Blumen, die in Töpfchen 
Vor der Jungfrau ſonder Makel 
Blühen im zierlichen Tabernakel, 
Und biegt dann über die Brüſtung ihr Köpfchen; 
Noch aber gewahrt ſie unten nichts 
Als den Nebel, der über die Stadt hin wallt, 
Und weit im Strahl des ſteigenden Lichts 
Den Schatten des Thurms von St. Sebald. 


Beim Vater in den Thurmgemächern 
Wohnt hoch über den andern Dächern 


1 


Die Kleine, geſchieden von Allem auf Erden; 
Denn, ſeitdem ſie die Mutter verloren 

Und ihr am Todtenbett geſchworen, 

In Sancta Clara Nonne zu werden, 

Hielt der Alte ſie ſtreng in Hut. 

Gleich wie des Adlers junge Brut 

Auf himmelragendem Bergesgipfel 

Erwächst im ſchwankenden Tannenwipfel, 
Und im hangenden Neſt, gewiegt vom Sturm, 
Mit dem Blitze ſpielt und dem Wirbelwind, 
Wuchs des Thürmers liebliches Kind 
Einſam empor auf dem ſteilen Thurm. 

Sie kannte nichts von allen bunten 

Gebilden des Lebens, als nur tief unten 
Des Marktes wogendes Menſchengedränge. 
Vom Lärmen, das ihr zu Füßen ſummte, 
Drang murmelnd nur, indem er verſtummte, 
Zu ihr empor ein gebrochener Laut; 

Doch des Luftreichs wechſelnde Klänge 

Und Bilder waren dem Mädchen vertraut; 
Sie pflog mit dem Donner Zwiegeſpräch, 
Grüßte die Wolken auf luftigem Weg 

Und rief, wie ſie flohen und wie ſie kamen, 
Die Schwalben als ihre Geſpielen beim Namen. 


Während der Alte noch ſchlummernd liegt, 
Steht Roſa, an das Geländer geſchmiegt, 
Und ſieht, wie unten, duftumhaucht, 

Giebel an Giebel dem Dunkel enttaucht. 
Entfliehend vor dem werdenden Tag, 

Lichtet der Nebel ſich nach und nach; 

Er zieht durch des Domhofs Säulen hindurch 
Und kräuſelt ſich in leichten Wellen 

Hier um die Erker der Kapellen, 

Dort um die Zinnen der alten Burg, 


D 


Indeß der Brunnen ſchlanke Spitzen 
Im erſten Sonnenſtrahle blitzen 
Und durch der Ahornwipfel Grün 
Die goldnen Friedhofkreuze glühn. 


Da, horch! — noch nie vernahm ſies zuvor — 
Schallt dem Mädchen ein Hämmern ans Ohr, 
Und ſie gewahrt, daß über den Streben 
Und Pfeilern des Dachs ſich Leitern erheben. 
„Was ſoll das?“ So denkt und nach unten blickt ſie 
Und ſpäht und ſpäht — doch plötzlich erſchrickt ſie, 
Denn auf den Sproſſen der einen Leiter 
Gewahrt ſie einen Jüngling, der heiter 
Den Meißel führt und den Hammer ſchwingt. 
Nicht ſcheint er der Tiefe, die unten droht, 

Zu achten, daß er ſo luſtig ſingt; 
Unter den Locken des flatternden Haars 
Glühn von der Arbeit die Wangen ihm roth. 


Der junge Steinmetz Walther wars; 
Ihn hat man erleſen vor Allen der Gilde, 
Um mit zierlichem Heiligenbilde 
Jeden der höchſten Pfeiler zu ſchmücken, 
Daß es, kaum ſichtbar den Menſchenblicken, 
Hoch, wie auf einſamem Felſen die Blume, 
Droben prange zu Gottes Ruhme. 

Früh ſchon, ehe der Tag erglommen, 

Hat der Jüngling die Leiter erklommen, 

Ueber dem Abgrund hängt er kühn 

Und läßt aus dem Stein die hüpfenden Funken 
Unter dem Schlage des Hammers ſprühn. 


In Schauen indeß iſt Roſa verſunken; 
Bei jeder Regung bebt ſie und hält 
Den Athem ein: „Gott, wenn er nun fällt!“ — 


— a — 


Auf einmal, da ſie ſo hinſchaut, trifft 

Des Jünglings Blick ſie, der aufwärts ſieht 
Und erſtaunt aus der Rechten den Eiſenſtift 
Verliert, als er das Mädchen, ſo zart 

Und lieblich, am Söller des Thurms gewahrt. 
Erröthend ſenkt ſie das Augenlid, 

Doch wieder dann muß ſie nach unten ſchauen, 
Und halb in Freude, halb in Grauen 

Starrt ſie hinab zu dem Verwegnen, 

Deſſen Augen, die himmelblauen, 

Mit den ihren ſich ſanft begegnen. 

Da hört ſie ein Rufen: „Roſa! Kind!“ 

Und fliegt zurück vom Gitter geſchwind. 

Den Frühtrunk muß ſie jeden Tag 

Dem Vater bringen, bevor zum Geläute 

Ihn ruft der fünfte Stundenſchlag. 

Noch nie vergaß ſie es, außer heute. 


2. 


Ins Thurmgemach tritt Roſa bang, 
Und zürnend ruft ihr der Thürmer entgegen: 
„Ei, Kind! wo bliebſt du diesmal ſo lang? 
Du weißt doch, verſchieben nicht kann ich den Gang; 
Nun ſchnell, auf den Herd die Scheite zu legen! 
Bald kehr' ich zurück vom Läuten der Glocken.“ 
Er drückt das Barett auf die greiſen Locken 
Und ſchreitet zur Thür hinaus. Erſchrocken 
Rafft das Mädchen ſich dann zuſammen, 
Tritt an den Herd und ſchürt die Flammen, 
Doch noch immer ſchweift ihr der Sinn 
Zu dem Kletterer von vorhin. 
Die Glocken beginnen im Chore zu ſchallen; 


— 128 —' 


Sie nimmt, wie ſie pflegt, den Roſenkranz, 
Aber in andre Gedanken ganz 

Iſt ſie verloren; langſam fallen 

Ihr aus der Hand die Betkorallen, 

Und ihre Lippen, die zitternden, lallen: 
„Vater unſer, Herr der Güte, 

Wenn immer ich gläubig war und fromm, 
So hab Erbarmen! den Jüngling behüte, 
Der hoch in den Lüften ſo tolldreiſt klomm!“ 
Dann fährt ſie auf: „Ich muß doch ſchnell 
Nachſehen, was der verwegne Geſell 

Nur treibt, und ob er nicht Schaden nahm!“ 


Juſt wollte ſie auf den Söller ſpringen, 
Als ihr Vater vom Läuten wiederkam. 
Sie fliegt zurück, ihm den Becher zu bringen, 
Er aber ſpricht und ſchlürft den Trank: 
„Kind, ſetze dich vor mich auf die Bank 
Und lerne die Hora, die Matutinen; 
Was ſoll die Zerſtreuung in deinen Mienen?“ 
Roſa thut nach ſeinem Befehle. 
Daß ſie für heute hinweg ſich ſtehle, 
Hofft ſie umſonſt; doch ihre Seele 
Iſt nicht mit dem Blick ins Buch verſenkt; 
Wenn ſie auch einmal des Lernens gedenkt, 
Reißen die nächſten Gedanken ſie immer 
Nach außen hin zu dem kühnen Klimmer. 


3. 


Am andern Morgen, da Alles noch ſchlief, 
Schlich Roſa auf den Söller hinaus. 
Noch ruhten Dunkel und Schweigen tief 


— 129 — 


Auf Erden; die Spitze des rieſigen Baus 

Und die Lerchen allein, die wie ſie ſo hoch 

Ins Blau des ſich lichtenden Himmels ſtiegen, 

Verkündeten ſchon des Tages Siegen. 

Achtſam ſpäht Roſa nach unten; bald zeigt 

Sich ihr der Jüngling, der aufwärts ſteigt. 

Ihr zittert das Herz bei jedem Schritt, 

Wie er von Sproſſe zu Sproſſe tritt — 

Plötzlich an einem fliegenden Seil 

Schwingt er, geſchwinde wie ein Pfeil, 

Zur nächſten Leiter ſich hinüber. 

Lautauf ſchreit Roſa, durch jede Fiber 

Zuckt ihr der Schrecken; doch ſieh! ſchon leicht 

Hat Walther die andere Leiter erreicht. 

Er faßt ſie, ſtemmt den Fuß auf die Stufe, 

Blickt empor zu dem Schreckensrufe 

Und gewahrt des Mädchens Köpfchen, das holde, 

Umfloſſen vom ſchimmernden Morgengolde, 

Zierliche Ringe in den Läppchen, 

In den Haaren das rothe Käppchen. 

Lang ſchaut er hinauf, als wollten die Augen 

Das liebliche Bild tief in ſich ſaugen — 

So blickt der Jäger am Bergesrand 

Empor zu der hangenden Alpenroſe, 

Die über ihm von der Felſenwand 

Hinunter ſich beugt ins Bodenloſe. 

Auch Roſa vermag, wie feſtgebannt, 

Das Auge nicht wegzuwenden; wohl ſucht 

Ihr Blick nach rechts und nach links die Flucht, 

Doch immer und immer gleitet er wieder 

Zurück auf des Jünglings zierliche Glieder, 

Auf das ſchöne Geſicht und das Auge, ſo klar, 

Das, Lächeln-umſchwebt, mit der Gefahr, 

Als wäre ſie ſeine Gefährtin, ſpielt. 

Hat ſie, die Bewohnerin einſamer Höhn, 
Schack, Geſ. Werke. III. 9 


— 130 — 


Doch nie einen jungen Geſellen geſehn; 
Was iſt der Erſte auch gleich jo ſchön? — 


Plötzlich macht Jener von unten ein Zeichen, 
Er preßt die Rechte auf ſeine Bruſt 
Und hebt ſie, als wollt' er nach oben ſie reichen — 
Das Mädchen gewahrt es, und unbewußt 
Streckt auch ſie die Hand ihm entgegen; 
Aber weit noch zwiſchen den Beiden, 
Um ſie für immer und immer zu ſcheiden, 
Iſt der klaffende Abgrund gelegen, 
Und von der eignen Bewegung erſchreckt, 
Fährt Roſa zurück; ſie raunt für ſich hin: 
„Gott, wenn es der Vater nun entdeckt, 
Warum ich ſo lang hier geblieben bin!“ 
Noch einmal beugt ſie hinab das Haupt 
Und ſieht den Jüngling die Lippen bewegen. 
Die Rede, die ſie zu hören glaubt, 
Treibt ihr Herz zu ſtärkeren Schlägen; 
Doch nicht das Ohr, die Seele nur hört 
Die Eide der Liebe, die Jener ſchwört, 
Denn im Winde verweht, in der Tiefe verklingt 
Die Stimme, bevor ſie nach oben dringt. 


4. 


Von nun an wankte des Thürmers Kind 
Im Strome der wachſenden Leidenſchaft, 
Wie die Staude des Bachs, der ſchwellend rinnt, 
Bald niederſinkt, bald empor ſich rafft. 
All ihr Empfinden und Denken und Meinen 
Schwand in den Gedanken an den Einen. 
Wohl ſuchte ſie, allein vermochte 


— 1341 — 


Sein Bild nicht aus dem Herzen zu reißen. 
„Wer kann er ſein? wie mag er heißen? 
Wann werd' ich ihn wiederſehn?“ So pochte 
Es drinnen ſtets: „Ach, wenn ers nur wüßte, 
Daß ſie zur Nonne beſtimmt mich haben! 
Sonſt, wenn er plötzlich erfahren müßte, 

Ich ſei im finſteren Kloſter begraben, 
Erſchrecken würd' es den armen Knaben! 

O Gott! und ich, in den öden Mauern 

Soll ich das Leben einſam vertrauern! 

Nie darf an ſeine Bruſt ich ſinken, 

Nie den Hauch ſeines Mundes trinken, 

Und ſeine Stirne, weiß wie der Schnee, 
Wenn er, vom Winterſturme geſiebt, 

Ueber die Dächer niederſtiebt, 

Soll ich nie an die meine preſſen! 

Das Herz wird mir brechen in einſamem Weh, 
Bevor ich ihm nur zur Seite geſeſſen 

Und von ihm vernommen, daß er mich liebt!“ 


Drauf wieder denkt ſie: „Ich muß ihn vergeſſen — 
Vergeſſen? aber wie kann ich es je?“ 
Sie ſank vor der Jungfrau hin in Gebeten, 
Gemahnte ſich an den Eid und ſchwur, 
Nie mehr hinaus aufs Dach zu treten; 
Doch, wenn fies geſchworen, empor dann fuhr 
Sie wieder und dachte: „Noch einmal nur 
Will ich ihn ſehen, den Trauten, Süßen, 
Ihn noch einmal zum Abſchied grüßen!“ 


Sie trieb, verloren in ſolches Sinnen, 
Ihr früheres Treiben, doch wußt' es kaum, 
Und ließ das Außen wie einen Traum 
Achtlos an ſich vorüberrinnen. 

Den Vater, der ſeit Kurzem krankte, 


— 132 


Pflegte ſie, legte bereit ihm das Kiſſen, 
Ohne was ihm fehlte, zu wiſſen, 

Ohne zu hören, wenn er zankte. 

Für ihre Amme, die Barbara, 

Die, wie gewohnt, mit ihr plaudern wollte, 
Hatte ſie nichts als Nein und Ja, 

Bis endlich die Alte mit ihr ſchmollte: 
„Du biſt nicht mehr dieſelbe, Liebchen! 

Die roſigen Wangen, auf denen bisher 
Immer das Lächeln gewohnt im Grübchen, 
Haben die alte Farbe nicht mehr; 

Nicht mehr fleißig biſt du beim Rocken; 
Geſtern — leugne, wenn du es kannſt! — 
Hab' ich geſehen, wie du ſpannſt, 

Aber das Rad begann zu ſtocken; 

Brütend ſaßeſt du da, von der Spindel 
Glitt herab kein einziger Faden. 

Mir, mein Kind, die ſchon ſeit der Windel 
Ich treu dich gehütet vor jeglichem Schaden, 
Sage, wie haſt du mir verhehlt, 

Was dich im Herzen heimlich quält?“ 
Roſa ſchüttelte traurig ſtumm 

Das Haupt bei der Alten Wie und Warum, 
Und Barbara murmelte, als ſie ging: 

„Ei, ſperre dich nur, du thöricht Ding, 
Doch werd' ich dein Geheimniß entdecken.“ 


Heimlich kam ſie am nächſten Tag, 
Sich in dem Stübchen zu verſtecken, 
Das am Gemache des Thürmers lag; 
Hinter Gardinen aus einem Verſchlag 
Spähte ſie vor mit ſchlauem Kniff 
Und ſah, wie Roſa mit ſchwankem Tritt 
Dem Söller zu ans Pförtlein ſchritt, 
Wie ſie die Klinke haſtig ergriff 


Und durch die Thür ins Freie trat. 

„Nun traue Jemand der liſtigen Jugend! 
Was ſie nur draußen zu ſchaffen hat?“ 

Denkt die Alte, durchs Fenſter lugend, 
„Schau! etwas hat ſie am Boden gefunden! 
Sie bückt ſich — beſchaut es mit Neubegier, 
Ein Hammer iſt es und, dran gebunden, 

— Trau' ich den Augen? — ein Blatt Papier; 
Sie trennt es los — ei! ſieh doch nur! 

Bald komm' ich dem Weiteren auf die Spur!“ 
Sacht, von dem Mädchen ungeſehen, 

Schlich Barbara wieder fort auf den Zehen. 


Das Blättchen, das ſie draußen fand, 
Hält Roſa zagend lang in der Hand, 
Als ſcheute ſie ſich vor dem ſüßen Gift; 
Dann liest ſies, und jede Zeile der Schrift, 
Die hoch ihr das Blut in die Wangen treibt, 
Sagt ihr, daß Einer allein ſo ſchreibt. 
Sie liest, wie Walther ihr bekennt, 
Daß er in Liebe für ſie brennt, 
Und wie er mit Bitten in ſie dringt, 
Daß durch ein Briefchen, leichtbeſchwingt, 
Sie Stund' und Ort ihm nennen möge, 
Wo er mit ihr der Rede pflöge. 


Als Roſa geleſen und wieder geleſen, 
Durchſchleicht ein Zittern ihr ganzes Weſen; 
Den ſie beſtürmenden Gedanken 
Iſt ſie, wie Halme dem Wind, ein Spiel. 
Doch ſo auf einmal alle Schranken 
Soll ſie durchbrechen? — Nein! zu viel! — 
Das Feſt der heil'gen Clara wars 
Und ihrer Mutter Sterbetag; 

Sie mahnte ſich des vergangenen Jahrs, 


Sea: 


Als dort in der Niſche die Sterbende lag, 
Der ſie das theure Gelübde geſchworen. 
„Wohin, wohin mich hab' ich verloren? 
O, blicke du, die mich geboren, 

Von dort, wo die Heiligen, Reinen ſind, 
Nicht erzürnt auf dein ſündiges Kind; 
Hilf mir, den Roſt der irdiſchen Luſt 
Auszutilgen in meiner Bruſt, 

Daß ich es werth ſei, himmelwärts 

Zu ziehen im Schmuck der Gottesbräute!“ 


Vom Thurme ſchallte das Feſtgeläute, 
Und wie Tropfen von flüſſigem Erz 
Fielen ihr brennend die Klänge aufs Herz; 
Flehend, daß ihr der Heiland nicht zürne, 
Barg ſie im Staube des Bodens die Stirne, 
Sie that mit bebendem Mund aufs Neue 
Dem Himmel Gelübde der ewigen Treue 
Und daß ſie den Jüngling für immer miede; 
Den Brief zerriß ſie in Scham und Reue, 
Und wieder in ihre Seele kam Friede. 


5. 


Inzwiſchen, von Roſas Kummer gerührt, 
Hatte Barbara emſig geſpürt. 
Sie keucht von Neuem empor die Stiegen, 
Setzt an Roſas Seite ſich ſchmeichelnd 
Und flüſtert, leiſe die Wangen ihr ſtreichelnd: 
„Mein Schätzchen kennt mich als treu und verſchwiegen, 
Wahrlich! da iſt es doch allzu arg, 
Daß es mir ſolch ein Geheimniß barg. 
Gefaßter zwar biſt du heut, als neulich, 


— 15 — 


Aber noch immer traurig, Püppchen; 

Vertrau' mir Alles, dann helf' ich dir treulich, 
Und wir ſchlagen den Sorgen ein Schnippchen!“ 
Lächelnd ſprach ſies und ſpähte ſcharf 

Der Kleinen ins Antlitz, auf deſſen Ernſt 

Die Wehmuth leichte Schatten warf. 

Doch Roſa gab Antwort: „Sag, Barbara, lernſt 
Du heut mich erſt kennen? Wozu die Frage, 
Ob ich im Herzen Kummer trage? 

Du weißt, daß ich mich dem Heiland vermähle; 
Nach einem nur ſehnt ſich meine Seele, 

Sich ganz dem heil'gen Geliebten zu weihn.“ 
Doch die Amme fiel lachend ein: 

„Genug, genug, mein ſüßes Lamm! 

Einen anderen Bräutigam 

Will ich dir ſchaffen, ſein Aug' iſt blauer, 

Als am Mittag im ſchönen Auguſt 

Der Himmel nach dem Gewitterſchauer; 
Lichtbraun quillt herab bis zur Bruſt 

Das Haar ihm unter dem rothen Barette; 

Dir gefallen wird er, ich wette — 

Schon als Geſelle beſchämt er die Meiſter; 
Walther, der Steinmetz, Liebchen, heißt er.“ 


In Roſas Angeſichte lohte 
Die Scham empor mit dunklem Rothe; 
Sie barg es in der Amme Schooß. 
Lang lag ſie ſo beſinnungslos, 
Die Glieder zuckend vom Seelenkampf. 
Dann ſprang ſie auf, ergriff wie im Krampf 
Die Hand der Alten und ſprach: „O Gute, 
Sage dem Jüngling, wenn du mich liebſt, 
Dem du den Namen Walther giebſt, 
Daß ich dem Himmel geweiht mein Leben; 
Schwören laß ihn aufs Crucifix, 


—.136 7 


Nie auch nur verſtohlenen Blicks 

Den Blick zu Chriſti Braut zu erheben.“ 

Sie ſprichts und hört aus dem Stübchen daneben 
Den Vater rufen: „Roſa! Kind!“ 

Los reißt ſie ſich von der Alten geſchwind: 
„Geh, Mutter, und was ich geſagt, beſtelle!“ 


Sinnend ſtand Barbara an der Schwelle: 
„Das arme Aeffchen dauert mich doch! 
Ehmals ſtopft' ich dem lieben Kindchen, 
Wenn es weinte, mit Honig das Mündchen, 
Aber jetzt helfen nicht goldene Nüſſe, 

Jetzt kein Marzipan und kein Zucker. 
Lippen hat ſie, gemacht für Küſſe, 

Und kein Jüngling der Stadt iſt ſchmucker 
Als Herr Walther — daß ich die Zwei 
Zuſammenführe, was iſt denn dabei? 
Wenn ſie jetzt hinter Dreheſcheibe 

Und Sprachgitter die Arme ſperrten, 
Würde Verzweiflung ihr Herz verhärten, 
Ja, ſie ſtürbe wohl — ei, bei Leibe! 
Sehn muß ich, wie ich das hintertreibe.“ 


6. 


Raſtend beim Sengen des Mittagsſtrahls 
Saß Walther auf der marmornen Bank 
Unter dem Bogen des Kirchenportals. 
Träumend empor zum Blättergerank 
Sah er, wo aus marmornen Lauben 
Heiligenköpfchen, flatternde Tauben, 
Englein mit gebreiteten Schwingen 
Ueber das Haupt ihm niederhingen. 


— 137 — 


Aber nicht feſſelten all die Bilder 

Ihm die Gedanken — lieblicher, milder 
Als die geflügelten Seraphim 

Schwebte das Mädchengeſicht vor ihm, 
Das, wie durch roſiger Wölkchen Saum 
Der Morgenſtern im Exlöſchen blinkt, 
Flüchtig ihm aus luftigem Raum, 

Schnell verſchwindend, heruntergewinkt. 
Seit er den Blick auf die Schöne geheftet, 
Iſt ihm zur Arbeit die Hand entkräftet. 
Stets hofft er, daß ſie den Brief erwidert, 
Den er ihr ſandte, leichtbefiedert, 

Aber von früh bis zur ſinkenden Sonne 
Späht er umſonſt. So traurig ſitzend, 
Ruft er, das Haupt auf die Rechte ſtützend: 
„O Mädchen, ſchön wie die Madonne, 
Die aus duftender Weihrauchwolke 
Herabſchaut zu dem knieenden Volke! 

Hat ſich des Himmels Schooß nicht erſchloſſen 
Und dich, wie ſie, entrückt in ſein Blau, 
Oder biſt du in Morgenthau 

Nicht, wie ein Nebel der Frühe, zerfloſſen, 
O, ſo zeig' dich noch einmal wieder, 
Grüße noch einmal zu mir hernieder! 
Glaube, mein Lieben iſt rein und keuſch!“ 


Wie er es rief, vernahm er Geräuſch 
An ſeiner Seite und ſpürte den Druck 
Von einer Hand auf dem Schulterblatt. 
„Ei, mein Geſelle, ſo ſtattlich und ſchmuck, 
Was ſitzt Ihr finſter und lebensſatt, 

Und Euer harrt ein ſeltnes Glück!“ 
So hört er es flüſtern und ſieht erſtaunt 
Ein Weib, das die Worte ihm zugeraunt. 
Er ſchiebt die knöcherne Hand zurück 


555 


Und denkt: „Wie ſchaut ihr Auge ſo gläſern, 
Wie welk der Hexe die Glieder ſchlottern!“ 
Zu dem Weibe dann ſpricht er mit Stottern: 
„Ich habe nichts mit Ohrenbläſern 

Zu ſchaffen und nichts mit Kupplerinnen; 
Alte, trolle dich ſchnell von hinnen!“ 

Aber lachend fuhr Barbara fort: 

„Ihr Grobian, ſo mich anzubrummen! 

Ich weiß für Euch ein ſüßes Wort, 

Das macht Eur Schelten alsbald verſtummen; 
Roſa, des Thürmers einzig Kind, 

Schickt mich zu ihrem Herzensdiebe; 

Ihr zittert die Seele im Hauche der Liebe, 
Wie das Roſenknöspchen im Wind, 

Und wenn auch Ihr das Mägdlein minnt — 
Bei den heil'gen Apoſteln, den zwölfen, 
Schwör' ichs — ſo will ich zu ihr Euch verhelfen!“ 


Was der Erde nach langem Froſt 
Ein Lenzhauch, war dies Wort für Walther; 
An der Bringerin ſolcher Freudenpoſt 
Vergaß er auf einmal Runzeln und Alter 
Und rief: „O Weib, wenn ein Engel käme, 
Um mir die Seligkeit zu verkünden, 
Nicht ſolche Freude würd' ich empfinden, 
Wie über was von dir ich vernehme. 
Schnell, führe mich hin zu dem Täubchen, Beſte! 
Daß ich koſe mit ihr im Neſte, 
Wie mit dem Turtelweibchen der Tauber!“ 


Drauf Jene: „Zu dem Thurme die Gänge 
Bewachen die Kirchenwärter mit Strenge; 
Man kommt nicht anders hinauf als durch Zauber.“ 
„O“ — ruft Walther — „ift es nichts weiter? 
Seile weiß ich geſchickt zu knüpfen, 


— 139 — 


Hoch in Lüften Leiter auf Leiter 

Zu thürmen, um in ihr Stübchen zu ſchlüpfen! 
Heut noch, ſobald der Abend düſtert —“ 
„Unmöglich das, mein Junge!“ flüſtert 

Die Alte und legt auf den Mund den Finger — 
„Roſa wohnt droben gleich wie im Zwinger, 
Tags wie Nachts vom Vater behütet; 

Doch, über ein Mittel ſchon hab' ich gebrütet, 
Verlaß dich auf mich!“ — „Wenn dem ſo iſt“ — 
Sprach der Jüngling — „ſo kürze die Friſt 

Und bring ihr inzwiſchen dies von mir! 

Walther bittet dich — mußt du ſagen — 

Sein Bild an deiner Bruſt zu tragen, 

Bis er ſelbſt an ihr ruhen kann.“ 

Einen ſilbergefüllten Säckel 

Und ein zierliches Käſtchen dann 

Reicht er der Alten, ſie öffnet den Deckel 

Und ſchaut ein Bild, in Gold gerahmt. 

„Seht!“ rief das Weib — „wie Ihr leibt und lebt, 
Als wärt Ihr ſelbſt auf das Holz geklebt, 

Hat Euch der Pinſel nachgeahmt! 

Das Bildchen verſteck' ich in meine Schürze, 

Und nun, o Zierde der Steinmetzzunft, 

Lebt wohl! Ihr ſeht mich wieder in Kürze; 

So lang empfehl' ich Geduld und Vernunft!“ 


908 


Indeſſen Walther die Vertagung 
Des Glückes beſeufzt, das er nah gewähnt, 
Faßt Roſa ſich mehr und mehr in Entſagung. 
Bisweilen wohl, daß ihr das Auge thränt, 
Doch ſchnell dann reißt ſie ſich los zu den Pflichten 


— 140 — 


Des Tages, ſei es, den Vater zu pflegen, 
Seis, fromme Uebungen zu verrichten, 

Und ſelten nur ſagt mit leiſen Schlägen 

Ihr Herz, daß es noch nach Andrem ſich ſehnt. 


Einſt ſitzt ſie am Herd und ſchürt die Flamme, 
Da keucht die Treppen empor die Amme, 
Setzt ſich zu ihr und beginnt ein Geplauder: 
„Geſteh! du denkſt an das Kloſter mit Schauder; 
Aber faſſe nur Muth, mein Englein, 
Dieſe friſchen, roſigen Wänglein, 
Dieſe ſchwellende Bruſt, wie paßten 
Die für den dumpfen, gräulichen Kaſten? 
Dir der zarte Nacken gegeißelt, — 
Hu! mir graut! — Nun höre, Röſe, 
Das Mittel, durch das ich dich bald erlöſe! 
Der Jüngling, der außen am Thurme meißelt, 
Geſtand mir heut unten auf dem Platz, 
Sein Herzblatt ſeiſt du, ſein einziger Schatz; 
Was du an Schönheit unter den Mädeln, 
Iſt unter den Männern er; drum, Täubchen, 
Laß mich ſorgen, es einzufädeln, 
Daß er dich heimführt als ſein Weibchen!“ 


Bei dieſen Worten Barbaras 
War Roſa vom Stuhl, auf dem ſie ſaß, 
Aufs Knie geſunken; ſo lag ſie lange, 
In die Hände gepreßt die glühende Wange; 
Drauf ſprang ſie vom Boden empor und maß, 
Hochrothen Geſichts, dann wieder bleich, 
Die Amme mit zornentflammten Blicken, 
„Botin der Hölle“ — rief ſie — „entweich! 
Suche mich nicht in dein Netz zu verſtricken! 
Ich weiß es, in jede ſeiner Maſchen 
Iſt eine tödtliche Sünde geſchürzt, 


ag 1 


Die mich ins ew'ge Verderben ſtürzt! 

Soll ich, um flüchtiges Glück zu erhaſchen, 
Mir die Seele mit Frevel beladen? 

Nein, ſo möge mich Gott begnaden, 

Wie ich für dich und deine Künſte 

Taub bin. Weiche von hinnen, Verruchte!“ 


Aber die ſchlaue Barbara ſuchte 
Sie zu beſänft'gen. Lächelnd grinste 
Sie ins Geſicht ihr: „Hirngeſpinnſte 
Sind das, mein Kindchen! nichts als Grillen; 
Nach Anderer, nicht dem eignen Willen, 
Haſt du geſchworen, du wußteſt nicht, was; 
Und was man lallend, noch nicht mündig, 
Gelobt hat, ſag mir, bindet das? 
Doch hältſt du das Brechen des Schwurs für ſündig, 
Gut, werde Nonne nach deinem Schwur! 
Bis dahin, daß dus geworden, nur 
Hab Mitleid mit Walther! Warum ihn ſo kränken? 
Hier bring' ich ſein Bild, er will es dir ſchenken. 
Laß, ihn zu tröſten in ſeinem Leide, 
Ihm ſagen, auch im Nonnenkleide 
Würdeſt du ſeiner freundlich gedenken!“ — 


„Fort mit dem Geſchenk!“ ruft Roſa aufs Neue 
Und wendet, als ob ſie den Anblick ſcheue, 
Die Augen vom Bilde hinweg. Doch der Ton, 
Mit dem ſie es ſpricht, iſt milder ſchon, 
Und Barbara murmelt: „Kind, nur Ruhe! 
Du wirſt dich des Beſſeren ſchon beſinnen!“ 
Sie legte das Bildchen in eine Truhe 
Des Stübchens zwiſchen weiches Linnen. 
„Nun Gott und ſeine Heil'gen mit dir, 
Mein Schätzchen!“ ſprach ſie und ging durch die Thür. 


„ 142 1 


Wieder feit dieſer Zeit im Geheimen 
Begann in Roſas Gemüth ein Keimen; 
Walthers Botſchaft, Barbaras Reden 
Klingen ihr immer noch im Sinne; 

Erſt wohl ſucht ſie, daß ſie den Fäden, 

Die ſie umgarnen wollen, entrinne, 

Aber das Ringen mehrt nur das Schwanken, 
Immer tauchen, wenn kurz erſtickt, 

In ihr empor dieſelben Gedanken. 

Nachts, als ſchlummerlos auf den Pfühl 

Sie die fiebernde Wange drückt, 

Liegt die Erinnrung an Walther ſchwül 

Ihr über der Seele. Wie knospende Blüthen, 
Wenn über ihnen bei Lenzgewittern 

Heiße Lüfte der Mainacht brüten, 

Fühlt ſie ein Schauern, das mit Zittern 

All ihr Weſen durchzieht und in Tropfen 
Auf ſie herniederrinnt; ein Klopfen 

Von Pulſen, die an die ihren ſchlügen, 

Und den Druck von Lippen glaubt ſie zu ſpüren, 
Welche die ihren ſanft berühren, 

Und das Wehen von tiefen Athemzügen, 

Die kommen und gehn. Ihr iſt, als würde 
Zweifel und Gram und jede Bürde 

Hinweg vom Herzen ihr gewälzt, 

Und der wallende Odem über ihr ſchmelzt 
Alle verborgenen Keime und Triebe 

Ihres Herzens in einen zuſammen, 

Bis am Morgen die Blume der Liebe, 

Voll entfaltet, den Sonnenflammen 

Ihren duftenden Kelch erſchließt. 


— 143 — 


Sie kann das Licht des Tages mit Mühe 
Erwarten. Als der Strahl der Frühe 
Empor zu ihrem Fenſter ſchießt, 

Springt ſie vom Lager, um aus dem Verſteck 
Das Geſchenk des Liebſten zu holen. 

Sie nimmt das Bild aus der Lade verſtohlen, 
Und Walthers Geſicht, ſo mild, doch keck, 
Ganz wie es ſich ihr in die Seele geprägt, 
Leuchtet ſie an von dem goldenen Grund. 
Lange beſchaut ſies; was verſchlägt 

Die Erde mit Allem, was ſie trägt, 

Ihr neben dieſem kleinen Rund? 

Und wie ſie hinblickt — täuſcht das Licht, 
Das dämmernde, des Morgens ſie nicht? — 
Will ihr ſcheinen, als ob der Mund 

Des Liebſten ſich zum Lächeln bewege; 

Die blaue Ader, die durch die Schläfe 
Sanftrieſelnd ſchleicht, thut leiſe Schläge, 
Wie lebenerfüllt. Ihr iſt, als träfe 

Aus der Augen himmliſchem Blau 

Von Walthers Seele ſie ein Strahl; 

Sie küßt das Antlitz tauſend Mal 

Und netzt es mit Freudenthränenthau. 

Hinter ihr liegen Sorge und Zagen; 

Als wäre ſie himmelwärts getragen, 

So frei bedünkt ſie ſich, ſo leicht; 

Und, ſeltſam, kein Gedanke beſchleicht 

Sie mehr an das Kloſter; verſunken, geſchwunden 
Iſt Alles für ſie, was Walther nicht iſt. 


Da ſo ſie ſteht und die Flucht der Stunden, 
Der ſchnell enteilenden, nicht mißt, 
Tritt neben ihr aus des Alten Gemach 
Der Kirchenpförtner, deſſen Kommen, 
In Schauen vertieft, ſie nicht wahrgenommen. 


re 


Sie blickt, wie er geht, ihm betroffen nach, 
Verſteckt an die Bruſt das Bild des Lieben 
Und ſieht durch die Thür, die offen geblieben, 
Den Vater im Lehnſtuhl ſitzen, ſchon wach. 
Er winkt ihr, und ſie fliegt zu ihm hin. 


„Kind, leihe mir achtſam Ohr und Sinn!“ — 
Sprach Jener, als ſie vor ihn trat — 
„Nicht darf ich zögern, der Pflicht zu genügen, 
Die mir mit den letzten Athemzügen 
Mein Weib als Vermächtniß gelaſſen hat; 
Drum rüſte dich, der Welt zu entſagen! 
Im Feſtzug werden ſchon nach drei Tagen 
Die Schweſtern durch kranzgeſchmückte Thüren 
Als Chriſti Braut zum Altare dich führen.“ 


Wie Einem, der beim Freudenmahl 
Unverſehens ein Gift verſchluckt, 
So plötzlich aus dem Herzen zuckt 
Ein Krampf ihr empor; bleich wird und fahl 
Die blühende Wange, und ſtarrend kriecht 
Ein Froſt, vor dem das Leben ſiecht, 
Ihr durch die Adern in jedes Glied. 
Der Thürmer, als er ſo blaß ſie ſieht, 
Fragt: „Kind, was haſt du?“ Und ſie, ſich ſammelnd 
So gut ſies kann, erwidert ſtammelnd: 
„Ein Fieber — ich will aufs Bett mich legen — 
Bald kommt die Amme, die ſoll mich pflegen.“ 


Verwirrten Sinns, ſich kaum haltend, wankt 
Roſa hinaus in ihr Kämmerlein; 
Eben auch tritt die Amme herein 
Und ruft: „Ihr Heiligen! biſt du erkrankt, 
Mein Herzblatt? Sage!“ Doch Roſa winkt, 
Sie ſolle ſchweigen; krampfhaft faßt ſie 


— 145 — 


Die Hand der Alten und zieht in Haſt ſie 
Aus Lager, indem ſie niederſinkt. 

Die Stirne von kaltem Thau beträuft, 
Stumm liegt ſie dort, ihr Auge ſchweift 
Verwirrt umher; empor ſich ringend, 

Die Amme mit beiden Armen umſchlingend, 
Flüſtert ſie dann ihr gebrochne Laute 

Ins Ohr: „O Barbara! Gute, Traute! 
Hilf, hilf mir! Rette mich vor dem Verderben! 
Verzweifelnd, läſternd Gott den Herren, 
Muß ich an Leib und Seele ſterben, 

Wenn ſie mich in das Kloſter ſperren! 

Drei Tage noch, und es ſchließt die Pforte 
Sich hinter mir zu!“ — Nach dieſem Worte 
Liegt ſie ſchluchzend an Barbaras Hals. 

Die Alte, die zuerſt geſtaunt, 

Doch Alles nun durchſchaut hat, raunt: 

„Ei, Röschen, eines ſchlimmeren Falls 

War ich gewärtig, aber für dieſen 

Hat ſich ſchon längſt ein Mittel gewieſen. 
Du, mein Kind, in dem Kleide von Haartuch! 
Ei, da hüllt' ich dich eher ins Bahrtuch! 
Nein, ruhig, mein Schatz, und ſag mir getreulich: 
Nicht wahr, der junge Burſche von neulich 
Hat dir das Herz ſo umgewandelt?“ 

Roſa nickt mit dem Haupt ein Ja, 

Und, ſie ermunternd, ruft Barbara: 
„Wohlan! ſo werde denn friſch gehandelt! 
Aber, Röſe, geh klug zu Werke, 

Daß dein Vater bei Leibe nichts merke! 

Erſt bleib noch liegen, dann heitern Geſichts 
Tritt wieder vor ihn, als fehlte dir nichts! 
Alles Andre laß mich machen; 

Morgen ſiehſt du mich beim Erwachen!“ 


Schack, Geſ. Werke. III. 10 


Wieder, jo wie ein welkes Reis, 
Wenn mild mit ihm der Oſtwind kost, 
Ward Roſa durch der Amme Troſt 
Emporgerichtet. Nach ihrem Geheiß 
Bald kehrte ſie zum Vater wieder 
Und ſprach: „Umſonſt iſt dein Schreck geweſen, 
Väterchen! Sieh, ſchon bin ich geneſen!“ 
Sie ſetzte ſich ihm zur Seite nieder, 
Wich, daß nichts ihm verdächtig erſchiene, 
Bis Abends nicht von des Alten Stuhle 
Und barg — ſo ward ihr die Liebe zur Schule 
Für Liſt und Verſtellung — in lächelnde Miene 
Die Sorge des Herzens. Doch im Geheimen 
Dachte ſie ſtets mit bewegtem Gemüthe, 
Welche Pläne wohl Barbara brüte. 
Die Nacht durch liegt ſie in wachen Träumen, 
Erwartung bebt ihr durch jede Fiber 
Und quillt ihr vom Mund in gebrochenen Tönen. 
„O Walther“ — murmelt ſie — „Süßer! Lieber! 
Komm! ruh mir im Arme!“ Doch ängſtliches Stöhnen 
Folgt auf das Geflüſter: „Weh! weh! verloren! 
Der Eid, der Eid, den ich geſchworen, 
Ergreift mich und reißt mich zurück am Haar!“ 


Ums Dämmern fuhr ſie empor und erblickte 
Die Amme, die früh ſchon gekommen war. 
„Nun, Kind, ihr werdet noch heut ein Paar!“ — 
Rief Barbara, die ihr die Rechte drückte — 
„Höre den Plan, den ich erſonnen! 
Wird er in Allem befolgt — bei St. Jürgen! 
Für den Ausgang dann will ich bürgen! 
Den Pater Barthold hab' ich gewonnen, 
Euch durch den Segen der Kirche zu traun; 


— 147 — 


Doch wie iſt dein Vater, der grämliche Herr, 
Zur Ruhe zu bringen? Laß uns ſchaun! 
Ich denke, daß wir ein Tränkchen brau'n, 
Ihn einzuſchläfern — während er 

Dann ſchlummert, gilt es vor allen Dingen, 
Walther die Treppe heraufzubringen; 

Seid ihr beiſammen, ſo hol' ich den Pater, 
Und, Kinder, ihr ſeid im ſicheren Hafen, 
Denn was bleibt übrig deinem Vater? 
Vielleicht, nachdem er ausgeſchlafen, 

Wird er ſchelten, es ſei doch ſchändlich, 

Ihn ſo zu betrügen; aber endlich, 

Glaube mir, ſegnet er euren Bund!“ 


Angſtvoll ſog Roſa von Barbaras Mund 
Jedes der Worte; zur Erde ſank 
Ihr dann der Blick, und von Herzensgrund 
Aufſeufzend, ſprach ſie: „Der Vater iſt krank — 
Nein, Amme, ſinne auf andere Pläne! 
Leicht brächt' ihm Schaden ſolch ein Trank!“ 
„Ei, Gänschen, ein Heiltrunk iſts“ — gab Jene 
Zur Antwort — „ein Lebenselixir; 
Man ſchnarcht danach, und wie durch ein Wunder 
Erhebt man ſich vom Schlafe geſunder, 
Als man geweſen. Eins glaube mir! 
Eh wir den Alten zur Ruhe gebracht, 
Der dich auf Schritt und Tritt bewacht, 
Iſt Alles vergebens. Drum nimm dies Döschen. 
Ein Pulver iſt drin; das miſche, Röschen, 
Heut Mittag ihm in den Wein mit Bedacht, 
Und weiter nicht darfſt du den Kopf dir zerbrechen!“ 
Noch wollte Roſa widerſprechen; 
Aber, bevor ſie nur ein Wort 
Hervorgebracht, war Barbara fort. 


— 148 — 


10. 


Der Mittag kam und herzbeklommen 
Saß Roſa am Herde. Himmel! was nun? 
Was ſoll ſie laſſen, ſoll ſie thun? 
Zu ſchnell, zu plötzlich iſt Alles gekommen! 
Wie der Schiffer, der ſturmverſchlagen 
Umhergeirrt auf toſender See, 
Erſchrocken ſtarrt, wenn plötzlich jäh 
Vor ihm die erſehnten Küſten ragen 
Und das Schiff zu zerſchellen drohn, 
So zittert ſie vor dem nahen Glück, 
Sie möchte, aber kann nicht zurück. 
„Zwölf ſchlägt die Glocke; die Zeit iſts ſchon, 
Wo ich den Trank ihm reichen muß, 
Gott! was drängt es mich ſo zum Entſchluß! 
Käme nun Walther heut Abend und fände 
Den Vater noch wach, was wäre das Ende?“ 
Sie denkt es und hört die Stimme des Alten, 
Wie zu trinken er heiſcht mit Ungeduld; 
Die Doſe öffnet ſie, krampfhaft falten 
Sich ihr die Hände. „Herr der Huld“ — 
Murmelt ſie noch — „vergieb mir die Schuld!“ 
Dann ſtreut ſie das Pulver in den Wein 
Und ſtürzt ins Stübchen des Vaters damit. 


Der Alte, da ſie vor ihn tritt, 
Blickt kaum empor; die zuckende Pein 
In ihren Zügen gewahrt er nicht; 
Den Becher, der faſt aus der Hand ihr ſinkt, 
Nimmt er, führt ihn zum Mund und trinkt. 
Sie dann, mit Starren ins Angeſicht 
Ihm ſchauend, greift mit einem Mal, 
Ihn wegzureißen, nach dem Pokal; 
Doch ſchon hat ihn der Alte geleert, 


— 149 — 


Und Roſa, wie ſie es wahrnimmt, fährt 

In ſich zuſammen: durch alle Glieder 

Geht ihr ein Zucken; mit gellendem Schrei 
Fällt ſie neben dem Lehnſtuhl nieder. 

Der Vater fragt beſorgt, was ihr ſei, 

Doch ſtumm liegt ſie, wie ſinnberaubt, 

Ein Schluchzen nur ringt ſich, halb erſtickt, 
Aus ihrer Bruſt, dazwiſchen blickt 

Sie weinend empor und ſchüttelt das Haupt. 


Indeſſen beginnt der Alte die Kraft 
Des Trunks zu ſpüren; träger ſchleicht 
Das Blut ihm, ſein Bewußtſein weicht, 
Und er ſinkt hin in des Schlummers Haft. 


11. 


Barbara trat in das Stübchen bedächtig, 
Wo ſie den ſchlummernden Thürmer traf 
Und vor ihm das knieende Mädchen. „Bravp! 
Mein Kindchen,“ — ſprach ſie — „das geht ja prächtig; 
Ein Erdſtoß weckt den nicht aus dem Schlaf, 
Und wir ſind ſicher. — Nun ſollſt du hören, 
Wie ich Alles beſorgt aufs Beſte. 
Der Pförtner hat auf den Abend Gäſte 
Und wird uns in unſrem Werke nicht ſtören; 
Erſt dacht' ich Walther in Verkleidung 
Heraufzuführen zum Hochzeitfeſte, 
Er aber ſchalt das Narrentheidung, 
Weil er ein beſſeres Mittel wüßte. 
Gieb Acht denn, was wir zuletzt beſtimmt! 
Heute, ſobald es dunkelt, klimmt 
Dein Liebſter hinauf zu dem Brettergerüſte, 


— 150 — 


Um Leitern von dort an das Thurmdach zu legen; 
Sobald du dann oben ein Zeichen giebſt, 

Steigt er empor auf luftigen Wegen, 

Und für immer iſt er dein, den du liebſt.“ 


In Roſa tauchte bei dieſem Worte 
Das Bewußtſein von Allem empor; 
Offen ſah ſie des Glückes Pforte, 
Aber ſtand noch zagend davor. 
Doch die Amme fährt fort: „Laß, Kind, das Gaffen! 
Bis Abend iſt noch viel zu beſchaffen, 
Daß wir zur Hochzeit Alles beſchicken!“ 
Einen Korb dann holt ſie herbei, 
Und Roſa ſtarrt mit ſtaunenden Blicken, 
Als fragte ſie, was darinnen ſei. 
Ihr vom Herzen ſanken allmählig, 
Wie fallender Nebel, Sorg' und Bangen, 
Und Strahl auf Strahl brach wonneſelig 
Die Hoffnung des nahen Glücks durch den Schleier, 
Der ihr trübe den Geiſt umfangen. 


Das Geräth für die Hochzeitfeier 
Beginnt die Alte hervorzukramen, 
„Kind“ — rief ſie — „in aller Heiligen Namen, 
Was ſoll dein Brüten und Träumen nutzen? 
Hilf mir das Stübchen ſtattlich putzen!“ 
Roſa läßt ſich nicht länger mahnen; 
Und bald, von der Amme geſchmückt und von ihr, 
Prangt das Stübchen in feſtlicher Zier. 
Ranken und Zweige von duftigem Grün, 
In deren Gewinden, ſanft verwoben, 
Walthers und Roſas Namen blühn, 
Umſchlingen die Wände bis nach oben, 
In der Niſche des Zimmerchens aber 


Steht mit zierlichem Kandelaber 
Kranzumwunden ein kleiner Altar. 


O, was zögerſt du, traute Nacht! 
Die Liebe ſelbſt hat dem jungen Paar 
Alles gerüſtet in Glanz und Pracht; 
Du nur fehlſt mit dem ſchützenden Schatten. 
Weihrauchduft und Kerzenſchimmer 
Laß wallen durch das prangende Zimmer, 
Und leg an Roſas Buſen den Gatten! 


12. 


Oft ſpäht das Mädchen durchs Fenſter verſtohlen, 
Ob nicht die Tagesſtrahlen erblichen; 
Um den Pater bei Zeiten zu holen, 
Iſt die Amme hinweggeſchlichen, 
Und ſie, die allein im Stübchen bleibt, 
Sieht, wie die Schatten länger werden 
Und der Wind des Abends die Wolkenheerden 
Nach dem Thore des Weſtens treibt. 
Sich zu ſchmücken begann ſie, flocht 
In die Haare den Myrtenkranz 
Und zündete mit dem glimmenden Docht 
Auf dem Altar den Kerzenglanz. 


Da ſchlug die Thurmuhr — Roſa zählte: 
Acht Schläge that der eherne Hammer — 
Die Zeit wars, wo der Herzerwählte 
Zu kommen gelobt. Sie ſchlich an der Kammer 
Leiſe vorbei, wo ihr Vater ſchlief, 
Und hörte, doch wagte nicht hinzuſchaun, 
Des Schlummernden Athemzug. Ein Graun, 


— 152 — 


Das vom Haupte zum Fuß ſie überlief, 
Trieb ſie fliegenden Schrittes vorüber. 


So tritt ſie hinaus auf den Söller des Thurms 
Unter den Abendhimmel voll trüber 
Gewölke, wie eines nahen Sturms, 
Und ſieht, indem ſie hinab ſich neigt, 
Daß, leicht an die Fähnlein des Thurms gelehnt, 
Leiter an Leiter aufwärts ſteigt. 
„Herr Gott, wie furchtbar die Tiefe gähnt! 
Und auf den Sproſſen, die drüber ſchweben, 
Will der Verwegne“ — ſie wagt den Gedanken 
Nicht auszudenken und wendet mit Beben 
Den Blick hinweg. 


Inzwiſchen ſanken 
Die Schatten des Abends auf die Stadt; 
Durch das Zwielicht ſchimmerte matt 
Von einzelnen Lichtern ſchon das Gefunkel. 
Fernhin ballten Gewitter ſich dunkel, 
Und von den Glocken der Thürme ringsum 
Tönte der Schall des Angelus; 
Nur die von St. Sebald blieb ſtumm. 


Und Roſa lauſcht nach unten. Nun muß 
Er kommen; ihr Ohr, ſo glaubt ſie, vernimmt 
Die Tritte von Einem, der aufwärts klimmt; 
Angſt durchzittert ihr tief die Seele, 

Weil wider des höchſten Gottes Befehle 
Sie ſündigt und den Eidſchwur bricht; 
Zu ſpät jedoch, es iſt zu ſpät! 

Ihr Auge gewahrt im Dämmerlicht 
Walther, wie er, des Zeichens harrend, 
Auf dem Brettergerüſte ſteht — 

Sie ſchwingt, ihm bang entgegenſtarrend, 


— 153 — 


Ein Tuch empor mit bebender Hand, 

Und ſieh! er hat das Zeichen erkannt, 

Die Leitern aufwärts klimmt er gewandt, 

Es ſcheint, als ob er in Lüften fliege — 
Schon kann Roſa die lieben Züge 

Deutlich erkennen; und wie ſie den Theuern 
Nun nah ſieht, bricht gleich Freudenfeuern 
Wieder in ihr die Liebe hervor, 

Die alle Gefühle ſonſt verſchlingt: 

„Nur kurz noch haltet, ihr Staffeln, und bringt, 
O bringt mir den Liebſten, den Gatten empor!“ 


Nun hat er die höchſte Staffel erreicht 
Und wirft ein Seil nach dem Söller, das leicht 
Ums Gelände ſich ſchlingt; dann, unerſchreckt, 
Sich ſchwingt er nach oben; ſchon blitzen kühn 
Seine Augen, die von Sehnſucht glühn, f 
In die der Geliebten — Roſa ſtreckt 
Die Arme verlangend nach ihm: zum Kuß 
Schmachten ſich Beider Lippen entgegen, 
Die Herzen klopfen in ſchnelleren Schlägen 
Einander zu; mit letztem Entſchluß 
Will zu dem Glück, das droben winkt, 
Walther ſich über die Brüſtung ſchwingen — 
Auf einmal ſtarrt er mit wildem Blick 
Nach dem Bilde der Jungfrau in der Blende. 
„Herr Gott! Die Heilige ſtreckt die Hände 
Mir drohend entgegen! Sie ſtößt mich zurück!“ 
So rufend, taumelt er rückwärts, ſinkt 
Gleitend neben dem Söller hinab 
Und ſucht vergebens ſich aufzuringen, 
Indeſſen unten, ein rieſiges Grab, 
Die Tiefe ihn zu verſchlingen droht. 
Noch klammert er ſich in Todesnoth 
Mit der Rechten an einen Gitterſtab, 


— 154 — 


Die Blicke flehend nach oben gerichtet — 
Umſonſt — er fühlt, bald muß er ſinken. — 


Von Entſetzen wie zernichtet, 
Beugt Roſa ſich häuptlings über den Rand 
Der grauſen Tiefe — und mit der Linken 
Ergreift der Verzweifelnde ihre Hand. 
Angſtſchreiend hält ſie den Schwebenden feſt 
Und ſucht ihn emporzuziehn, doch fühlt, 
Wie nach und nach ihn die weichende Kraft 
Gegen den Abgrund ſinken läßt. — 
Von dem Gitter löst ſich erſchlafft 
Des Jünglings Rechte — das hangende Seil 
Im Fallen erhaſchend, gleitet er ſteil 
Zum Pfeiler hinab — dort noch einmal, 
Das Kreuz umſchlingend, in ringender Qual 
Hält er ſich feſt — allein nur kurz 
Bleibt noch Spannung in ſeinen Sehnen; 
In die Tiefen, die unten gähnen, 
Sinkt er hinab in jähem Sturz. 


13. 


Eben kehrte die Amme zurück; 
Sie glaubte, die Liebenden oben zu finden, 
Und rief durch die Thüre: „Heil euch und Glück! 
Gleich naht der Pater, euch zu verbinden!“ 
Eintretend ſpähte ſie ringsumher, 
Aber gewahrte das Stübchen leer 
Und eilte hinaus auf die Galerie. 
Hingeſtürzt, mit entſtellten Zügen, 
Sieht ſie am Boden dort Roſa liegen 
Und wirft ſich jammernd über ſie. 


— 155 — 


Klar wird ihr Alles, was geſchehn; 

Die Hände über dem Liebling ringend, 
Ihre kalten Glieder umſchlingend, 

Ruft ſie ihr ängſtlich, aufzuſtehn. 

Sie trägt ihr Herzenstöchterlein 

Dann ſorglich in das Stübchen hinein 
Und legt es auf die Lagerſtätte. 

Da ruht, ſtatt auf dem Hochzeitbette, 

Nun Roſa blaß und regungslos; 

Und Barbara, über ihr Schätzchen gebeugt, 
Murmelte: „Kindlein, das ich geſäugt, 
Das ich gehegt und geherzt auf dem Schooß, 
Zog ich dich dazu mühſam groß? 

Ich wollte dein Glück ja, dein Beſtes nur! 
O Himmel, was hab' ich angeſtiftet! 

Denk' ichs, ſo iſt mir das Leben vergiftet.“ 


Auf einmal aus ihrem Brüten fuhr 
Sie auf, da der Pater ins Zimmer trat. 
Sie kniet vor ihn hin, ihm Alles zu künden, 
Und ſchluchzt: „Habt Ihr auch Ablaß für Sünden, 
Wie Barbara ſie begangen hat?“ 
Dann fürchtend, daß der Alte vom Schlafe 
Erwache, geſchreckt von der drohenden Strafe, 
Zog ſie den Beichtiger mit ſich fort, 
Und Roſa, ſtarr wie auf der Bahre, 
Blieb allein auf dem Lager dort. 
Auf ihre weißen, kalten Glieder, 
Umringelt vom gelösten Haare, 
Streuten die Kerzen des Feſtes gelben 
Flimmernden Schein verlöſchend nieder — 
So blinkt die Lampe in Grabgewölben 
Ueber den Bildern der marmornen Platten — 
Durch die Thür ſchlich der Odem der Nacht, 
Der Vorhang regte ſich langſam im Winde, 


— 156 — 


Und auf und nieder glitten die Schatten, 
Als hielten ſie neben dem blaſſen Kinde, 
Wie Todtenfrauen, die letzte Wacht. 


14. 


Das Dunkel ſchwand; mit buntem Schimmer 
Brach durch die gemalten Fenſterſcheiben 
Der Morgen in des Thürmers Zimmer. 
Zitternd ſpielte das Sonnenlicht 
Ueber des Alten Angeſicht, 
Und, mählig erwachend, mit Augenreiben 
Rang er ſich auf von der Wirkung des Trunks. 
Er ruft nach Roſa, ruft nochmals laut, 
Erhebt ſich, geht durch die Thür und ſchaut 
Verwundert das Stübchen voll feſtlichen Prunks. 
Doch als er, auf das Lager geſtreckt, 
Im weißen Gewande, wie aufgebahrt, 
Sein blaſſes Töchterlein gewahrt, 
Das kein Rufen noch Schütteln weckt, 
Da ſteigt er, ſeit lang zum erſten Mal, 
Die Treppen hinab in Herzensgqual, 
Um Hülfe zu holen. Aus dem Munde 
Des Pförtners vernimmt er bald die Kunde, 
Wie Walther, der Steinmetz, Abends zuvor 
Vom Thurmgerüſt, an dem er geklettert, 
Herunterſtürzend ſich zerſchmettert, 
Und wie man eben durch das Thor 
Der Barbara Leiche hereingetragen. 
„Außen an des Fluſſes Borden 
Iſt ſie von Fiſchern — ſo hört man ſagen — 
Aus den Wellen gezogen worden.“ 


N 


Allmählig dämmert nun in dem Alten 
Die Ahnung des Geſchehenen auf; 
Rückdenkend weiß er den ganzen Verlauf 
Aus der Tochter ſeltſamem Weſen, 

Aus dem heimlichen Zwieſprachhalten 

Mit der Amme zuſammenzuleſen. 

Er wankt mit lauten Klagerufen 

Wieder empor zum Thurm die Stufen. 
Starr gleich der Erde beim Winterfroſt, 
Wenn auf der Flur kein Leben ſproßt, 

Liegt Roſa dort; bisweilen nur geht 

Ein Zucken ihr durchs Geſicht und verräth, 
Daß noch Leben ringt mit dem Tod. 

Wie wenn in eiſiger Frühe der Oſt 

Mit matten Strichen von dämmerndem Roth 
Das fliegende Schneegewölk beſtreift, 
Umfließt dann flüchtiger Schein ihr die Wange; 
Langſam windet, gleich einer Schlange, 

In ihr der Schmerz ſich herauf — ſie greift 
Krampfhaft nach dem Herzen; nach und nach 
Mühſelig wie unter Bergesſchwere 

Empor ſich richtend, blickt ſie ins Leere 

Und ſtößt ein langgezogenes Ach, 

Ein tiefes, aus — dann ſinkt ſie wieder, 
Zuſammenbrechend, wie leblos nieder. 


15. 


Am Bett des Mädchens mit treuen Sorgen 
Wachte der Vater immerdar; 
Nacht folgte dem Tag, dem Dunkel der Morgen, 
Doch er wich nimmer. 


Wieder war 


— 158 — 


Es Mitternacht, und angſtvoll ſaß 

Er neben der Kranken, fühlt' ihr den trägen 
Puls, der mit matten ſchleichenden Schlägen 
Die Sekunden des ſchwindenden Lebens maß, 
Und netzte die Hand, ſo bleich und welk, 

Mit ſeinen Zähren. Ringsum iſt Stille, 
Eintönig nur im morſchen Gebälk 

Des Thurmes zirpt ihr Lied die Grille. 
Schwer liegt auf der Stirn des Alten die Schwüle, 
Er ſchleicht auf das Dach in die nächtliche Kühle 
Und ſchaut gen Himmel. Ueber ihm kreiſen 
In den ewig gemeſſenen Gleiſen, 
Unbekümmert um Weh und Wohl 

Der Menſchen, die Sterne um ihren Pol; 
Aber vor ihm, trüb und bleich, 

Einem ins Sterbegewand gehüllten 
Herzgebrochenen Mädchen gleich, 

Sinkt gegen den nebligen, dunſtumhüllten 
Weſten der Mond hinab. Entkräftet, 

Den Blick auf den dämmrigen Glanz geheftet, 
Fühlt der Greis, wie der Hauch des Windes 
Thau des Schlafes über ihn weht. 

Noch lallen die Lippen ihm ein Gebet 

Für die Geneſung des lieben Kindes, 

Dann, erſchöpft von Wachen und Kummer, 
Schwinden die Sinne ihm hin in Schlummer. 


Inzwiſchen beginnt im Stübchen ein Regen, 
Ein ſeltſam Raunen und Bewegen; 
Der Thurmuhr lauter werdender Schlag 
Dröhnt zitternd hin durch das Gemach; 
Von Wand zu Wänden ſchleicht ein Kniſtern, 
Als wollte die Stille ſelber flüſtern, 
Und außen an die Fenſter pochts. 
Halboffen iſt die Thür geblieben; 


— 159 — 


Bom Winde hin und her getrieben, 

Flackert das Lämpchen verglimmenden Dochts, 
Und wie auf friſch gegrabenem Grab 
Irrwiſche über dem Todtenacker, 

Hüpfen Lichter bei dem Geflacker, 

Mit den Schatten ſich haſchend, auf und ab; 
Unheimlich raunt es ums Bett der Kranken, 
Und langſam an der Thüre wallt 

Der Teppich zurück — herein mit ſchwanken 
Schritten wankt eine Schattengeſtalt, 

Drückt, zu dem Mädchen niederſinkend, 

Ihr einen Kuß auf die Lippen, die kalten, 
Erhebt ſich dann, im Verſchwinden winkend, 
Und ſchwebt hinweg durch die Vorhangfalten. — 
Roſa ſtöhnt im Schlafe beklommen: 
„Walther! Walther! Ja, ich will kommen!“ 
Ihr zuckt das Augenlid, ſie ſucht 

Sich aufzurichten unter der Wucht, 

Die ihr den Buſen drückt wie ein Alp, 
Ringt ſich empor vom Lager halb 

Und verfolgt mit irrenden, matten 

Blicken den verſchwindenden Schatten. — 
Als ob der Fliehnde mit Geiſterbann 

Sie nach ſich zöge, erhebt ſie ſich dann 

Und eilt mit leichtem, ſchwebendem Gang 
Der Thüre zu die Dielen entlang. 

Weit offen das Auge, und doch wie nach innen 
Gerichtet, mit in ſich verſunkenen Sinnen, 
Tritt ſie aufs Dach; ein Tüchlein nimmt ſie, 
Schwingt es, über die Brüſtung gebeugt, 
Und lauſcht nach unten — doch Alles ſchweigt. — 
Behend dann auf das Gitter klimmt ſie 

Und ſchreitet längs der ſcharfen Ränder 
Schwankenden Fußes auf dem Geländer 
Dahin zur nächſten Pfeilerſpitze. 


— 160 — 


Inzwiſchen verhüllt ſich der Mond; von den Schlägen 
Rollender Donner, dem fallenden Regen 
Erwacht der Thürmer auf ſeinem Sitze 

Und ſieht beim Lichte züngelnder Blitze 

Die weiße Geſtalt auf dem Pfeiler ſtehn, 
Der die Locken im Nachtwind wehn. 

Die Tochter erkennt er: „Herr der Gnade! 
Schlafwandelnd iſt ſie auf ſchwindligem Pfade 
Dorthin geklettert! Ein Ton, ein Hauch 
Erweckt ſie, wär' es der leiſeſte auch!“ 

Der Alte denkt es, und ihm graut, 

Sein eigner Herzſchlag geht ihm zu laut; 
Regungslos an die Wand gepreßt, 

Hält er den Athem angſtvoll inne 

Und heftet auf die Tochter feſt 

Den ſtarrenden Blick. Herab von der Zinne 
Auf Steinvorſprüngen, ſo jäh und ſcharf, 
Daß kaum die Schwalbe ihr hängendes Neſt 
Daran zu kleben wagen darf, 

Wandelt ſie nun entlang die Rinne 

Bis vorn, wo ihr regenſpeiender Mund 
Hinabhängt über den ſchrecklichen Schlund. 
Und bei der furchtbar drohnden Gefahr 
Sträubt ſich dem Thürmer jedes Haar, 

Wie ſie nach vorwärts links und rechts 

Sich beugt — da plötzlich iſt ihm, als riefe 
Eine Stimme hervor aus der Tiefe, 

Ein Wimmern vernimmt er, ein leiſes Geächz; 
Dumpf erſt „Roſa! Roſa!“ ſtöhnt es, 

Und lauter dann und lauter ſchallend, 

An Pfeilern und Mauern widerhallend, 

Von nah und ferne „Roſa!“ tönt es. 

Auf einmal kehrt ſich das Mädchen, erwacht, 
Dorthin, von wo die Rufe erklingen — 

Sie breitet die Arme hinaus in die Nacht, 


— 161 — 


Als wollte fie den Geliebten umſchlingen — 
Doch wer mit wachenden Augen ſähe, 

Ohne zu ſtürzen, nach unten? Ihr wankt 
Der Fuß — ſie zittert, ſtrauchelt, ſchwankt — 
Halb vom Schwindel ſchon bezwungen, 

Hält ſie ſich taumelnd noch auf der Höhe, 
Doch wieder ertönt von Geiſterzungen 

Der Ruf, und ſie ſtürzt in die Tiefe, die jähe, 
Die zuvor den Geliebten verſchlungen. 


16. 


Wollt ihr noch nach dem Thürmer fragen? — 
Er ſorgte, daß unter einer Platte 
Man Roſa neben Walther beſtatte; 
Dann auf den Friedhof, wo ſie lagen, 
Hat man auch ihn hinausgetragen. 


Schack, Geſ. Werke. III. 


VII. 


e 


In aller Blüthenpracht des Lenz, 
Die mich umfängt am Strand Sorrents, 
Mit Heimweh faſt gedenk' ich dein, 

O Capri, ſchönſter Edelſtein 

Im Inſelſchmuck des Oceans! 

Und oft, ans Gitter des Altans 
Gelehnt, mit ſehnſuchtsvollem Sinn 
Nach deiner Küſte blick' ich hin, 

Die, fernher winkend, duftumhaucht 
Dem weißen Wellenſchaum enttaucht. 
Auf deinen hohen, felsumſtarrten 
Steilhalden, deinen Klippenwarten 
Wann wieder werd' ich raſten dürfen, 
Des Meeres freien Hauch zu ſchlürfen? 
Noch gönnt der Wogen wilde Brandung 
An deinen Ufern nicht die Landung, 
Wo jedes Riff Gefahren droht; 

Allein dem hurt'gen Segelboot, 

Auf dem mich durch der Fluth Geroll 
Der Marinaro ſteuern ſoll, 


— 163 — 


Voran ſchon flattert mir der Geiſt 
Und ſchwebt, der Menſchenwelt entflohen, 
Empor zu deinen wolkenhohen 
Felsſpitzen, die der Aar umkreist, 

Und ſpäht hinab zur Uferbucht, 

Wo der Granate Purpurfrucht 

An ſonnverbrannter Bergwand hangt. 
Von Neuem klimm' ich durch die Schlucht, 
Die reich mit Goldorangen prangt, 
Empor den vielverſchlungnen Pfad 

Zu Anacapris Felſengrat, 

Und meinem Führer Stefano 

Beflügelt ſich der Schritt, denn froh 
Gewahrt er ſchon, wie laubumkränzt 
Sein Häuschen uns entgegenglänzt. 
Ins Gärtchen, alosumzäunt, 

Eintreten wir, und ſonngebräunt 
Stürzt Nicolo, der wilde Junge, 
Entgegen uns in hurt'gem Sprunge: 
Andrea pflückt mir von den Zweigen 
Der Sykomore ſaft'ge Feigen 

Und ruft die Mutter her vom Herd; 
Holdlächelnd durch der Hütte Thor 
Tritt mit dem Kindchen, das ſie nährt, 
Die ſchöne junge Frau hervor 

Und heißt willkommen ihren Gaſt. 

Auf eine Bank zur Abendraſt 

Setz' ich mich mit dem frohen Paar; 
Der würd'ge Anwalt auch, der Greis, 
Geſellt ſich treulich unſerm Kreis, 

Und bald von Sturm und Seegefahr, 
Von Thunfiſchfang auf hohem Meer, 
Geht das Geſpräch, von Räubern bald, 
Wie drüben im Abruzzenwald 

Sie kämpfen mit des Königs Heer. 


— 164 — 


Allmählig bleicht die Tageshelle; 

Nur oben noch im Spätlicht blitzen 
Auf ihren luft'gen Felſenſpitzen 

Die halbzerfallenen Kaſtelle, 

Und, ſpät bis in die Nacht noch wach, 
Vertraulich auf des Hauſes Dach 
Beim Mahle ſitzen wir beiſammen, 
Indeß vom Aſchenberg die Flammen 
Herüber durch das Dunkel glühn. 


Wie fröhlich meine Streiferein 
Mit Stefano! Gleich ihm ſo kühn 
Soll Keiner auf der Inſel ſein; 
Den Ruderer und Bergerklimmer 
Von Falkenblick und Eiſenarm 
Nur nennt man ihn. Beim Morgenſchimmer, 
Eh noch der Sonne Strahl zu warm 
Am Hange des Solaro brannte, 
Ruderte mich der Vielgewandte 
In alle Höhlungen und Grotten 
Und wußte jedes Riffs zu ſpotten. 
Dann wieder landend, am Geſtade 
Hinſchritten wir die Schwindelpfade, 
Wo unten mit dem weißen Giſcht 
Der Meerſchwall um die Klippen ziſcht. 
Wir ruhten in der Pinien Schatten 
Hoch oben auf den Felſenplatten 
Und lauſchten auf das Gehn und Kommen 
Der Wogen am gezackten Strand; 
Kein Berghaupt, das wir nicht erklommen; 
War noch ſo hoch ein Klippenſtrand, 
Ungangbar ſelbſt den wilden Ziegen, 
Doch hatt' ihn Stefano erſtiegen 
Und zeigte mir empor den Weg. 


— 165 — 


Des ganzen Inſelvölkchens Kunde 
Entlockt' ich ihm im Zwiegeſpräch; 
Ihm floſſen vom beredten Munde 
Der Märchen mancherlei von ſchlauen 
Sirenen, Nixen, Meeresfrauen 
Und von des heil'gen Elmo Feuer; 
Nur ſeiner eignen Abenteuer, 
Davon durch Andre mir die Sage 
Erſchollen war, gedacht' er nie. 
So oft ich bat: „Erzähle ſie!“ 
Auf Bitte blieb er ſtumm und Frage. 
Da einſt — ihm war der Gaſt von Norden 
Zum Freund, zum Bruder faſt geworden — 
Erſchien die Stunde des Vertrauens. 
Es war beim Schloſſe des Tiber, 
Wo abgrundtief hinab zum Meer 
Der Felſen ſtürzt; geheimen Grauens 
Weichſt du zurück, denn Schwindel reißt 
Jedweden abwärts, der zu dreiſt 
Dem Rande naht; dort zwiſchen Blöcken 
Von Marmor, die den Boden decken, 
Ausruhten wir bei den Ruinen. 
Lau blies der Wind, Geſumm von Bienen 
Erſcholl, wo einſt von Mädchenſchaaren 
Bei Cymbelklang und Fackelglanz 
Zur Luſt des alternden Cäſaren 
Geſchlungen ſich der üpp'ge Tanz. 
Da nahm mein Führer ſo das Wort: 


„Ihr fragtet oft; dies iſt der Ort, 
Wo ichs erlebt. Noch jung von Jahren 
War ich, doch mit des Meers Gefahren, 
Mit Jagd auf unſern Inſelklippen 
Vertraut ſeit früher Kindheit ſchon. 

Ich hatte Eltern nicht, noch Sippen, 


— 16 — 


Und nur durch ſchwerer Arbeit Lohn 
Stillt' ich jedweden Tags Bedarf. 
So war mein junges Leben trübe 
Und mühſalvoll, nur daß die Liebe 
Ihr Licht in dieſes Dunkel warf. 
Ein Mädchen, fünfzehnjährig kaum, 
Erfüllte Sinne mir und Seele 
Mit ſüßem Rauſch; wenn Nafaele 
Vorüberſchritt, war mirs wie Traum; 
Zum Himmel glaubt' ich mich entrückt, 
Und ſchaut' ihr lange nach entzückt. — 
Auch ſie, wie ich, war ohne Eltern; 
Als Kind ſchon hatt' ich ſie gekannt 
Und oft im Scherz ſie Braut genannt. 
Noch denk' ich, wie im Herbſt beim Keltern 
Sie mir zur Seite ſtand im Faß 
Und lachend mit dem Fuß das Naß, 
Das ſüße, aus den Trauben ſtampfte; 
Wie wir noch nach dem Abendroth 
Uns luſtig ſchaukelten im Boot, 
Bis vom Veſuv, der drüben dampfte, 
Durchs Dunkel feur'ge Streifen glommen 
Und wir ins Dorf bei ihrem Strahl 
Heimwanderten. Stets dazumal 
Rief ſie mir freundlich ihr Willkommen, 
Wenn ſie mich ſah; der Stunden viel 
Verſchwanden uns in munterm Spiel, 
Und wenn ich ihr zur Seite ging, 
Wohl ſteckt' ich ſcherzend einen Ring, 
Aus Binſen in der Haſt geflochten, 
Ihr an den Finger. 

„Drauf getrennt 
Ward ich von ihr, denn nach Sorrent 
Rief mich ein Dienſt. Fünf Jahre mochten 
Verſchwunden ſein, da ließ mein Herz 


— — 


Mir nicht mehr Raſt, und heimathwärts 
Trug zu dem Mädchen mich der Nachen. 
Ich dachte, froh entgegen lachen 

Mir werde ſie beim Wiederſehn, 

Die nun zur Jungfrau aufgeblüht; 
Doch ganz, bald mußt' ich mirs geſtehn, 
Verwandelt ſchien ſie im Gemüth: 
Selbſt nicht mit einem Blick belohnte 
Sie meinen Gruß. Oft Stundenlang 
Harrt' ich am Hauſe, wo ſie wohnte, 
Indeß ich bei Guitarren-Klang 

Ti voglio bene assaje ſang; 

Allein vergebens, nie ein Zeichen 

Von ihrer Huld konnt' ich erreichen. 
Wenn plaudernd ſie zur Abendſtunde 
Mit andern Mädchen in der Runde 
Am Brunnen ſtand, mich ihr zu nahn 
Vergebens macht' ich den Verſuch; 
Sobald mich ihre Augen ſahn, 

Von dannen ſprang ſie mit dem Krug. 
Mit Freundinnen auch manches Mal 
Wohl traf ich drunten ſie im Thal, 
Wie ſie beim Schall der Tamburine 
Sich hin und her im Kreiſe ſchwang; 
Ich grüßte ſchüchtern ſie und bang, 
Allein ſo finſter war die Miene, 

Mit der ſie plötzlich nach mir ſchaute, 
Daß ich mich keines Worts getraute. 
Zu Ende wars mit Tanz und Luſt, 
Und traurig ward ich mir bewußt: 
Sie wollte nichts von Liebe wiſſen, 
Und minder noch von Stefanos. 


„Von meiner Seele Kümmerniſſen 
Schweig' ich — ſie ſind der Liebe Loos; 


SB), — 


Und glaubt, wer je ſolch Weh empfunden, 
Er denkt der heißen Herzenswunden 

Wie eines Glücks, das hingeſchwunden. 
Wohl lange mich in bitterm Gram 
Verzehrt' ich, aber niemals kam 

Mir der Gedanke, zu entſagen; 

Ich fühlte, Alles müßt' ich wagen, 

Um dieſes Mädchen zu erringen. 

Wer vor Gefahr nicht bebt und Sterben — 
So ſagt' ich mir — den Sieg erzwingen 
Muß er am Ende durch ſein Werben. 


„Arm, bettelarm, zu meinem Leide 
Nicht Perlen konnt' ich oder Gold 
Ihr bieten, wie ich gern gewollt; 
Allein von Muſcheln ein Geſchmeide 
Für ſie zu ſammeln, Tag für Tag 
Emſig am Strand war ich befliſſen; 
Wenn, von den Klippen losgeriſſen, 
Ans Ufer hin der Wogenſchlag 
Des Meeres bunte Kinder trug, 

Die ſchönſten wählt' ich für ſie aus. 
Auch Blüthen wand ich ihr zum Strauß, 
Doch keine war mir ſchön genug, 

Die unten wuchs; um ſie zu pflücken, 
Klomm ich zum ſteilſten Felſenrücken, 
Wo herrlicher mit Farb' und Duft, 

Als in der Thäler dumpfer Luft, 

Der Himmel ihre Kelche füllt. 


„Einſt ſo auf meiner Streiferei 
Kam Abends ich zur Uferbai. 
Halb war in Dämmrung ſchon gehüllt 
Das Meer, und mit den letzten Blitzen 
Schoß drüber hin die Abendgluth; 


st 


Auf einer Klippe nah der Fluth 

Da ſah ich Rafasle ſitzen — 

Ich fühlte, wie ein ſüßer Schreck 
Durch alle meine Glieder glitt, 

Und wagte weiter keinen Schritt; 

Nur hinter einem Felsverſteck 

Nach ihr hinſpäht' ich, athmend kaum. 
Die Füßchen von dem Kräuſelſchaum 
Plätſchernder Wellen leicht beſpritzt 
Und auf die Hand das Haupt geſtützt, 
Saß ſie, wie mit den Wellen ſprechend, 
Die, ſich am Klippenufer brechend, 
Vor ihr bald kamen und bald gingen. 
Dann wie im Traume leiſe, leiſe 

Ein Liedchen hub ſie an zu ſingen; 
Fremd war, geheimnißvoll die Weiſe, 
Beinah mir eine Zauberin 

Schien ſie, die durch Magie den Sinn 
Mir feſtgebannt in ihre Kreiſe. 
Zuletzt, Muth faſſend, trat ich vor 
Und bot mit Worten, bang geſtammelt, 
Den Schatz ihr dar, den ich geſammelt; 
Doch mir verſchloſſen blieb ihr Ohr; 
Aufſpringend rief fie: „Was, du Thor, 
Verfolgſt du mich? Laß ab, laß ab! 
Ich weiß, welch treulos falſch Geſchlecht 
Die Männer ſind, drum wärs mir recht, 
Verſchlänge alle ſie das Grab! 

Mein Leben lang, ich wills beſchwören, 
Werd' ihrer keinen ich erhören.“ 

Sie ſprachs, und eh ich mich beſann, 
Dem Dorfe zu, den Fels hinan 

War ſie geflohn. Wie blitzgetroffen 
Blieb ich zurück, mein ganzes Hoffen 
Vernichtet mit dem einen Schlag. 


— 170 — 


„Hernieder ſank, mit Stürmen ſchwer 
Beladen, über Land und Meer 
Die Herbſtnacht; doch, noch als der Tag 
Hellleuchtend durch die Wolken brach, 
Fand er mich, wie ich hingeſtreckt 
Verzweifelnd an der Klippe lag. 
Aus meinem Brüten dann erſchreckt 
Fuhr ich empor, mich faßte Grauen 
Vor Tageslärm und Tageslicht, 
Und um der Menſchen Angeſicht 
Und ekles Treiben nicht zu ſchauen, 
Floh ich und barg in finſtrer Höhle 
Den tiefen Jammer meiner Seele. 
Dort, wenn um mich von den bemoosten 
Felshängen Wetterbäche tosten, 
Wenn durchs Geäſt der ſturmbewegten 
Stecheichen das Gewitter zog, 
Gleich altvertrauten Stimmen ſog 
Den Klang ich ein, und Stürme regten 
Antwortend ſich in meiner Bruſt. 


„Fern hinter mir die Welt verſunken, 
Das Herz von Gram und Thränen trunken, 
So lebt' ich einſam — kaum bewußt 
Iſt mir, ob Wochen, Monde lang. 
Nicht andre Koſt, um mich zu nähren, 
War mein, als an der Klippen Hang 
Die ſchimmernden Arbutusbeeren. 

Aus meinem dumpfen Starren dann 

Rafft' ich mich mählig auf und ſann 

Und ſann, wie ich das Weib erränge, 
An dem mein Sinn und Leben hing. 

Durch meine Seele düſter ging 

Der Argwohn hin, ein Andrer dränge 
Sich zwiſchen mich und ſie; in Wuth 


er 


Schoß jäh zum Herzen mir das Blut, 
Und nach dem Dolch im Gurte faßte 
Zuckend die Hand, daß der Verhaßte 
Hinſänke von dem ſpitzen Stahl — 
Doch nein, erlöst von dem Verdachte 
Ward ich, indem ich rückwärts dachte; 
Im Dorf wie durch Gebirg und Thal 
War Rafaelen wie ihr Schatte 

Ich nachgeſchlichen, aber hatte 
Niemals gewahrt, wie auch nur Einen, 
So Vielen ſie den Sinn berückt, 

Der kleinſte Gruß von ihr beglückt. 
Drauf, weiter ſinnend: ‚Kannſt du meinen, 
Sagt’ ich zu mir — „jo ohne Habe, 
Ein armer, elternloſer Knabe, 
Vermöchteſt du ſie zu erringen? 

Auf deinem Haupt die rothe Mütze, 
Was haſt du Andres im Beſitze, 

Es ihr als Hochzeitsgut zu bringen? 
Doch, wenn erſt Schätze du gewannſt, 
Wenn du mit reicher Morgengabe 

Um ihre Liebe werben kannſt, 

Dann zage nicht, vor ſie zu treten! 
Erhören wird ſie den Verſchmähten.“ 


„Licht wiederum, als hätt' ein Strahl 
Von oben meine Nacht erhellt, 
Ward es in mir mit einem Mal 
Bei dem Gedanken, und die Welt 
Lag neu vor mir im Sonnenglanz; 
Die Wildniß, wo ich lang gehaust, 
Verließ ich, umgewandelt ganz, 
Und ruderte mit kräft'ger Fauſt 
Durch Sturm wie Stille hin mein Boot. 
Eifrig, wie ich noch nie geweſen, 


180) 


— 115 
Wenn irgend mir Gewinn ſich bot, 
Fuhr ich die Deutſchen, die Ingleſen 
Hinüber nach Sorrent, ja fern 

Bis nach Amalfi und Salern; 

Dann bei der Rückkehr von der Fahrt 
Sorgſam ward jedes Tages Sold 

Von mir im Käſtchen aufbewahrt, 

Und o! wenn ich in blitzend Gold 

Der Woche Lohn verwandeln konnte, 
Wie froh ich in dem Glanz mich ſonnte! 
Bald, dacht' ich, iſt die Stunde nah 

Für meine Werbung; noch ein Mond, 
Und für mein Mühen all belohnt 

Mich des geliebten Mädchens Ja. 


„So mit dem Wachſen meiner Schätze 
Wuchs mir der Eifer; Tag für Tag, 
Zufrieden nicht mit dem Ertrag 
Des Boots, ſpannt' ich für Wachteln Netze 
Und machte auf Delphine, Thune, 
Schwertfiſche Jagd mit der Harpune; 

Und Holz der Bergesfichten auch 

Und Früchte vom Arbutusſtrauch 

Zu ſammeln, die mir Lohn verhießen, 
Kein Klimmen ließ ich mich verdrießen. 


„Einſt im Verfolgen eines Aars 
Empor zu des Tiberius Schloß 
War ich gelangt. Anlegt' ich, ſchoß 
Und, ſieh! — an dieſer Stelle wars, 
Wo jetzt wir ſtehn — mir überm Haupt 
Sah ich den Aar im Fluge wanken: 
Er war getroffen; kraftberaubt 
Zu fliegen ſucht' er noch, dann ſanken 
Die Flügel ihm; matt, immer matter 


— Ma. = 


Zum Meer hinab ſah ich ihn fallen; 
Hier an der Bergwand mit Geflatter 
Sucht' er im Sturz ſich feſtzukrallen, 
Doch ſank und ſank; mit letztem Schwung 
Der Flügel einen Felsvorſprung 
Erreicht' er dann, der Halt ihm bot, 
Und klammerte, ſchon nah dem Tod, 

An ihm ſich feſt. Verloren faſt 

Schien mir an dieſem Platz die Beute; 
Doch, wenn ich nicht ein Wagniß ſcheute, 
Mein werden konnte ſie; in Haſt 
Schlang ich um eines Baumes Aſt, 
Dann um den Leib mir einen Strick, 
Hängt' um die Schulter das Gewehr 
Und ließ — ein tolles Wageſtück — 
Mich in den Abgrund an dem Seil 
Jählings hinunter. Tretet her 

Und ſchaut, wie ſich die Felswand ſteil, 
Senkrecht hinunterſtürzt ins Meer! 
Nicht dringt empor der Möven Schrei, 
Die unten kreiſen, und der Weih, 

Der in der halben Tiefe ſchwebt, 
Erſcheint klein wie ein Schmetterling. 
Wo jetzt ein Neſt von Schwalben klebt, 
Am zack'gen Felsvorſprunge hing 

Der Adler ſterbend; ich verſchloß, 
Damit mich nicht der Schwindel packe, 
Die Augen, während zu der Zacke 

Ich an dem Seil hinunterſchoß. 

Dort faßt' ich Fuß; doch wüthend ſchlug 
Der Rieſenvogel mit den Schwingen, 
Als ich ihm nahte; Kraft genug 

Nicht blieb ihm mehr zum weitern Flug; 
Und doch, den Gegner zu bezwingen, 
Auf Tod und Leben einen Kampf 


— 174 — 


Noch wagt' er in des Sterbens Krampf. 
Umſtäubt von ſeiner Federn Flaum, 
Der Flinte Kolben hoch geſchwungen, 
Schon hatt' ich lang mit ihm gerungen; 
Doch Siegeshoffnung blieb mir kaum, 
Das Sinken fühlt' ich meiner Kraft 
Und Dunkel meinen Blick umfloren — 
Zuletzt, das Unthier zu durchbohren, 
Riß ich, noch einmal aufgerafft, 

Aus meinem Gurt den Dolch und ſtieß ihn 
Dem Adler in die Bruſt; ein breiter 
Blutſtrom quoll vor, die Kraft verließ ihn, 
Und wieder an der luft'gen Leiter 

Mit meiner Beute mich empor 

Zu ſchwingen dacht' ich — wie erſtarrt 
Auf einmal blieb ich, denn ich ward 
Gewahr: der Strick, den ich zuvor 

Um meinen Leib geſchlungen, hatte 

Sich losgelöst, und wie ich ſtier 
Aufblickte, ſah ich über mir 

Ihn hoch, hoch ob der ſchmalen Platte, 
Auf der ich ſtand, in Lüften hangen; 
Selbſt eines Rieſen Arme hätten 
Umſonſt, zu ihm hinaufzulangen, 

Sich angeſtrengt. Wie nun mich retten? 
Nichts ſchien zu bleiben, als mein Heil 
Durch einen Sprung nach jenem Seil 
Zu ſuchen — doch bei dem Gedanken 
Fühlt' ich vom Haupt zum Fuß ein Schwanken; 
Denn furchtbar mir zu Füßen lag 

Der Abgrund, kaum vernehmbar ſcholl 
Empor des Meeres Wogenſchlag, 

Das unten um die Klippen ſchwoll; 
Und wenn ich nicht den Strick erfaßte, 
Hinab dort ſtürzt' ich. 


* 


175 


„Nirgend fand 
An einem Strauche, einem Aſte 
Ich Halt; drum an die Bergeswand 
Mich drückt' ich, daß mich nicht vom Rand 
Häuptlings der Schwindel niederriſſe; 
Allein der Tod, der allgewiſſe, 
Harrt' er nicht mein hier oben auch, 
Und ſtatt daß mir der Lebenshauch 
Langſam verſiegt' auf ödem Riff, 
War beſſer nicht der jähe Sturz, 
Bei dem die Qual des Sterbens kurz? 
Wohl dacht' ich es, und doch ergriff 
Ich in des Lebens blindem Trieb 
Den Strohhalm Hoffnung, der mir blieb. 
Ich wähnte, an den Felſenwänden 
Die Stimme könnt' ich aufwärts ſenden, 
Daß ſie zu Menſchenohren dränge. 
Thor, der ich unten klaftertief 
Am Abgrund hing! Ich rief und rief 
Und lauſcht' hinauf, ob irgend Klänge 
Mir Antwort gäben. Nein; kein Ton 
Gab kund, daß Leben irgendwo 
Auf Erden ſei. Verſchwunden ſo 
Schien mir die letzte Hoffnung ſchon; 
Allein ein neuer Schimmer ging 
Mir auf: ich dacht' ans Jagdgewehr, 
Das noch an meiner Schulter hing, 
Nahm es und ſchoß; weit, allumher 
Antworteten im Widerhall 
Die Uferklippen auf den Schall; 
Aus Riß und Spalt der Felſenkegel 
Aufflatterten die Meeresvögel, 
Daß tauſendfach ihr Flügelſchlag 
Mein Haupt umkreiste — nach und nach 
Der Fitt'ge Klang hört' ich verrauſchen; 


et 


Erſt noch von ferne das Geſchrille 
Der Möven, dann rings Todtenſtille, 
Und neu nach oben konnt' ich lauſchen. 


„Weithin aufs Meer gebreitet hatten 
Die Felſen ſchon den nächt'gen Schatten, 
Und bange durch das große Schweigen 
Sah ich das Dunkel höher ſteigen. 
Rings lagerte ſich Finſterniß 
Auf Land und Fluth, kaum noch der Riß 
Der Felſen tauchte durch die Nacht 
Matt dämmernd auf. Plötzlich mit Macht, 
Gleich wie nach einem Schlummertrank, 
Dahin durch alle meine Glieder 
Schlich ohnmachtgleicher Schlaf; ich ſank 
Hingleitend an der Felswand nieder 
Und lag, geſchwunden alle Sinne, 

Auf dem Geſtein. Dann wieder jäh 
Fuhr ich empor; ein zuckend Weh 

Schoß mir durchs Haupt, denn ich ward inne, 
Dem finſtern Schlund, den ich nicht ſah, 
Doch ſchaudernd ahnte, war ich nah; 
Geklammert an die Felſenmauer, 

Mahnt' ich mich, während Todesſchauer 
Durch meine Glieder eiſig rannen, 

Der Sehnen ganze Kraft zu ſpannen. 

O dieſe Nacht! von ew'ger Dauer 

Schien ſie, und jegliche Sekunde, 

Wie langſam ſie vorüberſchlich, 

Drohte, mich zu dem grauſen Schlunde 
Hinabzureißen. Endlich wich 

Die Finſterniß, bleich ſtieg der Tag 

Am Himmel, aber ſchreckerfüllt 

Die Tiefe, welche drunten lag, 

Wünſcht' ich nochmals in Nacht gehüllt — 


HT 


Und doch, es trieb mich mit Gewalt, 
Hinabzuſchaun; da fühlt' ich kalt 
Zwei Arme meinen Hals umſchlingen; 
Los wollt' ich mich von ihnen ringen, 
Und wie das Haupt ich rückwärts bog, 
Sah ich ein leichenblaſſes Weib, 

Ein Grabgeſpenſt, das meinen Leib 
Umklammert hielt; es zog und zog 
Mich abgrundwärts und blickte ſtier 
Mit hohlen Augen in das meine; 
Schon bröckeln fühlt' ich unter mir, 
Indeß ich abwärts ſank, die Steine 
Und glaubte, daß kein Halt mehr ſei; 
Da that ich einen lauten Schrei, 

In Luft war die Geſtalt verſtoben, 
Und wieder zu der Zacke oben 

Auf kroch ich, faſt beſinnungslos. 


„Bald geißelte des Durſtes Qual 
Mich aus der Mattheit auf; ſo kahl 
Der Felſen rings, kein Gras noch Moos, 
Und drüber mit dem Flammenſtrahl 
Der Sonnenbrand, der ſcheitelrechte; 
Umſonſt lang ſucht' ich, was die Gluth 
Der dürren Lippen löſchen möchte; 
Allein des todten Adlers Blut, 
Verſprach es Labſal nicht? Mit Wuth 
Warf ich mich auf das Thier und zechte 
Wollüſtig von dem rothen Naß, 

Bis alle Adern leer geſogen. 


„Inzwiſchen mit Gewölk umzogen 
Erdunkelte der Himmel; blaß 
Und fahl nur hüpfte über die Wogen 
Schack, Geſ. Werke. III. 12 


— 178 — 


Noch ein verirrter Strahl des Lichts. 

Wie in der Stunde des Weltgerichts 

Sahn Himmel und Meer entſetzenſtumm 

Die Windsbraut nahn; dann hub ein Geſumm, 
Ein Schwirren und Klingen und Brauſen an. 
In Dunkel, tiefer als Nacht, zerrann 

Der letzte Strahl; aus der Finſterniß Schooß 
Riß zuckend ein ſchwefliger Blitz ſich los; 
Dann, horch! ein mächtiger Donnerſchlag! 
Herein von Oſten und Weſten brach 

Der Wetterſturm; im Wolkengetümmel 

Mit Hagel und Blitz hinjagt' er am Himmel 
Und peitſchte vom Meer, das drunten gohr, 
Die Waſſerberge zu mir empor, 

Und, zitternd von dem Wogenſchwall, 
Erkrachten die Felſen, die Klippen all; 

Dicht unter mir ſah ich den ſpritzenden Schaum 
Und bei der zackigen Blitze Glanz 

Hinauf und hinab auf der Wellen Saum 

Die Flocken hüpfen wie Irrwiſchtanz; 

Ich fühlte die leckenden Wogenzungen; 

Ein Fußbreit noch und hinabgeſchlungen 
Ward ich in die fluthenden Schlünde des Meers. 
Auf einmal ſcholl ein Donner, als wär's 
Vom letzten Tage der Erdſtoßkrach, 

Und es barſt am Himmel des Sturmes Dach 
Und ſank in die Tiefe; von dannen zogen 

Die Wetterwolken über die Fluth, 

Und klingend und rauſchend glitten die Wogen 
Zurück in ihr Bett, und purpurne Gluth 
Verſtrömte die Sonne im Untergang. 


„Und wieder Nacht! Ich fühlte bang, 
Die letzte würd' es für mich ſein; 
In Schlummer durften Alle nun, 


Sa 


Und ob fie noch jo elend, ruhn, 

Nur mir blieb es, nur mir allein 

Verſagt. O, einen Augenblick 

Die müden Lider ſchließen dürfen, 

Nur kurz des Schlafes Balſam ſchlürfen, 

Auf Erden dünkte mich kein Glück 

Mit dem vergleichbar! Tief erſchlafft, 

Kaum, mich zu halten, hatt' ich Kraft; 

Doch, wollte mein Augenlid ſich ſchließen, 
Aufſtachelte das Entſetzen mich ſchnell — 

Da gähnte die Tiefe zu meinen Füßen, 

Und blaſſen Schein goß dämmerhell 

Die junge Mondesſichel hernieder. 

Sieh! über den Wäſſern welch Regen und Wallen 
Von Nebeln, die ſich wirbelnd ballen! 
Auftauchts aus dem Dunſt wie Rieſenglieder, 
Und unten in Klüften und Riſſen und Spalten 
Laut wird es; empor zu den Felſenhöhn 
Klimmen geſpenſtiſche weiße Geſtalten, 

Die hüpfend ſich im Kreiſe drehn; 

Von Gnomen, die lachend die Seiten ſich halten, 
Vernehm' ich die Stimmen, ſie höhnen und ſpotten 
Und grinſen mich an und ſingen im Chor, 

Und aus den Inſelhöhlen und Grotten, 

Ein toller Faſching, braust es hervor. 
Geflügelte Schlangen, dicht in einander 

Die Glieder verſtrickt, und Salamander 

Und Drachen und Molche, ein grauſer Zug, 
Sauſen heran im wirren Flug. 

Kobolde umhüpfen des Felſens Fuß 

Und rütteln an ihm, bis er zittert und ſchwankt, 
Und nicken nach mir mit höhniſchem Gruß: 
„Herunter! herunter!" — noch feſt umrankt 
Halt' ich die Zinne — aber ſie wankt 

Und neigt ſich nach unten — 


— 180 — 


„Fieber jagte 
Das Blut mir durch die Adern wild; 
Endlich, als ſeine Gluth geſtillt, 
Sah ich, wie es im Oſten tagte — 
Ein düſtres, blut'ges Morgenroth! 
Ich ſtarrte hoffnungslos ins Leere; 
Und blieb mir denn in meiner Noth 
Ein andrer Retter, als der Tod? 
Ja, raſch den Sprung hinab zum Meere 
Gewagt! was beb' ich noch zurück? 
Von des Verſchmachtens bittrer Qual 
Und allem Leid mit einem Mal 
Befreit mich das! — Ich hob den Blick, 
Bevor ich ſtürzte, himmelan; 
Da ſcholl von oben an mein Ohr 
Der Klang von einem Hirtenrohr, 
Und heißer Freudenſchauer rann 
Durch Mark und Bein mir bei dem Ton — 
Ja, das ſind Menſchen! Nahe ſchon 
Iſt meine Rettung! Hören muß 
Man meines Jagdgewehres Schuß. 
Ich ſchieße und, den Odem bang 
Anhaltend, lauſch' ich aufwärts lang 
Nach einem Tritt — nein, wiederum 
Iſt Alles todtenſtill und ſtumm. 
Doch neu geweckt in meiner Bruſt 
War Lebensmuth und Lebensluſt, 
Und der Gedanke an Nafaöle 
Stieg leuchtend auf in meiner Seele — 
Mir war, als ob ihre Stimme mich riefe; 
Den Rücken wendend der ſchrecklichen Tiefe, 
Feſt, ſtarr, wie nach dem Ziele der Schütze, 
Blickt' ich empor zu dem ſchwebenden Seile, 
Das über mir hing an der Bergwandſteile — 
Das war mein Weg zu der Felſenſpitze; — 


rr 


All meine Gedanken und Sinne hoben 

Sich aufwärts — nun zu mächtigem Schwung 
Die Kräfte geſpannt! — ich that den Sprung, 
Erhaſchte das Seil und klomm nach oben. 


„Betäubt und ſchwindelnd vor Entzücken 
Fand ich mich an des Felshangs Rand 
Und ſank zu Boden — vor meinen Blicken 
Wards dunkel, mein Bewußtſein ſchwand. 


„Als mir die Sinne wiederkehrten, 
Noch wie in wildem Rauſche gährten 
Mir die Gedanken; lang voll Grauen, 
Um in die Tiefe nicht zu ſchauen, 
Hielt ich die Augen noch geſchloſſen. 
Als ich empor ſie endlich ſchlug, 
Welch Licht fand ich um mich ergoſſen! 
War ich auf Erden? wars nicht Trug? 
Hernieder in die meinen ſchauten 
Zwei Augen, die wie Himmel blauten, 
Und ſüßer Athem weht' und quoll 
Um meine Stirne warm und voll. 
Sie wars, ja, Rafaéle wars; 

Sanft durch die Locken ihres Haars, 
Das um mein Haupt herniederrollte, 
Sah ſie mich an. Noch keinen Gruß 
Konnt' ich ihr ſagen, wie ich wollte, 
Ich war zu ſchwach; allein zum Kuß 
Drückt' ich die Locken an den Mund 
Und fand ſie feucht von ihren Thränen. 
Sie hob mich auf vom felſ'gen Grund 
Und ließ an ihrer Bruſt mich lehnen. 
Auf eine Bahre legten leis 

Mich Träger dann, und auf Geheiß 


— 182 — 


Des Mädchens, das zur Seite ging, 

Fort trug man mich. Aufs Neu' empfing 
In Anacapri mich die Kammer, 

Wo ich in hoffnungsloſem Jammer 

Um Rafasle manche Nacht 

Auf meiner Lagerſtatt durchwacht; 

Doch nun, indeß ich fiebernd lag, 

Hing leuchtend wie ein Frühlingstag 

Ihr Antlitz über mir, und lind 
Umfächelte wie Maienwind 

Ihr Odem mich: „Mein Stefano“ — 
Halb noch im Traume hört' ich ſo 

Sie ſprechen — glaub mir, ſchon als Kind 
Dich hatt' ich und dich einzig lieb, 

Und kind'ſcher Trotz nur, o vergieb, 

Ließ ſpäter mich den Seelentrieb 
Bekämpfen; auch von Schlangenzungen 
War mir das Gift ins Herz gedrungen, 
So daß ich wähnte, Argliſt ſei 

Dein Werben, eitle Liebelei — 

Ich Thörichte! Verzeih, verzeih!“ 

Sie ſprachs; von Schluchzen unterbrochen 
War jedes Wort — an meines pochen 
Fühlt' ich ihr Herz und heiß das Brennen 
Auf meiner Stirn von ihrem Munde — 
O, da ich wußte, zu ew'gem Bunde 

Die meine dürf' ich nun ſie nennen, 
Selbſt, wenn ich todeskrank geweſen, 

Zum Leben mußt' ich wohl geneſen. 


„Durch Forſchung halb, halb Ahnung war 
Es Rafaslen kund geworden, 
Wie an der ſteilſten Klippen Borden 
Und auf dem Meer ich mit Gefahr 
Geſtrebt, mir Reichthum zu erringen, 


Um ihn dereinſt ihr darzubringen. 

Bei Tag und Nacht, zu allen Stunden 
Umirrend, hatte ſie nach Kunden 

Von mir geforſcht, in jeder Bucht, 

Auf allen Felſen, allen Klippen 

Mit Händeringen mich geſucht 

Und, wen ſie traf, mit zitternden Lippen 
Gefragt: ‚Gewahrteſt irgendwo 

Du eine Spur von Stefano?“ 


„So, ſchnell geheilt von jeder Pein, 
In Frühlingsglanz und Sonnenſchein 
Sah ich das Leben neu mir blühn 
Und bald das Morgenroth erglühn, 
Das mir der Tage ſchönſten brachte — 
O welchen Tag! Wie hochbeglückt 
Sank ich der Braut ans Herz! Wie lachte 
Vor Luſt ihr Antlitz, als geſchmückt 
Und mit dem Myrtenkranz im Haar 
Sie mit mir hintrat zum Altar! 
Doch als die Früchte meiner Mühn, 
Um die auf Fels und Meer ich kühn 
Geworben, ich zur Morgengabe 
Ihr bieten wollte, voll Entſetzen 
Fuhr ſie zurück. Mit deinen Schätzen 
Was willſt du mir? Bei Gott, ich habe 
Nicht das von dir, nicht das gewollt! 
Mir graust vor dieſem ſchnöden Gold!“ — 


„Und emſig nun ſeit jeder Frühe 
Sorgten wir mit vereintem Fleiß, 
Daß unſer junger Hausſtand blühe; 
Wohl war die Tagesarbeit heiß, 
Doch reich der Lohn; als ihre Frucht 


— 184 — 


Das Haus, wo Ihr uns oft beſucht, 
Das kleine, konnten wir erwerben. 
Dort leben wir beglückt im Stillen, 
Und fügt es ſich mit Gottes Willen, 
So mög' er uns den Wunſch erfüllen, 
Daß wir an einem Tage ſterben.“ 


VIII. 


Der Regenbogenprinz. 
Märchen. 


Tang hat der Gräfin Tochter Hildegard 
In dumpfer Stube beim Geſumm der Fliegen 
An ihrer Mutter Krankenbett geharrt. 

Die Schlummernde nun läßt ſie füglich liegen 
Und ſteigt, da milder ſchon die Hitze ward, 
Mit leichtem Schritt hinab die Wendelſtiegen, 
Daß ſie im Freien Ohr und Herz und Blicke 
An Vogelſang und Blättergrün erquicke. 


Von ihrem Tritte, da den Grabenweiher 
Sie überſchreitet, zittert kaum der Steg; 
Und ſchon, ſo dünkt ſie, geht ihr Athem freier. 
Stets breiter, lichter wird um ſie der Weg, 
Im friſchen Windeshauche wallt ihr Schleier; 
Sie grüßt den Bach, der ihr, wie zum Geſpräch, 
Entgegenrauſcht, und, weitgedehnt, azuren, 
Den Himmel über den Getreidefluren. 


— 186 — 


„Ach! allzu kurz wird dieſe Freude währen!“ 
So dachte ſie, indem ſie vorwärts ging, 
Und beugte ſich und pflückte rothe Beeren 
Und haſchte nach dem bunten Schmetterling 
Und brach am Pfad, auf den mit vollen Aehren 
Die ſegenſchwere Ernte niederhing, 
Cyanen, jene Blumen, ſchön vor allen 
Wie Tropfen Blaus, die aus dem Himmel fallen. 


Ein Kornfeld liegt vor ihr, das in die Ferne, 
So weit das Auge reicht, ſich endlos zieht; 
Und wie ſie bald den Sommerfalter gerne 
Erhaſchen möchte, welcher gaukelnd flieht, 

Bald hier und wieder dort die blauen Sterne 
Inmitten goldner Halme leuchten ſieht, 

Hat unverſehns — zum eignen Schrecken wird 
Sie es gewahr — ſich Hildegard verirrt. 


Schwül dünkte ſie die Luft wie vor Gewittern, 
Sie ſah nicht fern den Sonnenuntergang 
Und lauſchte, ob ſie Stimmen nicht von Schnittern 
Vernehmen könne oder Sichelklang; 
Doch hörte nichts als nur das leiſe Zittern, 
Das durch die Halme ging — und wie ſie bang 
Hierhin und dorthin eilt, den Weg zu finden, 
Verſtrickt ſie mehr ſich in den Irrgewinden. 


Ihr Auge ſchweift erſchrocken bald nach vorn, 
Bald rechts und links hin. „Gott! wenn das Geſpenſt 
Mir nun begegnet, dem der Blick vor Zorn 
Roth wie die Ernte-Mittagsſonne glänzt! 
Man ſagt, daß Jedem, den es trifft im Korn, 
Es mit Gewalt die Stirn mit Mohn bekränzt, 
Und hat ihm das gethan die Roggenmuhme, 
So welkt er hin wie die gemähte Blume.“ 


. 


u 


Das Mädchen denkt es; und von Aehrenſpitze 
Zu Aehrenſpitze, will ihr ſcheinen, geht 
Ein Leuchten hin, ein Zucken kleiner Blitze, 
Die hüpfend auf und ab der Südwind weht. 
Sie kommt zuletzt, erſchöpft von Angſt und Hitze, 
An einen Platz, wo ſchon das Gras gemäht, 
Und ſinkt, als raffte ſie dahin ein Schwindel, 
Ohnmächtig nieder auf ein Aehrenbündel. 


Inzwiſchen hat der Himmel ſich umzogen, 
Und ſtrahlend ſpannt mit ſeinen ſieben Farben 
Sich durch die Wolken hin ein Regenbogen; 
Ich aber laſſ' einſtweilen auf den Garben 
Das Mädchen ruhn, und wenn du mir gewogen, 
Wenn meine Reime deine Gunſt erwarben, 

So folgſt du, Leſer, von dem Erntefeld 
Mir in des Luftreichs wunderbare Welt. 


Dort oben, magſt dus glauben oder nicht, 
Hat ein Geſchlecht durchlauchtiger Dynaſten 
Jahrtauſendlang geübt die Herrſcherpflicht, 
Eh Noah noch geflüchtet in den Kaſten; 

So mindeſtens behauptet der Bericht, 

Den die Chroniſten jenes Hofs verfaßten — 
Wofern es mit der Bibel im Conflikt iſt, 
So löſ' ihn, wer als Exeget geſchickt iſt! 


Und eben jetzt verwaltet für den Sohn, 
Den noch nicht mündigen von ſiebzehn Lenzen, 
Die Fürſtin Claribelle Staat und Thron. 
Man rühmt bis über ihres Reiches Gränzen, 
Es herrſch' an ihrem Hof der feinſte Ton; 
Auch wimmelt es alldort von Excellenzen, 
Staatsräthen, Cavalieren, Chambellanen 
Und Fräulein, ſtolz auf ihre hundert Ahnen. 


te 


Alſo zu unſrer Fürſtin Claribelle, 
Da ſie beim Fluge über Land und Meer 
Mit ihrem luft'gen Reich zu jener Stelle 
Hinſchwebte, ſprach der Kronprinz Roſikler: 
„Müd bin ich dieſer immer gleichen Helle, 
O Mutter, bin es müde, hin und her 
Mit Licht und Winden durch die Welt zu ſtäuben, 
Und einen Wunſch kann nichts mir übertäuben. 


„Nach unten, wo es neben Lichtern Schatten 
Und Körperhaftes neben Träumen giebt, 
Mußt heute du mir eine Fahrt verſtatten! 
Der Schimmer, der von hier hinunterſtiebt, 
Spielt dort, ſo ſagt man, um ſmaragdne Matten, 
Darauf die Liebe auszuruhen liebt, 
Und was zerflatternd hier als Nebel wallt, 
Verdichtet ſich dort unten zur Geſtalt. 


„Jedwede Farbe deiner ſieben Streifen 
Soll dort in tauſend bunten Blumen blühn, 
Als Frucht in grünen Blätterhimmeln reifen, 
Als Stein ſogar im Erdenherzen glühn; 
Drum laß mich jenes Wunderland durchſtreifen, 
Groß iſt der Lohn, wenn auch das Wagniß kühn, 
Denn nichts gilt alle Pracht, die weſenloſe, 
Hier oben, heißt es, neben einer Roſe. 


„Auch von den Menſchen hört' ich viel erzählen, 
Faſt wie ein Märchen will es mir bedäuchten; 
Man ſagt, daß in den Augen ihre Seelen, 

So wie dein Bogen im Gewölke, leuchten 

Und ſie mit Tropfen, ähnlich den Juwelen, 

Die aus der Frühlingswolke ſprühn, befeuchten; 
Roth ſoll das Blut durch ihre Adern rinnen; 
Dies Alles laß mich ſchaun mit eignen Sinnen!“ 


—EmeI = 


Die Fürftin drauf: „Prinz! da der Fee Morgane, 
Der herrlichen, du dich vermählen kannſt, 
Da ſie zum Feſtempfang für dich die Fahne 
Schon, weithin leuchtend, auf ihr Schloß gepflanzt, 
So ſuch kein andres Glück im eitlen Wahne! 
Aus deinem Reich, das leicht in Lüften tanzt, 
Der lichten Heimath, o mein Sohn, begehre 
Nicht nach der Welt des Dunkels und der Schwere.“ 


Allein der Prinz: „Mit jener Erzkokette, 
Der Fee Morgane, Mutter, bleib mir fern! 
Mehr paßt für ſie zum Ehgemahl, ich wette, 
Ein Stutzer, einer deiner Kammerherrn; 
Genug, genug davon! — Der Etikette 
An deinem Hofe fügt' ich nie mich gern, 
Und länger nicht, vergieb mir meine Freiheit, 
Ertrag' ich dieſe ew'ge Einerleiheit.“ 


Noch ſprichts der Prinz, da nahn ſich die Miniſter 
Und bringen Klagen vor der Fürſtin Ohr: 
Tagtäglich werde ihre Lage triſter, 

Seit nicht des Cenſors Amt mehr ſteh' im Flor; 
Aus allen Taſchen ziehen ſie Regiſter 

Von Schriften, die den Staat gefährden, vor, 
Allein, ſtatt ihnen Ohr zu leihn, fragt Jene: 
„Wie dünken euch des Prinzen Reiſepläne?“ 


Sich räuſpernd hebt der Erſte an: „Noch nie 
Pflog mit Bewohnern jener niedern Zone 
Verkehr die Regenbogendynaſtie, 

Und Erdenkönigskinder, zweifelsohne 
Unebenbürtig ſind den deinen ſie. 

Iſt doch ein Welfe ſelbſt nur Epigone, 
Verglichen deinem Haus, das ſchon regierte, 
Bevor die Erde auch nur exiſtirte.“ 


1 


Der Zweite drauf: „In Blüthe, ewig friſch, 
Soll, wie von je, die Narrheit drunten ſtehen; 
O dieſe Menſchen, Hoheit! Welch Gemiſch 
In ihrem Kopf von thörichten Ideen! 

Nichts wiſſen ſie, und doch wie prahleriſch 
Sie ſich mit ihrer eitlen Weisheit blähen! 
Wie ſie, den Pfauen gleich mit bunten Rädern, 
Sich ſpreizen auf den Kanzeln und Kathedern! 


Seitdem die Thoren ihren Thurm von Babel 
Emporgethürmt in unſer Luftgebiet, 
Vor Göttern und vor Götzen, miſerabel 
So wie ſie ſelber, haben ſie gekniet. 
So toll iſt keine noch ſo tolle Fabel, 
Wie, was bei ihnen Tag für Tag geſchieht; 
Kurz, denk' ich, wie es drunten zugehn muß, 
Im Haupte wirds mir ſchwindlig und confus.“ 


„Von ihrem Neide, ihrer Schadenfrohheit“ 
Fiel dann der Dritte ein — „auch hört' ich ſprechen, 
Und wie ſie ſich aus Habſucht oder Rohheit 
In Kriegen gegenſeits die Hälſe brechen. 
Beſorgt drum bin ich für des Prinzen Hoheit, 
Die Reiſe möchte ſchwer an ihm ſich rächen; 
Zum Mond, zur Sonne ſteht ihm frei die Straße, 
Doch meiden mög' er dieſe ſchlimme Race!“ 


Sie ſprechens; doch der Prinz ruft aus: „Nicht ändern 
Läßt mein Entſchluß ſich; gleich vollführ' ich ihn; 
Zu lang ſchon ſah ich Länder neben Ländern 
Wie Wolkenſtreifen nur vorüberfliehn 
Und ihre Ströme nur gleich ſchmalen Bändern. 
Jetzt will ich dieſe Fabelwelt durchziehn; 
Der Menſchen Städte, ihre Prachtgebäude 
Von Nahem zu beſchaun, o welche Freude!“ 


36 


55 


„So flieg hinab, wenn nicht dein Wunſch zu zähmen“ — 
Mahnt ihn die Fürſtin noch — „allein vor Nacht 
(Denn für die Zeit des Dunkels und der Schemen 
Iſt nicht der zarte Sohn des Lichts gemacht) 

Mußt du den Flug empor ins Luftreich nehmen; 
Nach Tage, Prinz, — o, nimm es wohl in Acht! — 
Verſuche nicht, noch unten auszuharren, 

Denn ohne Sonne müßteſt du erſtarren!“ 


Drauf Roſikler: „Gleich ſollſt du mich erproben! 
Noch eine Stunde drunten währt der Tag.“ 
Die Aetherſchwingen hat er ſchnell erhoben 
Und ſchwebt hinab mit leichtem Flügelſchlag. 
Dem Fliehnden ſchaut die Fürſtin bang von oben 
Beim Achſelzucken der Miniſter nach; 
Ihn aber trägt durch Zufall das Gefieder 
Aufs Feld, wo Hildegard wir ließen, nieder. 


Da er zum erſten Mal ein Erdengaſt, 
Wie macht ihn Alles, was er ſieht, erſtaunen! 
Von einer Aehre, drauf er Fuß gefaßt, 
Starrt er zum Halm hinab, dem gelblich-braunen, 
Der ſanft nur zittert unter ſeiner Laſt, 
Und hört erſchreckt ein Rauſchen und ein Raunen 
Im Korngefild, wie wenn beim Frühlingsregnen 
Zwei Wolkengeiſter-Heere ſich begegnen. 


Indeſſen Roſikler noch ſchwankt und bebt, 
Hat Hildegard ſich wieder aufgerafft. 
„Wer,“ denkt ſie, während ſie ſich halb erhebt, 
„Wer iſt das Weſen, fremd und märchenhaft, 
Das auf der Spitze jener Aehre ſchwebt? 
Die Bienen ſelbſt ſind ſchwerer, die den Saft 
Aus honigvollen Blumenknospen ſaugen.“ 
Sie denkts und reibt ſich zweifelnd noch die Augen. 


„ 1 { 


Mattheller Glanz, wie er durchs Laubgrün quillt, 
In deſſen Schooß ein Glühwurm ſchlummernd liegt, 
Bricht durch das Duftkleid, das ihn leicht umhüllt; 
Ein Diadem, um ſeine Stirn geſchmiegt, 

Wirft auf das Haupthaar, das darunter ſchwillt, 
Buntfarb'ge Lichter zitternd hin und wiegt, 

So wie ein Regenbogen auf den Flocken 

Des Waſſerfalles, ſich auf feinen Locken. 


Nicht müd, wie er ſo hold daſteht, ſo ſchmuck, 
Wird Hildegard, auf ihn den Blick zu richten; 
Von Elfen wohl, von Ariel und Puck, 

Von Wurzelmännlein und von Heinzelwichten, 
Von Gnomen und von anderm Geiſterſpuk 

Las ſie in alten Fabeln und Gedichten, 

Auch wohl von Feen und von weißen Damen; 
Doch Dieſer hier, was ſind für ihn die Namen? 


Prinz Roſikler erblickt das Mädchen auch, 

Und alles Andre gilt ihm fürder nichts; 

Er ſieht die Bruſt vom leiſen Athemhauch 
Gehoben, und gleich einem Strahl des Lichts, 
Der zitternd durch den blaſſen Höhenrauch 
Des Morgens glimmt, durch ihres Angeſichts 
Schneereines Weiß mit Steigen und mit Fallen | 
Das Roth des Staunen und der Freude wallen. 


Und weiter ſieht er, und ſteht feſtgebannt, 
Wie kleine Himmel unter ihren Brauen, 
Klar, Sphäre hinter Sphäre ausgeſpannt, 
Die unergründlich tiefen Augen blauen, 
Daraus Gefühle, die er nie gekannt 
Noch je geahnt, in feuchten Schauern thauen; — 
Lang alſo ſtanden jene Zwei wie trunken, 
Der Eine in des Andern Bild verſunken. 


U ˙ ee 


— 193 — 


Inzwiſchen goß die Sonne röthre Flammen 
Aufs Erntefeld, daß weithin die Gebreite 
In Wogen purpurfarb'gen Lichtes ſchwammen; 
Doch dann — ſo bricht auf Herden, wenn die Scheite 
Verglimmen, nach und nach die Gluth zuſammen — 
Erliſcht der Glanz; die eine Himmelsſeite 
Wird dunkler ſchon, und durch die Aehrenbüſchel 
Beginnt der Wind des Abends ſein Geziſchel. 


Erſchrocken bebt der Prinz: zum erſten Mal 

Durchrieſelt ſchaurig ihn die Dämmerung; 

Er denkt an was die Fürſtin ihm befahl, 

Rafft ſich empor mit hurt'gem Flügelſchwung 
Und fliegt, da eben noch der letzte Strahl 

Von Halm zu Halme hüpft, in leichtem Sprung 
Nach oben, um im Lichte ſich zu ſonnen — 
Dem Mädchen iſt, er ſei in Luft zerronnen. 


Als ſo allein ſie auf dem Kornfeld blieb 
Und bald nach dem Verſchwundenen noch ſpähte, 
Bald wie nach Träumen ſich die Augen rieb, 
Befiel ſie Bangigkeit, und Stoßgebete 
Stieß die Verlaßne aus; doch endlich trieb 
Der Wind von Schnittern, die in Abendſpäte 
Heimzogen und ein Lied im muntern Chor 
Noch ſangen, ihr die Stimmen an das Ohr. 


Dem Schalle nach, der ferner bald, bald näher 
Sich auf den ſchwanken Aehrenſpitzen wiegt, 
Geht Hildegard und folgt der Spur der Mäher, 
Bis ſie das Schloß erblickt, das vor ihr liegt. 
Beklommnen Herzens, weil ſie nicht ſchon eher 
Zurückgekehrt, den ſteilen Felspfad fliegt 
Sie ſchnell empor und ſtiehlt ſich auf den Zehen 
In ihr Gemach, als wäre nichts geſchehen. 

Schack, Geſ. Werke. III. 13 


— 194 — 


Sie wagt nicht mehr, zur Gräfin hinzutreten; 
Vom Fenſter — denn ſie findet keinen Schlaf — 
Blickt ſie zum Himmel auf, dem ſternbeſäten, 
Und denkt an Jenen, den ſie draußen traf; 

Ach, Alle, die um ihre Hand gebeten, 

Der Herzog von Burgund, vom Rhein der Graf, 
Was ſind ſie neben dieſem Einen, Lieben, 

Dem ſie ihr Herz für immerdar verſchrieben? 


Zu ihr eintritt die Mutter in der Frühe, 
Die tief entſchlummert ſeit dem Nachmittag 
Gelegen hat und ſchon mit leichter Mühe 
Nach ſolcher Stärkung aufzuſtehn vermag. 
Zwar ſieht, wie roth der Tochter Antlitz glühe, 
Die Gräfin wohl, doch forſcht dem Grund nicht nach 
Und ahnt, was ihr bis in die tiefſten Schichten 
Die Seele umgewandelt hat, mit nichten. 


Doch als nun Hildegarde von dem Gange, 
Der Tag für Tag ihr in den Abendſtunden 
Verſtattet war, mit immer bleichrer Wange 
Heimkam, weil ſie den Fremdling nicht gefunden, 
Den lieblichen, da ward der Alten bange, 

Sie ſuchte das Geheimniß zu erkunden, 
Das Jene barg; allein die Tochter ſchwieg 
Und ſank aufs Lager fiebernd, welk und ſiech. 


Zuletzt, beſtürmt von vielen Fragen, ſpricht 
Das Mädchen ſo zur Gräfin, die indeſſen 
Vollends geneſen: „Mutter, ſchilt mich nicht! 
Durchs Kornfeld hab' ich, des Befehls vergeſſen, 
Den du gegeben, jüngſt beim Abendlicht 
Noch einen Gang zu machen mich vermeſſen; 
Doch nicht die Roggenmuhme — auf mein Wort! — 
Nein, einen ſchönen Jüngling traf ich dort. 


— 195 — 


„So zart, ſo lieblich wie die Blüthendolde, 
Wenn Frühlingswind den erſten Duft ihr raubt, 
Und faſt durchſicht'gen Leibes war der Holde, 
Man muß es ſehen, daß man daran glaubt; 
Hell ſchimmerte die Flur im Abendgolde, 

Doch heller noch auf ſeinem Lockenhaupt 
Das Diadem — ein Weſen hohen Standes 
Schien er zu ſein, ein Prinz des Feenlandes. 


„O Trauter,“ ſchluchzt ſie weiter, „einzig Lieber! 
Was flohſt du denn und ließeſt mich zurück? 
Nimm mich mit dir zu deinem Reich hinüber! 

Auf Erden iſt mir ohne dich kein Glück.“ 
Die Gräfin glaubt, ſie rede nur im Fieber, 
Und ruft den Arzt, der ſchon ſein Meiſterſtück 
An ihr gemacht, die Tochter herzuſtellen; 
Doch nichts will den getrübten Geiſt erhellen. 


Aufs Schloß dann rief, der Tochter Gram zu bannen, 

Das Landvolk ſie zum luſt'gen Mummenſchanz; 

Der Jäger kam mit grünem Reis der Tannen, 

Der Schnitter mit dem blauen Erntekranz, 

Und Winzer ſchwangen, moſtgefüllte Kannen 

In Händen, mit den Dirnen ſich im Tanz; 

Wie Gnomen huſchten zwiſchen all den Scherzen 
Bergknappen mit den lohen Grubenkerzen. 


Umſonſt; der Winter naht mit Schnee und Eis, 

Und nun verheißt, da alle Mittel ſcheitern, 

Die Gräfin Dem der Tochter Hand als Preis, 
Der es vermag, den Sinn ihr zu erheitern. 

Mit Fahnen wird die Burg geſchmückt, als ſeis 
Für ein Turnier, und bald hat von den Reitern 
Und Reiſ'gen, die ihr Glück verſuchen wollen, 

Die Brücke nicht mehr Raſt in ihren Rollen. 


— Ur 2 


Es naht ſich von dem ſonn'gen Küſtenſtreifen, 
Wo Lieder in der ſchönen Sprache d'Oc 
Inmitten goldner Pomeranzen reifen, 

Der Troubadour mit ſchwarzem Haargelock; 
Ihm tragen Cither, Pickelflöt' und Pfeifen 
Jongleure nach. Wie aus dem Bienenſtock 
Durch ſonnenhelle Aun die Bienen ſchwärmen, 
Summt durch die Säle hin das luſt'ge Lärmen. 


Vom Rhein, vom Neckar kommen Ritter viel 
Und Pagen hinterdrein mit goldnen Ringen, 
In denen Falken ſich beim Glockenſpiel, 

Das jene ſchlagen, auf- und niederſchwingen. 
Der Gaukler wirft die Kugel nach dem Ziel 
Und läßt zum Schellenklang die Affen ſpringen; 
Allein kein Schwank, kein Schall der Tamburine 
Lockt nur ein Lächeln in des Mädchens Miene. 


So laſſen wir ſie denn in ihrer Trauer 
Und ſchaun nach Dem, der ihren Gram erregt, 
Wie ihn der Lichtſtrahl, auf dem Regenſchauer 
Den Bogen wölbend, durch den Himmel trägt. 
Zum Bild der Trübſal hat ſeit Mondendauer 
Ihn ungeſtillte Sehnſucht umgeprägt, 

Nachdem er oft mit ſtets getäuſchtem Hoffen 
Den Platz geſucht, wo er die Maid getroffen. 


Wo jene Grafſchaft, die das Mädchen barg, 
Gelegen ſei, er wußt' es nicht von ferne, 
Denn daß in der Statiſtik Deutſchlands karg 
Des Prinzen Wiſſen war, geſteh' ich gerne; 
Nur tadl' ihn, Leſer, deshalb nicht zu arg! 
Die Hand aufs Herz! verhängten mir die Sterne, 
Nach Laubach oder Reifferſcheid zu reiſen, 
Vermöchtſt du, mir den Weg dahin zu weiſen? 


8 


Die Fürſtin fragt umſonſt: „Was haſt du, Kind?“ 

Doch nur der ſtumme Gram in ſeinen Zügen 

Giebt Antwort ihr, und was ſie auch erſinnt, 

Den Prinzen zu zerſtreuen, zu vergnügen, 

Sein Ohr bleibt Allem taub, ſein Auge blind. 

Sie eilt von Ort zu Ort in ſchnellern Flügen 

Und mahnt, um ſeinen Kummer ſo zum Schweigen 
Zu bringen, ihn nun ſelbſt, hinabzuſteigen. 


Hinunterdeutend von den luft'gen Zinnen, 
Spricht ſie: „Da liegt der goldne Orient, 
Wo noch das Licht ſo wie beim Weltbeginnen 
In ungetrübter Flammenglorie brennt 
Und Feen jene duft'gen Netze ſpinnen, 

Die man auf Erden Morgenträume nennt; 
Flieg, Sohn, hinab, um eine ihrer Maſchen, 
Die dir zum Spiele diene, zu erhaſchen! 


„Auch lauſche dort am Rande der Eiſternen, 
Ob nicht dein Ohr verſchollne Lieder höre! 
Geheimniſſe aus fernſten Zeitenfernen 
Bewahren drunten noch die Nixenchöre; 
Vielleicht wirſt du den Zauberſpruch dort lernen, 
Wie man die goldne Zeit zurückbeſchwöre, 

Da noch der rauhe Zwieſpalt nicht den Frieden 
Der Menſchen- und der Geiſterwelt geſchieden.“ 


Die Fürſtin ſo; doch trüb bei ihren Reden, 
In Sehnſucht nur verſunken, ſaß ihr Sohn, 
Indeſſen unter ihm wie Sommerfäden 
Die Bergeszüge und die Ströme flohn. 
„Dort,“ ſpricht die Mutter, „liegt der Garten Eden! 
Hörſt du den murmelnden, den leiſen Ton, 
Mit dem die Paradieſesquellen rauſchen?“ 
Er aber will nicht ſehen und nicht lauſchen. 


ö 


Vorüber dann an Magog und an Gog, 

An Chivas Wüſte, wo das Leben dorrt, 

Am Arimafpen-Land, wo Greife noch 

Des frühſten Märchenalters Zauberhort 

Behüten; an dem ehrnen Bergesjoch, 

Durch das nach Weit und Oft und Süd und Nord 
Die Völkerſtröme ſich ergoſſen haben, 

Führt Claribelle den betrübten Knaben. 


Sie zeigt ihm — aber nichts ſchafft ihm Behagen — 
Jenſeits des fabelhaften Garamant 
Die Atlas⸗Säulen, die den Himmel tragen, 
Und jenes nie entdeckte Wunderland, 
Wo eisbekrönt die Mondgebirge ragen, 
Von denen, wenn im ſcheitelrechten Brand 
Der Tropenſonne ihre Gletſcher ſchmelzen, 
Des Nilſtroms Wogen ſich herniederwälzen. 


Als aber Alles das ihm nicht den todten, 
In ſich verſunknen Geiſt erwachen läßt, 
Entſendet Claribelle ihre Boten 
Und ruft die luft'gen Geiſter ſich zum Feſt; 
Sie läßt von Oſten her die morgenrothen, 
Läßt ſich die duft'gen Wolken, die der Weſt 
Mit Golde ſtickt, und von den beiden Polen 
Die ſterndurchflimmerten Gewölke holen. 


Und ſiehe, hier gewirbelt vom Orkane, 
Wie welke Blätter auf dem Katarakt, 
Dort ſanft vom Wind geſchaukelt, gleich dem Kahne, 
Der auf dem Strom ſich wiegt beim Liedertakt, 
Ziehn ſie heran; ein Genius ſchwingt die Fahne 
In jedem Wolkenſchiffe, buntbeflaggt, 
Und huldigend mit ehrfurchtsvollem Grüßen 
Senkt ſie ein jeder zu des Prinzen Füßen. 


— 199 — 


Und viele ſonſt noch nahen, luft'ge Schemen, 
Mit Weiheſpenden ihm und Opferſchalen: 
Es naht die Mitternacht mit Diademen 
Von Eiskryſtall, durchflammt von Nordlichtſtrahlen; 
Der Morgen bringt ihm Myrrhen dar aus Jemen, 
Der Abend Früchte aus Hesperiens Thalen, 
Und ihm der Mittag randgefüllte Vaſen 
Voll Schattenduft der grünendſten Oaſen. 


Doch ob der Regenbogen auch in ſchwanker 
Bewegung beben mag bei dem Gewühl, 
Stumm an der Fürſtin Seite liegt ihr kranker 
Betrübter Sohn auf ſeinem Nebelpfühl. 
Wohl gleich der Bucht, wo Schiff an Schiff die Anker 
Geworfen, glänzt die Luft vom Wimpelſpiel, 
Es jauchzt der Donner wohl in luſt'gen Schlägen, 
Allein zum Lächeln kann ihn nichts bewegen. 


Die Fürſtin denkt zuletzt: „In ſolcher Weiſe 
Währt nun ſein Kummer ſchon der Monde drei; 
Kein Mittel bleibt, als eine Erdenreiſe, 
Vielleicht macht die ihn von dem Kummer frei.“ 
Die Blicke wirft ſie prüfend rings im Kreiſe, 
Wer für ihn tauglich zum Begleiter ſei; 

Da fällt auf Troll von ungefähr ihr Auge, 
Sie glaubt, daß der zu ſolchem Poſten tauge. 


Weltmann, dem keiner gleichkommt an Vollendung, 
Hofmarſchall, wie er ſein ſoll, Excellenz 
Iſt dieſer Troll; ihm haben mit Verſchwendung 
Die Fürſten all des luft'gen Elements 
Die Bruſt beſternt bei mancher wicht'gen Sendung. 
Er hört der Herrin Wort mit Reverenz 
Und ſpricht, ſich tief verneigend: „Meine Wenigkeit 
Erſtirbt wie ſtets in tiefſter Unterthänigkeit. 


— 200 — 


„Doch unmaßgeblich zu erwägen bitt' ich, 
Ob Ihr uns beſſer nicht die Reiſe ſpart; 
Zum Hof des Nordlichtkönigs mag der Fittig 
Uns lieber tragen; das verlohnt die Fahrt, 
Denn höflich ſind die Damen dort und ſittig, 
Die Cavaliere fein von Lebensart; 

Ja, hätte ſelber ein Entdeckungszug 
Nach Wolkenkukuksheim nicht Reiz genug? 


„Weh aber Dem, der drunten auf der plumpen, 
Der garſt'gen Erde, ein Verbannter, irrt! 
Vielleicht, daß aus dem ungeſchlachten Klumpen, 
Drauf Waſſer, Land ſich durcheinander wirrt, 
Durch Roden, Bergabtragen, Moorauspumpen 
Nach tauſend Jahren was Geſcheidtes wird, 

Doch jetzt — kein Stern, ob wandernd oder fix, 
Lohnt minder ſich, als ſie, nur eines Blicks.“ 


Die Fürſtin ſpricht: „Hofmarſchall! ſorgt mir nur, 
Daß er die Menſchen flieht, die ſo berüchtigt! 
Doch, was die Kunſt erſchaffen, die Natur, 
Erheitern wird es ihn, wenn ers beſichtigt; 
Im Oſten leuchtet hell der Luftazur, 
Und jeden Nebel hat der Wind verflüchtigt; 
Dort ſteigt hinab! doch Eins ſchärf' ich euch ein, 
Vor Nacht ſtets müßt ihr wieder oben ſein!“ 


Hinunter alſo fliegt der Prinz; bedächtlich 
Und zögernd folgt der Mentor wider Willen; 
Die Ausſicht nur, zu Hof und Haus allnächtlich 
Zurückzukehren, tröſtet ihn im Stillen. 

Daß Alles auf der Erde ganz verächtlich, 

Iſt einmal eine ſeiner alten Grillen, 

Allein aus Amtspflicht trotz des unverhohlnen 
Mißmuthes folgt er feinem Pflegbefohlnen. 


BOT — 


Von Berg zu Thal, Gefilde zu Gefilde 

Ziehn, flügelſchnell getragen, Beide hin; 

Doch für des Südens Schmelz, des Nordens wilde 
Felsſchlünde achtlos bleibt des Prinzen Sinn, 

Er ſpäht nur nach dem theuren Menſchenbilde, 
Nach ſeines Herzens holder Eignerin — 

In ſeinem Buſen lebt ſie unvernichtbar, 

Warum dem Blick nur iſt ſie nirgend ſichtbar? 


Seit früh, ſobald die Sterne nur erblaßt, 
Irrt er umher, die Theure zu entdecken, 
Und wenn er ferneher nur einen Maſt 
Auftauchen ſieht auf ödem Meeresbecken, 
Hinab läßt er ſich auf den Bord in Haſt 
Und denkt: „Vielleicht hier mag ſie ſich verſtecken.“ 
Da auf dem Land er nirgendwo ſie trifft, 
Kann es nicht ſein, daß ſie das Meer durchſchifft? 


„Durchlaucht!“ — ſeufzt Troll — „warum all dieſe 

Schooner, 

All dieſe Kutter nur durchforſcht Ihr ſo? 

Nach oben kommt! Der feine Luftbewohner 

Wird doch hier unten nie des Daſeins froh. 

Dies Meeresblau, was wäre monotoner? 

Wie plump ſind dieſe Felſen nicht, wie roh! 

Für alle wäre nöthig erſt ein Hobel; 

Nichts find' ich hier, was elegant und nobel.“ 


Doch Roſikler floh ſonder Raſt von hinnen, 
Die Länder all durchforſchend und die Städte: 
Hoch auf die Thürme ſchwang er ſich, die Zinnen, 
Und wenn die Glocken riefen zum Gebete 
Und mit dem Roſenkranz die Städterinnen 
Zum Dome wallten, ſtand er da und ſpähte, 
Bis durch das Thor die letzte eingegangen; 
Dann mehr vor Gram noch bleichten ſeine Wangen. 


— 202 — 


Bald an des blauen Mittelmeers Geſtaden, 
Wo hoch zum Klippenſtrand die Woge ſchäumt 
Und unter Zweigen, goldfrucht-überladen, 
Amalfis Hirt die Mittagszeit verträumt, 

Bald in dem Wunderthal von Berchtesgaden, 
Wo Almengrün den Königſee umſäumt 

Und Heerdenläuten tönt in allen Winden, 
Glaubt er die theure Hildegard zu finden. 


Im ſchönen Spanien, wenn Klang von Cithern 
Und Mandolinentöne und Geſang 
Aus immergrüner Myrtenlauben Gittern 
Ans Ohr ihm hallten, leicht hernieder ſchwang 
Er ſich und forſchte durch der Blätter Zittern 
Nach der geliebten Maid erwartungsbang; 
Doch Augen, ihren gleich an Himmelsbläue, 
Er fand ſie nirgend und entfloh aufs Neue. 


Troll ſprach: „Da habt Ihrs! Unter dieſen Wimpern 
Iſt nichts zu ſehen, als ein häßlich Braun! 
Und das Guitarrenſpiel, welch kläglich Stümpern! 
Man muß ein Menſch ſein, um es zu verdaun. 
Hört man dies Singen, dieſes Saitenklimpern, 
Fürwahr, man ſollte glauben, daß nicht Fraun, 
Nein, daß in Spaniens vielgepriesnen Gärten 
Sich Katzen producirten in Concerten.“ 


Von Oſt nach Weſt, von Süden bis nach Norden 
So haben jene Zwei durchſchweift die Welt. 
Einſt Abends da, nicht fern des Rheines Borden, 
Die noch der letzte Sonnenſchein erhellt, 
Sieht Roſikler (neu iſt es Herbſt geworden) 
Zu Füßen ſich ein reifes Erntefeld — 
Das iſt der Platz, der langgeſuchte Platz; 
Ihn finden wird er hier, den Herzensſchatz. 


— 203 — 


„Prinz, Prinz, was ſucht Ihr dort? Kommt doch 

nach oben! 

Spät wirds; gefährlich drunten iſt die Nacht!“ 

Rief Troll, der ſich behende ſchon erhoben; 

Doch Roſikler, nicht hatt' er deſſen Acht. 

Ob Dämmrung auch die Erde ſchon umwoben, 

Hernieder ließ er ſich mit Unbedacht, 

Und bald auch ſah er vor ſich die Erſehnte, 

Wie ſie das Haupt an eine Garbe lehnte. 


O herrlich Ziel der langen Erdenfahrt! 
Reich nun belohnt iſt ihm jedwede Mühe. 
Auch Hildegarden, da ſie ihn gewahrt, 
Iſts, als ob neu die Welt um ſie erblühe. 
Doch, wär' er nicht ein Traumbild, er, ſo zart, 
So duftig wie der Nebel in der Frühe, 
Wenn auf Gebirgeshöhn, in Thalgefilden 
Der Sonne erſte Strahlen ihn vergülden? 


Die Beiden ſtehen, Blick in Blick verloren, 
Und ſtammelnd ſpricht der Prinz: „Geliebte Braut!“ 
Doch dringt kein Klang zu Hildegardens Ohren, 
Unhörbar bleibt für ſie der Geiſterlaut. 
Da, während ſich die Lüfte trüb umfloren 
Und nächt'ger Schatten ſchon auf Erden graut, 
Bebt plötzlich Roſikler, ſo wie zu rauher 
Herbſtzeit die Blüthen in des Nordwinds Schauer. 


Zu ſpät! zu ſpät! Dahin die Sonnenhelle, 
Und leben kann er nur in ihrem Licht; 
Allein wie feſtgebannt an jene Stelle, 
Blickt er der Theuern in das Angeſicht. 
Bis an das Herz ſtrömt ihm die eiſ'ge Welle, 
Er neigt das bleiche Haupt, ſein Auge bricht; 
Das Mädchen wirft ſich über ihn und jammert, 
Doch nur ein Schattenbild hält ſie umklammert. 


— 2 


„O du“, ruft ſie, „kaum faßbar unſern Sinnen — 
Was flohſt du, da ich eben dich erblickt? 

Nun fühl' ich Todesſchauer mich durchrinnen, 

Doch klag' ich nicht; wer ward wie ich beglückt? 

Dies Leben, das mit dir du nimmſt von hinnen, 

Ein Strahl aus deinem Reich hat es durchzückt, 

Und wenn auch kurz nur, hab' ich hochbegnadet 

In ſeinem reinen Lichtglanz mich gebadet.“ 


27 


= 
Die Gräfin hatte, weil Gewitter drohte, 

Angſtvoll der Tochter Rückkehr längſt erharrt; 

Da ward nach Mitternacht von ihr ein Bote 

Entſandt, zu ſuchen ihre Hildegard. 

Er kam aufs Erntefeld und ſah die Todte, 

Die Stirn am Boden liegend, bleich, erſtarrt, 

Verſchlungen ihre Arme, und ihr Haupt 

Mit einem Kranz von welkem Mohn umlaubt. 


An ihrer Seite, alſo geht die Märe, 
Stand, über ſie die Arme hingeſtreckt, 
Ein grauſ'ges Weib; weit ſtarrte in das Leere 
Ihr Auge, halb in ſchwarze Brau'n verſteckt. 
Als ob ihm Belzebub erſchienen wäre, 
Kehrt heim vom Feld der Bote, tieferſchreckt, 
Und ſagt, indem er ſich bekreuzt und ſegnet, 
Die Roggenmuhme ſei ihm dort begegnet. 


Vingsher aus den Städten der Hellenen, 
Von des blauen Mittelmeeres Inſeln 
Wogt das Volk zum weitberühmten Iſthmus, 
Wo der Aphrodite heil'ger Tempel 
Schimmerndweiß aus Lorbeergrün hervorblickt. 
Alle Dämmerpfade durch den Laubhain 
Sind erfüllt von frohen Menſchenſchaaren. 
Cymbelſchall und weicher Klang der Flöten 
Und der Hörner und Tympanen Gellen 
Fluthet durch die Lüfte; Weihrauch mengt ſich 
Mit dem Duft von tauſend Blumenkelchen, 
Und in blühnder Roſenlauben Schatten 
Feiern mit Cytherens Prieſterinnen 
Jünglinge den heitern Dienſt der Göttin. 


Aber einſam, fern der frohen Menge, 
Steht, an einem Säulenſturze lehnend, 
Lais, die gepriesne, vielbeſungne. 

Auf die Meerfluth, drauf der Abendſonne 
Purpurſtrahlen wogen, läßt den Blick ſie 
Trauernd von des Hügels Hange gleiten. 


— 206 — 


Nicht für ſie des Feſtes Luſt wie ehmals, 
Da ſie mit den Andern leichten Sinnes 

In den Schwarm der Fröhlichen ſich mengte! 
Früh hinweg von Eltern und Geſchwiſtern, 
Von Siciliens mütterlicher Erde 

Nach Korinth entführt, im ganzen Hellas 
Hat ſie des Verlangens Gluth entzündet 
Und des prieſterlichen Amts der Göttin 
Allumworben, allgeliebt gewaltet, 

Doch ihr Herz blieb leer. Wohl in der Jugend 
Erſter Blüthe iſt vom Freudenrauſche 

Ihr der Geiſt, der Sinn umſtrickt geweſen; 
Aber nach und nach in mancher Stunde 
Hat ſie ſchmerzvoll ſich geſagt, wie einſam 
Ihr das Leben ſchwinde, wie auf Erden 
Keine Seele liebend an ihr hange, 

Sie an keiner. Ob auch Freudenklänge 
Um ſie hallten, ob mit ſüßem Koſen 
Jünglingslippen ſich an ihre neigten, 

Ihres Herzens laute Stimme konnte 
Nichts betäuben; — und dahingeſchwunden 
Iſt nun Jahr auf Jahr, und da des Feſtes 
Jubel ihr zum Ohre ſchallt und vor ihr 
In der untergehnden Sonne Strahlen 
Schon die Pinien längre Schatten werfen, 
An das nahe Welken ihrer Jugend 

Und die öden, vor ihr liegenden Jahre 
Denkt ſie, wie die weltverlaßne Waiſe 

Kein beglückend Band ans Leben knüpfe. 


Sinnend alſo von des Hügels Rande 
Wandelt Lais bis zur kühlen Grotte, 
Wo der Quell Pirene ſeines Waſſers 
Heil'gen Schwall ins Marmorbecken ſprudelt. 
Bald gefüllt iſt dort ihr Krug; hinab dann 


8 


Geht ihr Weg zum nahen Meergeſtade, 

Daß ſie drunten in der Felſenniſche 

Vor der Aphrodite Bild die Blumen, 

Ihre Lieblinge, tränke. Plätſchernd gleiten 

An das Ufer halbentſchlafne Wellen, 
Abendgoldbeſäumt, und Nebel klimmen 

Von Cypreſſe zu Cypreſſe langſam 

An den Schluchten aufwärts; der Cikaden 
Schmettern in den Wipfeln ſchweigt. Da, ſiehe! 
Wie die Prieſterin entlang dem Strande 
Schreitet, vor ihr an des Pfades Biegung 
Ruht ein Jüngling auf der Felſenklippe, 
Halbentſchlummert; ſeiner Hand entglitten 

Iſt der Stab; die ſtaub'gen Fußſandalen 
Geben Zeugniß, daß er lang gewandert; 

In des Spätroths letztem, glühendſtem Scheine 
Strahlt, von ſchwarzer Locken Nacht umfluthet, 
Sein zurückgelehntes Haupt. 


Als Lais 
Sich der Klippe nähert, haſtig plötzlich 
Fährt der Fremdling auf, mit ſtarrem Blicke 
Ihr entgegenſchaund: „Bei allen Göttern 
Dich beſchwör' ich, laß aus deinem Kruge 
Einen Trunk mich thun!“ Er rufts, und langen, 
Durſt'gen Zuges ſchlürft ſein Mund das Labſal, 
Das ihm Lais bietet. „Alles Heil dir!“ — 
Spricht er neugekräftigt dann — „Schon dacht' ich 
Zu verſchmachten auf der weiten Wandrung, 
Da mein Auge keines Quells gewahr ward 
Und die Sonne glühnde Pfeile ſandte.“ 


„Und wohin des Wegs, o Jüngling, ziehſt du?“ 


„Nach Lariſſa am Peneusſtrande 
Führt mein Pfad; ein Bild der Aphrodite, 


we 


Das aus Marmor meine Hand gebildet, 
Ward als Weihgeſchenk von Argos' Bürgern 
Mir voraus dorthin geſendet; ſelbſt nun 
Folg' ich nach, es in Theſſaliens Hauptſtadt 
Auf Cytherens Altar aufzuſtellen 

Und der hohen Göttin — alſo wurde 

Mir geboten — im Epheben-Chore 
Hymnenſingend Huldigung zu bringen.“ 


„Weit noch iſt dein Gang, und dunkelnd breitet 
Schon die Nacht den Schleier auf die Erde; 
Drum hier nah beim Heiligthum der Cypris 
Gönne Raſt dir in dem Einkehrhauſe!“ 


„Schon zu lange ruht' ich,“ ſprach der Jüngling 
Sich erhebend; „gießt aus ihrem Horne 
Doch Selene milden Dämmerglanz mir 
Auf den Pfad; und in des Abends Kühle 
Viel der Schritte denk' ich noch zu machen. 
Komm' ich früher an das Ziel, ſo eher 
Wird die Heimkehr zu den lieben Meinen 
Mir beſchert. Ach, ſeit drei langen Tagen 
Bin ich ferne ſchon vom alten Argos, 
Fern dem frohen Kreiſe der Geſchwiſter. 
Faſt vergehen will mein Herz vor Sehnſucht, 
Wenn ich denke, wie ſie nun am Herde 
Um die Flammen ſitzen und Adraſtus 

In der Schweſtern Mitte des Rhapſoden 
Lied zur Leier ſingt, doch oft verſtummend 
Auf des Bruders leeren Seſſel hinblickt, 
Und wie Alle dann, zum Hausaltare 
Tretend, Zeus, den Rückkehrſpender, anflehn, 
Daß er bald in ihre Arme wieder 
Heim mich führe. Dank dir, ſchöne Jungfrau, 


9  — 


Milo's Sohn Pauſanias jagt dir nochmals 
Seinen Dank für die gewährte Labung.“ 


Und zum Wanderſtabe wieder greifend, 
Schritt der Jüngling längs des Meers von dannen. 
Durch die Abenddämmrung ſchaute Lais 
Lang ihm nach und lauſchte ſeinen Tritten, 
Bis ſie fern und fernerhin verhallten. 
Fort und fort noch tönt ihr ſeine Stimme 
In den Ohren; ſeiner Worte jedes 
Wiederholt ihr Herz; ſie meint, der Männer 
Keiner ſei ihm gleich. Erſt als im Weſten 
Schon der Mond geſunken und am dunklen 
Nachtgewölbe die Plejaden ſteigen, 
Kehrt ſie wankenden Schritts zu ihrer Wohnung. 


Angſtvoll mit der Lampe kommt Otrere 
Ihr, die alte Schaffnerin, entgegen, 
Mit beredten Lippen ihre Sorge 
Um die langgeſuchte Herrin kündend. 
Doch, zu ſchweigen, ſie allein zu laſſen, 
Winkt die Prieſterin ihr zu. — Verklungen 
Iſt der Feſtlärm; armen Müttern ſelber, 
Die bis ſpät noch bei der Arbeit ſaßen, 
Um für ihre Kleinen Brod zu ſchaffen, 
Hat das müde Auge ſich geſchloſſen; 
Aber wach liegt Lais auf dem Lager, 
Vor den Blicken ſchwebt ihr, vor der Seele 
Stets des Jünglings Bild: in banger Sorge 
Schlägt das Herz ihr, da ſie denkt, wie einſam 
Er des Wegs in finſtrer Nacht dahinzieht 
Und gefahrumdroht. Wird in der Bergſchlucht 
Ihn der Räuber fliegender Dolch nicht treffen? 
Nicht im Wald ein Unthier ihn zerreißen? 
Und erſchrocken ſich empor vom Lager 

Schack, Geſ. Werke. III. 14 


— 210 — 


Raffend, tritt fie an die Fenſterniſche, 

In der Nachtluft für die glühnde Stirne 
Kühlung ſuchend. An den Sternen droben 
Hängt ihr Blick: „Ihr ewig kreiſenden Lichter, 
Die durch öde Meerfluth ihr den Schiffer 
In den Hafen leitet, du Bootes, 
Erdumwandler Perſeus du, o ſchützt mir, 
Führt ans Ziel mir dieſen lieben Wandrer, 
Daß er fröhlich heim zum theuren Argos, 
Heim zum Kreiſe der Geſchwiſter kehre!“ 
Dann am Meerſtrand ſeine niedre Hütte 
Malt ſie ſich, die Werkſtatt, wo ſein Meißel 
Götterbilder aus dem Stein hervorlockt, 
Und den trauten Herd, an dem er Abends 
Nach des Tages wohlverbrachter Arbeit 
Heiter ſcherzend ruht; o, dort an ſeiner 
Seite liebend und geliebt zu walten, 

Was iſt aller Ruhm, den ſie genoſſen, 
Aller Glanz und alle Luſt der Erde 

Gegen ſolches Glück? 


Schon vom Portal her 
Tönt der Schwalbe morgendliches Zwitſchern; 
Röthlich ſchimmert der Cypreſſen Wipfel, 
Und noch hat auf Lais' Augenlider 
Sich kein Schlaf geſenkt. Beſorgt zur Herrin 
Tritt Otrere, und die glühnden Wangen, 
Ihres Augs bethränte Wimpern ſchauend, 
Hebt ſie alſo an: „Warum auf einmal, 
Die als Kind du ſchon an meinem Buſen 
Deinen Schmerz ausweinteſt, ſag, warum nun 
Mir verhehlſt du deine Kümmerniſſe? 
Wenn, der wahren Mutter früh beraubt ſchon, 
Du die Pflegrin mit dem ſüßen Namen 


— 211 — 


Immerdar genannt haſt, o ſo birg ihr, 
Was im Herzen dich betrübt, nicht länger!“ 


Unter Schluchzen an die Bruſt der Alten 
Wirft ſich Lais, ſie verſucht zu reden, 
Aber ſtammelt nur verwirrte Worte, 
Und ſich aus Otreres Armen windend: 
„Laß mich, Gute!“ ſpricht ſie dann, „hinunter 
An das Ufer in der Morgenkühle 
Laß mich wandern! Von dem wilden Feſtlärm 
Und des Herbſtes ungewohnter Schwüle 
Ward zu Fieber mir das Blut entzündet; 
Doch getroſt! der friſche Meerhauch wird mir 
Und die Einſamkeit Geneſung bringen.“ 


Ans Geſtade, wo dem Jüngling geſtern 
Sie begegnet, richtet ſie die Schritte, 
Spähend, ob im Sand ſie ſeines Fußes 
Spuren noch gewahre. Auf den Felſen, 
Drauf er ruhte, brünſtig ihre Lippen 
Drückt ſie; kein Altar der Göttin däucht ihr 
Heilig ſo wie er; und wie ſie knieend 
Auf den kalten Stein das glühnde Antlitz 
Preßt, hört ihr entzücktes Herz von Neuem 
Des Geliebten Stimme. Dann erſchrocken 
Wieder fährt ſie auf und blickt nach Norden, 
Wo er flüchtig ihrem Blick entſchwunden, 
Starrt und ſtarrt, bis ſich der Seele Traumbild 
Sichtbar vor den Augen ihr geſtaltet 
Und Pauſanias' Antlitz mit den milden 
Frommen Zügen ihr entgegenlächelt. 


Sengend fallen ſchon der Mittagsſonne 
Pfeile auf die kahlen Uferklippen, 
Als Otrere, nach der Herrin ſuchend, 


— 22 


Sie am Felſen hingeſunken findet 

Und mit Schmeicheln halb und halb gewaltſam 
In ihr rebumflochtnes Häuschen heimführt. 
Auf die Lagerſtatt die Tieferſchöpfte 

Sorglich bettend, ihr zur Seite ſitzend, 

Bald gewahrt ſie, daß ſich ihre Augen 

Mählig ſchließen. Lang liegt Lais reglos, 
Wie in tiefem Schlummer. Dann, als purpurn 
Durch das Rebengitter ſich des Abends 

Letzte Gluth ergießt, emporgerichtet 

Zu der Alten ſpricht ſie: „Geh nun, Liebe! 
Neugeſtärkt ſchon bin ich, und geneſen 

Wird der nächt'ge Schlaf mich völlig laſſen.“ 


Und allein im dunkelnden Gemache 
Sich erhebt ſie: „Ja, es muß geſchehen; 
Raſt nicht find' ich hier — nur ein Gedanke, 
Ein Verlangen lebt in meiner Seele, 
Wieder ihn zu ſehn, den holden Liebling 
Meines Herzens! Auf dem Weg ihm folg' ich, 
Den er zog ins ferne Land Theſſalien; 
Ja! und wär' er bis zum Saum der Erde 
In der Skythenwüſte nie betretne 
Einſamkeit entflohn, ihm nachzueilen 
Säumt' ich nicht. Du, hehre Aphrodite, 
Deren Strahl, wie lang ich dir gedient auch, 
Heut zum erſten Mal mit reiner Flamme 
Gleich dem Blitz, die Schlacken all verzehrend, 
Mich durchzuckt, ſei, hocherhabne Göttin, 
Du mir Führerin auf dieſem Pfade!“ 


Leiſe, daß Otrere nichts vernehme, 
Rüſtet ſich die Prieſtrin für den Aufbruch, 
Ihrer Locken wirre Fülle ordnend. 

Und als jeder Laut umher verhallt iſt, 


— 


Uebers Haupt den weißen Schleier werfend, 
Leiſe durch die Thür den Gang hin ſchleicht ſie, 
Bis wo frei die nächt'ge Luft ſie anhaucht 
Und der Wogen Brandung aus der Tiefe 
Ihr zum Ohre ſchallt. Hinabgeſunken 

Iſt des Adlers Sternbild ſchon; im Aufgang 
Hebt Orion ſtrahlend durch den Nebel 

Seine Keule. Von der Felſenhöhe, 

Drauf der Göttin heitrer Tempel aufragt, 
Schreitet Lais auf den Marmorſtufen 

Ans Geſtad hinab und zieht gefaßten 
Muthes längs des hochaufrauſchenden Meeres 
Gegen Norden. Dämmernd aus den Wellen 
Steigt die Frühe, an der Berge Gipfeln 
Roſ'gen Schein entzündend; und in friſcher 
Morgenkühle wie in Gluth des Mittags 
Fort und fort dem Leitſtern ihrer Sehnſucht 
Folgt die Prieſtrin, ſelten Raſt ſich gönnend, 
Wo im Schatten ſäuſelnder Platanen 

Eine Steinbank ſie zum Ausruhn ladet 

Und Cikaden, ſich der Sonne freuend, 

Auf den Wipfeln ſchwirren. Nahrung bieten 
Ihr die Sykomore, der Granatbaum, 

Die, belaſtet mit des Herbſtes Früchten, 
Längs des Wegs die ſchweren Zweige ſenken; 
Doch vergebens laden ſie die Winzer 

In die traubenreichen Rebengärten, 

Wo bei Cymbelſchall das Feſt des Weingotts 
Sie verſammelt; ruhelos von dannen 

Wird ſie von des Herzens Drang getrieben. 
Wenn ihr Auge ſpähend nur von ferne 
Eines Wandrers auf dem Pfad gewahr wird, 
Süß erſchrickt ſie: iſt es nicht Pauſanias, 
Auf dem Heimkehrwege ſchon begriffen? 
Nein, o nein! wie anders ganz die Züge! 


— 214 — 


Gleicht, ſo viel der Männer ſind auf Erden, 
Ihm doch keiner! — 


Tage ſo nach Tagen 
Schwinden auf der Wandrung ihr; ſchon leuchtend 
Ueber glühnde Aun, die des Peneus 
Silberſtrom durchſchlängelt, glänzt das Schneehaupt 
Des Olymp weißſchimmernd ihr entgegen, 
Und wie wird ihr, als vor ihr die Thürme 
Von Lariſſa hoch und immer höher 
Aus dem wogenden Laubgrün ſich erheben! 
O, nur jetzt, ihr müden Glieder, thut noch 
Ihr den Dienſt, daß ſie die Stadt erreiche, 
Drin er weilen muß, der Langgeſuchte! 


Durch das Thor, die lärmerfüllten Gaſſen 
Eilt die Prieſterin mit ſchwanken Schritten 
Bis zur heil'gen Höhe, wo Cytherens 
Tempel mit dem Marmorgiebel leuchtet. 
Dort ihn im Epheben-Chor zu finden 
Denkt ſie, ſteigt in Haſt die Tempelſtufen 
Aufwärts, tritt ins Heiligthum, doch findet 
Rings die Halle leer; der Aphrodite 
Bildniß nur, von ſeiner Hand gemeißelt, 
Blickt auf ſie hernieder vom Altare. 
Wieder durch das Säulenthor des Tempels 
Schreitet Lais; emſ'gen Auges forſchend, 
Auf der Agora, entlang den Hallen 
Der Verkäufer und der Käufer ſpäht ſie, 
Ob ſie ihn entdecke; doch vergebens. 

Oft will der Vorüberwandelnden Einem 
Ihre Lippe ſeinen Namen nennen, 

Aber ungeſprochen auf der Zunge 

Stirbt, von Bangigkeit erſtickt, die Frage. 


— 215 — 


Endlich, als die hohen Häuſerzinnen 
Röthlich ſchon im Abendlichte ſchimmern, 
Schnellgefaßten Muths zu einem Greiſe 
Tritt ſie hin: „Sprich, würd'ger Alter, kannſt du 
Von Pauſanias, Milo's Sohn aus Argos, 
Mir berichten, wo der Jüngling weile?“ 

Ihr erwidert Jener: „Wer vermöcht' es, 
Wenn nicht ich? Lyſander, mein Gebieter, 
Hat als Gaſtfreund ihn in ſeinem Hauſe 
Aufgenommen; ſeine Tochter Zoe, 

Der ſeit lang die Eltern ihn verlobten, 
Wird der Jüngling in der nächſten Frühe 
Heim nach Argos führen; heute Nacht noch 
Soll die Hochzeitfeier ſein; nach Hauſe 

Eil' ich drum; gehab dich wohl, o Jungfrau! 
Schon, im Tempel das gewohnte Opfer 
Darzubringen, naht ſich dort das Brautpaar.“ 


Horch! — und Flötenton und Harfenklänge! 
Weit erſchließen ſich des nahen Hauſes 
Thore, und aus kranzumwundnem Vorhof 
Tritt ein Zug von Knaben und von Mädchen, 
Die in Händen grüne Zweige tragen. 
Starr, als ob ein Blitzſtrahl, von des Donnrers 
Hand geſchleudert, vor ihr niederfahre, 
Halbentſeelt ſteht Lais; wie durch trübe 
Schleier nur die Flötenſpielerinnen 
Sieht ſie, die bekränzten Opferknaben 
Ihr vorüberſchreiten und — ihr Götter! 
Kann es ſein? — Pauſanias ſelbſt im Feſtſchmuck, 
Roſen durch das Lockenhaar geflochten! 
Auf die ſchlanke, tiefverſchleierte Jungfrau 
Neben ihm, die bald durch Hymens Bande 
Ihm Vereinte, feſt das Auge heftend, 


— 216 — 


Keinen Bli dem bleichen Weibe gönnt er, 
Das mit brechendem Herzen nach ihm hinſtarrt. 


Und empor zu Aphroditens Tempel 
Geht der Zug; mit wankenden Schritten folgt ihm 
Lais, bis er durch das Thor verſchwunden 
Und der Ton der Flöten fern und ferner 
Widerhallt; da mit erloſchnen Sinnen 
An den Marmorſtufen ſinkt ſie nieder, 
Und die Nacht, die nach und nach herabwallt, 
Breitet über ſie den dunkeln Schleier. 


Früh am andern Tage, als des Morgens 
Erſtes Grauen dämmernd in die Gaſſen 
Von Lariſſa fällt, die Augen wieder 
Schlägt ſie auf, und wie ſich aus der Ohnmacht 
Zur Beſinnung neu ihr Geiſt empor ringt, 
Wen an ihrer Seite ſieht ſie ſtehen? 
Träumt ſie nicht? Das ſind Otrerens Züge! 
Ja, ſie iſts; die hingeſunkne Herrin 
Richtet ſie vom Boden auf und ſucht ſie 
Mit ſich fortzuziehn: „Gebietrin, theure! 
Flüchte dich! Den Göttern allen dank' ichs, 
Daß ich noch bei Zeiten, dich zu warnen, 
Hergelangt. Die Prieſterinnen ſandten 
Häſcher aus Korinth, um dich zu fangen, 
Denn als flücht'ge Dienerin der Göttin 
Haſt nach alter Satzung Leib und Leben 
Du verwirkt. Doch ſchon vorauf den Häſchern 
Ging die Kunde deiner Flucht durch Hellas, 
Und geführt von eiferſücht'gen Weibern, 
Die dir deiner Schönheit Weltruhm neiden, 
Stürmen wilde Rotten durch die Stadt hin, 
Dich zu ſuchen. Schnell, geliebte Herrin! 
Steinigung von ihren Händen droht dir, 


wel 


Finden fie dich hier; nur in des Tempels 
Heiligthum biſt du der Zuflucht ſicher.“ 


Aufwärts zu der Halle zieht Otrere 
Die noch halb bewußtlos ſchwankende Lais. 
„Nun hier drinnen weile du! Sie wagen 
Nicht, der Göttin Schutzrecht anzutaſten; 
Mich indeß laß gehen und die Stunde, 
Die durch Flucht dich retten kann, erſpähen! 
Insgeheim zur Nachtzeit kehr' ich wieder.“ 


Und allein im weiten Tempelraume, 
Wo des Frühlichts erſte Strahlen mühſam 
Mit dem Dunkel kämpften, fand ſich Lais. 
Mählig in der tiefumnachteten Seele 
Wieder deſſen, was geſchehen, wird ſie 
Sich bewußt, und vom Erinnrungsſchmerze 
Faſt bewältigt, ſinkt an einer Säule 
Fuß aufs Neue die Erſchöpfte nieder. 


Horch! von außen Lärmen der Verfolger, 
Die in Haufen vor dem Thore wogen, 
Und Geſchrei und Toben: „Nicht entgehen 
Soll uns die Verächterin der Götter! 

Laßt den Tempeleingang uns vermauern!“ 


Lais hörts mit Grauſen, und verzagend 
Liegt ſie lang; des nahen Todes Schauer 
Schon durch ihre Glieder fühlt ſie rinnen. 
Plötzlich auf der Aphrodite Büſte, 

Die, gemeißelt von Pauſanias' Händen, 

Auf dem Altar daſteht, fällt ihr Auge. 
Sieh! von goldnem Sonnenglanz umleuchtet, 
Schaut die Hehre lächelnd auf ſie nieder; 
Und ihr Haupt erhebt vom Boden Lais, 


8 


Und zur Milde löst in ihren Zügen 

Sich der ſtarre Schmerz. Mit ſtummer Andacht 
Lange blickt ſie aufwärts, und der Göttin 
Hoch olympiſch Antlitz ſtrahlt ihr ſanften 
Frieden in das Herz. Emporgerichtet, 
Zum Altare wankt ſie hin und wirft ſich 
Vor dem Bild Cytherens auf die Kniee, 
Ein Gebet mit ſtammelnder Zunge lallend: 
„Laß, o Göttliche, erhabne Mutter 

Alles Seins und Lebens, auf Pauſanias 
Und auf ſeiner Gattin laß die Fülle 
Deines Segens ruhn, daß er ſie glücklich 
An den Herd im alten Argos führe! 

Und in meinem Auge ſieh des Dankes 
Thräne zittern, daß du mich, die niedre 
Sterbliche, der Seligkeit gewürdigt, 

Ob auch kurz nur, deines Geiſtes reinen 
Welterlöſenden Odem zu empfinden! — 
Ja, ich fühl's in dieſem brechenden Herzen, 
Fühl's, wie du beglücken kannſt, o Liebe, 
Wie aus Endlichkeit und Staubesnacht du 
Und aus Sterbensqual die Seele retteſt. 
Dank und nochmals Dank dir, du der Genien 
Mächtigſte, die aus der Nacht des Chaos 
Du zuerſt die Elemente ſchiedeſt, 

Daß nach deinem Willen ſie in ſchöner 
Harmonie ſich ſuchten oder flohen! 

Nimm, Befreierin von Tod und Sünde, 
Nimm zu dir hinauf mein fliehend Leben!“ 


Her vom Thore hallen Hammerſchläge 
Unterdeß. Begonnen hat die Rotte 
Schon, den Tempeleingang zu vermauern. 
Doch um Mitternacht, als die Verfolger 
Von dem Werke ruhen, ſchleicht Otrere, 


— 219 — 


Nach der Herrin ſuchend, in den Tempel. 
Bei des Mondes Lichte, der von Säule 
Hin zu Säule gleitet, was gewahrt ſie? 
Vor dem Altar liegt, zurückgeſunken, 
Lais leblos und gebrochnen Blickes, 
Noch empor zum Bild der Aphrodite 
Mit dem todesbleichen Antlitz ſchauend. 


X. 


Fiordiſpina. 


1? 


I neu des Kampfes Meute losgelaſſen, 
Die oft durch dieſe düſtern Erkergaſſen 
Dahingeſchnaubt, wenn Welf und Ghibellin 
Vom Fuß der Alpen bis zum Apennin 
Mit Bürgerblut Italiens Auen netzten 
Und keiner der von blinder Wuth Gehetzten, 
Warum das Schwert er zückte, ſagen konnte? 
Wie oft: „Uberto hie! Hie Buondelmonte! 
Sperrt ab die Straßen! Keinen laßt entrinnen!“ 
Erſcholl der Ruf von der Paläſte Zinnen, 

Und Weiber, Kinder bargen ſich erſchrocken 

In ihre Kammern; aller Thürme Glocken 
Rasten im Sturmgeläute, Schwerter blitzten, 
Und durch die Straßen hin, die blutbeſpritzten, 
Satt ſchwelgte ſich in Mord der Feinde Haß, 
Der Söhne einer Mutter. 


Nein, nicht das 
Iſt heut dein Loos, altherrliches Florenz! 


— 21 — 


Wo ſonſt vom Lenz zum Herbſt, vom Herbſt zum Lenz 
Der Kampf getost, wogt fröhlich nun der Strom 
Des Volks vom Ponte Vecchio bis zum Dom. 
Kaum noch befahl der Podeftä, die Brücken, 
Paläſte, Kirchen, Häuſer reich zu ſchmücken: 

Und ſchnell, als ſei der Frühling durch das Thor 
Hereingezogen, der im Blüthenflor 

Die Gartenhügel außen grünen läßt, 

In Prachtgewande für das Siegesfeſt 

Gekleidet hatte ſich die Arnoſtadt. 

Von bunten Wimpeln ſchimmert farbenſatt 
Ringshin die Luft; auf Zinnen und auf Warten 
Und Dächern wehen flatternde Standarten, 

Die Fenſter ſind mit Purpurtuch behängt, 

Und längs der Straßen, wo das Volk ſich drängt, 
Wie wallt der edle Bannerſchmuck der Gilden, 
Wie leuchten mit bekränzten Wappenſchilden 

Die Adelsburgen, draus von den Altanen 

Antlitz an Antlitz zwiſchen wehnden Fahnen 
Herniederſchaut! 


Und nun Drommetenklang! 
Nach Süden kehrt, die Häuſerreihn entlang, 
Sich jeder Blick; ſchon ſieht man Fahnenſpitzen, 
Helme und Harniſche im Frühlicht blitzen, 
Und ſeitwärts auseinander weicht die Menge, 
Wie von der Brücke her durch das Gedränge 
Der Zug der Sieger naht. Auf feur'gen Roſſen 
Voran die beiden jungen Schwertgenoſſen, 
Ippolito von der Überti Stamme 
Und Cosmo Buondelmonte — nie aufflamme 
Von Neuem nun der Zwieſpalt der Geſchlechter! 
Als Freunde werden dieſe Zwei die Wächter 
Des Friedens ſein, und an des Arnothals 
Abhang kann ungeſtört wie ehemals 


— 22 — 


Der Schnitter mähn, der Winzer Trauben leſen. 
Ja! ſeit zum Kampfe wider die Saneſen 

Sich die Partein vereint, die gegenſeits - 

Sich lang befehdet in der Wuth des Streits, 
Iſt jenes blut'gen Haders Schluß verbürgt, 

Der deine Söhne lang, Florenz, gewürgt. 


Hin geht der Zug an Häuſern und Arkaden, 
Indeß es von Terraſſen, von Eſtraden 
„Heil! Heil!“ erſchallt und durch die Blumenſpenden, 
Herabgeſtreut von holder Frauen Händen, 
Der Boden ſchimmert, wie im ſchönen Mai 
Die Wieſen Vallombroſas. Unſern Zwei, 
Als ſie mit Purpurſchärpe, Schwert und Schild 
Im Stahlgewand vorüberziehn, nur gilt 
Der Blick von Allen. Unter Siegesbogen 
Bahn brechen ſie ſich durch die Menſchenwogen 
Bis hin zum Dome. Dort vor dem Portal, 
Wo hoch empor den kühlen Waſſerſtrahl 
Springbrunnen aus dem Marmorbecken ſenden, 
Sind die Anziani hingereiht. Nicht enden 
Will das Gejauchze, als zu Dankgebeten 
Die Sieger in die Kirchenhalle treten. 
O, drinnen das Gewühl, wer mag es ſchildern? 
An Niſchen hängen und an Heil'genbildern 
Noch Menſchen feſtgeklammert; Kirchendiener 
Streun Weihrauch, und manch Bild der Byzantiner 
In Goldglanz ſchaut herab zum knienden Volke, 
Indeſſen ſchimmernd auf der Weihrauchwolke 
Der Schein ſich wiegt, den her vom Hochaltar 
Die Kerzen werfen. Knaben, Paar an Paar, 
Holdſelig gleich des Cimabue Engeln, 
Im weißen Meßkleid und mit Blumenſtengeln 
Stehn an den beiden Seiten der Empore, 


Und übers Haupt der Beter hin im Chore 
Rauſcht Orgelklang. 


Als die Muſik verhallt 
Und nun durchs Thor hinaus der Feſtzug wallt, 
Begrüßt der Greis Überto ſeinen Sohn 
Ippolito: „O, wenn man einen Thron 
Mir böte, ihn für dieſer Stunde Glück 
Würd' ich verſchmähen! Blickt mein Geiſt zurück 
Auf alle frühern meiner ſiebzig Jahre, 
Ihr find' ich keine gleich; den Schnee der Haare 
Mit Jugend⸗Braun neu könnte ſie mir färben, 
Und williger leg' ich mich nun zum Sterben, 


Nachdem ich ſie erlebt. Hab' Dank, hab' Dank!“ — 


Und freudig an die Bruſt des Vaters ſank 

Der Sohn; dann weiter ſprach der Alte ſo: 
„Und nun erfahre, mein Ippolito, 

Was dieſes großen Tages Freude krönt! 

Damit von Ahn zu Enkel jetzt verſöhnt 

Der Haß der Stämme ſei, das wüſte Hadern, 
Das lang mit Blut aus ſeiner Bürger Adern 
Die Straßen von Florenz getränkt, geeint 
Jüngſt hab' ich mich mit meinem alten Feind, 
Dem Buondelmonte, daß mit ſeinem Kinde 
Ginevra ſich mein einz'ger Sohn verbinde. 
Segnen den Tag, wenn du die Hand ihr reichſt, 
Wird unſre theure Stadt. Wie? du erbleichſt? 
Nun ja; denn große Freuden, ſagt man, laſſen 
In ſel'gem Schrecken das Geſicht erblaſſen, 

Und nicht geahnt haſt du, welch Glück dir blühte. 
An Adel mißt ſich, Schönheit, Herzensgüte 
Ginevren Keine. Zum Verlobungsfeſte 

Auf morgen ſind geladen ſchon die Gäſte.“ 


Eintrat in der Überti Haus der Alte. 
Das Wort, das er geſprochen, aber hallte 
Dem Sohn verwirrend noch durch Ohr und Sinn 
Und trieb ihn ruhlos durch die Straßen hin. 
Wie in den Phantaſien des Fieberkranken 
Irrwanderten im Geiſt ihm die Gedanken, 
Betäubt von jener Kunde Donnerſchlag. 
Ihm auf der Stirne, auf der Seele lag 
Bleiſchwerer Druck, und in das Leere bohrte 
Sein Auge ſich, das irre, nachtumflorte. 
Bisweilen ſprach er vor ſich hin: „Nein, nimmer!“ 
Und wie am Abgrund ſich ein Bergerklimmer 
Bang an der überhangenden Zacke hält, 
Damit er nicht, am Felsgeſtein zerſchellt, 
In bodenloſe Tiefe ſtürze, ſo 
Zu klammern ſuchte ſich Ippolito 
An den Gedanken: „Nimmer! Für den Haß 
Der Buondelmonti und Überti, was 
Denkt man als Sühnungsopfer mich zu weihn? 
Erloſchen iſt der Zwieſpalt der Partein, 
Und glimmt verborgen noch ein Funke, dämpfen 
Wird ihn die Zeit, daß nie in blut'gen Kämpfen 
Der Bürger mehr ſich dieſer Stadt zerfleiſcht. 
Bei Gott! ich weigre, was der Vater heiſcht, 
Und ſag' ihm keck ins Angeſicht: „Du finnft, 
Das Glück des Sohnes für ein Hirngeſpinnſt 
Dahinzugeben; aber hör' mich ſchwören: 
Nie einer Andern wird dies Herz gehören, 
Noch dieſe Hand, als meiner Fiordiſpine.“ 


Indeß er weiter irrt, ſteigt aus dem Grüne 
Am Wege, der nach San Miniato leitet, 
Vor ihm ein Gartenſchloß empor. Er ſchreitet 


En 


Hin zu dem Thore, pocht, pocht wiederum, 

Ruft: „Oeffnet mir!“ doch lang bleibt Alles ſtumm. 
Dann von der Treppe obenher ein leiſer 

Fußtritt, die Stufen kommts herab, und heiſer 
Fragt eine Stimme: „Wer da?“ — Nun Gebell 
Maſettos auch, und: „Oeffnet, öffnet ſchnell!“ 
Begehrt Ippolito; der Riegel klirrt; 

Das Hündchen, das gewahr des Gaſtes wird, 
Springt freundlich auf ihn zu, und Ottima, 

Die Alte, ſchlägt die Hände: „Ei, ſieh da! 

Ihr, junger Herr? Wer hätte das gedacht? 

Gott habe Dank, daß glücklich aus der Schlacht 
Ihr heimgekehrt! Doch hier im Haus iſt Trauer, 
Und meine Herrin ſah ſeit Wochendauer 

Kein Menſchenantlitz. Ihren guten Ohm 
Beſtatteten wir in der Gruft beim Dom, 

Und Fiordiſpina ſteht allein, verwaist. 

Doch kommt! Wenn alle Andern auch, Euch weist 
Sie nicht zurück.“ — 


Der Jüngling ſtürmt voll Haſt 

Aufwärts bis in den innerſten Palaſt, 
Und — ſeinen Schritt von fern hat ſie erkannt — 
Entgegen tritt im ſchwarzen Florgewand 
Ihm Fiordiſpina: „Tauſendmal willkommen, 
Mein Freund! Wie lang um Euch von Angſt beklommen 
War mir das Herz! Vor mir ſtand Euer Bild 
Bei Tag und Nacht, wie auf dem Schlachtgefild 
Der Tod zu allen Seiten um Euch ſtarrte. 
Bald Eure Glieder von der Hellebarte 
Sah ich durchbohrt, bald, wie durchs Mordgetümmel 
Ihr braustet auf dem blutbeſpritzten Schimmel 
Und jäh, vom Schwert gefällt, zu Boden ſankt. 
Marien und allen Heil'gen ſeis gedankt, 
Schreckbilder nur, die ich mir ſelbſt geſchaffen, 

Schack, Geſ. Werke. III. 15 


— 226 — 


Geweſen finds! Doch immer noch in Waffen? 
Legt ab!“ Und bei der Stimme ſüßem Klang 
Dem Jüngling wirds wie Einem, welcher lang 
Nur Winterſchnee geſehn und im April, 

Durch frühlingsgrüne Wieſe ſchreitend, ſtill 

Auf einmal ſteht, weil aus dem nahen Wald 
Das Lied der Nachtigall ans Ohr ihm ſchallt. 
Aufathmet froh, befreit von ſchwerer Feſſel, 
Die Bruſt Ippolitos, und auf den Seſſel 

Läßt er ſich bei der Theuern niedergleiten; 

Ihr in das Auge ſchauend, in den weiten 
Tiefklaren Himmel glaubt er aufzublicken, 

Und ſie, indeß in ſchweigendem Entzücken 

Er ihr zur Seite ſitzt, löst mit der Hand 

Von Bruſtharniſch und Panzer ihm das Band 
Und legt die Rüſtung, drin geſchnürt er war, 
Zu Boden hin, ſo daß ſein Lockenhaar 
Geringelt um die weißen Schultern fluthet. 
Dann neu nimmt fie das Wort: „Daß hochgemuthet 
Und kühn Ihr ſeid, ich hab' es ſtets gewußt; 
Schon, als wir Kinder waren, ſchufs mir Luſt, 
Euch bei dem Spiele ‚Ghibellin und Welf 
Den Andern ſtets vorauf zu ſehn. Kaum elf 
Der Jahre zähltet Ihr, ich noch nicht ſieben, 
Daß ſchon von uns „wie ſich die Beiden lieben‘ 
Das Sprichwort ging. Als Held nun, ſieggekrönt, 
Deß Name von den Lippen Aller tönt, 

Steht Ihr vor mir, und bei dem Ruhmesglanz, 
Der Euch umleuchtet, wurde dennoch ganz 

Die Jugendfreundin nicht von Euch vergeſſen. 
Habt Dank! und glaubt, nichts acht' ich alles Deſſen, 
Was Gott an Glück mir auf der Erde gab, 
So hoch wie Eure Liebe; bis ans Grab 

Wird die Erinnrung dran mir alle Tage 
Beſeligen; doch, mit der Todtenklage 


— 227 — 


Um meinen theuern Ohm noch auf dem Munde, 
Geziemt mir, ernſt in dieſer ernſten Stunde 

Zu Euch zu reden. Ruhig, Freund! Ihr wißt, 
Um der Geſchlechter Haß und blut'gen Zwiſt 
Für immer zu beſiegeln, ward am Tag 

Der Himmelfahrt im Dome der Vertrag 

Von beiden Häuptern der Partein geſchloſſen, 
Daß Buondelmontes und Übertos Sproſſen, 

Du und Ginevra, ſich die Hände reichen.“ — 


Auffährt Ippolito, und ihm erbleichen 
Die Wangen! „Und davon nur magſt du reden? 
Zerriſſen ſind ſeit heut des Netzes Fäden, 
Mit dem man mich umgarnen will. Nur du, 
Du, Fiordiſpina, biſt, ich ſchwör's dir zu“ — 
„Euch Freundin bin ich, ja!“ — ſo fällt ſie ein — 
„Doch, mein Ippolito, der Sterne Schein 
Iſt trüb ob unſerm Haupt, und dem Beſchluß 
Der weiſen Himmelsmächte fügen muß 
Der Menſch ſich, auch wenn er ihn nimmer faßt. 
Die ſich von grauen Zeiten her gehaßt, 
Die beiden Stämme, zu verſöhnen hängt 
An Euch, Euch einzig; wenn den Bund Ihr ſprengt, 
Den ſie geſchloſſen, wenn Ginevras Hand 
Von Euch verſchmäht wird, furchtbar ſchlägt der Brand 
Von Neuem dann empor in helle Flamme: 
„Rache! Tod Jedem vom Überti-Stamme!“ 
Wird neu der Buondelmonti Kriegsruf ſchallen 
Und Euer Haupt als erſtes Opfer fallen. 
Habt mit Euch ſelber, habt mit mir Erbarmen! 
Ja, ja, Ippolito, von hundert Armen 
Seh' ich den Dolch auf Eure Bruſt gezückt; 
Nirgend Entrinnen! Rings ſeid Ihr umſtrickt, 
Wie Löwen von dem Netz; hoch ſpritzt Eur Blut 
Aus Todeswunden, und in blinder Wuth 


— 208 — 


Hin über Euch ſeh' ich die grimme Meute 

Des Kampfes brauſen; wo im Jubel heute 
Das Volk ſich drängte, wird der Rache Stahl 
Aus hundert Scheiden blitzen, bis der Strahl 
Der Sonne in dem Qualm des Bluts erliſcht. 
Schon Schwerterklang, mit Siegsgeſchrei vermiſcht, 
Vernehm' ich und der Kinder Jammerrufe, 

Die ſich, zertreten durch der Roſſe Hufe, 

Am Boden winden, und der Flammen Ziſchen 
Von Dach zu Dach und Mordgeheul dazwiſchen. 
Durch Stadt und Land hin wird im Würgerzug 
Parteiwuth raſen und umſonſt der Pflug 

Die Felder ackern; Roßgeſtampf zermalmt 

Die Saat noch, eh ſie aus den Furchen halmt, 
Und wüthen wird die Peſt, die Hungersnoth 

In dieſen Mauern. Ja, und hat der Tod 

Der Bürger Tauſende dahingeſchlachtet, 

Liegt blutend endlich, hülflos und mißachtet, 

Im Staub des Bodens dieſe theure Stadt; 
Doch wird nach neuen Opfern nimmerſatt 

Die Rache lechzen und Freiheit und Recht 

Bis auf das ungeborene Geſchlecht 

Dem Fremdling, der ſein Schwert ihr leiht, verkaufen, 
Bis über Leichen und Ruinenhaufen 

Die Zwingburg ein Tyrann ſich baut.“ 


„Halt ein! 
In Träumen läßt ſich Vieles prophezein —“ 
Fällt ihr Ippolito ins Wort — „doch gilt 
Mir Alles nur als eitles Luftgebild. 
Und du — nein, nein! unmöglich iſts — du ſinnſt, 
Mich hinzuopfern ſolchem Hirngeſpinnſt?“ 


„O Freund“ — rief Jene aus — „wars nicht genug 
Mit dem, was ich geſagt? Des Himmels Fluch 


— 229 —u 


Würd' ich mir auf das Haupt herabbeſchwören, 
Wollt' ich dein Ohr mit falſchem Rath bethören. 
Anklagen mich als deine Mörderin 

Müßt' ich zuerſt; und raste neu dahin 

Durch unſre Stadt der Kampf nun, trüg' ich nicht 
Die Schuld des Unheils? Vor dem Angeſicht 
Des großen Richters wie zu Boden ſchlagen 
Müßt' ich die Augen, wenn, mich zu verklagen, 
All Jene, welche ſich gewürgt im Haß, 

Vor ſeinem Throne blutend, leichenblaß, 

Mit Fingern nach mir wieſen: ‚Dieſe wars, 

Die, als wir ſchon am Fuße des Altars 

Den Frieden ſchloſſen, in den Sturm der Schlacht 
Zurück uns trieb und neu den Krieg entfacht, 
Und über dies Florenz, das ſie geboren, 

Schmach, Elend, Untergang heraufbeſchworen.“ 
Nein, nein, Ippolito, nicht auf mein Haupt 

Lad' ich ſo grauſe Schuld, und Ihr, o raubt 
Mir nicht den Troſt, den einz'gen! Uns vermählen, 
Wie dürften, könnten wirs? Den Machtbefehlen 
Des Himmels widerſetzt Euch nicht in Blindheit! 
Ginevren reicht die Hand! Schon ſeit der Kindheit, 
Zum Trotz den Vätern, Freundin nannt' ich ſie; 
Und wie zwei Klänge einer Melodie 

Einander fliehn, um neu ſich zu verbinden, 

Nach kind'ſchem Zwiſt uns inniger zu finden 
Stets ſicher waren wir. Dein iſt ſie werth, 
Ippolito, und ruht des Kampfes Schwert 

Nun in der Scheide, ſeh' ich zu den Stufen 

Des Altars bei des Volkes Segensrufen 

Dich mit der holden Braut am Arme treten, 

Für Euer Heil dann will ich brünſtig beten.“ 


Geſprungen war Ippolito vom Sitze; 
Aus ſeinen Augen ſprühten irre Blitze. 


— 230 — 


„Wozu“ — rief er — „noch ferner Zwiegeſpräch? 
Du haſt mich nie geliebt. Hinweg! hinweg!“ 


[2] 
. 


Der Jüngling ſtürmte fort. Verwundert maßen 
Ihn Aller Blicke, wie er durch die Straßen 
Gleich Sinnverwirrten taumelte. Ihn litts 
Nicht länger in Florenz, und ſchwanken Schritts 
Nahm er den Weg zum Gallo-Thor hinaus. 
Statt Menſchenlaute will er das Gebraus 
Der wilden Apenninenſtröme hören 
Und in den Wipfeln blitzgeſpaltner Föhren 
Des Sturmwinds Toſen. Hinter ihm verhallt 
Der Lärm der Stadt ſchon, und der düſtre Wald 
Von Pracchia nimmt in ſeiner Cedern, Eiben 
Tiefernſte Nacht ihn auf. Dem Menſchentreiben 
Entfernt durchſtreift er dort Gebirg und Thäler, 
Die Hütten meidend ſelbſt der armen Köhler, 
Die einſam hier und da am Felſen kleben. 
Vergällt iſt ihm die Welt durch was er eben 
Aus Fiordiſpinas Mund gehört. So reißt 
Sie ſelbſt — noch kann es faſſen nicht ſein Geiſt — 
Aus eignem Trieb ſie ſelbſt ſich von ihm los, 

Zu der die Liebe, wie die Sonne groß, 

In ſeinem Herzen ſtrahlt? — In Gram verſenkt, 
Oft ruht er ſtundenlang, indem ers denkt, 

Am Abgrund, wo der Strom durch ausgehöhltes 
Geſtein ſich wälzt und wie ein ſchmerzgequältes 
Gemüth in dunkle Tiefen ſinkt. Von dannen 
Drauf wieder tiefer in die Schlucht der Tannen 
Stürzt er, die Augen ſtarr, die wirren Locken 

Im Winde flatternd; ihn gewahrt erſchrocken, 


2 — 


Wie er geſpenſtergleich vorüberflieht, 
Der Wandrer, der des Weges einſam zieht. 


Schwer unterdeß, ſeit ſie allein geblieben, 
War Fiordiſpinas Herz. „Den Einzig-Lieben 
Hab' ich gekränkt, er muß darob mir grollen; 
Ich hätt' ihm Alles milder ſagen ſollen — 
Wer weiß, wohin er in Verzweiflung ſtürmt?“ 
Und wie ſies denkt, gleich Wetterwolken thürmt 
Sichs finſter vor dem Geiſt ihr. Hin und her 
Schweift brütend ihr Gedanke, ſorgenſchwer; 
Schon nächtlich dunkelts; Stunde hallt auf Stunde 
Schläfrig herüber von der Glocken Munde, 
Doch auf ihr überwachtes Auge ſinkt 
Kein Schlummer nieder. Kaum durchs Fenſter blinkt 
Der Morgenſchein, ſo ruft ſie ins Gemach 
Der Dienerin hinüber: „Biſt du wach? 
Auf, Ottima, und wo er immer weile, 
Ruf mir Ippolito zurück! doch eile!“ 


Die Alte geht hinweg, und ſie, allein, 

Sinkt auf den Seſſel hin in Seelenpein. 

Noch fort und fort den Worten denkt ſie nach, 
Den bitteren, die er im Scheiden ſprach: 

„Du haſt mich nie geliebt.“ — „Ich ihn nicht lieben? 
Elend will ich auf Erden ſein und drüben 

Ewig verdammt, wenn nicht bei Nacht wie Tag 
Für ihn mein Herz geklopft mit jedem Schlag. 
Wars nicht vielleicht in Fieberphantaſien, 

Daß Unheil mir ſo nah, ſo drohend ſchien, 

Wenn ich mich nicht von dem Geliebten ſchiede? 
Tönts doch von allen Lippen: Friede! Friede! 
Schon durch Florenz hin, und warum ſofort 
Verhallte das gebenedeite Wort 

Im Kriegsgeſchrei, wenn ich die Hand ihm reiche? 


— 232 — 


Ja, darf den Bund ich brechen, weil mir bleiche 
Geſpenſter, die mein eignes Hirn gebar, 
Verderben prophezeiten? Die Gefahr, 

Wenn eine iſt, wird ſich beſchwören laſſen — 
Doch nein! Herr Gott, wenn nun das alte Haſſen 
Aufs Neu' in lohen Flammen ſich erhebt 

Und ihn und dieſe Stadt in Schutt begräbt; 
Weh! weh!“ So, wie ſie ſinnt und wieder ſinnt, 
Tiefer und tiefer in das Labyrinth 

Verſtrickt ſie ſich. Träg hingeſchlichen iſt, 
Indeß ihr Pulsſchlag die Sekunden mißt, 
Schon Stund' auf Stunde; oft, vom Sitze bang 
Auffahrend, lauſcht ſie nach dem Bogengang 
Und ſtürzt, wenn ſie den Tritt Ippolitos 

Zu hören glaubt, zur Thür hin athemlos; 
Umſonſt; bald wieder iſt der Ton verſtummt, 
Mittag vorüber längſt, vom Thurme ſummt 
Der Schall der Veſperglocke — endlich da 
Heimkehrt vom langen Gange Ottima, 

Und eh ſie noch die Treppen, hochgeſtuft, 
Emporgeklommen, nach der Herrin ruft 

Sie aufwärts: „Ihn die ganze Stadt hindurch 
Hab' ich geſucht, in der Überti-Burg 

Und ſonſt bei ſeinen Sippen nachgefragt, 

Doch: von Ippolito, ward mir geſagt, 

Weiß Keiner. Früh ſchon zum Verlobungsfeſte 
Verſammelt haben heute ſich die Gäſte 

Vom Buondelmonti- und Überti-Stamm, 
Gefehlt hat nur Ginevras Bräutigam, 

Und wuthempört ſind alle ihre Sippen. 

Schon Drohungen mit ingrimmbleichen Lippen 
Ausſtießen ſie, zu rächen ſolche Schmach, 

Und ſandten Boten dem Entflohnen nach. 

Ob in der Apenninen tiefſter Schlucht 

Er ſich auch birgt, umſonſt iſt ſeine Flucht.“ 


Als hörte fie des Dolches Schneide wegen, 
Die ihn durchbohren ſoll, rafft voll Entſetzen 
Sich Fiordiſpina auf; ums Antlitz ſchnell 
Den Schleier werfend, eilt ſie zum Caſtell 
Der Buondelmonti. In Ginevras Bruſt, 
Die um ihr Glück wie Leid von je gewußt, 
Die Sorgen alle denkt ſie auszuſchütten, 

Die bis zum Irrſinn ihr Gemüth zerrütten. 


Sie ſchreitet — und die Dienerin ihr nach — 
Durchs hohe Burgthor und in das Gemach 
Der Freundin, aber trifft es leer. Rings ſpäht 
Ihr Blick vergebens; ſeitwärts offen ſteht 
Zu des Palaſtes großem Saal das Thor, 
Und wirrer Stimmenſchall ſchlägt an ihr Ohr. 
Sie naht dem Eingang; ſieh! und in der Halle 
Verſammelt ſind die Buondelmonti alle, 
Die Einen rückgelehnt auf ihre Sitze, 
Geſenkt die düſtern Augen, draus, wie Blitze 
Durch Wetterwolken, Zornesflammen lohn, 
Die Andern aufgeſprungen und mit Drohn 
Die Hände an der Schwerter Griff gelegt. 
Wie, wenn von fern der Sturm die Schwingen regt, 
Ans Meergeſtad die erſten Wellen branden, 
Dringt nur Gemurmel, dumpf und unverſtanden, 
Zu Fiordiſpinen, doch ſie bebt vor Grauen, 
Den ſtummen Grimm, der auf den finſtern Brauen 
Gelagert iſt, zu ſehn. In wilder Fluth 
Schoß plötzlich bis zum Herzen ihr das Blut, 
Als laut, wie zitternd von gehäuftem Groll, 
Vor allen andern eine Stimme ſcholl: 
„Sterben muß er!“ und weiter wie Geroll 
Des Donners, der von einer Wolke fort 
Zur andern ſpringt, das grauſe Drohungswort 
Von Mund zu Munde flog. Da durch die Schaar 


— 234 — 


Der Grimm'gen drängte mit gelöstem Haar 
Ginevra ſich. „Vergebt ihm!“ — rief ſie aus — 
„Nicht meinethalb macht der Überti Haus 

Zum Haus des Jammers! Was hat er verbrochen? 
Sagt an! Hat er mir ſeine Hand verſprochen? 
Nie, nie! Und wenn er dem Gebot der Väter 
Nicht gleich ſich fügt, dafür als Miſſethäter 
Wollt ihr ihn ſtrafen?“ — Um des Vaters Knie, 
Des greiſen Bannerherrn, ſich klammert ſie, 
Unwillig aber ſtößt ſie fort der Greis: 

„Für ihn noch bitteſt du? Hinweg! ich weiß 
Von Mitleid nichts, nur Blut rächt ſolche Schmach, 
Wie er uns angethan.“ Indeß ers ſprach, 

Fuhr Kling' an Klinge blitzend aus der Scheide, 
Und: „Wo er immer ſei, bei unſerm Eide!“ — 
Erſcholls von hundert Lippen — „unſer Stahl 
Wird ihn ereilen!“ Flehend noch einmal 

Zum Vater, zu den Brüdern Händ' und Stimme 
Erhob das Mädchen, doch in höherm Grimme 
Aufflammten Jene, und zu ihren Häupten 

Die wilden Racheſchreie übertäubten 

Der Armen Ruf, daß ſie ihr Flehn nicht hörten. 


Ernſt da trat in den Kreis der Wuthempörten 
Ginevras Bruder Cosmo: „Ruhen laßt 
Noch eure Schwerter! Nicht mit wilder Haſt 
Stürzt euch zu dieſer That, der ſchickſalsvollen! 
Denn, fällt Ippolito, von Neuem rollen 
Die Würfel zu jahrhundertlanger Fehde! 
Vertraut mir! Laßt mich erſt in ernſter Rede 
An ſeine Pflicht den Ehrvergeßnen mahnen! 
Mit ihm, als wir vereint die theuren Fahnen 
Zum Sieg geführt, ſchloß ich den Freundſchaftsbund, 
Und wie dem Mahnungswort aus meinem Mund 
Sollt' er nicht folgen? In Ginevras Hand 


un 


Wird er die feine legen, daß ein Band 

Des Friedens von Geſchlechte zu Geſchlecht 

Die beiden Häuſer eine; doch erfrecht 

Er ſich zum Widerſtand — hört meinen Schwur — 
Wohin er fliehn mag, ſeiner Tritte Spur 
Auswittern werd' ich, auf daß meine Klinge 
Todbringend in das falſche Herz ihm dringe 
Und durch ſein Blut von unſerm Wappenſchild 
Der Flecken abgewaſchen ſei.“ — Doch wild 
Von Rufen unterbrochen ward der Sprecher: 
„Wozu noch Friſt gegeben dem Verbrecher? 

Iſt Schmach für uns nicht jeder Athemzug, 
Den er noch thut? Jedweden treffe Fluch, 

Der vor dem Todesſtoße durch ſein Schwert 
Ihm auch nur zum Gebete Friſt gewährt!“ 

Und wieder von gezückten Klingen blinkt 

Die weite Halle. Aber Ruhe winkt 

Der greiſe Bannerherr, der an dem Sims 

Des Saales düſter und verhaltnen Grimms 
Gelehnt; dem Fels gleich, den der Blitz geſpalten, 
Iſt ihm die hohe Stirn gefurcht von Falten, 
Und ſeinem Wort ſchweigt Jeder ehrfurchtsvoll, 
Da er anhebt: „Der Friſt genießen ſoll 
Ippolito, die ihm mein Sohn verheißt; 

Doch, folgt er nicht der Mahnung, ſo zerreißt 
Er ſelbſt das Band, das ihn ans Leben bindet, 
Und bis er ſterbend ſich am Boden windet, 
Wird Allen, die ſich Buondelmonte nennen, 
Das Mal der Schande auf der Stirne brennen. 
Schwört mir den Eid denn auf das Crucifix: 
Wenn er die Ehre, die er hinterrücks 

Uns ſchwärzen wollte, ſonnenhell und klar 

Nicht ſtrahlen läßt und an den Traualtar 
Ginevra führt, alsdann — den Eidſchwur nehme 
Ich hier euch ab — vollſtreckt an ihm die Vehme! 


a 


Verflucht der Boden, der ihn trägt, verdammt 
Die Luft, die er einſaugt! Beim Rächeramt 
Gönnt nicht den Augen Schlaf, den Lippen Trank, 
Bis er, durchbohrt von euern Schwertern, ſank! 
Doch nicht genug durch ſeinen Tod geahndet 
Noch wird der Frevel; wie auf Mörder fahndet 
Auf Alle, die Überti heißen! Macht 

Auf ſie, wie auf ein Rudel Wölfe, Jagd! 
Durch Dampf hervor aus ihren Höhlen treibt 
Die arge Brut, daß, was drin lebt und leibt 
Von euren Speeren falle, und die Raben 

Sich an den Leichen der Verruchten laben! 

Die Wälle ihrer Burgen wälzt zur Erde, 

Auf daß ein Hochgericht erhoben werde, 

Wo ſie geſtanden haben. Schwört ihr das?“ 
Alſo der Greis mit Lippen, ingrimmblaß, 

Und wie er winkte, zum Altare traten 

Die Stammgenoſſen allgeſammt und thaten, 
Die Hand aufs Crucifix gelegt, den Schwur. 


Ohnmächtig faſt und ſich mit Mühe nur 
An Ottima, um nicht zu ſinken, haltend, 
Gelauſcht hat Fiordiſpina; herzzerſpaltend 
Drang jedes Wort ihr bis ins tiefſte Mark. 
„O Herrin!“ — raunt ihr Jene zu — „fer ſtark! 
Halt aufrecht dich!“ — und mit verſtörtem Sinn 
Heim wankt ſie an dem Arm der Dienerin. 


4. 


Umſtürmt von der Empfindungen Gewühl, 
In ihrer Kammer auf den Yagerpfühl 
Sinkt die Unſel'ge hin; betäubt, verwirrt 


— I 


Durch das, was eben fie vernommen, irrt 

Am Abgrund der Verzweiflung ihr Gedanke. 
Wie ein Nachtwandler, wenn der Fuß, der ſchwanke, 
An ſchwindelſteilem Rand hoch auf dem Dach 
Dahin ihn trägt, und dann auf einmal wach 

Er in den jähen Schlund hinunterblickt, 

Der ihm zu Füßen gähnt, ſo plötzlich ſchrickt 

Sie auf und mißt die grauſenvolle Tiefe 

Des Wehs, an deren Rand ſie ſteht — o, ſchliefe 
Sie ſchon den Schlaf, aus dem man nie erwacht! 
Umhüllte Wahnſinn ihren Geiſt mit Nacht, 

Daß er ihr eignes Daſein ihr verbärge! 

Wohin ſie blickt, nur Leichen ſieht ſie, Särge, 
Nur Schwerter, auf des Theuren Bruſt gezückt. 
Die Stirne auf des Lagers Pfühl gedrückt, 
Aufſeufzt ſie dumpf, ihr Antlitz fiebert heiß; 
Empor dann wieder fährt ſie lauten Schreis: 
„Hinweg, hinweg! Ich trage Schuld am ganzen 
Unheil! In meinen Buſen ſenkt die Lanzen, 

Die Schwerter! Hört! was wollt ihr ihm? — Nein, wehe! 
Sie morden mir Ippolito, ich ſehe 

Die ſcharfen Speere, wie in ſeine Glieder 

Sich ihre Spitzen bohren; er ſinkt nieder, 

Aus offnen Wunden ſtrömt ſein Blut“ — 


So bleibt 
Sie lang bewußtlos faſt; der Irrſinn treibt 
Ihr durchs Gemüth hin Bilder über Bilder, 
Eines das andre tilgend, wie in wilder 
Gewitternacht der Sturm die Wolken jagt; 
Und wenn ein Lichtblick ihrem Geiſte tagt, 
Das Auge wendet ſie hinweg voll Grauen, 
Die fürchterliche Wahrheit nicht zu ſchauen. 
Aus der Verzweiflung Brüten ſich zuletzt 
Aufraffend und dem Schickſalsloos entſetzt, 


— 238 — 


Doch feſt ins Antlitz ſchauend: „Deine Treue“ — 
Spricht ſie zu Ottima — „zeig mir aufs Neue! 
Du und die Diener alle dieſes Hauſes, 

Sucht mir Ippolito! Es gilt, ein grauſes 
Geſchick von ihm zu wenden; führt ihn her! 

Sein Leben hängt daran und meins!“ 


Nicht mehr, 
Sie haſtig nach der Thüre drängend, ſpricht ſie, 
Und als die Dienerin gegangen, bricht ſie 
In Schluchzen aus; vom tiefſten Herzen quillt 
Und ſtrömts ihr heiß empor und überſchwillt 
Die ſtarre Rinde, die wie eine Klammer 
Sich drum gezogen; ihrer Seele Jammer 
Löst ſich und ſchmilzt dahin in Zährenfluthen; 
Ihr iſt, ſie müßte an dem Schmerz verbluten. 


Indeß ſie alſo auf des Seſſels Lehne 
Die Stirne drückt und Thräne über Thräne 
Ihr aus den Augen rollt, tritt ins Gemach 
Zu ihr Ginevra leiſe. Nach und nach 
Vermag ſich Fiordiſpina erſt zu ſammeln, 
Als ſie emporblickt. An die Bruſt mit Stammeln 
Wirft ſich die Freundin ihr: „O Theure, Beſte! 
Ausſtrömen muß ich dieſes ſchmerzgepreßte 
Gemüth in deins; allein das Weh, den Gram, 
Der unverſehns mein Leben überkam — 
Wag' ich ſo tiefes Elend auszuſprechen, 
Und wird mein Herz nicht beim Erzählen brechen? 
Mein Hoffen iſt, mein liebſtes, bis zum Grab 
Vernichtet worden; ach, der Vater gab 
Dem Glück des Kindes ſelbſt den Todesſtoß. 
Dem, der mein Alles iſt, der wandellos 
Ein hoher Stern an meinem Himmel ſtand, 
Zwingt er mich zu entſagen, um die Hand 


— 29 — 


Übertos Sohn zu reichen. Auf den Knien 

Mit todtenbleichen Lippen bat ich ihn: 

„O Vater! deines einz'gen Kindes ſchone! 

Nichts gilt das Leben mir, wenn mir Guidone 
Entriſſen wird.“ Doch rauh und hart: Es muß 
So ſein, gab er zur Antwort, „ven Beſchluß 
Vermöchte Gott ſelbſt nicht zu ändern. Schweigen 
Geziemt für dich und mir Gehorſam zeigen.“ 

Kein Flehen half; die Brüder unter Zähren 

Auch rief ich an, mir Fürſprach' zu gewähren, 
Allein mit Mienen, die wie Dolche drohten: 
Guidone“! — ſprachen fie — ‚zählt zu den Todten, 
Wenn er Die nur noch anzublicken wagt, 

Die dem Ippolito wir zugeſagt.“ 

Wo find' ich Troſt? wo Rettung? Freundin, ach, 
Zur Todtengruft wird mir das Brautgemach, 

Der Hochzeitſchleier mir zum Leichentuch 
Verwandelt werden. Hier des Vaters Fluch, 

Der Brüder Drohn — dort Trennung von dem Einen, 
Dem Einz'gen, den ich liebe.“ — und mit Weinen 
Umſchlingt ſie Fiordiſpina: „Rath' mir du!“ 

Doch keine Tröſtung ſpricht ihr dieſe zu; 

Die eignen Thränen miſcht ſie mit den ihren, 

Und in den Abgrund ihres Wehs verlieren 

Sich die Gedanken ihr. „O Liebe, Gute!“ — 
Spricht fie zuletzt — „mit meinem Herzensblute 
Würd' ich dich retten, hätt' ich Macht dazu; 
Allein dein Loos iſt meines; ich und du, 

Ginevra, müſſen dem Verhängniß fallen, 

Das mit gewalt'gem Tritte, ſchreckbar Allen, 
Durch dies Jahrhundert ſchreitet. Im Geſang 
Der Troubadours nur lebt ſie noch, die lang 
Geſchwundne Zeit, als frei nach eigner Wahl 

Sich Herz zum Herzen fand, und den Pokal 

Der Minne, draus ſie ſüßen Zauber ſchlürften, 


— ur 


Iſold und Triſtan leerten — o, wie dürften 

Wir Gleiches hoffen, die von Haß umſtarrt 

Wir ſind, von Mord und Rache? Rauh und hart 
Herrſcht über uns ein eiſernes Geſetz; 

Und mühn wir uns, zu fliehen aus dem Netz, 

In welchem uns gefangen das Geſchick, 

So feſter ſchlingt es uns in ſein Geſtrick. 
Geſchaffen ſind die Herzen, um zu brechen; 

Nicht andern Troſt hab' ich dir zuzuſprechen.“ 


Sie ſchwieg, und lang in ihrem Seelenleiden 
Stumm bei einander ſaßen noch die Beiden. 


5. 


Allein, nachdem Ginevra fortgegangen, 
Harrt Fiordiſpina, athemlos vor Bangen, 
Auf den Geliebten. Nach und nach erblaſſen 
Die Tagesſtrahlen, ſtill wirds auf den Gaſſen, 
Und immer kommt er nicht. Die Stunden ſchwinden, 
Vom Thurm her hallen in den Abendwinden 
Zehn Glockenklänge, die zum Schlummer mahnen; 
Doch, mögen Alle ruhn, ein ſtilles Ahnen 
Verkündet ihr des Vielgeliebten Nähe. 
Ihr iſt, ein friſcher Hauch vom Himmel wehe 
Die Sorgen fort, die ihre Bruſt beklommen; 
Und wie es tiefer dunkelt, blüht dem Kommen 
Ippolitos des Mädchens Herz entgegen, 
Gleich wie die Roſe nach Gewitterregen 
Den Sommerlüften, die ihr koſend nahn. 
So gartenwärts tritt ſie auf den Altan 
Und ſieht die großen Nachtgeſtirne ſteigen; 
Da, horch! was regt ſich unten in den Zweigen? 


— 241 — 


Die Gartenthür geht auf, ein Fußtritt hallt, 

Und durchs Geſträuch, das auseinander wallt, 

Tritt Einer vor; das bleiche Mondenlicht 

Läßt kaum erkennen, ob ers iſt, ob nicht; 

Ja, ja, er muß es ſein: den Lorbeergang, 

Den nächtlich dunkelnden, eilt ſie entlang, 

Und ſieh! ein Mondſtrahl, der durch Wolken blinkt, 

Fällt vor ihr auf Ippolito; ſie ſinkt 

An ſeine Bruſt, umfängt ihn mit dem weichen 

Schneeweißen Arm und führt den Sterbensbleichen 

Mit ſich zur Laube hin, wo Blüthenranken 

Wollüſt'gen Duftes über ihnen ſchwanken. 

Kein Laut, als nur ein Ach der Liebe, ringt 

Sich ihr vom Mund, indeß ſie ihn umſchlingt: 

Ippolito, der erſt noch zweifelnd ſteht, 

Fühlt ſich von ihrem Athemhauch umweht, 

Und ihres Herzens Klopfen, wie es warm 

An ſeines ſchlägt; da mählig, wie ein Schwarm 

Nächtlicher Geiſter, weicht von ihm das Heer 

Finſtrer Gedanken; mehr und immer mehr 

Beginnt in ſeiner Bruſt das Eis zu thauen, 

Und in das Auge wieder voll Vertrauen 

Blickt er dem Mädchen, wie ſie ſpricht: „O Lieber! 

O Einzig⸗Theurer! noch bebt jede Fiber 

In mir und wird mein Auge thränennaß, 

Wenn ich des bittern Wortes denke, das 

Du ſcheidend zu mir ſprachſt. Ich dich nicht lieben? 

Mög' ich unſelig werden hier und drüben, 

Wenn nicht von früh bis ſpät, bei Nacht und Tag 

Für dich nur, dich allein, mit jedem Schlag 

Mein Herz geklopft hat, wenn nicht du von je 

Mein Alles warſt! Des Lebens Wohl und Weh 

Kommt mir von dir, nur du kannſt mich beglücken, 

Betrüben du allein! Vor meinen Blicken 

Iſt Nacht, wo du nicht biſt! Nicht meinen Willen, 
Schack, Geſ. Werke. III. 16 


— 242 — 


Nur deinen Wunſch, du Einziger, zu ſtillen, 
Hab' ich, ſeit ich zuerſt dich ſah, geſtrebt 

Und dich, ſo wahr ein Gott dort oben lebt, 
Dich ſelbſt allein geſucht, nicht Gut noch Habe, 
Nicht Luſt noch Glanz; mit dir im dunkeln Grabe 
Zu ruhen, in Atome zu vergehen, 

Bis ſich mein Staub dem deinen miſcht, verſchmähen 
Würd' ich den Thron, den mir ein Andrer böte, 
Für ſolches Glück!“ — Sie ſchweigt, und das Geflöte 
Der Nachtigall im Wipfel der Cypreſſe 

Erfüllt die Pauſe. Schon verſchwand die Bläſſe 
Des Grams im Angeſicht Ippolitos; 

An ihre Seite auf die Bank von Moos 

Zieht Fiordiſpinas Hand den Jüngling nieder 
Und ſchmiegt ſich ſanft an ſeine ſtarken Glieder 
Und nimmt und giebt der Liebe ſüße Gluth. 

Er fühlt, indeß er ihr am Buſen ruht, 

Hinauf, hinab mit Steigen und mit Fallen 

Die warmen Ströme ihres Lebens wallen. 

In Ringeln fällt ihr ſchwarzes Lockenhaar 

Auf ihn herab, indeſſen Auge klar 

In Auge blickend bis zum tiefſten Grund 

Der Seele niederſchaut. Mund glüht an Mund 
In vollem heißem Kuſſe, und zuſammen 

Lodern zu einem großen Brand die Flammen, 
Die aus dem tiefſten Weſen Beider brechen; 
Die Lippen ſchweigen, nur die Blicke ſprechen, 
Nur Seele jubelt ſtumm der Seele zu, 

Bis in der großen Stille Ich und Du 
Vereinigt untergehn im ſel'gen Tod 

Und einer Flamme gleich, die aufwärts loht, 
Empor ſich ſchwingen über Welt und Zeit. 


So haben ſie in langer Seligkeit 
Geſchwelgt, da ſchaut ihm Fiordiſpina groß 


— 243 — 


Ins Auge, ringt aus ſeinem Arm ſich los 

Und ſpricht zu ihm: „Nun, Freund, haſt du erkannt, 
Wie ich dich liebe? Wohl, ſo gieb ein Pfand 

Auch du der Liebe mir, bevor wir ſcheiden! 

Mit heil'gem Schwure mußt du mir beeiden, 

Daß deine Hand Ginevren am Altar 

Du reichen willſt und mich für immerdar 
Vergeſſen! Danken laß uns dem Geſchick, 

Daß es der Liebe überſchwänglich Glück 

Gegönnt uns hat in dieſer einen Nacht! 

Und wenn zu ew'ger Trennung nun die Macht, 
Die finſtere, uns auseinander treibt, 

Die ob der Menſchen Häuptern herrſcht, was bleibt 
Uns übrig, als uns willig ihr zu fügen? 

Die Stunde Seligkeit muß uns genügen, 

Sonſt rufen wir des Himmels Wetterſtrahl 

Auf unſer Haupt herab, und Weh und Qual 

Auf dieſe theure Stadt, die nimmer enden; 

Selbſt Gott vermag dies Schickſal nicht zu wenden. 
So leiſte denn den Schwur, den ich verlangt! 

Der Lebenden und Künft'gen Schickſal hangt 

An dieſem Eid.“ 


Der Jüngling fährt verſtört 
Empor, als er die ernſten Worte hört; 
Doch in der Seele Taumel faßt er ſie 
Nur halb und ruft: „O Einzig-Theure! wie 
Dem, was du forderſt, böt' ich Widerſtand? 
Ich ſchwöre“ — „Schwöre mit erhobner Hand“ — 
Fällt Jene ein — „beim höchſten Gott dort oben, 
Beim Heil der Seele!“ — und die Hand erhoben, 
Schwur ihr des Eides Worte, die ſie ſprach, 
Ippolito mit zitternder Stimme nach. 
Dann fuhr er auf: „Laß dieſe Trübſal ſchwinden! 
Des Schwures wirſt du mich noch ſelbſt entbinden. 


2 


Warum auch, daß wir uns entſagen müßten? 
Aus dieſer Stadt des Haders zu den Küſten 
Der Adria entfliehen wir und weiter 

Zur fröhlichen Venezia, wo heiter 

Der Himmel über unſrer Liebe blaut.“ — 


In ernſter Wehmuth ihm ins Auge ſchaut 
Hauptſchüttelnd Fiordiſpina: „Nimmer, nimmer! 
Selbſt wenn dem Dolche du entgingſt, in Trümmer 
Verwandelte der Buondelmonti Rache 
Um unſerthalb die Stadt; das hundertfache 
Elend von Bandenwuth und Bürgerkampf, 

Die lauten Flüche, in des Sterbens Krampf 
Uns zugeheult von der Erſchlagnen Munde, 
Die ſtummen, uns aus blut'ger Todeswunde 
Anſtarrend — denk, mein Freund, an alles das, 
Denk an der Mitwelt, an der Nachwelt Haß, 
Der unſer Haupt belaſten würde — nein, 
Wenn alle Heil'gen auch im Glorienſchein 

Hin vor den Thron des höchſten Gottes träten 
Und ihn um Löſung deines Schwures bäten, 
Nicht würd' er dich entbinden von dem Eide.“ 


Tief athmete Ippolito, und Beide, 
Den Blick zu Boden ſchlagend, blieben ſtumm. 
Dann hub der Jüngling wieder an: „Warum 
Uns dieſe ſel'ge Stunde ſo durch Weh 
Verbittern? Nichts, Geliebte, bringt uns je 
Zurück die heut verlorene Minute!“ 
Und neu, auf daß ſie an der Bruſt ihm ruhte, 
Zog er die Theure, ihr ins Auge ſchauend, 
In ſeine Arme. Mählig wieder thauend 
Vom Herzen ſtrömte das erſtarrte Blut 
Durch beider Adern in lebend'ger Fluth, 
Und während Sommernachtluft wolluſtweich 


— 245 — 


Um ihre Stirnen ſtrich durch das Gezweig, 

Und heißer Duft den Blüthen der Limonen 
Entquoll und um des Lorbeers Wipfelkronen 
Leuchtkäfer ſchwebten, hoch und höher ſchlug 

Die Leidenſchaft mit jedem Athemzug 

In ihnen auf, von ihren Wimpern tropfte 

Die Thräne des Entzückens, Ader klopfte 

An Ader warm; ſich feſter zu umſchlingen, 

Rang Arm mit Arm, und an einander hingen 

Die Lippen in der Liebe Vollgenuß, 

Als wollten ſie die Ewigkeit im Kuß 

Ausſchöpfen. — Durch des Oelbaums Wipfel brach 
Das Frühlicht ſchon, und von des Hauſes Dach 
Erſcholl der Schwalbe morgendlicher Sang. 

Da aus den Armen des Geliebten rang 

Sich Fiordiſpina los — zum Hausportal 

Führt ſie ihn ſchwanken Schrittes; noch einmal 
Sinkt er ihr an die Bruſt im Trennungsweh; 
Allein: „Gedenke deines Schwures! geh!“ 

Spricht ſie und drängt ihn durch das Thor hinaus. 


6. 


Ippolito, in ſeines Vaters Haus 
Zurückgekehrt, fühlt noch in allen Sinnen 
Ein Schwindeln; was nun laſſen? was beginnen? 
Vom Lager, drauf erſchöpft er hingeglitten, 
Auf einmal fährt er auf beim Schall von Tritten 
Und ſieht zu ſeinen Häupten Cosmo ſtehn, 
Ginevras Bruder. Kalt befremdet ſehn 
Sich Beide an, die jüngſt als Schwertgenoſſen 
Im Siegerkampf den Freundesbund geſchloſſen, 
Und Cosmo als der Buondelmonti Sprecher 


— 2 


Nimmt kurz das Wort: „Willſt du, ein Friedensbrecher, 
Zum Kampf aufſtacheln die verſöhnten Stämme, 

Daß wieder Blut die Straßen überſchwemme? 
Beſinne dich! Ein Frevel, ſo verrucht, 

Von ſpäten Enkeln würd' er noch verflucht! 

Bis morgen noch hab' ich dir Friſt erbeten; 

Wenn, mit Ginevren zum Altar zu treten, 

Du dann noch zögerſt, ſo iſt dir, iſt Allen 

Von der Überti Stamm das Haupt verfallen; 

Wir warten dein beim zehnten Glockenſchlag.“ 


Er geht. Ippolito, verſtört, vermag 
Sich nicht zu ſammeln; hierhin, dorthin ſchwanken 
Im wilden Widerſtreit ihm die Gedanken; 

Er weiß nicht, was er fliehe, was er wähle. 
Zuletzt flammt in der tiefzerriſſnen Seele 

Noch einmal mächtig auf die Leidenſchaft, 

Und, aus dem Brüten plötzlich aufgerafft, 

Des Weges zur Geliebten ſtürmt er fort: 

„Zu ihr! und von dem Schwur, dem Frevelwort, 
Im Sinnentaumel unbedacht geſprochen, 

Löst ſie mich ſelbſt. Warum gleich muthgebrochen 
Beugt' ich das Haupt? Noch vor dem Abendroth 
Fliehn wir vereinigt, daß ein rettend Boot 

Uns nach Venedig trage.“ 


a Schon hinaus 
Zur Stadt iſt er gelangt, er klopft ans Haus, 
Das all ſein Glück umſchließt, wird eingelaſſen 
Und eilt den Dienern, die mit ſchreckenblaſſen 
Geſichtern auf den Gängen ſtehn, vorüber. 
Auch Ottima ſchaut bleich ihn an. Voll trüber 
Ahnungen ſchreitet er den Corridor 
Entlang, die Treppen zum Gemach empor, 
Wo ihm das Süßeſte des Lebens ward. 


ng, 


Er tritt hinein; was ſteht er da und ſtarrt, 

Sein Fuß wie feſtgewurzelt an der Thür? 

Ihm ſtockt der Athemzug, er heftet ſtier 

Die beiden Augen auf die Lagerſtatt. 

Vor ihm reglos, bleich wie ein Lilienblatt, 

Das Haupt zurückgeſunken auf den Pfühl, 

Liegt Fiordiſpina da — im leichten Spiel 

Der Winde, die durchs Fenſter wehen, wallt 

Ihr ſchwarzes Lockenhaar herab, und kalt, 

Wie um ein Schneegefild das Dämmerlicht 

Des Wintermorgens, ſpielt um ihr Geſicht 

Ein eiſ'ger Schimmer — nein, das iſt nicht Schlaf; 
Ein Dolch hat, der den Sitz des Lebens traf, 

Für immer ihr geſtillt des Herzens Klopfen. 

Blut quillt aus ihrer Bruſt in großen Tropfen; 
Den Griff des ſchneid'gen Dolchs, der ſie durchbohrt, 
Hält ihre Rechte noch. 


Von Nacht umflort 
Iſt Aug' und Sinn Ippolitos; es ſchwankt 
Der Boden unter ſeinem Fuß; er wankt 
Zum Lager hin, auf dem die Todte liegt, 
Und lauſcht, das Haupt an ihre Stirn geſchmiegt, 
Ob ſich in ihr ein Athemzug noch rege. 
Nein, nicht ein leiſer Hauch; die matten Schläge 
Nur ſeiner Adern fühlt er; ſtarr wie Eis 
Sind ihre — in die Augen ihr, die, Kreis 
In Kreis verwebt, ihn wie der Himmelsbogen 
In ihre blauen Tiefen oft gezogen, 
Späht er hinab nach einem Lebensſchimmer, 
Doch nur ein mattes, froſtiges Geflimmer 
Quillt aus den glaſ'gen Blicken fahlen Lichts, 
Ein Schein wie aus dem bodenloſen Nichts, 
Und um das Antlitz, jüngſt ſo göttlich ſchön, 
Schon einen Duft des Grabes fühlt er wehn. 


— 248 — 


Er muß ſich ſtützen, um nicht hinzuſinken; 

Da erſt gewahrt er, wie ſie mit der Linken 

Ihm eine Schrift entgegenhält. Er nimmt 

Das Blatt, doch vor den Augen lang verſchwimmt 
Ihm jedes Zeichen; endlich liest er ſo: 

„Ich fühlte mich zu ſchwach, Ippolito, 

Lebend dich feſtzuhalten bei dem Eid; 

Nun, da ich todt, löst keine Ewigkeit 

Dich von dem Schwure; geh, ihn zu erfüllen!“ 


Er liest es — Fiordiſpinas letzten Willen 
Erkennt er wohl, doch wie im Schwindel kreist 
Die ganze Welt um ihn; noch kann ſein Geiſt 
Nicht Alles faſſen. Nieder wirft es ihn, 

Und an der Theuren Lager auf den Knien 
Lang liegt er da in ſtummer Todtenfeier. 
Schon, niederwallend, breitet ihren Schleier 
Die Nacht um ihn; aus ſeiner Bruſt tief innen 
Quillt es und bricht hervor, und Thränen rinnen, 
Als wollten ſie hinweg von ihm die Wucht 
Des Jammers wälzen. Aufzuringen ſucht 

Aus der Verzweiflung Abgrund ſich ſein Herz, 
Und von der Leiche betend himmelwärts 

Hebt er das Auge durch die nächt'ge Stille — 
Da, ſiehe! über der entſeelten Hülle 

Verklärt ſteht Fiordiſpinas Lichtgeſtalt 

Und ſchaut aus Himmelsglanz, der ſie umwallt, 
Gebieteriſch zu ihm herab, doch mild; 

Die Arme nach des todten Mädchens Bild 
Ausſtreckt er; ſie indeß, die Hand erhoben, 
Hochernſten Angeſichtes ſchwebt nach oben, 

Und in dem Dunkel, bei der Leiche betend, 
Bleibt er zurück. Dann, als die Halle röthend, 
Der Morgen durch die Bogenfenſter flammt, 
Still, wie ein Prieſter an ſein hohes Amt, 


a 


Zum Schloß der Buondelmonti ſchreitet er, 
Wo ſchon um ſich der ſtolze Bannerherr 

Die Sippen all verſammelt hat im Kreis. 
Ernſt zu Ippolito hintritt der Greis 

Und führt die Tochter ihm heran, die bleiche, 
Daß er ihr am Altar die Rechte reiche; 

Und Alle, ihres alten Haders Ende 
Beſiegelnd, bieten ihm zum Gruß die Hände. 


sah ae 


Giorgione . 

Glycera 

Ubaldo XZapo . 

Heinrich Dandolo 

Der Flüchtling von Damascus 
Roſa a 5 
Stefano 

Der Negenbogenprin 

Lais 

Fiordiſpina 


Ebenbürtig. 


Roman in Verſen. 


Zweite Nuflage. 


Erſtes Buch. 


Heil dir, durch die zum komiſchen Theater 
Voll Faſchingluſt verwandelt wird die Welt! 
Dir, Muſe, dank' ich und dem Göttervater, 
Der auf dem Erdenpfad dich mir geſellt, 
Daß ich, wo Mancher ſonſt als Deſperater 
Die Waffen ſtreckt, dahinſchritt als ein Held 
Und mich im engen Lebenshorizonte 
Das Kleine, Niedrige nicht quälen konnte. 


Du gabſt mir, herrlichſte der Himmelstöchter, 
Für Hochmuth, der ein Nichts zum Etwas färbt, 
Für Dünkel, den im Wechſel der Geſchlechter 
Der Ahn dem eitlen Enkelſohn vererbt, 

Die beſte Waffe, ſchallendes Gelächter 

Und Spott, der ſeichter Thoren Rücken gerbt; 
Du lehrteſt mich Durchlauchten, Excellenzen 
Als Opfer am Altar des Momus kränzen. 


— 254 — 


So lach' ich auch, wenn abgeſchmackte Mode 
Auf hohle Schädel Ruhmeskränze drückt, 
Wenn in Moſchee, in Kirche und Pagode 
Unſinn die Stimme der Vernunft erſtickt, 
Wenn Philofophen-Narrheit mit Methode 
Die Köpfe aller Lebenden verrückt; 
Laß ſie die Welt gehörig nur verdummen, 
Denk' ich, zuletzt wird doch der Lärm verſtummen. 


Nach dieſem Anruf gleich denn zum Lokale, 
Auf welchem ſich zuerſt der Faden ſpinnt, 
Der mir wie dem Erzählungsperſonale 
In der Begebenheiten Labyrinth 
Als Führer dienen ſoll! In einem Thale, 
An dem der Rhein nicht fern vorüberrinnt, 
Uns finden wir; umſäumt von hohen Tannen, 
Im Breisgau liegts, dem Land der Allemannen. 


Bei Schopfheim, das durch Hebels Katties, Elſen, 

Friedlis berühmt iſt und ſein Kirchweihfeſt, 

Hängt uns zu Häupten dort an ſteilem Felſen 
Schloß Wolkenſtein gleich einem Adlerneſt; 

In ſeiner Rinnen ſchmucken Schlangenhälſen, 

Den Erkern, Zinnen manchen ſchönen Reſt 

Aus alter Zeit bewahrt es noch; die Stylart 

Von Renaiſſance und Gothik eine Spielart. 


Schon ſenkt ſich Abenddämmrung auf die Thäler; 
Matt glühen bei der Sonne Scheidegruß 
Die Halden, die längs zweier paralleler 
Bergreihn ſich ziehn bis an der Alpen Fuß; 
Du aber, Leſer, folge dem Erzähler, 
Der aufwärts zu der Burg dich führen muß! 
Dort oben in den Sälen, in den Zimmern 
Beginnen einzle Lichter ſchon zu ſchimmern. 


ne 


Fürſt Friedrich, den noch jüngſt die Winterzeit 
Auf ſeinen Gütern in der Mark, in Pommern, 
Bei Prenzlau und bei Stolpe eingeſchneit, 
Bewohnt dies Schloß, um drin zu überſommern. 
Zum Ballfeſt heut, obgleich es weit und breit 
Kaum einen Orthodoxern giebt und Frommern, 
Lud er ſich Gäſte, und höchſt unaſcetiſch 
Soll der Champagner fließen am Soupertiſch. 


Denn zum Beſuch ſchon ein'ge Zeit hindurch 
Verweilt die reiche Herzogin Lenore 
Mit der Prinzeſſin Tochter auf der Burg; 
Und dieſer Tochter, einem Meteore — 
Denn reich begütert iſt ſie an der Murg 
Und prangt in jugendlicher Schönheit Flore — 
Will ſeinen ältſten Sohn der Fürſt vermählen; 
Gleichgültig ſind dabei der Beiden Seelen. 


Nächſt ihres Wappenſchilds dreifachen Lilien 
Schätzt unſer Fürſt, wie fromm er immer ſei, 
Die opulente Mitgift an Cäcilien — 

Dies der Prinzeſſin Name. Nebenbei 

Bemerk' ich hier, daß unſre zwei Familien 
Mediatiſirt ſind ſeit dem Jahre Drei, 

Das Deutſchland bei des Volkes Freudent hränen 
Erlöst von ein'gen hundert Souverainen. 


Nach jenem hocherfreulichen Proceſſe, 
In dem ſie ihre Herrſchermacht verhaucht, 
Wie neuerdings der Welfe und der Heſſe, 
Kaum fernern Hofitaat hätten fie gebraucht; 
Doch zugeſichert war auf dem Congreſſe 
Für ew'ge Zeiten ihnen die Durchlaucht, 
Und ſomit ebenbürtig ſelbſt dem Kaiſer 
Blieb jedes Glied der beiden Fürſtenhäuſer. 


en ae 


Nothwendig war drum Hof und Etikette 
Für die Alteſſen; einen Hofmarſchall 
Mit Uniform und goldner Epaulette 
Noch hielten ſie nebſt Junkern für den Stall, 
Geheime Secretairs im Cabinette 
Und Kämmrer mit devotem Redeſchwall; 
Zerrüttet aber wurden durch die Schranzen 
Dem Fürſten Friedrich leider die Finanzen. 


Heut eben im Gemach mit Sammt-Tapeten 
So redet er zum Prinzen-Gouverneur: 
„Wie oft ſchon hab' ich ihn gemahnt, gebeten! 
Doch ehr, als daß man der Vernunft Gehör 
Verſchafft bei Philoſophen und Poeten, 
Treibt man Kameele durch ein Nadelöhr. 
Fürwahr, Graf Lorm, bereits zu den Verlornen 
Zu zählen hab' ich meinen Erſtgebornen. 


„Die Bücher alle ſoll man ihm verbrennen, 
Die ihm den Kopf verdrehen, Byrons, Humes! 
Für unſer Haus, wo wir den Herrn bekennen, 
Hofft' ich von ihm Vermehrung noch des Ruhms 
Und ließ ihn Nikolas beim Taufen nennen, 
Nach jenem Hort des Gottesgnadenthums, 
Dem großen Volksbeſieger Nikolaos; 
Doch jetzt — mir iſt, als bräch' herein das Chaos!“ 


„Durchlaucht, ich hoffe, würdigen den Eifer, 
Mit dem ich ihn erzog,“ verſetzt Graf Lorm. 
„Als ich herkam, hieß Jeder ihm ein ſteifer 
Hofmann, der ſo excentriſch und abnorm 
Wie er nicht war; doch nun, an Jahren reifer, 
Mehr zeigt er ſich den Sitten ſchon conform, 
Und bald wird unter der Prinzeſſin Händen 
Sich das Erziehungswerk an ihm vollenden.“ 


— 257 — 


Der Fürſt ſtampft mit dem Fuß: „Mit keinem Auge 
Sah die Prinzeß er geſtern an beim Thee; 
Daß er zu irgend was auf Erden tauge, 
Bezweifl' ich faſt; ſchuf er mir Freude je, 
Wie meines hohen Hauſes Stolz, Aslauge?“ 
(In Klammern hier bemerk' ich: nach Fouqué, 
Der dazumal ein Liebling war der Damen, 
Empfing des Fürſten Tochter dieſen Namen). 


„Sie würde ehr, als Einem ſich vermählen, 
Der einen Tropfen nur Plebejerbluts 
In ſeinen Adern hat, das Grab erwählen; 
Um Otto, Karl und Mar getroſten Muths 
Auch kann ich ſein und völlig auf ſie zählen; 
Tagtäglich ja — o meinem Herzen thuts 
So wohl! — herſagen ſie ſeit der Germanen 
Urzeiten mir die Reihe meiner Ahnen. 


„Doch Nikolas! Faſt iſt mir, als entwiche 
Mit ihm mein Genius. Im Stand wär' er, 
Ich ſage nicht, ſich eine Bürgerliche 
Zu wählen — das verhüte Gott der Herr! 
Beſſer ja wär's, daß er zuvor erbliche — 
Doch ſchon enterben ihn formaliter 
Würd' ich, wenn er mit einer Baroneſſe 
Von niederm Adel Mesalliance ſchlöſſe!“ 


In ſeinem Eifer, man bemerkts, verwirrte 

Der gute Fürſt ſich in der Conſtruction; 

Dann fuhr er fort: „Ich muß, ſo ziemts dem Wirthe, 

In den Salon; die Lüſtres brennen ſchon. 

Doch draußen, wo er auf den Felſen irrte, 

Noch eben ſah ich meinen Unglücksſohn; 

Ich bitte, gehn Sie, Graf, ihn heimzuholen; 

Sonſt wird er krank vom Duft der Nachtviolen!“ 
Schack, Geſ. Werke. III. 17 


— 258 — 


Ein Zeichen ſagt, daß die Audienz zu Ende; 
Der Gouverneur verneigt ſich tiefdevot, 
Und nun zu Nikolas, mein Leſer, wende 
Dich theilnahmvoll. Der hatte bittre Noth, 
Wenn Gottesdienſt nach Pommerſcher Agende 
Im Schloß gehalten ward beim Morgenroth; 
Das Frommſein glückt' ihm nicht trotz aller Mühe, 
Im Freien weilt er drum ſchon ſeit der Frühe. 


Da draußen erſt, wie nie bei einem Chor 
Von Paläſtrina oder Pergoleſe, 
Erhebt ſein Geiſt ſich; Jeder dünkt ihn Thor, 
Der Predigt hören mag und Exegeſe. 
Zum Himmel blickt er andachtvoll empor, 
Als ob er Offenbarung in ihm leſe, 
Und ſchlürft, frei von der Menſchen Wahn und Lügen, 
Den Strom des Göttlichen in vollen Zügen. 


Wenn blitzend hell der Thau auf ihn hernieder 
Im Frühwind ſtäubt aus zitterndem Geäſt, 
Wenn neben ihm mit leuchtendem Gefieder 
Der Edelfalk aufſteigt aus ſchwankem Neſt, 
Geblendet ſchließt er beide Augenlider; 

Ihm iſts, als ſchenk' ihm für ſein Wiegenfeſt, 
So reich, wie es nur je geträumt dem Knaben, 
Die große Mutter ihre ſchönſten Gaben. 


O Wonne, aus dem Zauberkelch zu zechen, 
Den randgefüllt ihm die Natur kredenzt! 
Wie anders doch, als auf den traur'gen Flächen 
Der Heimath Alles um ihn blüht und lenzt! 
Wie quillt und ſchäumt in tauſend Sprudelbächen, 
Die in die Tiefe, epheulaubumkränzt, 
Hinunterſtürzen, übervoll das Leben 
Und ſprüht von Neuem auf im Grün der Reben! 


— a 


Erdbeeren in der ſchattendunkeln Schlucht, 
Und hoch auf Gipfeln, wo im Sonnenſtrahle 
Sie vollgereift, der Kirſche ſüße Frucht — 
Glücklicher iſt er viel bei ſolchem Mahle, 

Als wenn im Schloſſe Dünkel, Größenſucht 
Und Ahnenſtolz ſich ſpreizen und der ſchale 
Wortſchwall, wie an der Oder und der Havel, 
Auch hier am Rhein ſich fortſpinnt über Tafel. 


Dann wieder, in dem Schatten einer Fichte 
Hinlehnend, ſich vertieft er in ein Buch 
Und blickt nicht aufwärts bis zum Abendlichte. 
Das ſind ſie, die des Fürſten Urtheilſpruch 
So ſchwer verpönt, des Brittenlords Gedichte; 
Doch, drohte ſelbſt dem Sohn des Vaters Fluch, 
Ja jede Strafe aus der Carolina, 
Nicht ließ' er ab vom Giaur, von Pariſina. 


Als Kind ſchon Buch auf Bücher ohne Sichtung 
Hat er geleſen; ob auch ſtreng ſein Amt 
Der Gouverneur geführt und zur Vernichtung 
Die Schriften, die er bei ihm fand, verdammt, 
Stets höher für Philoſophie, für Dichtung 
War unſres Prinzen Liebe aufgeflammt; 
Zum Trotze dem Erzieher, den Verwandten, 
Verſchafft' er neue ſich ſtatt der verbrannten. 


Und zwar Ausgaben nahm er in Sedez, 
Daß er ſie leichter vor Entdeckung hüte; 
Er trug ein Bändchen in der Taſche ſtets, 
Und oft geſchickt, wenn er im Betſaal kniete, 
Las er, ſtatt im Gebetbuch, im Lukrez 
Die Stelle von der Macht der Aphrodite 
Und murmelte: „Mutter der Aeneaden!“ 
Indeß die Andern riefen: „Herr der Gnaden!“ 


— 260 — 


Allein weitläuftig werd' ich hier, ich ſpüre; 
Sonſt außer Dichtern auch noch Philoſophen 
Nennt' ich, für deren eifrige Lectüre 
Der Prinz im heißeſten der Höllenofen 
Einſt brennen wird. Am beſten iſts, ich führe 
Die güt'gen Leſer in den nächſten Strophen 
Zum Platz, wo er heut Abend einſam ſinnt, 
Indeß im Schloß bereits das Feſt beginnt. 


Doch nein, er iſt nicht einſam; eben jetzt 
Am Waſſerfalle unter dunkeln Eiben 
Hat Maler Erich ſich zu ihm geſetzt 
Und ſpricht: „Nicht länger kanns verſchwiegen bleiben, 
Obgleich ich es verborgen bis zuletzt! 
Fatal iſt mir im Schloß das ganze Treiben, 
Und gern vor der Beſchränktheit hier, dem Dünkel 
Entflöh' ich bis zum fernſten Erdenwinkel. 


„Dir dankt' ichs anfangs, daß zum Fresko-Malen 
Dein Vater mir des Feſtſaals Räume bot; 
Allein auf meinen Styl, den idealen, 
Wagt der Herr Fürſt zu ſchmähen als Zelot, 
Ja, mäkelt mir an den Geſichts-Ovalen 
Und ſagt, blaß, abgemagert bis zum Tod 
Müſſ' ich ſie malen, ſo wie Cimabue; 
Gott ſoll mich ſtrafen, wenn ichs jemals thue. 


„Zuerſt nach des Ovid Metamorphoſen 
Hatt' ich ein Bild entworfen und ſchon Akt 
Dazu gezeichnet; doch als Sittenloſen 
Verſchrie der Fürſt mich; hätt' ich irgend Takt, 
Meint' er, ſo würd' ich den Apoll mit Hoſen 
Darſtellen, ſtatt ſo unmoraliſch nackt. 
Nun, der Herr Fürſt verſteht ſich wohl auf Myſtik, 
Doch keine Ahnung hat er von Sthyliſtik. 


— 261 — 


„So mal' ich denn, anſtatt den Fernhintreffer, 

Adam und Eva; aber wieder ſchilt 

Fürſt Friedrich drob; von einem Giotto Aeffer 
Beſtell' er ſich ein nazareniſch Bild! 

Doch ich verwünſche dorthin, wo der Pfeffer 
Gedeiht, den Styl, der ihm als trefflich gilt. 
Nicht Künſtler wär' ich, ließ' ich in ſothaner 
Manier mich noch behandeln als Quintaner. 


„Dann dieſer Hochmuth! Nichts iſt indigeſter, 
Als wenn ſolch „hoher Adel“ für die Creme 
Der Welt ſich anſieht. Zweifle nicht, mein Beſter, 
Dein Vater meint, er ſei aus anderm Lehme, 
Als wir, geknetet, und auch deine Schweſter 
Aslauga hat die Künſtlerſchaft in Vehme 
Und Acht gethan; glaubſt du, ſie gönne je 
Ein Wort mir, ſeit ich male ihr Porträt? 


„Und dennoch ſtolz empfind' ich mich als Jünger 
Der heil'gen Kunſt. Iſt nicht von Gian Bellin, 
Iſt von Giorgione nicht der kleine Finger 
Von höherm Werth, als ganze Dynaſtien 
Hohlköpf'ger Fürſten? Zwar nur ein Geringer 
Bin ich und nicht zur Meiſterſchaft gediehn, 

Doch hoch empor ragt in ſo ridicüler 
Geſellſchaft des Cornelius letzter Schüler.“ 


Prinz Nikolas bot ihm die Hand: „Mein Erich, 
Ich habe dich vorher gewarnt, du weißt! 
Allein was konnt' ich thun? Nun zwanzigjährig, 
Für Alles, was mein Vater liebt und preist, 
Doch blieb ich wie ein Kind, ſo ungelehrig, 
Und Fremdling iſt noch immerdar mein Geiſt 
Im Haus der Meinen. Sehnſt du dich von hinnen, 
So ſteht nach gleichem Ziel mein ganzes Sinnen. 


— 262 — 


„Mein Tiefgeheimſtes will ich dir vertrauen, 

O Freund, den meine Seele liebgewann, 

Da wir zuerſt am See, dem dunkelblauen, 
Als Knaben noch uns trafen in Lauſanne. 
Noch denk' ich gerne, wie ein ſüßes Thauen 
Bei deinem Nahn in meinem Geiſt begann, 
Der ſich, von Allen um ihn unverſtanden, 
Bisher umſtarrt gefühlt von Eiſesbanden. 


„Was damals, als wir Beide Knaben waren, 
Mir dämmernd vor der Seele ſchon geſchwebt, 
Nun klarer, immer klarer mit den Jahren 
Ward das Gebilde, athmet, redet, lebt. 
Doch wie, mein Erich, ſoll ich offenbaren, 
Wovon mein Sein in allen Tiefen bebt? 
Auch du, obgleich der Herzen wen'ge wärmer 
Als deines ſchlagen, ſchiltſt vielleicht mich Schwärmer. 


„Ein Weib, ſo ſchön wie ich der Frauen keine 
Auf Erden fand, erſcheint mir oft im Traum; 
Umwallt iſt ſie von duft'gem Silberſcheine, 

Und all die Glanzesfülle faſſ' ich kaum, 
Wenn grüßend ſich zu mir die Einzig-Eine 
Herabneigt von der Wolke lichtem Saum, 
Auf der ſie ruht; nach flüchtigen Sekunden 
Vorüberſchwebend iſt ſie dann verſchwunden. 


„Am Morgen oft, wenn ich vom Schlaf erwache, 

Noch ihren Odem fühl' ich um mich wehen; 

Zu Häupten mir daſteht ſie im Gemache, 

Ich will ſie halten, doch umſonſt mein Flehen; 
Sanft rauſcht es in der Linden Blätterdache 

Und über Blüthenſchnee der weißen Schlehen, 

Ihr Schleier flatternd in den Morgenwinden, 

Seh' ich ſie in den Duft der Ferne ſchwinden. 


— 263 — 


„Ich eil' ihr nach auf ſteilem Bergespfade 
Hin über Wieſen, morgendlich bethaut, 
Und aus dem Wellenſchlag am Rheingeſtade 
Schallt mir ein Ruf von meiner Herzensbraut; 
Im Windeshauch, im Rauſchen der Cascade 
Vernehm' ich ihrer Stimme ſüßen Laut, 
Und lispelnd, wenn ſich leis die Blätter regen, 
Schickt ihre Grüße mir der Wald entgegen. 


„Ich weiß, ein Gleichniß iſt ſie nur, ein Schatten 
Der Einen, Einz'gen, die ich ſuchen muß, 
Und wandern, wandern, ohne zu ermatten, 
Bis ich das Urbild fand, wird dieſer Fuß; 
Nicht in die Erde ſoll man mich beſtatten, 
Bevor auf ihrem lang in heißem Kuß 

dein Mund geruht — ſonſt hätte mir vergebens 
Geſtrahlt die Sonne dieſes Erdenlebens. 


„Allein in unſerm eisumſtarrten Norden 
Nicht weilt ſie, die den Himmel mir erſchließt; 
Fort zu des Mittelmeeres ſchönen Borden, 
Wo reinres Licht vom Himmel niederfließt, 
Zum Orient, wo mit heiligen Akkorden 
Der Eos Sohn die hohe Mutter grüßt, 
Will ich aufbrechen. In entfernten Zonen, 
Ich weiß, muß meines Herzens Göttin wohnen!“ 


Der Prinz hält ein. Drauf Erich: „Freund, mit nichten 
Befürchte ſo wie Andrer, meinen Spott! 
Doch ſänftigen mit dem Verſtand, dem ſchlichten, 
Gern möcht' ich deinem Pegaſus den Trott, 
Denn allzu ſehr lebſt du in Traumgeſichten; 
Am Platze war zur Zeit des Lanzelot 
Ein Plan wie deiner; aber faſt als mythiſch 
Erſcheint er unſerer, die allzu kritiſch. 


— 264 — 


„Wohl fand vordem der Troubadour Rudel 
Sein Herzenstraumbild, ſeine Meliſende; 
Doch wenn du nun zu Schiffe, zu Kameel 
Die Welt durchzögſt und ſich das Weib nicht fände, 
Von dem du träumſt — nicht hab' ich deſſen hehl, 
Mein Nikolas, du nähmſt ein ſchlimmes Ende! 
Drum ſchenk Gehör mir! Wenn du refflich ſinnſt, 
Ablaſſen wirſt du von dem Hirngeſpinnſt. 


„Mit Fresken werd' ich und Portrait in weitern 

Drei Wochen fertig, und ſo iſt mein Rath, 

Daß dann, dich zu zerſtreuen, zu erheitern, 

Mit mir du eilſt ins ſchöne Land der Waadt, 

Zu dem die Engel Nachts auf Himmelsleitern 
Herniederſteigen! — Wie ichs früher that, 

Will ich von dir, dem vielgeübten Seemann, 

Mich ſteuern laſſen durch den blauen Leman. 


„Hinweg dann Gene und Ceremonie! 
Am Alpenſtock und in der ſchlichten Joppe 
Nach Zermatt machen wir die Fußpartie 
Und ſchwärmen mit Corinna bald in Coppet, 
Mit Rouſſeaus Julia bald in Meillerie; 
Dann wieder gehts im luſtigen Galoppe 
Am Strand durch Rebenhügel hin und Saatland — 
Ein wahres Eldorado dieſes Waadtland! 


„Inzwiſchen aber cultivire Jeder 

Von uns die Kunſt, die er am liebſten pflegt, 
Du deine Poeſie! Papier und Feder 

Schon hat die Muſe dir bereit gelegt, 

Daß bald im Band von elegantem Leder, 
Der auf dem Rücken deinen Namen trägt, 
Dein Dichtwerk prange in den Bücherſchränken 
Und Mütter es den holden Töchtern ſchenken! 


a 


„O! wenn von Lorbeern uns die Schläfe triefen, 
Wie Platen das ſo angenehm empfand, 
Was giebt es Süßres? Dein, ich wills verbriefen, 
Harrt hoher Ruhm; leg nur ans Werk die Hand, 
Mach einen Flugritt auf dem Hippogryphen 
In der Romantik wunderbares Land, 
Nein, beſſer noch nach Japan, China, Birma, 
So reißt um dein Gedicht ſich jede Firma!“ 


Als redend ſo die Zwei beiſammen ſaßen, 
Erſcholl die Stimme Lorms, des Gouverneurs: 
„Sie hier noch, Prinz? Iſts möglich? Sie vergaßen, 
Daß Sie beim Feſt heut Abend die Honneurs 
Zu machen haben? Zürnen über Maßen 
Wird Ihr durchlaucht'ger Vater; doch, ich ſchwör's, 
Wenn aus der Art Sie ſo vollſtändig ſchlugen, 
Nicht ſchuld bin ich; die Welt ging aus den Fugen. 


„Verſammelt längſt im Schloſſe ſind die Gäſte; 
Nun ſchnell nur! kleiden Sie ſich elegant, 
Natürlich weiß das Halstuch und die Weſte, 

Und — nein, Sie haben noch kein Ordensband! 
Auch Sie, Herr Maler, lad' ich zu dem Feſte, 
Denn der durchlaucht'ge Fürſt weilt auf dem Land 
Hier ohne Etikette mit den Seinen; 

Sogar die Gouvernante darf erſcheinen.“ 


Drauf Erich: „Ganz behindert, mein verehrter 
Herr Graf, bin ich!“ Sodann mit leiſem Spotte 
Dem Prinzen raunt er zu: „Beklagenswerther! 

In Nankingpantalons, beim ew'gen Gotte, 

Erſcheinen mußt du heute à la Werther! 

Princeß Cäcilie wird dich, deine Lotte, 

Zum Selbſtmord treiben. Nun, komm zu mir morgen! 
Ich will dir gerne die Piſtole borgen.“ 


— 266 — 


Er blieb. Zum Prinzen, der mit ihm direkt 
Aufs Schloß ging, ſprach der Graf: „Von liberaler 
Geſinnung, fürcht' ich, ſind Sie angeſteckt, 
Daß durch Intimität mit einem Maler, 
Mit einem hergelaufenen Subjekt, 
Sie ſich erniedern. Seine tauſend Thaler 
Ihm zahle man für ſeine Pinſeleien, 
Doch dann mög' er dies Schloß nicht mehr entweihen! 


„Geſchwind nun, werfen Sie ſich in den Frack!“ 
Mißmuthig trat der Prinz ins Schloß. — Indeſſen, 
Gekleidet nach dem neuſten Ungeſchmack, 

Verſammelt ſind im Saal ſchon die Alteſſen, 
Und auf des Bodens ſpiegelblankem Lack 
Hinwandeln die Lakain mit Gallatreſſen; — 
Doch hier, trotz des unwilligen Gemurrs 
Der Leſer, ſei vergönnt mir ein Excurs. 


Wenn ich, ihr Fürſten, Grafen und Barone, 
Auf euren Adelsſitzen zum Beſuch 
Geweilt und wohl am Thor die Wappenkrone 
Gewahrte, aber nirgendwo ein Buch, 
Des Schloſſes dacht' ich dann am Strand der Rhone, 
Das hingeſtürzt ward durch des Sängers Fluch, 
Und ſah im Geiſt auch eurer Schlöſſer Hallen 
Verödet, Stein auf Stein in Schutt zerfallen. 


Die heut'ge Welt, ich ſage das euch nüchtern, 
Geht über euch und eure Junkerei 
Zur Tagesordnung über; Pferdezüchtern 
Und Sportsmen legt ſie noch das Recht nicht bei, 
Das Haupt ſo ſtolz zu heben, nein fragt ſchüchtern, 
Wo denn eur Titel zu dem Anſpruch ſei, 
Und weist euch auf den Adel alter Tage; 
Hört ihr davon, es dünkt euch eine Sage. 


— 287 — 


Ihr redet viel vom ſchönen Mittelalter; 

Nun denn! In Schwaben, Thüringen, am Rhein 
Durchs Thor der Burgen, wo als Wappenhalter 
Zwei Löwen ſtehen, tretet mit mir ein! 

Da, ſeht! kredenzt dem liedberühmten Walther 
Die Edelfrau den Goldpokal mit Wein; 

Da an erhöhtem Ehrenplatz des Saales 

Singt Wolfram von der Maſſenie des Grales. 


Soll ich der Zeit der Troubadours euch mahnen, 
Der edeln, voll von Minne und Geſang, 
Als um das Wappenſchild erlauchter Ahnen 
Der Ritter ſtolz den Kranz der Dichtung ſchlang 
Und unter Schwertgeklirr und wehnden Fahnen 
Bernarts von Ventadour Tenzone klang? — 
Und von Italiens Adel, ſagt mir, wäre 
Zu euerm Ohr erſchollen nie die Märe? 


Wie ſtieg mit Sanſovinos Pradtfacaden, 
Dem Marcusdom und Hallenbau davor, 
Auf Wink der Nobili an den Geſtaden 
Der Adria die Wunderſtadt empor! 
In ihren Sälen, unter den Arkaden 
Und Logen der Paläſte, welchen Flor 
Der Kunſt, dem wir noch heut Bewundrung weihen, 
Durch Palma, Tizian ließen ſie gedeihen! 


Der Götter Bilder, nach zweitauſend Jahren 
Noch ſo voll Reiz und himmliſcher Magie, 
Wie da in Staub geſtürzt ſie die Barbaren, 
In ihre Marmorhallen führten ſie — 

Doch ganz vergeſſen hab' ich, wo wir waren; 
Rückkehren von Italiens Nobili 

Muß ich, von Troubadours und Götterbildern, 
Um die Soiree auf Wolkenſtein zu ſchildern. 


a 


Wohlan denn! in der Kürze, aphoriſtiſch 
Hier geb' ich die Beſchreibung dieſes Rout. 
Fürſt Friederich am eleganten Whiſttiſch 
Spielt mit der Mutter der gehofften Braut, 
Indem auf Gott ein Jeder pietiſtiſch 
Die Hoffnung des Partie-Gewinnens baut. 
Auf Sofas und auf Stühlen reihn in Gruppen 
Sich die Prinzeſſinnen und ſonſt'ge Puppen. 


Noch andre Damen ſitzen auf Cauſeuſen 
Im traulichen Geſpräch mit jungen Fanten — 
Stoff bietet morgen das zu ſcandalöſen 
Geklätſchen für die Baſen und die Tanten — 
Doch wenden wir uns von den luxuriöſen 
Toiletten, von dem Glanz der Diamanten 
Zum Kreis von Herrn, der an dem großen Lüſtre 
Verſammelt ſteht! Lebhaft iſt ihr Geflüſter. 


Vorſtell' ich in dem Einen dir, mein Leſer, 
Den Herrn von Luchs, der bei der Herzogin 
Als Kammerherr fungirt und Hausverweſer. 
Pausbackig, kugelrund, mit Hängekinn, 

Faſt ſieht er aus wie ein Poſaunenbläſer. 
Am Wort iſt eben er und ſpricht: „Ich bin 
Gewiß, ihr Herrn, auf Erden giebt es rings 
Kein zweites Beiſpiel ſolches Sonderlings. 


„Wenn über die verdammten Kammerſchreier 
In Baden wir bei Tafel uns erboßen, 
Die Welcker, Itzſtein — hole ſie der Geier! — 
So ſcheint er, der doch Nikolaus den Großen 
Zum Pathen hat, geneigt, zu ihrer Feier 
Mit andern Liberalen anzuſtoßen; 
Ja jüngſt — vor Schrecken aus der Linken fiel 
Die Gabel mir — ſagt' er, ich ſei ſervil. 


— ad, 


„Servil? Nun ja, muß man nicht vor den Kronen 
In Devotion vergehn, den legitimen? 
Stolz rühm' ich mich, daß ich, wie es Baronen 
Anſteht, conſervativ bin von Maximen. 
Doch unſer Prinz! Die nobeln Paſſionen, 
Wie ſie den Sproſſen alten Adels ziemen, 
Sind ganz ihm fremd; er liebt nicht Jagd noch Hunde, 
Noch Pferdezucht, nicht einmal Wappenkunde. 


„Jüngſt auf den Anſtand war er mitgegangen, 
Allein, ſtatt aufzupaſſen, ruhig las 
Er fort in ſeinem Byron; Hirſche ſprangen 
Ihm nah vorüber durch das Kolbengras 
Und ſpießten ihn beinah mit ihren Stangen; 
Umſonſt rings ſcholls: „Habt Acht, Prinz Nikolas!“ 
Die Hirſche flohen beim Gebell der Doggen 
Zum Wald hinaus und weiter durch den Roggen.“ 


Noch perorirte ſo der Corpulente, 
Da trat der Prinz ein, zwar im Frack, doch o! 
Als ob er keine Anſtandsregel kennte, 
Saß die Cravatte ihm nicht comme il faut, 
Auch waren linkiſch ſeine Complimente; 
Nicht fern der Thüre ſtehen blieb er ſo, 
Statt, wie erwartet ward, vor allen Dingen 
Prinzeß Cäcilien Huldigung zu bringen. 


Wie anders das Gefühl der Dignität 
Bei Karl und Max und Otto ſich, den jüngern 
Sprößlingen unſres Fürſten, doch verräth! 
In Pferdeſtällen und in Hundezwingern 
Zwar mehr, als auf der Univerſität, 
Fand ihre Bildung ſtatt, doch als Geringern 
Anſehn ſie Jeden, welcher nicht hochadlig, 
Drum rühmt der Fürſt ihr Weſen als untadlig. 


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Aslauga auch, die Schweſter, die mit ihnen 
Die Runde macht in der Geladnen Kreis, 
Zeigt deutlich in den Geſten, in den Mienen, 
Wie ſehr ſie ſich als Fürſtentochter weiß, 
Der Gräfinnen ſogar als Folie dienen; 

Hold lächelt ſie, allein es iſt, als ſeis, 
Wenn ſie an Den ſich und an Jenen wendet, 
Ein hoher Akt der Gnade, den ſie ſpendet. 


Doch in der Ecke nah dem Veſtibüle, 
Wohin der Lichter Strahl nur dämmernd fällt, 
Wer ſteht ſo einſam, ferne dem Gewühle 
Der adelſtolzen Herrn- und Damenwelt? 

Weit von ihr abgerückt ſind alle Stühle, 
Weil Jeder ſich für ſie zu vornehm hält — 
Emma heißt die Unſelige, Verbannte, 

Der jüngern Fürſtentöchter Gouvernante. 


Verlegen bittet unterdeß der alte 
Fürſt Friedrich die Prinzeſſin um die Gunſt, 
Daß ſie am Piano ihr Genie entfalte: 
„O“ — ſpricht er ſchwärmriſch — „göttlich iſt die Kunſt; 
Sie glättet ſelbſt die ſchlimmſte Sorgenfalte 
Und hebt empor uns aus dem Erdendunſt! 
Vermehren drum Durchlaucht das Glück, den Frohſinn 
In unſerm Kreis! Ich weiß, Sie ſind Virtuoſin.“ 


Die Holde ſcheint verlegen, faſt erſchrocken, 
Als von Erwartung Aller Augen blitzen. 
Zu Boden blickend ſchüttelt ſie die Locken, 
Doch dann, aufſtehnd, vorüber an den Sitzen, 
Auf denen mit Chignons und Shawls und Tocken 
Die Damen prangen und mit Brüſſler Spitzen, 
Ans Piano ſchreitet fie, nicht länger prüde, 
Und ſagt halblaut: „von Liszt iſt die Etüde“. 


* 


Sie ſpielt das Prachtſtück einzig mit der Linken — 
Das eben iſt ja das Columbus-Ei 
Der wahren Kunſt — faſt auf die Kniee ſinken 
Die Hörer, rings hallt ein Bewundrungsſchrei; 
Den Prinzen Nikolas jedoch will dünken, 
Das Ganze ſei nur Taſchenſpielerei; 
Er ſehnt zurück ſich zu der Kunſt der Väter, 
Doch auf der Höhe unſrer Zeit nicht ſteht er. 


Dann ein Bravourſtück aus Robert le Diable 
Trägt die Prinzeſſin vor; es iſt pompöſe, 
Schon die Introduction ein Töne- Babel, 

Ein wahrer Höllenbreughel von Getöſe; 
Dann das Allegro! wirklich formidabel, 

Wie das Geknatter einer Mitrailleuſe; 

Dem Stärkſten ſelbſt durchbebt es jede Nerve; 
Im Vortrag welche Meiſterſchaft und Verve! 


Als von den Trillern, Läufen und Cadenzen 
Und dem Gehämmer endlich ruhn die Taſten, 
(Ein Wunder, daß durch dieſe Ingredienzen 
Moderner Kunſt nicht alle Piano-Kaſten 
In Trümmer gehn!) hallt Beifall ohne Grenzen. 
Der Prinz nur iſt nicht bei den Enthuſiaſten, 
Und zu ihm tritt Graf Lorm: „Welch ein Benehmen! 
Ich, Ihr Erzieher, muß mich Ihrer ſchämen. 


„Schnell! gehen Sie zu der Prinzeſſin hin, 
Statt hier zu ſtehn, wie Götzen der Pagode! 
Sie müſſen ſagen: ‚Gnädigſte, ich bin 
Entzückt. Das nenn’ ich Vortrag! das Methode!“ 
So trat der Prinz denn zu der Spielerin 
Und ſprach zu ihr: „Sie ſind gewiß marode! 
Müd machen dieſe Phantaſien, Capricen, 
Wie Seiltanzkünſte oder Kobold-Schießen. 


„ 


„Beſtrafen ſollte man als Menſchenquäler 
Die Componiſten, wenn mans recht ermißt; 


Doch Ihr Verdienſt, Prinzeß, iſt drum nicht ſchmäler, 


Und ſagen muß ich, wie es Wahrheit iſt: 
Concerten hab' ich beigewohnt von Döhler, 
Von Thalberg, Prüdent, Rubinſtein und Sage 
Sie Alle waren tüchtig echauffirt, 

Doch, ſo wie Sie, hat Keiner transpirirt!“ 


Die Holde kehrt entrüſtet ihm den Rücken, 
Von dunklem Roth das Antlitz überhaucht, 
Doch unter Händeküſſen, Händedrücken 
Giebt ihr des Schloßherrn fürſtliche Durchlaucht 
So freudig kund ſein innerſtes Entzücken, 

Daß ihres Unmuths erſte Gluth verraucht; 
Da öffnen ſich zum Speiſeſaal die Thüren, 
Und jeder Herr muß eine Dame führen. 


Der Fürſt, als ging' er ſelbſt noch auf die Freite, 
Reicht der Frau Herzogin den Arm, doch ſacht 
Zuvor dem Sohne raunt er zu: „Geleite 
Prinzeß Cäcilie! Träumer, hab' doch Acht!“ 

So ſchreitet der denn an der Schönen Seite, 
Die gute Miene zu dem Spiele macht, 

Und an die Tafel ſetzen bei einander 

Die Zwei ſich unter blühnden Oleander. 


Denn duft'ge Stauden ſchmücken, Treibhauspflanzen 
Den Saal bis an die Decke; auf Conſolen 
Dazwiſchen ſtehen Statuen in Diſtanzen, 

Und hundert Kerzen ſprühen Girandolen 

Von Licht und Glanz. Reich quillt von Pomeranzen 
Und Ananas der Duft aus Silber-Bowlen; 

Auf Tellern prangen Indiens Vogelneſter, 

Und hinterm Laubgrün jubelt das Orcheſter. 


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— 3 — 


Und ſieh! Champagner ſprudelt, gleich Cascaden, 
Wenn vom Gewitterguß geſchwellt im Mai; 
Nein, noch ein kühnres Bild kann hier nicht ſchaden 
Mit Hafis ſag' ich drum, gekeltert ſei 
Er aus der Himmelstraube der Plejaden. 
Habt Dank, Franzoſen, wir geſtehn es frei: 
Für euch iſt unſre Achtung unbegrenzt, 
Wenn ihr uns euern Götterwein kredenzt. 


’ 


Kommt her, laßt Brüderſchaft in ihm uns trinken, 

Nachdem zu lang einander wir gegrollt! 

Anſtatt auf Leichen ſterbend hinzuſinken, 

Indeß der Mordgeſchütze Donner rollt, 

Iſts beſſer, hier verſöhnt, ſo will mich dünken, 

Zu ſchlürfen von der Trauben flüſſ'gem Gold! 

Laßt uns den blut'gen Kranz des Heldenthumes 
Vertauſchen mit dem Lorbeer ſchönern Ruhmes. 


Beſiegt in Schlachten, wie kein Alexander 
Sie je geſchlagen hat, kein Hannibal — 
Ihr wolltets ſo — ein wirres Durcheinander 
Am Boden liegt eur Frankreich, und ſein Fall, 
Nicht wie der Sturz der Feſte am Skamander 
Weckt er der Dichterklage Widerhall, 
Nein Spott nur, wie von euch ihn Deutſchland litt, 
Als ihr die Pfalz verheertet; wir ſind quitt. 


Vergeßt ihr die gehofften Siegsſtandarten 
Und den geträumten Einzug in Berlin! 
Vergeßt, daß wir kaſſirt die Länderkarten, 
Darauf man euch den Elſaß ließ in Wien, 
Auch wir, was von den beiden Bonaparten 
An Schmach wir duldeten und an Ruin, 
Für immer wollen wir das Angedenken 
Daran in des Vergeſſens Nacht verſenken! 

Schack, Geſ. Werke. III. 18 


ae 


Im Wettſtreit laßt uns Thaten nun vollbringen, 

Doch beſſre als mit Feuerrohr und Schwert! 

Laßt ſehn, wer auf der Kunſt, der Dichtung Schwingen 
Sich höher hebt, wer mehr das Wiſſen ehrt, 

Wems von uns beiden eher mag gelingen, 

Daß er der Menſchheit hohe Güter mehrt! 

Bei uns dem Recht, der Freiheit eine Stätte 

Zu gründen laßt uns ringen um die Wette! 


Stoßt an, hoch ſoll eur Viktor Hugo leben! 
Je bittrer er uns Deutſche ſchmäht und haßt, 
So inniger ihn lieben wir und geben 
Ihm bei dem Feſt den Ehrenplatz als Gaſt, 
Auch Renan lebe hoch! wenn er auch eben 
Nicht in den Kreis der Orthodoxen paßt, 
Wir reichen ihm bei unſerm Friedensmahle 
Des beſten Weines eine volle Schale. 


Doch wohin hat der Moöt, der La Roſe, 
Der in den Gläſern glänzt, mich fortgeriſſen? 
Der Leſer wünſcht, des künft'gen Brautpaars Loos, 
Und wie's bei Tiſch ſich unterhält, zu wiſſen. 
Wohlan denn! Die Prinzeſſin war furios, 
Und keiner ſchmeckte ihr der Leckerbiſſen; 
Allein ſie nahm, wenn auch in ärgerlicher 
Stimmung, das Wort: „Ein Kunſtfreund ſind Sie ſicher. 


„Das bringt mich auf Jeruſalems Zerſtörung. 
In allen Zeitungen leſ' ich gedruckt, 
Sie ſei ſo ſchön wie Raphaels Verklärung; 
Sie ſahn doch Kaulbachs herrliches Produkt?“ 
Der Prinz fährt auf: „O ja! und mit Empörung; 
Nicht der bin ich, der ſo etwas verſchluckt. 
Gemalt wohl ſind, daß ſie als Aushängſchilder 
Bei Meßſpektakeln dienen, ſolche Bilder. 


55 


„Hätten doch mit der Stadt des Titus Truppen 
Gleich das Gemälde auch verbrannt! Wie roh 
Zeichnung und Farben! Die Figuren Puppen 
Von ſchlechter Pappe, ausgeſtopft mit Stroh 
Und hingeſchneit bald hier, bald dort in Gruppen; 
Das ganze Bild ein Opern-Schlußtableau 
Mit Paukenwirbel und Bengal'ſchen Flammen; 
Mein Urtheil faſſ' ich ſchließlich ſo zuſammen.“ 


Kaum ihren Zorn kann die Prinzeß bezwingen. 
„Die Geiſterſchlacht bewundern Sie mir doch?“ 
Darauf Prinz Nikolas: „Vor allen Dingen 
Sprech' ich es aus: ſie iſt ein großes Loch; 

Am beſten iſts, durch den Carton zu ſpringen — 

So ſprang Cornelius oder Joſeph Koch, 

Ich weiß nicht wer, einſt durch ein Bild von Platner, 
Doch das von Kaulbach iſt noch viel mißrathner.“ 


Erſt Pauſe. Darauf ſie: „Von KX. doch laſen 
Sie den Roman, der ſolch Talent verräth?“ 
Und Nikolas; „Bei Gott! man möchte raſen, 
Ein Publikum zu ſehn, das ſo verdreht; 
Sind alle Deutſchen jetzt denn alte Baſen? 
Das Volk, das Platens lautres Gold verſchmäht — 
Ich rede nicht von Goethe, Schiller, Leſſing, 
Das ward trivial — begnügt ſich jetzt mit Meſſing? 


„Hätt' ich die Macht nur, ein'ge Schock Romane 
Verbrennen laſſen würd' ich jedes Jahr, 
Einſperren dutzendfach die Charlatane, 

Die ſie verfaſſen; wieder würde klar 

Die Luft dann und der Dichtung heil'ge Fahne 
Wehte von Neuem, wo vor dem Altar 

Der Mode jetzt man tanzt ums goldne Kalb; 
Doch Sie ſind andrer Meinung — meinethalb!“ 


— 276 — 


Neu ſchweigen unſre Zwei; doch in Raketen 
Hin ſprüht der Andern Rede durch den Saal, 
Da ſchmettern im Orcheſter die Trompeten, 
Der Fürſt giebt, ſich erhebend, das Signal, 
Und alle Herrn mit ihren Damen treten 
Den Rückweg an. Dann in dem großen Saal 
Läßt die Prinzeſſin ihres Führers Arm, 

Und er verliert ſich in der Gäſte Schwarm. 


Da ſteht er, neu in Träumerei verſenkt, 
Indem er bald der glücklichen Lauſanner 
Schulzeit, bald an ſein Herzens-Traumbild denkt, 
Und wird gewahr nicht, wie bereits ihr Banner 
Terpſichore, zum Tanze mahnend, ſchwenkt, 

Und wie zur Walzer-Melodie von Lanner 
Ein jeder Tänzer auf beſchwingten Sohlen 
Hineilt, um die Gefährtin ſich zu holen. 


Indeß noch auf den Prinzen Alle harrten, 
Trat erſt Graf Lorm und dann der Hofmarſchall 
Zu ihm: „Schnell doch! Sie laſſen Alle warten! 
Mit der Prinzeß eröffnen Sie den Ball!“ 

Da aus den Träumen fuhr er auf; wild ſtarrten 
Die Augen ihm; nach kurzem Intervall 

Sah man, wie er zu einer Dame rannte; 
Unglaublich! Emma wars, die Gouvernante. 


Ein Augenblick, und ſchon mit ihr im Tanz 
Hinfliegt er durch den Saal; die Gäſte raunen: 
„Iſts möglich? Hier hört auf die Toleranz!“ 
Und größer, immer größer wird das Staunen. 
Entſetzen übermannt den Fürſten ganz, 

Als hört' er ſchon des jüngſten Tags Poſaunen; 
In Ohnmacht, während Weheruf im Chore 
Um ſie erſchallt, liegt Herzogin Lenore. 


at 


Voll Zorngluth — unglückſeligſter der Bälle! — 
Iſt die Prinzeß zum Saal hinausgerannt; 
Und jammernd ringen Kämmrer, Hofmarſchälle 
Die Hände: „Unerhört! den hohen Stand 
So zu entweihn! Mit einer Demoiſelle 
Zu tanzen und vor Allen eclatant 
Den Bruch zu machen, während faſt geſchloſſen 
Der Bund ſchon war der beiden Fürſtenſproſſen. 


S 


Baron von Luchs in Trübſal ohne Grenzen 
Wiſcht von der Stirne ſich die Tropfen ab 
Und haranguirt die andern Excellenzen: 

„Bei Gott! fort werf' ich meinen Marſchallſtab, 
Da das geſchehn!“ Dann wieder mit Eſſenzen 
Netzt er der Herzogin, die nah dem Grab, 

Die Schläfe und ruft aus: „Unſel'ge Hoheit! 
Aus iſts für ſie mit Glück und Lebensfroheit!“ 


Da auseinander längſt der Tanz geſtoben 
Und Lanners Walzermelodien verſtummt, 
Schon holen Viele aus den Garderoben 
Die Mäntel ſich und ſchleichen fort vermummt; 
Der Prinz jedoch eilt in ſein Zimmer oben; 
Der Frevel wegen, die er aufgeſummt, 

Um mit dem größeſten ſie jetzt zu krönen, 
O! kann er ſeinen Vater je verſöhnen? 


Zur Herzogin im Tanzſaal unterdeſſen, 

Die wiederum die Augen aufgeſchlagen, 
Flüſtert der Fürſt: „Mein Leid iſt unermeſſen, 
Und unerhört war meines Sohns Betragen; 
Doch daß er künftig ähnlichen Exceſſen 

Fern bleibt, das zu verbürgen darf ich wagen; 
Verzeihn denn Hoheit diesmal ſeiner Jugend! 
Iſt Großmuth doch erhabner Seelen Tugend!“ 


— 278 — 


Der Herzogin trüb vor den Augen flirrte 
Noch Alles; doch, als ſie ſich dann ermannte, 
Kein Wort mehr gönnte ſie dem hohen Wirthe; 
Ihr Auge einzig ſprach durch fulminante 
Zornblitze aus: wer ſich ſo weit verirrte, 

Daß er zum Tanz mit einer Gouvernante 
Vor meinen hohen Augen ſich erfrechte, 
Hat nicht mehr Fürſtenrang noch Fürſtenrechte. 


Noch einmal will Fürſt Friedrich ſie begütigen; 
„Nur diesmal, Gnädigſte, verzeihen Sie 
Huldvoll den Streich des jungen Uebermüthigen! 
Hinwerfen ſoll er ſich vor Sie aufs Knie!“ 
Allein die Tiefempörte ſpricht mit wüthigen 
Accenten: „Den Affront vergeb' ich nie! 

Noch heut zu reiſen hab' ich mich entſchloſſen; 
Sie, Herr von Luchs, beſtellen die Karoſſen!“ 


Zweites Buch. 


Vorwärts, mein Pegaſus! Nun an der Krippe 
Im Stalle haſt du Raſt genug gehabt, 
Indeſſen, vom Geſange ruhnd, die Lippe 
Ich an Caſtalias klarem Quell gelabt. 
Vielleicht durch Wildniß, über Steingeklippe, 
Auf Pfaden, wo du nie zuvor getrabt, 
Mein Muſenroß, mußt du mich nächſtens tragen, 
Drum ließ ich deine Hufe wohl beſchlagen. 


ZEMENT 


Natürlich iſt dies nichts als eine Phraſe. 
Seitdem man hinrollt auf Velocipeden, 
Zum Himmel aufſteigt mittels leichter Gaſe 
Und Eiſenbahnen nach dem Garten Eden 
Anlegt, wie nach der Jupiter-Oaſe, 
Entbehrlich wird das Muſenroß für Jeden; 
Zufrieden ſeis, wenn für der Tage Reſt 
Man ihm ſein Futter nur im Stalle läßt! 


Ich weiß, niemals gewinnt ein Buch Verbreitung, 
Nie Honorar kann ein Verleger zahlen, 
Das zu des Holzes, des Logis Beſtreitung 
Dem Autor ausreicht, wenn er den banalen 
Heerweg nicht geht. Das Feuilleton der Zeitung 
Erſt muß die Kunſt des Flachen und Trivialen 
Ihn lehren und in ausgetretnen Gleiſen 
Den Weg zur Gunſt des Publikums ihm weiſen. 


Drum bitt' ich, Leſer, ſeht ihr je pindariſch 
Das Auge mir in ſchönem Wahnſinn rollen, 
So fordert zur Vernunft mich auf ſummariſch! 
Ich denke, nicht mein Unglück könnt ihr wollen, 
Und ruinirt ja wär' ich literariſch, 

Wenn mir als Krebs in Ballen, hochgeſchwollen, 
Zur Strafe meines Umgangs mit Apollo 
Dies Buch heimkäme, Collo neben Collo. 


Hier unter blühndem Flieder und Liguſter, 
Streng von den Muſen und von ihm getrennt, 
Im Garten laßt mich lieber nach dem Muſter 
Der großen Mühlbach bilden mein Talent, 
Und gebt mir für die Zukunft, wie bewußter 
Autorin, aufs Romanfach ein Patent; 
Ach! jüngſt — wen wird die Kunde nicht erſchüttern? — 
Verſammelt wurde ſie zu ihren Müttern! 


— 280 — 


Nur ein Verdienſt möcht' ich mir vindiciren, 
Das meinem Vorbild fehlt; gewiſſenhaft 
Aus Akten und Familienpapieren 
Hab' ich mein Material herbeigeſchafft 
Und keine Mühn geſcheut im Dechiffriren. 
Drum, weich' ich Jener auch an Schöpferkraft, 
So werd' ich ihr doch von Genealogen 
Vielleicht und Adelsforſchern vorgezogen. 


Zunächſt nach diplomatiſchen Depeſchen 
Allhier denn biet' ich meines Forſchens Frucht: 
In Herzogin Lenorens Starrſinn Breſchen 
Zu ſchießen, hat der Fürſt umſonſt verſucht; 
Zur Nachtzeit noch in Kutſchen und Kaleſchen 
Nahm ſie mit ihrem ganzen Hof die Flucht, 
Und Morgens ſo im ſchlimmſten der Humore 
Hinwandelt er durch Säl' und Corridore. 


Trepp' auf und nieder ſtürzt das Schloßgeſinde, 
Weil er den Prinzen Nikolas begehrt; 
Schon mit der Antwort, daß man ihn nicht finde, 
Sind zwei der Abgeſandten heimgekehrt. — 
Doch da er ſtets fortſtürmt beim Morgenwinde, 
Und da es manchmal Tage lang gewährt, 
Daß einſam er geſchweift auf öden Wegen, 
Wie kann ſein Fernſein Staunen heut erregen? 


Den Gouverneur, der kaum ſich faſſen konnte, 
Läßt ſich Fürſt Friedrich rufen: „Mein Ruin 
Iſt das! die Hoffnungen, drin ich mich ſonnte, 
Sind hin ſammt allen ſchönen Phantaſien, 
Die mich umſchwebt. Hat doch mit dem Affronte 
Mein Sohn verſcherzt die beſte der Partien! 
Wohl! weil durch ihn geſcheitert dieſe Werbung, 
Treff' als gerechter Lohn ihn die Enterbung. 


aa — 


„An Karl nun falle und die andern Jüngern 
Sein Erbtheil! Zwar ſie ſind von mindern Gaben, 
Doch ehr, als daß von Töchtern aus geringern 
Familien, die nicht hundert Ahnen haben, 

Sie je den Trauring trügen an den Fingern, 
Ließen, ich weiß, ſie lebend ſich begraben; 
Nur dieſer Nikolas! ſchon in der zarten 
Kindheit begann er alſo zu entarten. 


„Als wär' er Mitglied einer Räuberbande, 
Hin durchs Gebirge ſchweift er. Welche Schmach! 
Ja, einer Liebſchaft unter ſeinem Stande, 
So ahnt mir, insgeheim dort geht er nach; 
Doch wahrlich! eh' ich dulde ſolche Schande — — —“ 
Des Fürſten Stimme, wie er alſo ſprach, 
Verſagte; aus den Augen eine Thräne 
Sich wiſchend, ſank er in die Armſtuhl-Lehne. 


„Mein Gnädigſter,“ nahm Lorm das Wort, „ich bitte 
Zu glauben, daß ſich hier noch helfen läßt. 
Streng ſei der Prinz bewacht auf jedem Schritte, 
Ja Monatlang erhalt' er Hausarreſt, 
So wieder fügen wird er ſich der Sitte; 
Von ſeinen Flegeljahren noch ein Reſt 
Blieb ihm bis jetzt; doch ſeiner hohen Ahnen, 
Wenn er zu Jahren kommt, wird er ſich mahnen. 


„Ich hoffe, wenn auch noch die Wunde eitert, 
Die dieſer Vorfall Ihnen hinterließ, 
Bald in das Leben werden Sie erheitert 
Hinausſchaun, ja wie in ein Paradies. 
Wohl mit dem ältern iſt Ihr Plan geſcheitert, 
Doch Höhres kann, ein wahres goldnes Vließ, 
Ihr zweiter Sohn, Prinz Karl, für ſich erringen 
Und ſich zu kaiſerlicher Höhe ſchwingen. 


er ee 


„Zeigt Nikolas fi) unwerth ſeines Pathen, 
So ſchwärmt Ihr Karl als für ſein Herz-Idol 
Für Rußlands Stolz, den mächt'gen Autokraten; 
Das weiſt für ſeine Brautfahrt ihm den Pol. 
Wahr iſt es, unter allen Potentaten 
Frei ſteht die Wahl dem Kaiſer; dennoch wohl 
Mit einem Eidam, der durch die Gepiden 
Von Odin abſtammt, giebt er ſich zufrieden. 


„Warum denn, daß die Werbung nicht gelänge? 
An Töchtern hat der Kaiſerſtamm nicht Mangel; 
So beſſern Sie den einen Sohn durch Strenge, 
Ich werfe für den andern aus die Angel. 

Vom ſchwarzen Meer zur Beringſtraßen-Enge 
Iſt mir, von Aſtrachan bis nach Archangel 
Rußland bekannt; mich laſſen Sie den zweiten 
Der Prinzen bei der Brautfahrt drum begleiten! 


„Im Käaiſerſchloß iſt meine Nichte Zofe 
(Dort müſſen ſelbſt die Zofen adlig ſein) 
Und, da ſie großen Einfluß hat bei Hofe, 
Muß ſie uns ihren mächt'gen Beiſtand leihn. 
Sie leitet vor der Werbungs-Apoſtrophe 
Aufs Beſte für den Prinzen Alles ein, 

Und ſo im Geiſte ſchon nach wenig Wochen 
Mit der Czarewna ſeh' ich ihn verſprochen. 


„Dies denn, mein Gnäd'ger, wäre mein Programm,“ 
Er ſchwieg; wie Nachts ſich zwiſchen Felſenſchroffen 
In Bayerns Hochgebirg die Wimbachklamm 
Plötzlich erhellt, weil wetterblitzgetroffen 
Am ſteilen Hang aufflammt ein Fichtenſtamm 
(Mit dieſem Gleichniß, ich geſteh' es offen, 

Straffällig mach' ich wieder mich als Dichter) 
Wards in des Fürſten Bruſt von Neuem lichter. 


— 283 — 


Nachdem er achtſam dem Projekt gelauſcht, 
Iſt er bei der Idee der kaiſerlichen 
Verwandtſchaft ganz von Hochgefühl berauſcht 
Und ſtolz wie — (nein, dies Bild ſei ausgeſtrichen 
Und für ein familiäreres vertauſcht!) 
Ich ſage: ſtolz gleich jungen Fähnderichen, 
Die hoffen, avancirt zum Lieutnants-Grade, 
Sich bald zu zeigen auf der Wachtparade. 


„Ja, Graf,“ ſpricht er, „Sie ſind ein Rettungsbringer! 
Mein Haus, das wegen ſeines Alters ſchon 
Beneidet ward zur Zeit der Merowinger, 
Soll ſich verſchwägern mit dem Kaiſerthron. 
Indeß ich hier mit Strenge, wie im Zwinger, 
Bewache den verlornen ältſten Sohn, 
Geleiten Sie zu meines Hauſes Wohlfahrt 
Den Jüngeren auf ſeiner Braut- und Polfahrt!“ 


Den zweiten Sohn befiehlt der Fürſt zu holen 
Und ſpricht zu ihm: „Mein Karl, ſchon fühl' ich minder 
Den Seelenſchmerz. Sei Gottes Hut befohlen, 
Daß er den Czaren dir, den Ueberwinder 
Der Rebellion und der verruchten Polen, 
Gewogen macht! Ja, liebſtes meiner Kinder, 
Wirb in dem Land der Newa und der Wolga 
Um eine Katharina oder Olga!“ 


Der Prinz drauf freudig: „O zu tauſendmalen 
Das Eine, Höchſte hab' ich ja erfleht, 
Daß ich mich ſonnen dürfte in den Strahlen 
Von Rußlands Kaiſerkrone! Der Magnet 
Iſt ſie für alle Edeln und Loyalen, 
Die Schirmerin der Legitimität 
Und in Revolutionen und Revolten 
Der Hort, an den ſich Alle klammern ſollten. 


ee 


„O Vater, kaum war ich entwöhnt der Amme, 
So haſt du ja für abſolutes Recht 
In meiner Bruſt geſchürt die heil'ge Flamme, 
Das aber herrſcht allein in Rußland ächt; 
Drum daß mit Ruriks altem Kaiſerſtamme 
Durch mich verbunden werde dein Geſchlecht, 
Das iſt die höchſte meiner Ambitionen; 
Mag Glück mein feur'ges Streben denn belohnen!“ 


Dem Fürſten war, als ob in neuem Flor 
Schon ſeines Stammbaums welke Reiſer ſproßten 
(So glaubt ein Wandrer, der ein Meteor 
Erblickt, die Sonne hebe ſich im Oſten); 

Und mit dem Grafen bald fuhr durch das Thor 
Prinz Karl von dannen; noch mit Extrapoſten 
Kutſchirte man in jenen vierz'ger Jahren, 

Im Dampf⸗Courierzug wär' er heut gefahren. 


Wie ſchön das Reiſen damals, als der Wagen 
Vorbei an burggekrönten Felſengipfeln, 
Durch Felder, die im Sonnenglanze lagen, 
Uns trug! Im Dorfe unter breiten Wipfeln, 
Wo wir dem Blitz gleich jetzt vorüberjagen, 
Wie traulich lud uns zu Kaffee und Kipfeln 
Das Wirthshaus ein! War ſchlecht auch die Cichorie, 
Jetzt ſtrahlt uns Alles wie in einer Glorie. 


Und dann die Nachtfahrt über Felſenplatte 
Und Waldgebirg und durch der Thäler Tiefen, 
Wenn auf dem Hügel, auf der grünen Matte 
Im Dämmerlicht die Mondesſtrahlen ſchliefen, 
Indeß das Poſthorn hin von Blatt zu Blatte 
Der Buchen ſcholl, als ob ſich Geiſter riefen, 
Und aus den Schluchten, aus den Bergesſpalten 
Im Windeswehn zurück die Töne hallten. 


an 


Wohl mochte jüngſt noch Fernan Caballero, 
Die an der Oſtſee unter Lindenbäumen 
Die Kinderzeit verlebt, allein nunmehro 
Verſetzt iſt zu Hiſpaniens Uferſäumen, 
Sie mochte jüngſt beim Schalle des Bolero 
Noch von den deutſchen Poſthornklängen träumen; 
Doch jetzt nur Lärm des Dampfs hört man am Bätis, 
So wie am Rhein, ja ſelbſt im Schooß der Thetis. 


So reiſen Jene zu den Newa-Borden; 
Mag dort Prinz Karl ſich eine hohe Braut 
Erobern und Graf Lorm den Annen-Orden! 
Ob unſern Häuptern aber, hoff' ich, blaut 
Des Südens Himmel bald, und in den Norden, 
Wo ſie an Föhrenwäldern, Heidekraut 
Sich laben können und am Sturmgeheule, 
Allein befördern mögen ſie die Gäule! 


Der Fürſt, den Gouverneur auf ſeiner Reiſe 
Mit heißem Wunſch begleitend, glaubt noch lang, 
Den Wald durchſtreife nach gewohnter Weiſe 
Sein ältſter Sohn; doch endlich wird ihm bang 
Und Boten ſendet er nach ihm im Kreiſe; 

Doch fruchtlos kehren Alle heim vom Gang. 
Wißt! Nikolas iſt, folgend ſeinem Sterne, 
Geheim entflohn, und weit ſchon in der Ferne. 


Nicht in der Seinen Mitte litts ihn länger; 
Wars doch, als könn' er nur durch Unterſchleif 
Sein beſſres Selbſt hier retten! Täglich enger 
Schien ihm dies Leben, unerträglich ſteif; 

Von Erich auch, den ſeinen Doppelgänger 

Er oft genannt, dem Maler, war wie Reif 
So kalt der Spott ihm auf das Herz gejunfen. 
„Nein! von Empfindung hat er keinen Funken! 


u 


„Fahr' er denn hin! Zu meinen Freunden zähle 
Ich den nicht, der mich nicht begreift noch faßt. 
Was ich gleich einem ſtrahlenden Juwele, 

Vor dem die ganze Welt umher erblaßt, 
Verbarg im Tiefgeheimſten meiner Seele, 
Was in mein Herz, ein hoher Himmelsgaſt, 
Herniederſtieg, das Schönſte alles Schönen, 
Vermaß ſich dieſer Spötter zu verhöhnen. 


„Mein Feind iſt, wer mich hemmt in den Entſchlüſſen, 
Zu denen haſtig die Minute drängt. 
Fern, fern im Süden, wo mit Flammenküſſen 
Der Himmel ſeine Erdenbraut umfängt, 
Wo die Gewohnheit nicht, nicht traur'ges Müſſen 
Die heilige Natur in Feſſeln zwängt, 
Wo frei das Herz ſich hin dem Herzen giebt, 
Dort lebt das Weib, das meine Seele liebt.“ 


Noch in der Feſtnacht mit der Reiſejacke 
Vertauſcht' er eilends dann das Ball-Coſtüm, 
Barg, was ihm noth, in einem Mantelſacke 
Und rief dem Diener zu mit Ungeſtüm, 

Daß auch für ſich er ſchnell das Nöth'ge packe; 
Vertrauen, wie ſich ſelber, konnt' er ihm, 

Der ſchon im Norden auf dem Schloß der Väter 
Als Kind ihn treu gepflegt, dem guten Peter. 


Erſt ſtand der Alte wie gelähmt vom Schrecke; 
Ein Stück in ſeine Rechte, in die Linke 
Das andre nehmend, dann mit dem Gepäcke 
Schritt er voran nach des Gebieters Winke 
Und öffnete zuletzt, nach jeder Ecke 
Voll von Beſorgniß ſpähnd, des Schloßthors Klinke, 
So flohn die Zwei, die nächt'ge Zeit zu Nutze 
Sich machend, vorwärts in des Dunkels Schutze. 


8 


Im nahen Dorfe bei den Eiſenhämmern 
Fand ſich ein Gaul und Karren für die Zwei, 
Und vorwärts ging es durch das Morgendämmern, 
An Wieſen, blumenüberſät vom Mai, 
An Hürdenſtänden, draus von jungen Lämmern 
Das Blöken ſcholl, in hurt'ger Fahrt vorbei; 
Dann wurden, als ſie die Station erreichten, 
Zwei Roſſe vorgeſpannt dem Cab, dem leichten. 


Der Poſtillon bläſt luſtig mit dem Horne, 
Ein reiches Trinkgeld ihm verheißt der Prinz, 
Damit er mehr noch ſeinen Eifer ſporne. 
Die Gäule ſtürzen — gute Renner ſinds — 
Im ſauſenden Galoppe ſich nach vorne, 
Und bald — denn Deutſchlands äußerſte Provinz 
Iſt Alemannien — an den Schweizer Gränzen 
Sieht Nikolas der Alpen Schneehaupt glänzen. 


Schon weichen die Kaſtanien den Maronen, 
Genzianen ſchmücken blau den Bergesrand, 
Und weiter von Cantonen zu Cantonen 
Gehts ohne Raſt beim glühnden Sonnenbrand; 
Bald, denkt der Prinz, im Lande der Citronen 
Nun werd' er ſein, und kaum iſt umgeſpannt, 
So ruft er ungeduldig: „Vorwärts, Schwager!“ 
Sogar zur Nachtzeit gönnt er ſich kein Lager. 


Der alte Peter auf dem Kutſchenbock 
Denkt für ſich hin: „Ich folge wie ein Pudel 
Dem lieben Herren über Stein und Stock; 
Doch wenn ſchon manchesmal ein wirrer Strudel, 
Als er noch Fallhut trug und Kinderrock, 
In ſeinem Kopf getobt, hat das Geſudel 
Der Dichter, die er liest bei Tag und Nacht, 
Ihn vollends nun um den Verſtand gebracht.“ 


— 28 


Dann ſpricht er laut: „Oft reist' ich als Staffette, 
Seit ich zum Fürſten kam als Leib-Heiduck, 
Doch ſolches kaum erlebt' ich! Nie zu Bette 
Und dieſe ew'gen Stöße, Ruck auf Ruck! 
Abmagern werden Sie noch zum Skelette, 
Wenn nicht ein Imbiß Sie, ein tücht'ger Schluck 
Bisweilen ſtärkt! Dort, Prinz, im goldnen Bären — 
Sehn Sie das Schild nicht? — rath' ich einzukehren. 


„Gebraten wird für Sie dann ein Kalkutter 
(Auch Truthahn, Wälſcher oder Indian); 
Mehr als die Martinsgans des Doctor Luther 
Iſt das Gericht werth, ja als ein Faſan. 
Stets zum Geburtstag Ihrer gnäd'gen Mutter — 
Gott hab' ſie ſelig — kam ein ſolcher Hahn 
Auf ihre Tafel.“ — „Wirſt du ſchweigen ſchließlich, 
Verwünſchter Schwätzer?“ ruft der Prinz verdrießlich. 


Schon liegt der See vor ihm, in deſſen Welle 
Die heil'gen Stätten all der Tell-Legende 
Sich ſpiegeln, Rütli, Küßnacht und Kapelle — 
Geleſen hat man früher zwanzig Bände 
Von jenem Helden und von jeder Stelle, 
Wo er gelebt, gewirkt; doch nun am Ende 
Noch zwanzig andre, dickre muß man leſen, 
Damit man weiß, er ſei nie dageweſen. 


Wahr iſts, es giebt verſchiedne Geßler-Hüte 
Und Schweden auch hat ſeinen Apfelſchuß, 
Doch, wenn wir die Geſchichte ſo zur Mythe 
Verwandelt ſehen, glauben wir zum Schluß 
Beinahe ſelbſt auf mythiſchem Gebiete 
Zu ſtehn und muſtern uns von Kopf zu Fuß, 
Ob wir nicht Fabeln ſind; nach hundert Jahren 
Beweist man ſicher, daß wir niemals waren. 


— 289 — 


Eins aber ſtell' ich feſt und außer Frage: 
Mein Held iſt da und lebt, Prinz Nikolas; 
Selbſt, daß ich jeden Zweifel niederſchlage, 
Bewahr' ich ſeinen Taufſchein, ſeinen Paß; 
Und, findet ſich in der Wilkina⸗Sage, 
In einem Manuſcript des Ulfilas, 
Daß ſchon bei Skandinaven oder Gothen 
Ein gleicher war — was kümmern mich die Todten? 


Wohl! ſehn wir, wie der Prinz auf dem Luzerner 
Tiefblauen See nach Süden weiter reiſt! 
Trüb ſitzt er da; für Arnold Melchthals, Werner 
Stauffachers Heimath achtlos bleibt ſein Geiſt 
Und für die Wunder, Firnen, Felſenhörner, 
Die ihm des Sees kryſtallner Spiegel weiſt; 
Nicht Rütlis will er ſehn, noch Rigi-Kulme, 
Nein Höhn, wo Reben ranken um die Ulme. 


Voll iſt, wie ſtets, der Dampfer von Touriſten, 
Faſt ſandte jedes Land ſein Exemplar; 
In reichen Kleidern, ſeiden und batiſten, 
Prangt die Pariſerin vom Boulevard; 
Ladies mit ihrem Zubehör von Kiſten 
Und Koffern giebt es eine ganze Schaar, 
Und Moskowitinnen mit Schuhn von Juchten 
Rüſten zur Fahrt ſich durch Gebirg und Schluchten. 


Oft weilt der Blick der ſchönen Pilgerinnen 

Auf unſerm Jüngling, der zu Boden ſieht; 
Sie ſehen ihn verſenkt in tiefes Sinnen 
Und wie ſein Auge vor dem ihren flieht; 
Im Wunſch, die Unterhaltung zu beginnen, 
Spricht eine Dame: „very fine indeed! 
Hier wohl ſtudirt im Schwyzer oder Urner 
Canton hat ſeine Lichteffekte Turner.“ 

Schack, Geſ. Werke. III. 19 


ge 


Doch er bleibt ſtumm; er weiß, daß der Blondinen 
Des kalten Nordens keine für ihn taugt; 
Sei'n ſie von Teint ſo weiß auch wie Undinen, 
Von feinem Gliederbau und blaugeaugt, 
Nur dort, wo, immer ſonnenglanzbeſchienen, 
Des Lichtes ew'gen Quell die Erde ſaugt, 
Blühn mit den Lorbeerroſen, den Agrumen 
In Gluth und Pracht die ächten Frauenblumen. 


Und jetzt empor auf ſteilen Schwindelpfaden 
An Schlünden hin, wo gelber Nebel braut! 
Hoch oben haben ſich die Boreaden 
Aus Eis und Schnee den Winterthron gebaut; 
Zur Seite ſchäumt und wirbelt in Cascaden 
Die wilde Reuß; auch wo man ſie nicht ſchaut, 
Hört man die Fluth, wie ſie in den gezackten 
Felswänden tobt in ew'gen Katarakten. 


Die Brücke, nicht gebaut von Menſchenhänden, 
Bebt bei dem Sturz der Wogen wie ein Rohr; 
Durch Nebel, flatternd an den Felſenwänden, 

Und durch das ſchwarze, nie erhellte Thor 
Schwingt ſich der Weg, als wollt' er nimmer enden, 
In hundert Windungen empor, empor; 

Dann endlich — denkt euch Nikolas' Entzücken! — 
Nach Süden ſenkt ſich des Gebirges Rücken. 


Bald ſtäubt der Nebel hin in leichten Flocken, 
Herauf vom Thale wehn die Lüfte lauer, 
Und unſres Prinzen Herz bebt ſüß erſchrocken, 
Wie blau der Himmel wird und immer blauer, 
Wie längs des Stromes, der mit Silberlocken 
Nach unten ſpringt, an grüner Rebenmauer 
Die erſte Myrte ſich, noch halb verzagt 
Und ſchüchtern, an die freien Lüfte wagt. 


— 


Und nun, Italien, Heimath dieſer Stanze! 
So wie du biſt, ein ewiges Gedicht, 
Mit deiner Tage goldnem Sonnenglanze, 
Mit deiner Nächte Sternenſilberlicht 
Entfalte meinem Helden deine ganze 
Prachtfülle! Was bisher im Traumgeſicht 
Er nur geſchaut, in Farben und Geſtalten, 
Laß es lebendig ſich vor ihm entfalten. 


Wo iſt ein Land, auf das mit reichern Gaben 
Mutter Natur ihr großes Füllhorn leert, 
Als über dich? Früh haſt du mich, den Knaben, 
An deinem treuen Buſen ſchon genährt; 
Was zart und ſtark, was lieblich und erhaben, 
Wer anders hätt' es mich, als du, gelehrt, 
Wer auf die Lippen mir gleich ſüßem Seime 
Zuerſt gelegt die holde Kunſt der Reime? 


Erſchließ denn mir zugleich dein Thor aufs Neue, 
Du, deſſen immerdar mein Herz gedenkt! 

Wohl häng' ich an dem Vaterland in Treue, 

Wie oft es mich mit Galle auch getränkt; 

Allein, ſeit einmal deines Himmels Bläue 

In meiner Seele Spiegel ſich geſenkt, 

Stets wieder wie mit unſichtbaren Fäden 
Zurückgezogen werd' ich in dein Eden. 


Mag nie ein Herbſt das Laub der deutſchen Buche 
Zur Erde ſtreun, daß ich, dem Kranich gleich, 
Nicht deine ſonnenwarmen Lüfte ſuche! 
Wenn kalt und ſtarr, ein großes Todtenreich, 
Deutſchland daliegt, vom weiten Leichentuche 
Des Schnees bedeckt, will ich, durch Duftgeſträuch 
Hinſchreitend und umſpielt von Frühlingshauchen, 
Den Fuß in blumenvolle Auen tauchen. 


292 — 


O du, am Arnoſtrom ſmaragdne Wieſe, 
Wo im Januar ſchon die Narciſſen blühn, 
Vorbild von Alighieris Paradieſe! 

Ihr Thäler all am dunkeln Apennin, 

In die vom Felshang mit gebrochnem Frieſe 
Geſtürzte Tempel, glorreich im Ruin, 
Hernieder ſchaun, in eure Einſamkeiten 

Soll Jahr für Jahr mein Genius mich leiten. 


Die Tannen, wie ſie langſam aufwärts klimmen, 
Als wälzten ſie der Rieſenblöcke Wucht 
Den Berg hinan; die feierlichen Stimmen 
Der Waſſerfälle; drüberhin die Flucht 
Der Wolken, die im Purpurlichte glimmen, 
Erfüllt hat all das in Valdarnos Schlucht 
Schon Dantes Seele, bis, zum Rande voll, 
Sie im Geſang begeiſtert überquoll. 


Und führen ſoll der göttliche Verbannte 
Mich zu den Plätzen, die ſein Geiſt geweiht; 
Nur Eintagskinder ſind wir, doch, wo Dante 
Geſtanden hat, verſchwinden Raum und Zeit, 
Und, der ich früh zu ihm in Lieb' entbrannte, 
Theilhaftig fühl' ich mich der Ewigkeit, 

In der er wandelt, wenn ich auf den Stäten, 
Den heil'gen, weile, die ſein Fuß betreten. 


Vielleicht daß dort noch — lacht nicht, ihr Profanen! — 
Ein Hauch von ſeinem Geiſte mich beſeelt, 
In dem der alte Genius der Germanen 
Und der Lateiner herrlich ſich vermählt. 
Dann wandeln wird mein Lied auf höhern Bahnen, 
Erhabneren, als ich ſie hier gewählt, 
Und, ſtatt zu tändeln in Arioſtos Weiſe, 
Durch Höll' und Himmel mach' auch ich die Reiſe. 


ERDE 4 


Doch weit vom Wege bin ich abgeſchweift; 
Kaum hat in Deutſchland noch der Weizen Aehren, 
Die erſten Kirſchen ſind noch nicht gereift, 

Und meine Zeit, nach Wälſchland heimzukehren, 
Kommt erſt wenn der November-Nordwind pfeift; 
Bis dahin mög' es Tröſtung mir gewähren, 

Daß ſüdwärts auf der Alpen andre Seite 

Ich meinen Nikolas im Geiſt begleite. 


Im Dorf Bellaggio, noch bedeckt mit Staube, 
Ihn finden wir auf des Hötels Balkone 
Im grünen Labyrinth. Mit dunklem Laube 
Schwankt über ihm des Lorbeers Wipfelkrone, 
Durch die des Flieders duft'ge Blüthentraube 
Hervorquillt und die leuchtende Citrone, 
Indeß vor ihm durch Stäbe, rebumgittert, 
Der blaue See in leichter Wallung zittert. 


Empor vom Uferrand, wo in den Blenden 
Die Lampen glühn am Bild der lieben Frau, 
Schweift ihm das Auge zu den Felſenwänden; 
Und zwiſchen der Olivenhaine Grau 
Sieht er zu Myrtenſchlucht und Fruchtgeländen 
Die Waſſerfälle ihren Silberthau 
Herniederſchütten, bis das Naß ſich vorn 
Verirrt in Indiens blätterdichtem Korn. 


Auf einmal bei der Sonne Scheideſtrahle 
Aufflammt der See in tiefer Purpurgluth 
Und leuchtet wie kryſtallene Pokale, 
Wenn ſie des Weines dunkelrothe Fluth 
Zum Rand erfüllt; dann bleicht das Licht im Thale, 
Und aus der Dämmerung, die unten ruht, 
Nur leuchten, halb verſteckt in Lorbeergrün, 
Noch einzle Villen auf beim Abendglühn. 


— 294 — 


Und während unſerm Prinzen ſo die Sinne 
In all den Wundern ſchwelgen, an die Eine 
Denkt er, die ſeit der Jugend Anbeginne 
Vor ihm in heil'ger, ewig junger Reine 
Geſtrahlt, das Traumbild ſeiner hohen Minne; 
Hier, wo in wunderbarem Zauberſcheine 
Ihn die Natur umblüht, muß er ſie finden; 
Doch wird er nicht vor ihrem Glanz erblinden? 


Noch träumend ſitzt er ſo. In den Gebüſchen 
Des Gartens unter ihm da hört er reden; 
Ein Weiberſtimmchen im Berlineriſchen 
Accent wird laut: „Nein, warnen muß man Jeden 
Vor ſolchem Lande! Welche Kluft iſt zwiſchen 
Italien und Berlin! Anſtatt der Läden 
Am Schloßplatz, ſtatt der Cafés an den Linden 
Sind einzig Räuberhöhlen hier zu finden.“ 


Darauf ein Baß: „Wie hier die Mücken ſtechen! 
Wund bin ich ſchon an Hand und Stirn und Kinn; 
Und welch ein Kauderwälſch die Menſchen ſprechen! 
Nicht Sinn und nicht Verſtand find' ich darin, 
Mag ich mir noch ſo viel den Kopf zerbrechen; 

Ich glaube, es iſt bloßer Eigenſinn, 
Daß ſie ſich deutſch zu reden nicht bequemen, 
Die Schufte, die ſich unſrer Sprache ſchämen!“ 


Der Prinz erkennt: ſein Peter iſt der Sprecher, 
Und die Berlinerin, die vor ihm ſteht, 
Ein Kammermädchen, das mit Shawl und Fächer 
Die Herrin ſpielt. Doch er, da es ſchon ſpät, 
Wünſcht einſam einen Zug noch aus dem Becher 
Der herrlichen Natur zu thun und geht, 
Indeß die Zwei fortſchwatzen, zwiſchen Vignen 
Zum See hinab durch die Allee der Pinien. 


— 295 — 


Da ſpielten, wie ſie gingen, wie ſie kamen, 
Ihm kleine Wogen plätſchernd um die Füße, 
Und leuchtend ſah ihn aus der Berge Rahmen 
Die hehre Landſchaft an; gewiegt in ſüße 
Hoffnung, der künftigen Geliebten Namen 
Hört er im Klang der Wellen; ihre Grüße 
Wehn ihm die nächt'gen Lüfte ſanft entgegen, 
Die ſeine Locken leiſen Hauchs bewegen. 


Denkt euch das Mondlicht, zitternd auf den Wellen 

Und lorbeerwald-umkränzten Sommerſitzen; 

Die weißen Häuschen oben, die Kapellen, 

Die wie die Sterne über ihnen blitzen — 

Man glaubt, ſie müßten mit den Waſſerfällen 
Herniedergleiten von ſo ſteilen Spitzen — 

Und rings die Myrten-, die Olivenhaine, 

Wie aufgelöſt im weichen Mondenſcheine! 


Allein genug nun! Solche Mondſcheinſcenen 
In Fülle findet ihr bei Matthiſſon 
Mit ihrem ganzen Zubehör von Thränen, 
Mich, bitte, dispenſirt in Huld davon! 
Nachgrade muß mein Held ein Bett erſehnen, 
Denn kühl und feucht — ſogar Endymion 
Bei ſeinem Nachtſchlaf würde ſich erkälten — 
Weht an Italiens Seen die Luft nicht ſelten. 


Kurz ſchlief der Prinz. Bevor hinaus zum Graſen 
Die Ziegen und die Lämmer treibt der Hirte 
Und friſch beim Morgenroth die Lüfte blaſen, 
Ihn finden wir im Schatten einer Myrte 
Am Seegeſtad, geſtreckt auf weichen Raſen; 
Petrarca ſchlägt er auf; doch der verirrte 
Gedanke ſchweift vom Buch hinweg dem Thoren; 
Er bleibt den ganzen Tag in Traum verloren. 


— 296 — 


Wenn lang und länger dann die Schatten werden, 
Dahin ſich rudern läßt er durch den See, 
Und ſolche Fahrt dünkt einzig ihm auf Erden, 
Wie bald das Boot an Klippen, ſteil und jäh, 
Hinſchießt und von den Höhn herab der Heerden 
Geläut ertönt, bald dicht die Aloe 
Am Ufer prangt und in den Blüthenbüſcheln 
Des breiten Schilfs die Abendlüfte ziſcheln. 


Einſt, als die Sonne ſchon die letzten trägen 
Lichtſtrahlen warf und, wie auf einem Claude, 
Auf See und Uferhöhn ein goldner Regen 
Herabfloß, plötzlich glitt an ſeinem Boot 
Ein Kahn vorbei mit leichten Ruderſchlägen, 
In dem, umfloſſen von des Abends Roth, 

Ein Weib von wunderbarer Schönheit ruhte — 
Seltſam und märchenhaft ward ihm zu Muthe. 


An das Unmögliche, das Niegeſehne, 
Dem durch die Lieder der Romanzatoren 
Unſterblich Leben ward, mahnt ihn die Scene; 
Durch eines Zaubrers Stab heraufbeſchworen 
Scheint ſie zu ſein. An eines Seſſels Lehne 
Gewahrt er in dem Nachen einen Mohren 
In Saracenentracht, von Zügen edel; 
In Händen hält er einen Pfauenwedel. 


Und vor dem Mohren ſieh! im Sammttalar 
Auf weichem Polſter liegt, von ihm gefächelt, 
Ein Weib, von Ausſehn fremd und wunderbar. 
Herab vom Munde, der holdſelig lächelt, 

Nein höher, von des Scheitels ſchwarzem Haar 
Bis unten zu den Füßen, feingeknöchelt, 
Gleicht ſie der Göttin, welche alte Mythen 
Als Schönheits-Urbild ſchufen, Aphroditen. 


Ze 


Ein junger Page, wunderholde Damen 
Umſtehen die Gebieterin im Kreis, 
Mit Staunen ſieht der Prinz der wunderſamen 
Erſcheinung zu, er glaubt ein Traumbild ſeis 
Und ſelbſt die Faſſungskraft fühlt er erlahmen — 
So ſchwebt das Boot dahin auf feuchtem Gleis. 
Verſchwunden plötzlich in des Spätroths Glanze 
Iſt hinter einer Klippe da das Ganze. 


Lang noch bleibt unſer Nikolas wie trunken 
Und achtet nicht, an Geiſt und Sinn berauſcht, 
Wie ſchon verglüht der letzte Sonnenfunken 
Und hoch der Wind des Kahnes Segel bauſcht, 
Der ihn ans Ufer trägt. In ſich verſunken, 
Indem er mit ſich ſelber Worte tauſcht, 

Ausſteigt er an des Gaſthofs Lorbeerbäumen 
Und liegt die Nacht hindurch in wachen Träumen. 


Schon früh erhebt er ſich beim Morgengolde 
Und ſchwört: nicht raſten will ich und nicht ruhn, 
Bis mir mein Seelen-Traumbild, jene Holde, 
Im Arme liegt. — Und du, o Schickſal, nun 
Sei huldreich ihm! Wie Triſtan und Jſolde, 
Schirin und Chosru, Leila und Medſchnun, 

Die Maid Sigune und Tſchionatulander, 
So führ' auch unſre Beiden zu einander! 


Kaum daß noch auf die fünfte Thurmuhr⸗-Ziffer 
Der Zeiger deutete, da vom Balkon 
Hinunter nach dem Seegeſtade pfiff er — 
In Como als Signal gilt dieſer Ton, 
Daß man ein Boot verlangt. Renzo, der Schiffer 
Von geſtern, harrte ſeiner drunten ſchon 
Und bald hinruderte der Junge, Starke 
Den Sehnſuchtsvoll-Verliebten auf der Barke. 


= 298: 


Wovon der Prinz auf dieſer Fahrt träumt, brauchen 
Wir nicht zu ſagen; aus den Wellen ſieht 
Er jenes Wunderbild der Schönheit tauchen; 
In jedem Nachen, der die Fluth durchzieht, 
Glaubt ers zu ſchaun, und in den Windeshauchen 
Zu ihm herüber wallt es wie ein Lied 
Heiliger Liebe, dem ſein Herz vibrirend 
Nachzittert, ſich in Sehnſuchtsweh verlierend. 


Hierhin und dorthin auf dem Waſſerbecken 
In jede Myrten- und Orangenbucht 
Läßt er ſich rudern; hinter Felsverſtecken 
Und mooſ'gen Klippen ſpäht er ohne Frucht; 
Die Fee von geſtern läßt ſich nicht entdecken; 
Nahm ſie als Sylphe himmelwärts die Flucht 
Und ſchwebt nun oben auf dem Regenbogen? 
Zerfloß ſie als Undine in die Wogen? 


Schon ſinken läßt ſein Geiſt die Hoffnungsſchwingen; 
Da über leisbewegten Wellenplan 
Her von Varenna ſchallt zu ihm ein Klingen, 
Und aus der Bucht ſieht er ein Fahrzeug nahn. 
Von Stimmen, die ein Lied im Chore ſingen, 
Bebt die verliebte Luft. Das iſt der Kahn 
Von geſtern; Wahrheit wars, kein bloßer Traum, 
Denkt Nikolas und wagt zu athmen kaum. 


Ja mir auch, fürcht' ich, geht der Athem aus, 
Wenn ich beſchreiben ſoll der Reize Fülle, 
Die in dem Boot, ein reicher Blumenſtrauß, 
Duftet und blüht. Im Kleid von feinem Tülle, 
Das die Contouren ihres Gliederbaus 
Erkennen läßt durch transparente Hülle, 
Ruht in dem Kahn, von ihrer Damen Flor 
Umringt, das Wunderbild vom Tag zuvor. 


55 


Denkt euch, gezeichnet von dem Bleiſtift Guidos 
Und, wenn die Zwei auch ein Jahrhundert trennt, 
Von Tizians Pinſel colorirt, Cupidos 
Himmliſche Mutter, aber mehr decent, 

Als da am Strand von Cypern oder Knidos 
Sie aufſtieg aus dem feuchten Element — 

Dann von der Schönheit, die in jenen Nachen 
Gebettet lag, könnt ihr ein Bild euch machen. 


O göttlich Weib! Mit weißen, wehnden Schleiern 
Umringen die Begleiterinnen ſie; 
Zum Saitenklingen ihrer goldnen Leiern 
Hallt lieblich ihrer Lieder Melodie, 
Und emſig ſchwingt — hat Victor Hugo, Byron 
Geliefert ihn für dieſe Scenerie? — 
Ein Mohr im drientaliſchen Ornat 
Den Pfauenwedel, wie er geſtern that. 


Durch einen Baldachin von Silberſtoffen 
Wird noch des Bildes Märchenreiz vermehrt, 
Und drüber ſtrahlt, bis in die Tiefe offen, 
Das Himmelsblau, viſionenhaft verklärt. 
Da wirft — der Prinz ſtarrt, wie vom Blitz getroffen — 
Die Schöne, während ſie vorüberfährt, 
Ein Blatt ihm zu; ihm ſchwindeln alle Sinne; 
Es iſt, als ob die Welt um ihn zerrinne. 


Als in die Ferne dann das Boot geſchwunden, 
Kam ihm Bewußtſein wieder nach und nach; 
Doch, daß ihm nicht ein Wahn den Geiſt gebunden, 
Sagt' ihm das Blatt, das ihm zu Füßen lag. 
Er las: „So hab' ich endlich dich gefunden! 
Umſonſt nicht haſt du vor mir Nacht und Tag 
Geſchwebt, du hohes Traumbild meiner Seele, 
Das ich zu meines Lebens Leitſtern wähle! 


= 300 


„Komm, Freund! zum hohen Freudenfeſte lade 
Ich dich auf heut in meine Villa ein; 
Beim Ave weiſen wird dahin die Pfade 
Mein Page dir; und dann, auf ewig mein, 
Sollſt du bei Como an des Sees Geſtade 
Des ſchönen Schloſſes Mitbewohner ſein; 
Denn daß ich je von dir, Geliebter, ſchiede, 
O! den Gedanken trag' ich nicht! — Armide.“ 


Denk, günſt'ger Leſer, dir, mit zwanzig Jahren 
Erhalten hätteſt du ſolch Billetdoux, 
Und meines Prinzen Nikolas Gebahren 
Gewiß nicht allzu ſtrenge richteſt du. 
Elektriſch zuckt bis zu den Scheitelhaaren 
Ihm der Gedanke an das Rendezvous 
Durch jedes Glied; flieht ſchnell, ihr Stunden, ſchnell! 
Denkt er und lenkt zurück in das Hotel. 


Heiß glüht ſchon vom Zenith herab die Sonne, 
Darum im Schatten auf Lianenranken 
Streckt er ſich hin am Bilde der Madonne, 
Und ruhelos ihm ſchweifen die Gedanken 
Entgegen der erſehnten Abendwonne, 
Indeß zu Häupten ihm die Zweige ſchwanken 
Und im Kaſtanienwipfel die Cikaden 
Mit ihrem Lied zu ſüßen Träumen laden. 


Nicht achtet er, wie durch die Myrtenhecken, 
Mit weißem, rothem Kopfputz angethan, 
Den Krug zu füllen an dem Brunnenbecken, 
Des Dorfes jugendliche Mädchen nahn — 
Und Jeden ſonſt durchzuckt doch ſüßer Schrecken, 
Wenn tiefen Blaus bald wie der Berg-Enzian, 
Und bald nachtdunkel unter hohen Brauen 
Der Contadinen Augen nach ihm ſchauen. 


Zu ſpähn tritt dann der Prinz auf den Altan, 
Und ſieht, die Feder wehnd auf dem Barette, 
Schon ferne her im Boot den Pagen nahn. 

Er fliegt geſchwind, als ob er Flügel hätte, 

Zum See hinunter, daß ihn gleich der Kahn 
Empfange; mit dem Herren in die Wette 

Stürzt Peter vom Hotel herab die Treppen; 

Die Koffer läßt er von dem Hausknecht ſchleppen. 


Bald denn, geleitet von dem Liebesboten, 
Glitt durch die blaue Fluth mein Nikolas, 
Und um ihn ſchwebten Eros und Eroten, 
Indeß ſein Herzſchlag die Sekunden maß, 
Die allzu langſam flohn. — Sein Schickſalsknoten 
Soll nun ſich löſen und in Julias 
Umarmung Romeo fi ſelig wiegen; 
Weht, Winde! laßt die Barke ſchneller fliegen! 


Dem armen Peter nur war nicht geheuer; 
Jammernd den Prinzen umzukehren bat er. 
„Laßt, gnäd'ger Herr, von dieſem Abenteuer! 
Was ſagten die Durchlaucht, Eur gnäd'ger Vater, 
Wenn Sie den Pagen ſähen dort am Steuer? 
In ſolcher Tracht ſah ich auf dem Theater 
Sich mal die Spieler ſämmtlich maſſakriren — 
Denkt! nur ein Leben habt Ihr zu verlieren.“ 


Schon wallt die Nacht herab auf weichem Flügel, 
Indeß das Boot hinhüpft in leichtem Tanz — 
Sieh! vor ihm ragt von buſch'gem Uferhügel, 
Feſtlich geſchmückt mit bunter Lampen Kranz 
Die Villa auf — hellglitzernd auf dem Spiegel 
Der Wellen ſchaukelt ſich der Lichterglanz; 

Das Ufer iſt erreicht, ſtill hält die Barke, 
Und Nikolas ſteigt aus im Lorbeer-Parke. 


— 302 — 


Nun in die Villa! Märchenhafter Schimmer 
Quillt ihm entgegen aus dem Veſtibüle, 
Und vor den Augen fühlt er ein Geflimmer, 
Als von der Gäſte wogendem Gewühle 
Er alle Säle voll ſieht, alle Zimmer — 
Ihm iſt zu Muth, wie wenn die Somnambüle 
Viſionen, werth der Wohner von Bicktre, 
Gewahrt durch ihren Seelen-Nervenäther. 


Von Columbinen, wie im Carneval, 
Von Bologneſen und von Bergamasken 
Hinauf, hinunter wogt der bunte Schwall; 
Nicht Griechen-Fes, nicht rother Gurt der Basken, 
Noch Türken-Turban fehlt dem Faſching-Ball; 
Wer all die Zanni, die Brighella-Masken 
Gewahrt, muß glauben, die Prinzeß Brambilla 
Von Hoffmann halte Hof auf dieſer Villa. 


Des Prinzen — zwiſchen all den bunten Trachten 
Steht er in ſeinem Reiſerock verlegen — 
Scheint keiner der Geladenen zu achten, 
Auch ſie nicht, ſie, die Einz'ge, der entgegen 
Mit heißem Drang ihm Sinn und Seele ſchmachten — 
Hoch klopft ſein Puls in fieberhaften Schlägen 
So oft ihn ein Gewand ſtreift; birgt perfide 
Die Maske nicht die göttliche Armide? 


Sieh! da ſchwebt leichten Tritts, wie eine Fee, 
Ein Weib heran; er weicht zur Seite zag, 
Allein die Rechte reicht ſie ihm, und jäh, 

Wie der elektriſchen Maſchine Schlag, 

Zuckt durch des Handſchuhs ſchimmerndes Glace 
Ihr Druck ihm bis zum Herzen; er vermag 
Zu athmen kaum, als die Gebenedeite 

Ihn ins Boudoir führt an des Saales Seite. 


55 


Und o! den ganzen Himmel um ſich blauen 
Sieht er in nie zuvor geſchautem Licht, 
Als ihre Maske hebt die Frau der Frauen 
Und, Verſen gleich in des Arioſt Gedicht, 
Von ihrem Roſenmund die Worte thauen: 
„So biſt du mein, Freund, der als Traumgeſicht 
Vor meiner Seele du im Glorienſcheine 
Seit lang geſtrahlt, auf ewig nun der meine!“ 


Sie gönnt ihm, an den Buſen ihr zu ſinken 
Und einen Kuß auf ihren Mund zu drücken 
Und ihres Athems ſüßen Duft zu trinken. 
Lang bleibt er ſo, berauſcht von ſeinem Glücke. 
Da greift ſie, leiſe klagend, mit der Linken 
Sich nach der Stirn: „Des argen Schickſals Tücke 
Verfolgt mich, die abſcheuliche Migräne!“ 
Seufzt ſie und ſinkt an eines Seſſels Lehne. 


„Den Schmerz mir mit Eſſenzen zu vertreiben 
Geh' ich, allein mich wieder ſiehſt du bald; 
Für immer nun laß uns vereinigt bleiben, 
Dies Luſtſchloß unſer ſel'ger Aufenthalt! 
Die Tannen deines Vaterlands, die Eiben 
Vergeſſen mußt du hier im Lorbeerwald, 
Im Myrtendickicht; nur auf kurz geſtatte, 
Daß ich dich laſſe, o mein Freund, mein Gatte.“ 


Mit beiden Armen noch einmal umwunden 
Ihn hält ſie, reißt ſich los von ſeiner Bruſt 
Und wankt hinweg. Ihr nach, als ſie verſchwunden, 
Starrt Nikolas, kaum ſeiner ſelbſt bewußt; 
Erſt Himmelswonne weniger Sekunden 
Und jäh nach dem Gewinn dann der Verluſt — 
Doch nein! verhieß, ſobald ihr Kopfweh weiche, 
Nicht ihre Wiederkunft die Göttergleiche? 


Mag ihrer bis dahin der Himmel walten! 
Den Saal vermeidend, wo wie fiebertoll 
Die Masken bei Muſik ihr Tanzfeſt halten, 
Bleibt er in dem Boudoir; und ſehnſuchtsvoll, 
So oft er Rauſchen hört von Kleidesfalten, 
Der Thür, durch welche ſie erſcheinen ſoll, 
Zuwendet ſich ſein Blick; wenn an ſein Ohr 
Ein Tritt ſchallt, ſüßerſchreckt fährt er empor. 


Lang, von der Ampel mattem Licht beſchienen, 
So harrt und lauſcht er einſam im Gemach; 
Her aus dem Saal vermengt der Violinen, 
Der Flöten, Cellos Klang ſich ſeinem Ach, 
Von Arlechinen und von Columbinen 
Wogt draußen fort der Tanz; doch nach und nach 
Erſchöpft die Feſtluſt ſich — herein ins Zimmer 
Bricht ſchon des Morgens erſter Dämmerſchimmer. 


Nun noch ein Tuſch von ſchmetternden Trompeten, 
Dann Alles ſtumm; aus ſcheint der Ball zu ſein. 
Unruhig an das Fenſter hingetreten, 

Sieht unſer Prinz im blaſſen Dämmerſchein 
Die Muſici mit Geigen und mit Flöten 
Den Heimweg nehmen, und in langen Reihn 
Ans Seegeſtad', wo Barken ihrer warten, 
Die Gäſte wandeln durch den Villen-Garten. 


Er denkt: Von dem Tumult hier, dem Allarme 
Ward ſicher die Migräne noch vermehrt, 
Und über Maßen leidet ſie, die Arme, 
Lang ſonſt ja wäre ſie zurückgekehrt. 
Dann in den Saal hinaus, der ſich vom Schwarme 
Der Gäſte unterdeſſen ganz geleert, 
Ruft er: „Schnell! Cameriere, Maggiordomo! 
Ein Arzt iſt nöthig; ſchickt ſogleich nach Como.“ 


S 


Da trat zu ihm ein Alter, höchſt devot: 

„Ei, Herr Marcheſe, durch das Trennungsleiden, 
Ich faſſ' es wohl, ſind Sie betrübt zum Tod; 
Gleich nach dem Wiederſehen dieſes Scheiden! 
Doch ſchleunig zu befolgen das Gebot 

Der Tochterpflicht, wie ließ es ſich vermeiden? 
Mir däucht, daß ich noch nie ſo tiefes Weh ſah, 
Wie bei dem Abſchied das der Frau Marcheſa.“ 


Nicht mehr verſteht der Prinz den Italiener, 
Als wenn Chineſiſch er geſprochen hätte. 
Sprachloſen Staunens ſteht er, während Jener 
Fortfährt: „Bald endet Alles gut, ich wette, 
Und iſt das Wiederſehn dann deſto ſchöner. 
Vielleicht erſteht von ihrem Krankenbette 
Die Mutter Ihrer Frau Gemahlin morgen, 
Und ſie kehrt heim, befreit von allen Sorgen. 


„Der Brief, der ſie von dannen rief, fiel freilich 
In dieſes Feſt gleich einem Wetterſtrahl, 
Und die Beſtürzung find' ich ganz verzeihlich; 
Doch tröſten Excellenz ſich in der Qual 
Der bittern Trennung, die ja nur einſtweilig, 
Hier mit der Ausſicht aus dem Gartenſaal! 
Schaun Sie! vor Ihnen breitet ſich der ganze 
Herrliche Comer-See im Morgenglanze. 


„Und nun verzeihn Sie, gnäd'ger Herr, in Huld, 
Doch meine Kaſſe iſt total geleert, 
Weil Ihrer Frau Gemahlin voll Geduld 
Seit einem Monat ich Credit gewährt; 
Verwieſen für Bezahlung dieſer Schuld 
Ward ich von ihr an Sie; was ſie verzehrt 
Sammt dem Logis macht vierzehntauſend Franken, 
Hier ſehen Sie! quittirend werd' ich danken.“ 
Schack, Geſ. Werke. III. 20 


D 


Der Alte ſprichts und ganze Foliobogen 
Mit Rechnungen hält er auf einmal hin. 
„Wer,“ ruft der Prinz, „hat Euch denn vorgelogen, 
Daß ich der Mann der fremden Dame bin?“ 
Ach! unſer armer Freund ward arg betrogen 
Von dieſer liſt'gen Abenteurerin! 
Wenn der Armida Rechnung ihr Rinaldo 
Bezahlte, ſtünd' es ſchlimm mit ſeinem Saldo. 


Der ganze Vorgang ſammt der Kataſtrophe 
Wird dem Gefoppten nun allmählig klar; 
Er weiß nicht was zu thun; da in dem Hofe 
Erſchallt Geſchrei, und eine wilde Schaar 
Dringt in den Saal; zuvorderſt eine Zofe 
Mit glühnden Wangen und gelöſtem Haar, 
Dann Stubenmädchen und Facchini ſtürzen 
Herein und Köche mit den weißen Schürzen. 


Und durcheinander, auf den Prinzen ſtiere 
Augäpfel richtend, rufen ſie: „Gebieter, 
Wir fordern Lohn noch für der Wochen viere.“ 
Ein Andrer ſchreit: „Wein hab' ich, zwanzig Liter, 
Geliefert; gebt mir meine hundert Lire!“ 
Die Monatszahlung heiſcht der Bootsvermiether, 
Ein Dritter Miethzins für das Fortepiano, 
Und ringsum ſchallts im Chor: „la buona mano!“ 


In Wuth ruft Nikolas: „Fort mit dem Packe!“ 
Da drängt der Mohr ſich durch der Gäſte Kreis, 
Doch, ſtatt im Kaftan, in zerlumpter Jacke; 

Die Hälfte des Geſichtes iſt ihm weiß, 

Und ſchwarz wie ſonſt nur noch die eine Backe. 
Er jammert: „Hab' ich dazu mich mit Fleiß 
Vom Kopf zum Fuß gefärbt an jedem Tage, 
Daß ich jetzt hier am Hungertuche nage? 


us 


„Bezahlen Sie mich, Herr! Zu Ihrer Blame 
Sonſt zeig' ich Allen mich ſo weiß und ſchwarz 
Und künde laut: nicht Haſſan iſt mein Name, 
Nein, Jakob Schulz! Mir das Geſicht mit Harz 
Und Pech zu überziehn, von jener Dame, 

Die nie mir Lohn gab, mir befohlen wards. 
Wißt! in Tombuktu nicht im Land der Mohren, 
Zu Straubing bin, in Bayern ich geboren!“ 


In dem Tumult verhallt ſein weitres Sprechen; 
Der Prinz glaubt ſich in einer Mördergrube, 
Er will ſich Bahn durch das Getümmel brechen; 
„Birbanti!“ donnert er; „hinweg, du Bube!“ 
Da ihm als Beiſtand wider jene Frechen 
Naht Peter, der in der Bedientenſtube 
Den Lärm gehört; hoch als Beſänft'gungsmittel 
Ital'ſcher Habgier ſchwingt er einen Knittel. 


Verblüfft ſtehn Alle; in ſo günſt'ger Kriſe 
Aufs nächſte Kanapee ſpringt Nikolaus: 
„Ihr Räuber,“ ruft er, „eh' ich ſolche Priſe 
Euch laſſe, Allen mach' ich den Garaus! 
Nicht Gatte der vermeintlichen Marquiſe, 
Ich bin ein Prinz aus deutſchem Fürſtenhaus. 
Macht frei den Weg! dies Land des Rinaldini 
Verlaſſ' ich flugs und ſeh' es wieder nie — nie!“ 


Er rufts, und Peter, der den Stock in Rechter, 
In Linker einen Stuhl erhoben hat, 
Steht da wie mit erhobnem Beil ein Schlächter; 
Umſonſt noch einmal mit der Rechnung naht 
Der Wirth; kühn durch der Feinde Wuthgelächter 
Zur Saalthür bahnen ſich die Zwei den Pfad; 
Zum See hinab führt ſie ein naher, ſchroffer 
Fußpfad; Facchini folgen mit dem Koffer. 


ala 


Noch, um ihn dem Geſindel abzuringen, 
Erfolgt ein Streit, doch Peter kämpft als Held; 
Siegreich hinab in eine Barke ſchwingen 
Die Beiden ſich; das Segel, windgeſchwellt, 
Trägt ſie vom Ufer fort; ins Waſſer ſpringen 
Noch viele Kerle, und: „la mancia!“ gellt, 
Indeß ſie gierig hinterm Nachen ſchwimmen, 
Noch lang das Rufen ihrer ſchrillen Stimmen. 


„Nach Colico!“ gebeut den Barcajuolen 
Der Prinz und ſinkt ermattet in das Boot; 
Nicht bloß erſchöpft — er kann kaum Athem holen — 
Nein, ſchlimmer viel, betrübt iſt er zum Tod. 
Von ſeinen Idealen und Idolen 
Was blieb ihm nun? Das Schickſal, der Deſpot, 
Hat jäh hinab zu Abgrundfinſterniſſen 
Aus allen ſeinen Himmeln ihn geriſſen., 


So kaum auf Peter hört er, wie er klagt; 
„Ach, gnäd'ger Herr, ſtets für Eur Wohl befliſſen 
Bin ich geweſen, und wer Andres ſagt, 

Der lügt verdammt; doch von Gewiſſensbiſſen 

Iſt mir die arme Seele jetzt zernagt, 

Denn daß ich wider Willen, wider Wiſſen 

Dies Unheil ſchuf, ſagt mir mein Herz beklommen; 
Klar wird mir nun, wie Alles ſo gekommen. 


„Daß ich gern mehr, als nöthig iſt, erzähle 
Und oft im Schwatzen unvorſichtig bin, 
Iſt eine Schwachheit, die ich nicht verhehle; 
So im Hotel jüngſt der Berlinerin 
Erzählt' ich von dem Traumbild Eurer Seele, 
Das über Land und Meer Euch treibt dahin — 
In den Gedichten, die an dieſes Weſen 
Ihr täglich ſchreibt, ja hab' ich das geleſen. 


u 


„Ach! hätt' ich das Geheimniß doch verſchwiegen! 
Durch ihre Zofe wards dem argen Weib 
Bald kund gegeben, und Euch zu betrügen 
War eine Kurzweil ihr, ein Zeitvertreib. 
Verdammt dies Räuberland! Wär't überm Splügen 
Ihr nur erſt drüben und mit heilem Leib!“ 
Er ſchwieg; um all ſein Heiligſtes betrogen 
Starrt Nikolas verzweifelnd in die Wogen. 


Drittes Buch. 


Brich an! wir harren dein zu allen Stunden, 
O Weltvernichtungstag! Seitdem das All 
Dem ſel'gen Nichtſein ſich zuerſt entwunden, 
Schaun Himmel, Erd' und jeder Sternenball 
Schmachtend nach dir und zählen die Sekunden, 
Bis ſie aus dieſes Daſeins Wogenſchwall 
Rückſinken in den Schooß des Unbewußten, 
Dem wider Willen ſie entſteigen mußten. 


Kaum ferner läßt mich die Erwartung ſchlafen, 
Die ſüßen Troſt in meine Seele träuft, 
Daß bald wir eingehn in den Ruhehafen, 
Des Jammers bar, der hier ſich ſtündlich häuft. 
O Glück, wenn an dem Draht der Telegraphen 
Von Pol zu Pole hin die Ladung läuft: 
„Schwört, Menſchen, euch nicht ferner zu vermehren! 
Nicht länger darf die arge Wirthſchaft währen.“ 


Tr an ze 


Doch nein! groß wäre dies Projekt, erhaben, 
Allein es iſt nicht praktiſch; noth thut Eile. 
Statt bis zum Tode hier Geduld zu haben 
Und langſam zu vergehn vor Langerweile 
Wär's beſſer nicht, die Länder abzugraben 
Und drauf die Meere zu der Menſchheit Heile 
Herabzuleiten durch erſchloſſne Schleuſen, 

Daß wir ertrinken müßten gleich den Mäuſen? 


So komm! Laß lang nicht mehr dies Elend dauern! 
Komm, großer Tag, wie du uns prophezeit 
Von unſern Hartmanns biſt und Schopenhauern! 
Mit Stolz ausſprech' ichs, bald ſind wir ſo weit! 
Fruchtlos erfand nicht ihre ſchwefelſauern 
Subſtanzen die Chemie der neuſten Zeit; 
Zugleich eröffnet uns das jüngſt entdeckte 
Erſtickungsgas erfreuliche Proſpekte. 


Und mehr und mehr bricht in voluminöſen 
Schriftwerken ſich die große Lehre Bahn, 
Frei würden wir erſt dann vom Fluch des Böſen, 
Wenn wir den Lebenswillen abgethan. 
Warum denn durch die Kunſt der Petroleuſen 
Nicht wandeln wir zum flammenden Vulkan 
Das Weltall um, uns ſo von dem abſurden 
Daſein zu retten, deſſen Raub wir wurden? 


Zwar dann ſelbſt würde nicht das Ziel erreicht; 
Dem Willen läßt, dem unverbeſſerlichen, 
Sich auch das Schlimmſte zutraun, und vielleicht, 
Wenn alles Leben aus der Welt entwichen, 
Wenn dieſer Erdball einer Schlacke gleicht, 
Ertappen läßt er ſich auf neuen Schlichen, 
Ja ſinnt, uncorrigirt von unſern Lehren, 
Noch eine andre Schöpfung zu gebären. 


— 311 — 


In ihr dann wieder lechzt man nach der Stille 
Des ſel'gen Nichts, wie man allhier ſchon lechzte, 
Ja leidet unter größrer Jammerfülle, 
Als unter der man auf der Erde ächzte — 
Nicht doch! Belehrt uns nicht die „Welt als Wille,“ 
Von allen möglichen ſei dies die ſchlechtſte? 
Laßt uns zunächſt denn, denkend nicht an morgen, 
Den Untergang der jetzigen beſorgen! 


Aus Nikolas' Gemüth iſt das geſprochen, 
Der, ſchwer getroffen von dem Schickſalsſchlag, 
Zu neuem Lebensmuthe, herzgebrochen, 
Sich aufzuraffen lange nicht vermag. 
Seit jener Nacht bei Como ſchwanden Wochen, 
Und mehr enthüllt hat ſich ihm Tag für Tag 
Vom großen Nichts der Schöpfung das Verſtändniß, 
Das zeigt ſein peſſimiſtiſches Bekenntniß. 


In weltentlegnen Schluchten von Graubünden, 
Wo, nah des Rheinwalds wildem Alpenpaß, 
Ins Höllenthal die Gletſcherbäche münden, 
Geflohn iſt er mit ſeinem Menſchenhaß. 

Die Einſamkeit in jenen Felſenſchlünden, 

Auf jenen Gipfeln, nur von Boreas 

Bewohnt und ſeinen ungeſtümen Kindern, 

So hofft er, ſoll den Seelengram ihm lindern. 


Geſcheitert alle ſeine hohen Plane! 
Und wieder in die Welt der Intriguanten, 
Wo jedes Weib nur eine Courtiſane, 
Sollt' er heimkehren, dem Geſpött von Fanten 
Sich preiszugeben, jeglicher Chicane, 
Und durch den Grafen Lorm als Abgeſandten 
Vielleicht um eine Fürſtin gar von Schleiz 
Zu werben? Beſſer bleibt er in der Schweiz. 


Schon fteigt der Winter von dem eiſ'gen Piz 
(So heißt der Pik in Sprache der Romanen) 
Herab und nimmt die Thäler in Beſitz. 

Zum warmen Stall kehrt von den Felſenlahnen 
Die Ziege blökend mit der jungen Kitz; 

Und immer noch läßt ſich der Prinz nicht mahnen 
Zu fliehn aus dieſen kalten Bergrevieren, 

Ob auch die Waſſerfälle faſt gefrieren. 


Trotz Schnees und Froſtes lang hat ſich vergnüglich 
Am Weine von Veltlin gelabt ſein Peter, 
(Vor allem eine Sorte iſt vorzüglich, 
Und ich empfehle ſie; ſie heißt „Completer;“ 
Doch ſchließlich ſagt er ſich, ſie zögen füglich 
Wo andershin — hoch thürmt ſich, viele Meter, 
Der Schnee; kaum ſieht man drauf des Fußes Stapfen, 
Denn er iſt hart, ſo wie am Dach die Zapfen. 


So ſeinem Herren von Katarrh, Bronchitis 
(Vom Arzte hat er aufgeſchnappt das Wort) 
Und daß er ſicher hier noch die Arthritis 
Sich holen wird, ſpricht Peter fort und fort. 
Der Prinz will erſt nicht hören, aber ſieht dies 
Doch ſchließlich ein; nur welchen andern Ort 
Er wählen ſolle, bleibt noch unentſchieden; 

Die Menſchen hätt' er gerne ganz gemieden. 


Zuletzt, als Réaumür auf zwanzig Grade 
Der Kälte weiſt, nimmt er den Weg nach Chur 
Und weiter an des Bodenſees Geſtade, 

Doch hier verſchwindet plötzlich ſeine Spur; 
Sein Aufenthalt und was zunächſt für Pfade 
Er einſchlug, kaum ſcheint eine Conjectur 
Darüber ſtatthaft ſeinem Biographen, 

Sonſt könnt' ihn ſpätre Forſchung Lügen ſtrafen. 


Das Einz'ge, was ermitteln wir gekonnt, 
Iſt Folgendes: nach ein'ger Monde Dauer, 
Als auf den Fluren, wärmer ſchon beſonnt, 
Der Schnee zerrinnt bei mildem Regenſchauer, 
Taucht Nikolas aufs neu' am Horizont 
Der Weltgeſchichte auf; die düſtre Trauer, 
Die ihn ſo lang in ihre Nacht begraben, 
Scheint mählig etwas ſich geklärt zu haben. 


Erwählt hat er um Anbeginn des Lenzes 
Das bayriſche Athen zum Reiſeziel 
(Genannt von Andern wird auch Deutſch-Florenz es, 
Füg' ich hinzu noch im Walhalla-Styl.) 
Dort weilt er ſtaunend vor den Bauten Klenzes, 
Der neu — das iſt des Lobes nicht zu viel — 
Zu Höhn, wie in Jonien einſt und Doris 
Sie eingenommen hat, die Kunſt emporriß. 


Vorbei an ſich in ganzen Aufgeboten 
Sieht aller Zeiten Style ziehn der Prinz, 
Kirchen der Byzantiner und der Gothen 
Nächſt Tempeln mit der Säulenpracht Korinths. 
Die buntbemalten Mauern dort, die rothen, 
Saalwände, ſcheint es, aus Pompeji ſinds; 
Fürwahr, was Bauen, Malen, Meißeln, Tünchen 
Vermögen, haben ſie gezeigt in München. 


Ein Wechſel iſts wie in Kaleidoſkopen; 
Portale voll von Heil'genbilderſchmuck; 
Antike Götterbilder in Metopen; 
Facgaden, ſchön gefärbt mit Fernambuck; 
Siegsthore, die für Bauten der Cyklopen 
Man hielte, wären nicht die Quadern Stuck, 
Orgagna⸗Logen und Paläſte Pitti, 
Wo trifft man ſonſt, wie hier, auf Schritt und Tritt die? 


Von all der Pracht iſt Nikolas wie trunfen; 
Wenn ſeiner Seele Feuer, wie ſein Stern, 
Erloſchen ſchien, nun neu in hellen Funken 
Sprüht es empor. Auf einmal da, nicht fern — 
Und faſt vor Schrecken wär' er umgeſunken — 
Den Herrn von Luchs, den dicken Kammerherrn 
Der Herzogin, ſieht er des Weges kommen, 

Und wieder wird das Herz ihm bang beklommen. 


Das Elend an dem kleinen Hof beim Vater 
Tritt bei dem Anblick vor ihn hin aufs new, 
Das ekle Schranzenthum mit obligater 
Langweile; ſeitwärts weichen will er ſcheu — 
Vergebens; an der Ecke beim Theater 
Zum Stehn bringt ihn der Dicke: „Meiner Treu, 
Sie kennen mich nicht mehr, mein Prinz! Ich ſegne 
Die Stunde, wo ich Ihnen hier begegne! 


„Vor allen Dingen ſeien Sie gebeten: 
Schaun Sie mir mit Vertraun ins Angeſicht. 
Ich weiß, excentriſch iſt, wie der Kometen, 
Der Jugend Bahn; zum epiſchen Gedicht 
Gern machtet euer Leben ihr Poeten. 
Verſtändniß deſſen hat Fürſt Friedrich nicht, 
Der Alles zwingen will in die Schablone, 
Darum verarg' ich nicht die Flucht dem Sohne.“ 


So Herr von Luchs. Den Prinzen oft geſchmäht 
Hat er vordem, doch nun nach Höflingsart 
Beſchönigt er die Excentricität. 

Auch ſtaunt nicht, wie er weiter ſich gebahrt 
Und dem Phantaſten, welcher vor ihm ſteht, 
Gleich Alles, was ſein Herz drückt, offenbart; 
Unmöglich einmal iſts dem dicken Alten — 
Erſticken müßt' er ſonſt — den Mund zu halten. 


5 


So fährt er fort: „Ein Stündchen noch zum Plaudern . 
Hab' ich; doch dann mich mit dem feinſten Frack 
Zu coſtümiren darf ich nicht mehr zaudern. 

Ach! ſonſt ſind zwar Soireen mein Geſchmack, 
Allein an dieſe denk' ich nur mit Schaudern. 
In voller Gala, unterm Arm den Claque, 
Vor einer Tänzerin ſich präſentiren, 

Das muß ein Mann, wie ich, perhorresciren. 


„Und doch! die Pflicht gebietets! es muß ſein.“ — 
„Wie das? Von welcher Tänzerin Sie reden, 
Nicht faſſ' ichs“ — fällt der Prinz verwundert ein. — 
Drauf Jener: „Sind Sie bei den Samojeden 
Geweſen — beſte Durchlaucht, Sie verzeihn! — 
Daß Sie nicht wiſſen was der Geiſter jeden 
Allhier erfüllt? Seit ich in München bin 
Nichts hör' ich, als nur von der Spanierin. 


„Man ſagt, auf dem Theater ſchwebe Eros 
Um ſie mit allen ſeinen Amoretten, 
Wenn ſie bei den Fandangos, den Boleros; 
Sich wiegt zum Schmetterklang der Caſtagnetten, 
Was Wunder, daß der Gott, der manchen Heros 
Des Alterthums ſchon zwang in ſeine Ketten, 
Bei uns auch, und in allerhöchſten Kreiſen 
Bemüht war, ſeine Allmacht zu beweiſen! 


„Kaum denn hier angelangt, ſchuf dieſe Lola 
Verwirrung, wie, ſo weit man rückwärts denkt, 
Sie nie geherrſcht. Die Jünger des Loyola, 
Die lang das Ruder dieſes Staats gelenkt, 
Ja ſelbſt der Erzbiſchof in ſeiner Stola 
Stehn rathlos da, beſtürzt und hauptgeſenkt; 
Durch Spaniens Tochter, die in dieſen Landen 
Allmächtig herrſcht, wird all ihr Werk zu Schanden. 


lo 


„Durch fie gehn — o es ift ein wahres Babel — 
Geſetz und Ordnung außer Rand und Band, 
Entſetzt des Amts hat ſie den mächt'gen Abel 
Und ſelbſt ein Miniſterium ſich ernannt; 
Hofordnung, Etikette ward zur Fabel, 
Denn dieſe Donna ohne Rang und Stand 
Hält Cercle, giebt Soireen und — Keiner faßt es — 
Blickt ſtolz herab auf Damen des Palaſtes. 


„In feinſter Hoftracht und geſchmückt mit Orden 
Dort ſoll man huld'gen ihr in Devotion. 
Auch mich, mein Prinz, den zu der Iſar Borden 
Fürſt X. geſandt in heimlicher Miſſion, 
(Ich bin bei ihm Geheimerath geworden) 
Mehrmals zu ihrem Kreis mich lud ſie ſchon, 
Doch der zweideutigen Aventuriere, 
Der tugendloſen, dankt' ich für die Ehre. 


„Allein — o die entſetzlichen Soireen! — 
Erfahren Sie, was heut mir arrivirt! 
Zu dem Miniſter wollt' ich eben gehen, 
Da ſchreibt er mir, er ſei ſehr occupirt, 
Doch hoffe, bei der Gräfin mich zu ſehen 
(Zur Gräfin alſo ward ſie jetzt creirt.) 
Zugleich auch — die Beſtürzung war enorm — 
Traf ihre Ladung ein in beſter Form. 


„Was bleibt? Mir würde die Miſſion mißlingen, 
Wenn ich nicht des Miniſters Willen thäte; 
So muß ich zu dem ſchweren Gang mich zwingen. 
Adieu nun, Prinz! Ich darf mir wohl discrete 
Aufnahme des Geſagten ausbedingen. 
Noch im Hotel, wenn ich mich nicht verſpäte, 
Aufſuchen werd' ich Sie nach der Soiree; 
Ich weiß, Nachtſchwärmer waren Sie von je.“ 


So Herr von Luchs; was halfs, daß er ſich ſperrte? 
Er ging. Der Prinz, ihm dankbar für ſein Scheiden 
Und tief erſchreckt durch die Beſuchs-Offerte, 

Beſchloß, das Wiederſehen zu vermeiden 

Und eilte ins Odeon zum Concerte. 

An Mozart hofft' er dort, an Bach und Haydn 
Sich zu erbaun, ein Todfeind der monſtroſen 
Seiltänzerkunſt moderner Virtuoſen. 


Mehr noch, als er gedacht, ward ihm geboten; 
Kaum ſich in ſeinen Lehnſtuhl nieder läßt er 
Und Haydns Scherzo an den erſten Noten 
Erkennt er, wie ſich über dem Orcheſter 
Die Töne gaukelnd wiegen gleich Eroten; 

Der D-Dur dann folgt ihre holde Schweſter, 
Die G⸗Dur⸗Symphonie; o welcher Brio, 
Zumal in der Menuett mit ihrem Trio! 


Dann Bach, der, Kind und doch Gigant zugleich, 
Felsblöcke ſpielend thürmt in ſeinen Fugen, 
Mozart, den aus des ew'gen Wohllauts Reich 
Herab auf unſre Erde Genien trugen, 

Schubert, Schumann, die Zwei, die lerchengleich 
An unſerm deutſchen Liederhimmel ſchlugen — 
Sie ſpenden, lieblich bald und bald erhaben, 
An dieſem Abend ihre Wundergaben. 


Ja, das iſt andres, als die Modewaare 
Italiens! Der Prinz bleibt bis zum Schluß, 
Dann in die Nacht hinaus, die ſternenklare, 
Tritt er, noch ganz berauſcht von dem Genuß; 
Und, da der Geiſt im zwanzigſten der Jahre 
Elaſtiſch iſt, faßt zu dem Genius 
Der ſeine neu Vertraun, daß durch die weite, 
Verworrne Welt er noch zum Ziel ihn leite. 


— 318 — 


Er wandelt durch die Stadt in wachen Traume, 
Indem er auf zum klaren Himmel ſchaut, 
Der tief, beſprengt nur mit dem Silberſchaume 
Der Nebelflecken, ihm zu Häupten blaut 
Und ſel'ges Licht, du glaubſt jenſeits vom Raume, 
Aus unermeſſnen Fernen niederthaut; 
Zuerſt, ſeit er von Comos See geſchieden, 
Senkt wiederum in ſein Gemüth ſich Frieden. 


Wie thöricht iſt, ihr Menſchen, eur Beginnen! 
Zum Südpol oder an die Wendekreiſe, 
Nach Rom, Venedig und zu Stambuls Zinnen 
Und zum Niagara macht ihr die Reiſe, 
Beſtaunt am Nordcap und im Land der Finnen 
Den langen Tag, der über ew'gem Eiſe 
Nicht untergeht, doch ſeht, ihr Sinnbetäubten, 
Der Nächte Wunder nicht zu euern Häupten. 


Zu reiſen braucht ihr nicht; ſelbſt in Krähwinkel 
Könnt ihr ihn ſchaun, den funkelnden Azur, 
Vor dem — erkennts in euerm Eigendünkel! — 
Jedwede Pracht der irdiſchen Natur 
Und der Bramante Kunſt, der Klenze, Schinkel, 
In nichts verſinkt. Wenn Sirius, Arktur 
Am Himmel ſtrahlt, Atair und Aldebaran, 
O welcher andre Anblick reichte daran? 


Indeß vom Thurm die zwölfte Stunde hallt, 

Kehrt Nikolas durch menſchenleere Gaſſen 

In ſein Hotel. Er fühlt die Nachtluft kalt 

Und hat die Gaſthofthür juſt aufthun laſſen; 

Was iſts, daß er zurück da plötzlich prallt? 

Haſtig herein zum Haus, ſieh! leichenblaſſen, 
Entſtellten Angeſichts, mit ſtarren Blicken, 

Stürzt Herr von Luchs; es ſcheint, er wird erſticken. 


— —ͤ— 


„Ich ſterbe! geht, mir einen Doctor holen!“ 
So ächzt er jammernd wie in Sterbensqual. 
Der Prinz, nachdem er Petern anbefohlen, 

Zum Arzt zu eilen, führt ihn in den Saal, 
Und Luchs, aufs Sofa ſinkend, ſtöhnt in hohlen, 
Angſtvollen Lauten ein- ums andremal: 

„Ich bin vergiftet! ſchuldlos, ich betheure, 

Leid' ich den Tod! Arſenik wars, Blauſäure!“ 


Der Prinz, beſorgt den Armen zu erretten, 
Netzt ihm die Stirn, damit der Krampf ihm ſchwinde, 
Und läßt ihn ſanft aufs Kanapee ſich betten. 
Er löst von ſeinem Hals die enge Binde 
Und ruft: „Wenn wir doch nur den Doctor hätten! 
Schickt nochmals hin! weckt alles Hausgeſinde!“ 
Inzwiſchen fort und fort mit dumpfen Tönen: 
„Gift! Gift!“ hört er den Unglückſel'gen ſtöhnen. 


Allmählig, oft dazwiſchen Ach und Weh 
Noch ſeufzend, kündet ihm der Kranke dann: 
„O die verwünſchte, ſchreckliche Soiree! 
Erſt freundlich, daß ſie ganz mein Herz gewann, 
Selbſt reichte dieſe Lola mir den Thee 
Und blickte mich dabei holdſelig an — 
Doch, o die Schlange, die verrätheriſche! 
Plötzlich erhob ſie zornig ſich vom Tiſche; 


„Furchtbar, indeß ich daſtand angſtbeklommen, 
Sah ſie mich an mit Blicken, ingrimmſprühnd, 
Und ſprach: „Ich habe, Herr von Luchs, vernommen, 
Daß Sie auf mich zu ſchmähen ſich erkühnt; 
Doch ſoll der Frevel Ihnen ſchlecht bekommen! 
In dieſer Nacht noch wird die Schuld geſühnt; 
Sie haben Gift; von ſpaniſchem Geſchlechte 
Nicht wär' ich, wenn ich mich nicht alſo rächte.“ 


Er ſchwieg. Bald nur noch ängſtliches Gewimmer 
Vernahm der Prinz. „Der ſchändliche Verrath! 
Ich ſehe, ſchlimmer wirds mit ihm und ſchlimmer; 
Wo bleibt der Arzt ſo lang? Sein Ende naht“ — 
Dacht' er, als eben endlich in das Zimmer 
Der lang umſonſt geſuchte Doctor trat. 
„Schnell!“ ſtöhnte Luchs, und Gegengift auch gab 
Sofort der Schüler ihm des Aesculap. 


Aufrichten läßt vom Lager er den Schwachen; 
Bald ſeine Wirkung zeigt das Antidot, 
Und: „Sorgen brauchten Sie ſich nicht zu machen; 
Nichts hat Sie irgend mit Gefahr bedroht,“ 
Erklärt der Arzt mit unterdrücktem Lachen. 
„Mit dieſem Gifte hat es keine Noth! — 
Rein war der Thee, bei meinem Ehrenworte, 
Den Sie getrunken, und von beſter Sorte. 


„Zur Stärkung jetzt nach dieſem argen Schrecken, 
Möcht' ich ein Beefſteak rathen; es iſt ſpät; 
Ich ſelber werde gehn, den Koch zu wecken, 
Daß er ſogleich ein ſaft'ges für Sie brät; 
Dazu wird guter Punſch, ich denke, ſchmecken; 
Das iſt die vorgeſchriebene Diät.“ 
Alſo der Arzt; erſtaunt ſehn ihn die Beiden 
Den Hut ergreifen und mit Lächeln ſcheiden. 


Allmählig, freier athmend, wieder faßt 
Der Todgeweihte ſich; ihm iſt, gewichen 
Von ihm ſei eines nächt'gen Alpes Laſt; 
Und er, den Grabesfroſt ſchon überſchlichen, 
Bald ladet er nun Nikolas zu Gaſt; 
So bringt der Prinz am Schluß der lächerlichen 
Comödie denn in einem Glaſe Punſch 
Dem Dicken ſeinen Neugeburtstagswunſch. 


— — 


Noch lange jagen Beide bei der Bowle 
Und, als ſich Luchs erhob, nach Haus zu gehn, 
Sprach Nikolas: „Auf Cavalier-Parole, 
Verſchweigen werd' ich Allen was geſchehn; 
Mög' immer die Walkyre oder Wole 
So günſtig Ihren Schickſalsfaden drehn!“ 
Verſteht ſich, daß er vor Ermüdung tief, 
Als Jener fort, die ganze Nacht durch ſchlief. 


Am nächſten Tag, der Scene gleich von geſtern, 
Von der ihm Wüſtheit noch im Kopf geblieben, 
Gedenkt der Prinz, und wie die Schickſalsſchweſtern 
Durch jenes Weib ihr Spiel mit Luchs getrieben. 
„Wie viel ſie dieſe Spanierin auch läſtern, 

Beim Himmel! ich vergäb' ihr ſelbſt die ſieben 
Todſünden, denn erfindungsreich, genial 
Macht ſie die Welt zu einem Luſtſpielſaal.“ 


Und immer mehr kommt ihm von ihr zu Ohren, 

Wie ſie in Cultus eingreift und Finanzen, 

Wie ſie Miniſter abſetzt, Profeſſoren, 

Wofern ſie nicht nach ihrer Pfeife tanzen, 

Wie Granden, die ihr geſtern Haß geſchworen, 
Zum Handkuß heute gleich gebornen Schranzen 
Sich bei ihr melden, und Hubertusrittern 

Vor einem Blick von ihr die Kniee zittern. 


In Wahrheit, meint er, in ſo monotoner 
Periode, die der Kurzweil ganz entbehrt, 
Dank ſchuldig ſind ihr alle Erdbewohner, 
Daß ihnen ſolches Schauſpiel ſie gewährt. 
Neu zu des Mittelalters lang entflohner 
Glückſel'ger Zeit glaubt man zurückgekehrt 
Zu ſein; reicht es mit ſeinen Narrenfeſten 
Doch kaum an das, was ſie uns giebt zum Beſten. 
Schack, Geſ. Werke. III. 21 


— 322 — 


Von Angeſichte ſie zu Angeſicht 

Zu ſehn, bemüht er ſich vergebens lange. 
Da einſt zur Abendzeit wird ihm Bericht, 
In einer Loge, die im erſten Range 

Des Hoftheaters reich mit Kerzenlicht 
Und goldgeſchmücktem Baldachine prange, 
Sogleich könn' er ſie ſehn; es werde eben 
Für ſie ein Stück von Calderon gegeben. 


Sofort, um Andaluſiens holde Tochter 
Zu ſchaun, vor deren Schönheitszaubermacht 
Selbſt ein Monarch ſich beugt als Unterjochter, 
Warf ſich mein Prinz in elegante Tracht. 
Schon in das Haus zu dringen kaum vermocht' er, 
Denn an der Kaſſe gab es eine Schlacht, 
Bis er am Ende nach erkämpftem Sieg 
Mit dem Billet die Treppen aufwärts ſtieg. 


Im Gehen hört er um ſich flüſtern: „Oben 
In ihrer Loge iſt die Lola ſchon!“ 
„Nein dieſe Gräfin! welche prächt'gen Roben! 
Ihr Halsband koſtet eine Million.“ 
„Auf ihr Gebot — fie war ſchon bei den Proben — 
Wird heut dies Stück geſpielt von Calderon.“ 
Am Ziele angelangt, zuletzt vom Schließer 
Die Thür der Loge für ſich aufthun ließ er. 


Der Vorhang war noch nicht emporgezogen, 
Und nach der lichterhellen Loge ſah 
Ein Jeder, über die in breiten Bogen 
Ein Baldachin ſich ſpannte — wer ſaß da? 
Sie wars, die unſern Prinzen ſo betrogen; 
Des Comer Sees Armida war es, ja! — 
Durchbohrend fällt ſein Blick auf ſie; voll Schrecken 
Sucht ſie ſich hinterm Fächer zu verſtecken. 


u 


Zugleich entſteht ein Lärmen unten. „Wer 
Spricht da ſo laut?“ fragt man mit Ungeduld, 
Doch ärger wird der Wirrwarr im Parterre, 

Und eine Stimme hallt durch den Tumult: 

„Seht da das Weib, von dem mein armer Herr 
So frech betrogen ward! Noch in der Schuld 

Des Wirths mit vierzehntauſend Franken ſteht ſie, 
Und wie ſie jetzt hier groß thut! ſeht ſie, ſeht ſie!“ 


Dem alten Diener wirft der Prinz, dem groben, 
Drohende Blicke zu: Narr! ſchweigſt du bald? 
Doch Peter achtets nicht; die Fauſt erhoben, 

Die wild er gegen Lolas Loge ballt, 

Daſteht er immer ſchreiend, während Toben 
Und Rufen durch das ganze Haus hinhallt; 
Noch ärger lärmt es auf den Gallerien, 

Und räthlich ſcheints der Gräfin zu entfliehen. 


Bald in den tollen Stimmenwirrwarr miſchen 
Sich einzle Rufe: „Haltet ein Gericht 
Mit dieſem Weibsbild! Laßt ſie nicht entwiſchen! 
Werft in die Iſar ſie! nicht waſſerdicht 
Sind ihre Kleider!“ Wieder dann dazwiſchen: 
„Still! Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht!“ 
Ertönts, doch fort und fort wächst der Allarm; 
Nach außen wälzt das Volk ſich Schwarm an Schwarm. 


Und tragiſch nun zu werden droht die Poſſe; 
Nach Haus mit den gepuderten Lakain 
Rollt ſchon die Spanierin in der Karoſſe, 
Und wüth'ge Schaaren folgen ihr und ſchrein: 
„Steckt an ihr Haus, wo wie in einem Schloſſe 
Sie ſich gerirt! werft ihr die Fenſter ein!“ 
Mein Peter thut — es ſcheint vom Teufel ſei er 
Beſeſſen — ſich zumal hervor als Schreier. 


Schon vor der Gräfin Wohnung tobt in Maſſen 
Das Volk, zerſchlagen ſind bereits die Scheiben, 
Und Peter — ganz von Gott iſt er verlaſſen — 
Brüllt: „Auf! kein Stein ſoll auf dem andern bleiben!“ 
Und immerdar heran noch durch die Gaſſen 
Wälzt neues Volk ſich; währt noch lang dies Treiben, 
Ach! dann, als wär's genug nicht des Affrontes, 
Zu Leibe gehts der armen Lola Montes! 


Von Nu zu Nu wird ihre Lage ſchlechter, 
Schon an die Fenſter legen Ein'ge Leitern; 
Als Ruheſtifter nahn der Ordnung Wächter, 
Die Poliziſten, aber kläglich ſcheitern 
Muß ihr Verſuch; Steinwürfe, Hohngelächter 
Empfangen ſie; doch eine Schaar von Reitern 
Sprengt da heran; die tapfern Küraſſiere 
Sind das, geführt von einem Officiere. 


Den Platz zu räumen, lauten Rufes heiſcht 
Der Hauptmann; abzuſtehn von Heldenthaten, 
Wobei vielleicht ein Säbel ſie zerfleiſcht, 
Erſcheint den Unruhſtiftern nun gerathen; 

Die Meiſten weichen ſcheu; doch Peter kreiſcht: 
„Ihr Feigen! eine Handvoll von Soldaten 
Nur iſt es! Auf, und laßt den Satelliten 
Des frechen Weibes uns die Stirne bieten!“ 


Und einen Stein erhebend, ſich wie toll 
Geberdet' er; allein ihn übermannten 
Zwei Poliziſten leicht. „Nun, büßen ſoll 
Er uns für alle dieſe Tumultuanten!“ 
Hört' er ſie drohn, und ſeine Galle ſchwoll, 
Da man hinweg ihn ſchleppt' als Tumultuanten, 
Allein was halfs? So ſtets auf Erden flechten 
Die Böſen Dornenkränze den Gerechten. 


— 325 — 


Inzwiſchen im Theater, wie vom Blitze 
Getroffen, iſt der Prinz zurückgeblieben; 
Durch jeden Grad von Fieberfroſt und Hitze 
Wird wechſelnd ſein Gemüth hindurchgetrieben. 
Er ſieht nicht, wie ſich leeren alle Sitze; 
Daß man, des Stücks Vorſtellung zu verſchieben, 
Genöthigt werde, ſagt der Regiſſeur, 
Doch dringt es nicht zu Nikolas' Gehör. 


Wohl daß er lang noch dageſeſſen hätte; 
Allein mit neuen Gliedern für und für 
Umſchlingt ihn ſeiner Abenteuer Kette, 

Und plötzlich zu ihm durch die Logenthür 
Tritt in der Amtstracht und mit Epaulette 
Ein Poliziſt, der, höflich nach Gebühr, 

Von ihm, daß er die Stadt verlaſſe, fordert. 
„Sie zu begleiten bin ich ſtreng beordert.“ 


„Und was denn ſind die Gründe ſo flagranter 
Unbill? Ich bin von ehmals ſouverainer 
Familie, vieler Fürſten Anverwandter.“ 

Alſo der Prinz. Höflich erwidert Jener: 
„Nichts hier vermöchte ſelber Ihr Geſandter; 
Von allen andern ein heterogener 

Iſt dieſer Fall; nicht ziemts ſo klugem Herren, 
Sich wider Unvermeidliches zu ſperren. 


„In Bayern wohlgeregelt ſind die Poſten, 
Und daß ich Sie zur Grenze escortire, — 
Verſteht ſich wohl von ſelbſt, auf Ihre Koſten — 
Ward mir Befehl. Richtungen giebt es viere, 
Nach Norden, Süden, Weſten oder Oſten, 
Wohin Sie reiſen können. Ganz der Ihre 
Bis morgen denn! Um vier Uhr in der Frühe 
Bereit ſein können Sie mit leichter Mühe.“ 


— 326 — 


Von Wuth ſchäumt Nikolas; doch was beginnen? 
Artig begleitet ihn der Poliziſt 
In das Hotel; unmöglich das Entrinnen; 
Bis vier Uhr kurz gemeſſen iſt die Friſt; 
Selbſt packen muß er Kleider, Bücher, Linnen, 
Da Peter nirgend aufzufinden iſt. 
Nun dies und das noch; da — es iſt zum Raſen — 
Den Poſtillon ſchon hört er draußen blaſen. 


Vor Haſt, nicht denkend, daß ſchon warm der Tag, 
Anzieht er einen dicken Winterrock, 
Der Polizeimann öffnet ihm den Schlag 
Und ſetzt ſich ſelbſt beſcheiden auf den Bock; 
Und da, wie nebenbei bemerkt ſein mag, 
Der Kunſtſtadt Pflaſter ſchlecht iſt, über Stock 
Und Stein mit Stolpern rollt dahin der Wagen, 
Zunächſt nach Salzburg unſern Freund zu tragen. 


Nicht denkt er in dem Wirrwarr ſeiner Seele, 
Nach welcher Windesrichtung hin er reist; 
Verſtopft in ihm ſind ſämmtliche Canäle, 

Durch die Gedanken ſonſt bezog ſein Geiſt, 
Und ach! wie ganz verklungen die Choräle, 
Mit denen er, auf Erden ſo verwaist, 

Die Einzige, das Urbild ſeines Traumes, 
Gefeiert? Lebt ſie nur jenſeit des Raumes? 


So kommt er zu des ſtolzen Oeſtreich Grenzen 
Und in die Biſchofſtadt bei Abendroth. 
Wohl thuts ihm, daß ihn mit Impertinenzen 
Der Lola Polizei nicht mehr bedroht, 
Allein, mag herrlich rings die Landſchaft glänzen, 
Mag, wie auf einem Berghem oder Both, 
Gebirg und Thal ſich in der Salzach ſpiegeln, 
Er eilt, ſich in dem Gaſthof zu verriegeln. 


— 32 


1 


Das Erſte iſt, daß er nach München ſchreibt, 
Damit ihm Herr von Luchs den Diener ſende; 
Dann während er allein im Zimmer bleibt, 

In dumpfem Brüten ſtarrt er an die Wände, 
Ach! bittre Lehren Tag für Tag ihm reibt 

Das Leben ein; an ſeiner Hoffnung Ende 
Glaubt er zu ſtehn und wäre glücklich, würd' er 
Nie eines Menſchen Antlitz ſehen fürder. 


Doch als er in freiwill'ger Weltverbannung 
Lang ſo gelebt hat als Anachoret, 
Allmählig löst ſich ſeine Seelenſpannung, 
Und wiederum vor ſeinem Geiſt erſteht 
Sein altes Traumgebild, ihn zur Ermannung 
Aus ſeinem Brüten mahnend. Noch zu ſpät 
Nicht iſt es. Wie bis an des Lebens Ende 
Verzweifelt' er, daß er die Eine fände! 


„Mir ahnts, in weiten Fernen muß ſie wohnen, 
Die Göttliche, die mich im Traum umſchwebt; 
Nicht in Europas düſtern Regionen, — 

Thor, der ich es geglaubt! — iſts, daß ſie lebt, 
Nein, ferne in des Orients goldnen Zonen, 
Wo ſtrahlend ſich der Sonnenball erhebt 

Und Luft und Erde tränkt mit Flammenbächen; 
Wie mag ich ſäumen, dahin aufzubrechen?“ 


Nach München heiſcht er nochmals durch Depeſche, 
Nachfolgen ſolle Peter ihm in Eile; 
Dann in den Koffer Kleider, Bücher, Wäſche 
Selbſt packt er ein. Geſpannt ſind ſchnell die Gäule, 
Platz nimmt er in behaglicher Kaleſche, 
Wegſäule fliegt an ihm vorbei auf Säule, 
Und bald vor ihm — ſchon Abend wirds und finſter — 
Aufſteigt der Thurm von Stephans Rieſenmünſter. 


— 328 — 


Oſtwärts hinab den breiten Donauſtrom 
Denkt er zu ſchiffen auf dem Boot des Lloyd; 
Allein, ob mächtig auch ihn ſein Phantom 
Von dannen zieht, wie hätt' ers nicht bereut, 
Eilends an Hofburg, Prater, Stephansdom 
Und Allem was die Kaiſerſtadt noch beut, 
Vorbeizureiſen? So im prächt'gen Wien 
Beſchließt er ein'ge Tage zu verziehn. 


In nächſter Frühe, als er von der Mitte 
Des Grabens aufwärts nach dem Kohlmarkt geht 
(Wichtig iſt mir bei jedem ſeiner Schritte, 
Daß topographiſch die Localität 
Feſtſtehe, was ich zu beachten bitte) 
Hört er ſich rufen: „Nikolas!“ Er ſteht 
Verwundert ſtill, hört nochmals ſeinen Namen 
Und ſchaut dorthin, von wo die Klänge kamen. 


Von oben hoch, von einem Hausbalkone 
Im dritten Stockwerk, traf der Ruf ſein Ohr; 
Er ſpäht, nachſinnend, wer in Wien denn wohne, 
Der ihm bekannt, mit ſeinem Glas empor; 
Neu tönt der Ruf und mit vertrautem Tone, 
Zum Fenſter ſchaut ein Frauenkopf hervor; 
Und ja! täuſcht ihn das Ohr nicht und das Auge, 
Sie iſt es, ſeine Schweſter iſts, Aslauge! 


Er eilt zu jenem Hauſe — Nummer neun, 
Wenn richtige Berichte vor mir liegen — 
Und ſteigt, die Zweifel mindſtens zu zerſtreun, 
Zur dritten der Etagen auf die Stiegen; 
Da — denkt, wie muß das Wiederſehn ihn freun! — 
Ihm in den Arm ſieht er die Schweſter fliegen; 
Mit ihr die unerwartete Vereinung, 
Bedünkt ihn faſt wie eine Traumerſcheinung. 


— 329 — 


Hinauf führt fie ihn dann in ihr Gemach. 
Die ſtolze Fürſtentochter, iſt es möglich? 
Bewohnt ein enges Stübchen nah dem Dach, 
Die Möbel und Tapeten wahrhaft kläglich! 

Sie, die Bedürfniſſe ſonſt tauſendfach 

Gehabt, die von Livreelakaien täglich 

Bedient ward und von emſ'gen Kammerfrauen, 
So dürftig nun? Darf man den Augen trauen? 


Nachdem der Bruder in Erwartung lange 
Sie angeſehen hat, ſpricht ſie zuletzt: 
„Entſprechen will ich deinem Neugierdrange: 
Prinzeſſin nicht, Frau Erich bin ich jetzt. 
Gewiß, daß ich entſagt dem Fürſtenrange, 
Nicht tadelſt dus, der nie ihn hoch geſchätzt —“ 
„Du Erichs Gattin? Eher könnt' ich denken, 
Daß Erd' und Himmel gleich in Trümmer ſänken. 


„Hat er nicht oft geklagt, mit ſtolzen Mienen 
Als Vagabunden oder Roturier, 
Der werth nicht ſei, dich knieend zu bedienen, 
Behandelt, Schweſter, hättſt du ihn von je.“ 
„Ach, unſres Vaters thörichte Doctrinen!“ — 
Erwidert ihm Aslauga — „mir wird weh, 
Zu denken, daß ſie trotz der unerhörten 
Bornirtheit mir ſo lang den Geiſt bethörten. 


„Doch Amor, Bruder, iſt der Gott der Götter! 
Gedoppelt, dreifach durch der Liebe Macht 
Feſt jocht er an ſein Siegsgeſpann die Spötter! 
Er nahm vom Auge mir des Wahnes Nacht; 
Geprieſen ſei er mir als Seelenretter, 
Der eine Gluth in meiner Bruſt entfacht, 
In welcher, wie im Krater von Vulkanen, 
Aufloderte der Stammbaum unſrer Ahnen. 


— 350 


„Erfahre nun, wie ich die Schuld bezahlte, 
Die ich Verwegne gegen ihn gehäuft! 
Zuerſt lang, als mein Bildniß Erich malte, 
Hatt' ich mich vornehm auf den Rang geſteift, 
Allein ein wunderbares Etwas ſtrahlte, 
Das man nur ahnen kann, doch nicht begreift, 
Aus ſeinen Augen, ſeinen tiefen, blauen, 
Und ließ den Froſt in meinem Herzen thauen. 


„Wie unterm Eis am ſonnenglanzerhellten 
Lenztage Well' an Welle murmelnd quillt, 
Bis ſich die Decke löst, ſo Anfangs ſelten 
Entquollen Worte mir, doch ſanft und mild. 
Den Hochmuth ließ mich Erich erſt entgelten 
Und malte ſchweigend fort an meinem Bild, 
Allein — klar wurde das aus manchen Zeichen — 
In ihm begann die Starrheit auch zu weichen. 


„Und als ich ſtammelnd dann von ihm begehrte, 
Daß er die Zeichenkunſt, die Malerei, 
Der er ſich ſelber widmete, mich lehrte, 
Als offen ich ihm kündete und frei, 
Wie ich die Kunſt und ihre Meiſter ehrte, 
Da war der Spannung letzter Reſt vorbei; 
Wenn er mit Bleiſtift zeichnen und mit Kreide 
Mich lehrte, welche Wonne für uns Beide! 


„Bald mit dem Pinſel auch und der Palette 
Mich zu verſuchen, gab er mir den Muth 
Und ſprach dabei: „daß ich doch Flügel hätte, 
Mit dir zu fliegen an die Wogenfluth 
Der Adria, die Palma, Tintorette 
Zu zeigen dir in ihrer Farbengluth 
Und mit Rialto, Marcusplatz, Giudecca 
Die hehre Dogenſtadt, der Maler Mekka!“ 


„Mit jedem Striche, jedem der Conture 
Schlug höher auf der Herzen Gluth. „Sch bin! — 
Betheuert' ich — fortan nicht die obſcure 
Prinzeſſin mehr, nein freie Künſtlerin.“ 
Und er gelobte mir mit heil'gem Schwure: 
„Auf ewig bin ich dein! Da nimm mich hin!“ 
Nur Eines noch ſtand unſerm Bund entgegen. 
Nie hoffen durften wir des Vaters Segen. 


„Ehr würden ganze Heerden von Kameelen, 
Ich glaube, durch ein Nadelöhr getrieben, 
Als daß er faßte, wie ein Gott zwei Seelen 
Durch ſeine Allmacht zwingt, daß ſie ſich lieben.“ 
Sie ſprichts, und Nikolas: „Geheim vermählen 
Euch mußtet ihr, kein Ausweg iſt geblieben.“ 
„Ich that den Schritt, nachdem ich lang gekämpft,“ 
Erwidert ſie, die Stimme ſchmerzgedämpft. 


„Sei ruhig! träte wider dich ein Kläger 
Je auf, dich ſpräche das Gewiſſen quitt!“ 
Spricht Nikolas und eilt zur Thür in reger 
Erwartung; auf der Treppe hallt ein Schritt, 
Und in den Armen liegen ſich die Schwäger, 
Da Erich eilends in das Zimmer tritt; 
„O Freund, du liebſter, den mein Herz gefunden“ — 
Ruft Jeder aus — „nun doppelt mir verbunden!“ 


Nachdem das erſte ſtürmiſche Entzücken 
Von den Umarmungen der edlen Zwei 
Herabgeſunken iſt zu Händedrücken, 
Zu fragen giebt es o ſo mancherlei! 
Der Prinz erzählt, wie von des Schickſals Tücken 
Auf ſeiner Fahrt verfolgt er worden ſei, 
Und wieder Jene künden ihm des Nähern, 
Wie ihre Flucht geglückt, zum Trotz den Spähern. 


— 332 


Wohl insgeheim den Schwager als Phantaſten 
Belächelt Erich, doch verlauten läßt 
Er nichts davon. „Mit uns hier mußt du raſten! 
Genießen wir dies Wiederſehensfeſt! 
Wir Zwei, die in Lauſanne als Gymnaſiaſten 
Schon Pylades wir hießen und Oreſt, 
Und deine Schweſter neben uns als Dritte, 
Welch ein Trifolium! Alſo bleib, ich bitte. 


„Kein Aufenthalt auf Erden, deß ſei ſicher, 
Iſt ſchön, wie der in Wien! Auf allen Wegen 
Schallt Jubel und Gelächter und Gekicher 
Aus luſt'gem Volksgetümmel dir entgegen. 
Wie prangt in kaiſerlich- und königlicher 
Vollherrlichkeit die Stadt! Wie ſchön gelegen 
Nicht iſt ſie an der blauen Donau Strande! 
Trübſinn und Grillen ſind hier Contrebande.“ 


Den Tag des Wiederſehns und ſeiner Freude 
Als Feſttag zu begehn, ſchlägt Erich vor; 
Und nach Schönbrunn, entlang der Prunkgebäude, 
Bald wandern unſre Freunde durch das Thor. 
O wer den Park voll tropiſcher Geſtäude 
Erblickt, voll Palmen und voll Zuckerrohr, 
In Aſien glaubt er ſich, in Polyneſien 
Und dankt ihr, die ihn ſchuf, Marie Thereſien. 


Der lieblichen Maria Antoinette 

Auch denkt man hier; ihr Zauberparadies 
Mit Laubengängen, Park und Gloriette, 
Noch ihrer letzten Jahre Traum war dies. 
Daß ſie es nimmermehr verlaſſen hätte! 
Wie mochte ſie nach ihm ſich in Paris, 
Wenn vor der Kerkerthür ſie die Hyänen 
Der Guillotine heulen hörte, ſehnen! 


Bald durch den Park und bald auf der Terraſſe 
Hinſchreiten unſre drei der Stadt Entflohnen 
Und muſtern unter ſich die Häuſermaſſe 
Des mächt'gen Wien; im Gaſthof dann belohnen 
Sie für ihr Wandern ſich durch eine Taſſe 
Des Göttertranks, gebraut aus Moccas Bohnen; 
Allein Aslaugas Seele ſcheint nicht heiter, 
Und, was ihr fehle, fragen die Begleiter. 


„Noch wegen meiner Flucht fühl' ichs im Stillen 
In meiner Bruſt wie einen Vorwurf pochen.“ 
Der Bruder drauf: „Und eines Vaters Grillen 
Uns fügen ſollten wir, an Geiſt gebrochen? 
Gegeben ſollt' ihm ſein, durch ſeinen Willen 
Das beſſre Selbſt in uns zu unterjochen, 
Daß wir anbeten ſeine goldnen Kälber? 
Nein, ſchuldlos biſt du, Schweſter, wie ich ſelber.“ 


„Mag ſich der Fürſt“ — fällt Erich ein — „nur tröſten! 
Noch außer euch ja ſind fünf Kinder ſein, 
Und ſchon ſeit frühe ihren Seelen flößten 
Den eignen Dünkel ſeine Reden ein. 
Es müſſe, lehrt' er ſie, durch ſie zum größten 
Geſchlechte Deutſchlands einſt ſein Stamm gedeihn, 
Und guten Boden fand er für den Samen; 
Für ihren Hochmuth giebt es keinen Namen. 


„Otto zumal iſt ſolch ein Ausbund ſchroffen 
Vorurtheils, daß mans nur mit Mühe glaubt; 
Geformt ſei er aus ganz beſondern Stoffen, 
Hat er aus Adelsbüchern ausgeklaubt, 

Und, als ich ihn zuletzt im Park getroffen, 
Hob er in Stolz und Hoffart ſo das Haupt, 
Daß ich, obgleich er ſonſt ein guter Junge, 
Den Dünkel ihm verwies mit ſcharfer Zunge. 


— 834 


„Dann Karl! bald Anſpruch wird er unverhohlen 
Erheben, daß wir ihm nur knieend nahn. 
Gereist iſt er, vom Kaiſer der Mongolen — 
Ich weiß nicht, oder iſts der Tartarchan — 
Als Gattin eine Tochter ſich zu holen. 
Wohlan! Gelingen wünſch' ich ſeinem Plan 
Und hoffe, ſeine Braut wird eine Rieſin 
An Geiſt und Schönheit ſein, wenn auch Kirgiſin. 


„Mag er denn, mögen eure jüngern Schweſtern, 
Mag Max, eur Bruder, für den Stammbaum ſorgen 
Und euch Abtrünnige wie mich verläſtern! 

Wir wollen keinen Glanz von Ahnen borgen! 
Vertrauend, hinter uns das dunkle Geſtern, 
Ausſchauen laßt uns nach dem goldnen Morgen, 
Wenn man nicht mehr in falſchen Prunk ſich kleidet 
Und nur des Menſchen Werth den Rang entſcheidet!“ 


Am nächſten Tage dann im Belvedere 
Bewundernd ſchauten ſie der Bilder Krone, 
Die Jungfrau Tizians, wie die rothe Beere 
Sie aus der Rechten nimmt dem Gottesſohne; 
Sie ſahn Morettos Wunderbild, das hehre, 
Die weiſen Morgenländer des Giorgione, 
Und allumher, buntſchillernd wie die Iris, 
Die Rubens, Rembrandt, Gerhard Dow und Mieris. 


Zu der Akademie Antikenſälen 
Drauf führte Erich ſie und ſprach: „Du weißt, 
Aslauga, deinen Bilderſtudien fehlen 
Die feſten Zeichnungslinien noch zumeiſt; 
Du mußt die Kraft an der Antike ſtählen, 
Daß du den Gliedern ſichern Umriß leihſt; 
Beſtimmter wünſch' ich, feſter ihn und ſchärfer, 
Drum rath' ich, zeichne hier den Discuswerfer. 


„Auch ich“ — jo fiel ihm Nikolas ins Wort — 
„Hab' ehedem Lection bei dir genommen 
Und bilde gern noch in der Kunſt mich fort, 
Drum laß uns morgen mit den Mappen kommen! 
Das Studium nach dem Niobiden dort 
Wird mir, wenn du mich unterweiſeſt, frommen, 
Denn, mag auch kurz nur hier mein Bleiben währen, 
In wenig Zeit kann viel ein Meiſter lehren.“ 


So kamen ſie mit Tuſche, Stift und Kreide, 
Und Jeder ſaß vor einem Marmorbild, 
Jedoch der Prinz rief bald: „Zu meinem Leide 
Seh' ich: da, wo es feſten Umriß gilt, 
Weitaus mir überlegen ſeid ihr Beide. 
Allein zu lernen bin ich feſt gewillt; 
Ich bitte, corrigire ſtreng mich, Erich, 
Und denk, Quartaner auf der Schulbank wär' ich.“ 


Doch Erich ſprach: „Mein Wort will ich verpfänden, 
Ich leite bald dich auf die rechte Spur; 
Aslauga mag die Zeichnung hier vollenden, 
Wir aber wollen uns an die Natur 
Als an den Urquell aller Schönheit wenden; 
Nichts, wie ich ſelbſt als Schüler das erfuhr, 
Kommt wahrlich gleich den ſogenannten Akten — 
Du weißt, ſo heißt das Studium nach dem Nackten. 


„Ich höre, daß allhier in einem Saale 
Akademie ein Italiener hält 
Und als Modelle wahre Ideale 
Von Gliederebenmaß und Schönheit ſtellt. 
Man jagt, ſehr dränge um die Piedeſtale, 
Darauf ſie ſtehen, ſich die Schülerwelt, 
Drum laß — ſonſt könnte Mangel ſein an Plätzen — 
Uns unſere bei Zeiten ſchon beſetzen.“ 


— 336 — 


Verſprechend, bald ſie wieder abzuholen, 
Rückließen ſie in der Akademie 
Die junge Frau bei ihrem Diskobolen 
Und eilten nach dem Saale am Glacis. 
An breiten Tiſchen dort von Eichenbohlen 
Schon ganze Schaaren Schüler finden ſie, 
Die in Erwartung ihre Stifte ſpitzen; 
Sie ſelber nehmen Platz auf ihren Sitzen. 


Und, ſchön wie der Apoll vom Vatikane, 
Tritt in den Saal ein Jüngling als Modell — 
Werth ihn zu malen ſind die Tiziane, 
Die Palma nur. Zum Stift greift Jeder ſchnell — 
In Götter-Nacktheit, ſo daß der Profane 
Die Blicke ſenkt, ſteht er auf dem Geſtell, 
Allein was iſt dem Prinzen? Er erblaßt, 
Indem er näher ihn ins Auge faßt. 


„Otto!“ — ruft er — „doch nein! bin ich denn toll?“ 
Und plötzlich ſieh! die Poſitur der Glieder, 
In der er ſtand als delphiſcher Apoll, 
Läßt das Modell; der Dirigent rückt wieder 
Ihn in die Stellung, die er haben ſoll — 
Doch vom Geſtelle ſpringt der Jüngling nieder 
Und wirft ſich haſtig an des Prinzen Bruſt: 
„Du hier, mein Bruder, hätt' ich das gewußt!“ 


Gelächter, das von Sitz zu Sitzen gellt, 
Und Lärm des Staunens füllt den weiten Raum, 
Indeß um Nikolas die ganze Welt 
Sich wie im Kreiſe dreht; iſt es ein Traum, 
Daß er den Bruder ſo in Armen hält? 
Allein noch haben ſich die Beiden kaum 
Gegrüßt, ſo tritt heran der Dirigent: 
„Mein Herr, Ihr Platz iſt auf dem Poſtament!“ 


Schon will fih Otto dem Befehle fügen, 
Doch Nikolas ſpricht zu dem ſtrengen Herrn: 
„Wie viel kann Ihnen als Erſatz genügen? 
Die Stücke Goldes hier und mehr, wofern 
Sie mehr verlangen, zahl' ich mit Vergnügen. 
Des Wiederſehens Stunde möcht' ich gern 
Mit meinem Bruder feiern.“ — „Nun“, ſprach Jener, 
„So ſtehe mir Modell ein Italiener!“ 


Da Otto alſo freigelaſſen war, 
Einander lange in den Armen lag 
Nochmals das brüderliche Prinzenpaar; 
Allein nicht Einer von den Beiden ſprach, 
Die Lage war zu fremd, zu ſonderbar, 
Faſt märchenhaft. Zuerſt das Schweigen brach 
Prinz Nikolas: „Nein, theurer Bruder, ſage, 
Dich find' ich hier! und wie — in ſolcher Lage?“ 


Doch Jener ſteht verlegen da vor ihm, 
Indem er ſtumm die Augenlider ſenkt — 
Die ganze Scene wahrlich iſt ſublim, 
Da keiner von den edlen Brüdern denkt, 
Daß Otto daſteht im Naturcoſtüm, 
Wie Phöbus, der die Sonnenroſſe lenkt. 
Lang hätte das noch ſo gewährt, ich wette, 
Wenn Erich nicht das Wort genommen hätte: 


„Prinz, nun genugſam hat man Sie bewundert; 
Daß ſolche Tracht nicht Mode mehr, iſt ſchade, 
Doch denken Sie! im neunzehnten Jahrhundert 
Stehn wir, nicht in der gleichen Olympiade! 
Wenn man bis in die Nacht hinein burgundert, 
Vielleicht verzeiht man ſolche Maskerade, 
Doch ſo früh Morgens! — — Wollen auf den Gaſſen 
Sie ſo ſich als Apollo ſehen laſſen? 

Schack, Geſ. Werke. III. 22 


Fort Schritt des Fürſten Friedrich, wie kein Zweiter 
Von ſeinen Höhen jäh geſtürzter Sohn; 
In kurzer Jacke drauf, wie ein Bereiter, 
Mit hohen Stiefeln, engem Pantalon 
Kehrt er zurück, verlegen aber heiter. 
Noch wagt der Bruder — denn, wie vorher ſchon, 
Sieht er ihn ſcheu die Augen niederſchlagen — 
Nicht nach dem Grund von allem dem zu fragen. 


Er ſagte, während er den Arm ihm reichte: 
„Nun komm, daß wir dich zu Aslauga bringen, 
Wie wird ſie ſtaunen! Aber dann uns Beichte, 
Du Wildfang, ſchuldeſt du vor allen Dingen.“ 
Auf Ottos Antlitz zeigte ſich bald leichte 
Erröthung und bald Bläſſe, als ſie gingen 
Und, vom Olympier degradirt zum Groom, 

Er eintrat in das Götterheiligthum. 


Erſtaunt den Bleiſtift fallen läßt die Schweſter, 
Den Bruder kaum vermag ſie zu erkennen; 
„Biſt du es wirklich, Otto, liebſter, beſter? 
Doch wie ſoll ich den tollen Einfall nennen? 
Mit Reitknechtmütze und in goldbetreßter 
Sammtjacke du, ſo wie bei Pferderennen 
Sich Jockeys kleiden? Wahrhaft unerklärlich 
Scheint das; was iſt geſchehn? geſteh' es ehrlich!“ 


Doch Otto bittet: „Gebt mir damit Friſt!“ 
Sie gehn, in ihre Wohnung ihn zu führen. 
Dort denn, da Erich fortgegangen iſt, 
Und er im Zimmer mit verſchloſſnen Thüren 
Bei den Geſchwiſtern weilt, beginnt er: „Wißt — 
So heb' ich an mit meinen Aventüren — 
Ich war ſeit Kurzem in der Stadt der Spree 
Secondlieutenant der preußiſchen Armee. 


zn 


„Stolz fühlt ich mich in meinem neuen Grade 
Und pflog des Dienſtes mit der reſoluten 
Abſicht, der beſte Lieutenant der Brigade 
Zu heißen; nie beim Drillen der Rekruten 
Läſſig war ich noch bei der Wachtparade; 

Daß ich Spieltiſche Abends dann, Redouten, 
Cafes beſuchte oder bei den Zelten 
Luſtwandelte, wer will mich deshalb ſchelten? 


„Vor allem aber, was die Reſidenz 
Des Schönen beut, war mir, dem Pferdekenner, 
Das Lockendſte, ihr denkts, der Circus Renz. 
Nicht die Bajazzi, nicht die Kautſchukmänner — 
Solch Späßemachen, nur der Pöbel nennts 
Ergötzlich — doch die edeln Vollblutrenner 
Entzückten mich; hat bei Olympias Feier 
Je ſchönere verherrlicht Pindars Leier? 


„Doch bald auch ihrer hatt' ich Acht nicht länger, 
Da eine Reiterin im Circus war, 
Wie nie ein ſchönres Weib ein Minneſänger 
Für ihrer Augen Blau, ihr blondes Haar 
Geprieſen hat — ums Herz mir ward es enger, 
Wenn ich bei ihren Sprüngen in Gefahr 
Sie ſah; denn, ob an Zartheit auch Sylphide, 
Tollkühn vor allen andern war Elfride.“ 


Der Bruder droht ihm ſcherzend mit dem Finger 

Und die Erzählung alſo unterbricht er: 

„Sylphiden, Pindars Leier, Minneſinger — 

Du wirſt ja unverſehens ganz zum Dichter 

Bei deiner Schildrung dieſer Reifdurchſpringer; 

So viel vermögen Mädchenangeſichter! 

Ja, Otto, Amor iſt der Götter Gott!“ 

So er, doch Otto hört nicht auf den Spott. 


— 340 — 

„Die Pulſe ſchlugen mir in ſchnellern Takten“ — 
Fährt dieſer fort — „wenn ſie aufs Roß ſich ſchwang, 
Und fieberten, wenn durch die ſcharfgezackten 
Stahlringe lachend die Verwegne ſprang. 

Mich ihr zu nähern in den Zwiſchenakten 
Sucht' ich; doch bis es glückte, währt' es lang; 
Noch hatte Keiner ihr durch Huldigungen, 
Hört' ich, ein freundlich Wörtchen abgerungen. 


„Einſt aber mich, als nach vollbrachtem Ritte 
Sie mir vorbeiſchritt, ſah ſie lächelnd an, 
Hochathmend wagt' ich gegen ſie die Bitte, 
Nicht allzu viel zu wagen; ich gewann 
Ein zweites Lächeln ſo und bald das dritte, 
Und im Geſpräche, das ſich nun entſpann, 

Nicht achtend, daß ich ſprach aus vollem Herzen, 
Ein Füllhorn goß ſie über mich von Scherzen. 


„Ein Plätzchen außen wußt' ich zu erkunden, 
Wo vor dem Ritte und wenn er vorbei 
An jedem Abend flüchtige Sekunden 
Ich mit ihr ſprechen konnte, zeugenfrei; 
Doch wenn ich ſprach in Worten, tiefempfunden, 
War ihre Antwort nichts als Neckerei: 
Erſt ſechzehnjährig, toll und ausgelaſſen 
Schien ſie den Sinn der Worte nicht zu faſſen. 


„Einſt ſetzte lachend meine Pickelhaube 
Sie ſich aufs Haupt und ſprach: „Ei, laß doch ſehn, 
Wie die mich kleidet; prächtig! nun erlaube 
Die Uniform auch! gut wird ſie mir ſtehn. 
Nun Säbel noch und Portepee! Ich glaube, 
Als Lieutenant wird das Heer mich nicht verſchmähn.“ 
Und wirklich als vollkommner Officier — 
Ihr paßte Alles — ſtand ſie da vor mir. 


— 341 — 


„Wir ſcherzten ſo noch, als mit einemmal, 
. Ritt ſie rufend, die Trompete ſcholl; 
Da ſprang ſie lachend fort bei dem Signal; 
Ich rief ihr: „bleib, jo bleib doch, biſt du toll?“ 
Doch fort war ſie, o über den Scandal! 
Und in den Circus, welcher übervoll, 
Stürzt' ich ihr in der Geiſtverwirrung, ach! 
So wie ich war, in Hemdesärmeln, nach. 


„Stellt euch die Scene vor, die hochbarocke, 
Und welcher Spott ſich über mich ergoß! 
Mit meinem Portepee und Waffenrocke 
Lautlachend ſprengte ſie dahin zu Roß, 
Indeß ihr Haupthaar, Locke über Locke, 

Auf Preußens Uniform herniederfloß — 
Und ich, um den Hohnrufe rings erſchallten, 
Ihr Roß vergebens ſucht' ich feſtzuhalten. 


„Was mehr? Die militäriſche Carriere 
Hatt' ich für ew'ge Zeit mir ruinirt, 
Und das Patent, das mich in Preußens Heere 
Zum Lieutnant ſchuf, ward nächſten Tags kaſſirt; 
Selbſt, glaub' ich, hätt' ich mit dem Schießgewehre 
Aus dieſer Welt hinweg mich expedirt; 
Nur brachten an Elfride die Gedanken 
Bei dem Entſchluß mich wiederum ins Schwanken. 


„Eh ich für immer ſchiede aus dem Reich 
Des Lichts, wollt' ich ihr ſagen ohne Schonung, 
Wie arg ſie mich gekränkt durch dieſen Streich; 
War das für ſo viel Liebe die Belohnung? 
Ich wäre hingeſtürzt zu ihr ſogleich, 
Doch Tags nicht laſſen mocht' ich meine Wohnung; 
Ich zitterte, mit Schande ſo beladen, 
Vor der Begegnung eines Kameraden. 


2 a 


„Spät Abends harrt' ich denn an ihrer Thüre, 

Bis aus dem Circus ſie nach Hauſe kam; 

Noch war ſie in der vollen Tanz-Parüre, 

Doch auf dem Antlitz lag ihr tiefer Gram, 

Und ſie betheuerte durch tauſend Schwüre 

Mit Schluchzen, das aus tiefſtem Herzen kam, 
Ein halber Wahnſinn habe wider Wiſſen 

Und Wollen zu dem Schritt ſie fortgeriſſen. 


„Und aus den Worten, die ſie weiter ſprach, 
Indeß ihr Thränen aus den Augen floſſen, 
Mit Staunen und mit Rührung nach und nach 
Entnahm ich, wie, in tiefſter Bruſt verſchloſſen, 
Ihr Weh und Jammer faſt das Herz zerbrach 
Und wie durch wilden Ritt, durch Scherz und Poſſen 
Sie nur den Gram der Seele übertäubte, 
Die gegen dieſen wüſten Stand ſich ſträubte. 


„Als zartes Kind beraubt der Eltern ſchon, 
War den Verwandten fern im Dänenlande, 
Die ſie durch Argliſt und Gewalt und Drohn 
Zu Diebſtahl und Betrug und jeder Schande 
Zu zwingen ſuchten, heimlich ſie entflohn; 
Daß man ſie aufnahm in die Reiterbande, 
Als Rettung ihr vor ſchlimmerem Verderben 
Erſchienen wars; doch wünſchte ſie zu ſterben. 


„Und wenn bei Tanzmuſik und Schellenklingen 
Sie hoch zu Roſſe ſtand vor Aller Blicken, 
Mit Lachen ſuchte ſie und wilden Sprüngen, 
Des Herzens große Trauer zu erſticken — 
O Jene, deren Augen an ihr hingen, 
Durch welches Elend ward nicht ihr Entzücken 
Erkauft — die Nacht darauf in ihrer Kammer 
Durchweinte ſie in hoffnungsloſem Jammer. 


„Ich eilte von dem Bande fie zu löfen, 
Das an die Reiter ſie gefeſſelt hielt; 
Und wie errettet aus der Macht des Böſen, 
Deß, der dem Himmel frech die Seelen ſtiehlt, 
Dankte mir kniend das wunderbare Weſen; 
So froh, bei Gott, hab' ich mich nie gefühlt, 
Wie da ich die Gerettete, Beglückte, 
Emporhob, an die Bruſt voll Wonne drückte. 


„Nicht in Berlin war ferner meines Bleibens; 
Zum Vater — denn ich ahnte ſeine Wuth — 
Zurückzukehren, mich nur mittelſt Schreibens 
An ihn zu wenden, fehlte mir der Muth; 

Von Briefen, drin er wegen meines Treibens 
Mich ſchalt, beſaß ich ſchon ein Convolut; 
Was alſo blieb mir? Fernhin mit Elfriden 
Zu fliehen, hatt' ich ſchleunig mich entſchieden. 


„So fanden wir denn innerhalb der Thore 
Der Kaiſerſtadt ein freundliches Aſyl, 
Doch bald mit ſehr geſunkenem Humore 
Bedacht' ich in dem neuen Domicil: 
Daß ich auf Eingang neuer Louisdore 
Nicht rechnen könne; wenn ich ſonſt fürs Spiel 
Sie nicht geſchont noch für die Equipage, 
Wo blieb der Zuſchuß jetzt und wo die Gage? 


„Auf meine Seele legte ſich ein Schatte, 
Ich ſchlich dahin, das Herz von Sorgen ſchwer, 
Und als Elfride — ach! die Arme hatte 
Geglaubt, als Prinz ſei ich auch Millionär — 
Mich fragte: „Sprich, warum iſt deine glatte, 
So junge Stirne nicht die frühre mehr?“ 
Sagt' ich ihr, was mich quäle; aber heiter 
Blieb ſie und ſprach von andern Dingen weiter. 


— 344 — 


„Doch bald ſchon wünſcht' ich, daß mit ſieben Siegeln 

Ich ihr verſchloſſen das Geheimniß hätte; 

Denn von dem Augenblick zu nähn, zu bügeln, 

Zu ſtricken hub ſie an; vor Tag vom Bette 

Erſtand ſie, ihren Fleiß nicht konnt' ich zügeln, 

Und ſelbſt die Nacht durch an der Arbeitſtätte 

Wach wäre ſie bei ihrem Werk geblieben, 

Hätt' ich ſie von der Arbeit nicht vertrieben. 


„Karg war der Lohn, den man ihr dafür bot, 
Ich ſah ihr Antlitz blaß und bläſſer werden 
Und ihre Augen trüb und matt und roth; 

Ihr Leben endlich mußte das gefährden; 

Ich ſelber, uns zu helfen in der Noth, 

That was ich konnte; Umgang mit den Pferden 
Verſtand ich, und das Glück ließ mirs gelingen, 
Als Stallknecht mich im Circus zu verdingen. 


„Daß ſie ſich bei der Arbeit ſchone, innig 
Bitt' ich ſeitdem Elfride jeden Tag, 
Denn durch Modellſtehn nebenbei gewinn' ich 
Mir Ein'ges; auch das Springen nach und nach 
Hab' ich gelernt und jetzt ein Künſtler bin ich 
Im Circusreiten; wars doch eine Schmach, 
Stallknecht zu bleiben! Selber kommt, ich bitte, 
Heut' Abend meine Kunſt zu ſehn im Ritte.“ 


„Mein Otto, Beſter!“ — fiel der Bruder ein — 
„Du weißt, die Mutter machte mich zum Erben, 
Und Alles, was ich habe, iſt auch dein! 

Mir müßte Schamroth ja die Wange färben, 
Ließ' ich dich alſo Circusreiter ſein; 

Mag der Director einen andern werben, 

Dich aber, mög' es was es wolle koſten, 
Entlaſſen ſoll er heut' noch von dem Poſten.“ 


— 345 — 


Noch ſprach ers: plötzlich da ſprang Otto auf: 
„Vom Stephansthurme hör' ich ſieben Schläge 
Und muß zum Circus fort im ſchnellſten Lauf.“ 
„Bleib, Bruder, bleib! das hat ja gute Wege!“ 
„Nein, laß mich! bald wird der Billetverkauf 
Beginnen und, daß ich die Bretter fege, 

Die Pflicht hab' ich vom Stallknecht beibehalten; 
Nachher muß ich die Reiterkunſt entfalten.“ 


Nicht halten läßt er ſich und eilt von dannen; 
Aslauga hielt in tiefen Kümmerniſſen 
Das Haupt verhüllt, und ihre Thränen rannen: 
„Welch Weh, ſo tief geſunken ihn zu wiſſen!“ 
Indeß die Beiden, was zu thun ſei, ſannen, 
Kam Erich auch dazu: „Komm mit! wir müſſen 
Gleich ſehn, ob wir nicht den Director finden, 
Er ſoll, er muß ihn des Contracts entbinden.“ 


So Nikolas; mit Erich Arm in Arm 
Eilt' er zur Bretterbude in den Prater, 
Allein umſonſt die Diener, den Gensdarm, 
Bei dem Director ihn zu melden bat er; 
Zu Wagen ſtrömt, zu Fuße, Schwarm an Schwarm 
Die Menge ſchon in das Amphitheater, 
Und ſeine Meiſterſchaft im Hengſtdreſſiren 
Will eben der Director produciren. 


Eintreten Beide drauf, nachdem den ſtrengſten 
Befehl dem Diener ſie zuvor ertheilt, 
Er ſolle, wenn das Schauſpiel mit den Hengſten 
Zu Ende ſei, ſie melden unverweilt; 
Doch plötzlich da — ihm iſt in ſeinen Aengſten, 
Das Herz ſei in der Bruſt ihm feſtgekeilt — 
Hört Nikolas, wie ſie als Reiterhelden 
Mit lauter Stimme Monſieur Otto melden. 


— 346 — 


Und in den Circus, ſieh! als Tektoſagen, 
Als wilden Mann, auf ungezäumtem Pferd 
Herein ſieht er den tollen Bruder jagen 
Und hoch die Keule ſchwingen und das Schwert. 
Ein breiter Balken wird herbeigetragen, 
Und kühnen Sprunges, wirklich ruhmeswerth, 
Dreimal das Rund umkreiſend in Carriere, 
Hinvoltigirt er über die Barriere. 


Von ringsher bringt in donnernden Applauſen 
Das Publikum ihm ſeine Huldigung; 
Ein viertesmal — er gönnt ſich keine Pauſen — 
Zum Satz dann holt er aus mit mächt'gem Schwung, 
Doch — Nikolas verhüllt den Blick vor Grauſen — 
Fehl geht der allzu dreiſt gewagte Sprung, 
Und auf den Boden häuptlings, jähen Falls 
Stürzt Monſieur Otto hin, der Wagehals. 


Da tönt ein Schrei, mit wehnden Lockenhaaren 
Zu dem Geſunknen eilt heran ein Weib, 
Blond, blaugeaugt und jugendlich von Jahren, 
Und wirft ſich auf den regungsloſen Leib — 
Was ſchelten andre Völker wir Barbaren, 
Wenn ſolche Spiele unſer Zeitvertreib? 
Ganz ſo den Römern dient' es zum Gelächter, 
Daß ſich zerfleiſchten die Arenafechter. 


Ganz ſo in Spanien bei den Bullenhetzen, 
Wenn vor des wilden Stieres Hörnerſtoß 
Der Matador erliegt, von allen Plätzen 
Erſchallt der Jubelruf: „FJamos! famos!“ — 
Doch dies beiläufig hier! — Voll von Entſetzen 
War Nikolas mit Erich athemlos 
Herbeigeflogen zu dem Sinnbetäubten 
Und kniete bei dem Weib zu feinen Häupten. 


— 347 — 


Doch der Director tritt heran, der grobe: 
„Wenn er den Hals gebrochen hat, was gehts 
Sie an? Hinweg! denn jetzt zeigt eine Probe 
Von ſeiner Kunſt Herr X. auf dem Trapez!“ 
Fort trägt man Otto drum in die Gardrobe, 
Und Jene knieen ſorgend um ihn ſtets; 

Allein bald hier auch heißt es: „ſchafft ihn fort! 
Wollt ihr ihn pflegen, dies iſt nicht der Ort.“ 


„Unmenſchen ihr!“ rief Erich voll Erbittrung! 
Jedoch was halfs? man mußt' hinweg ihn bringen. 
Der Arzt erklärte: „Die Gehirnerſchüttrung 
Iſt ſchwer; noth thut für ihn vor allen Dingen 
Ein luft'ger Raum bei dieſer heißen Wittrung, 
Dann, hoff' ich, wird die Heilung mir gelingen.“ 
So gab denn Nikolas Befehl den Knechten, 

Daß ſie zu ihm in das Hotel ihn brächten. 


Hoch wallt ſein Blut, es iſt, als ob es ſiede; 
In kühlem Saale wird ihm drum gebettet, 
Und unermüdet pflegt ihn dort Elfride, 

Man glaubt ſie an ſein Lager feſtgekettet, 
Sie ſchwört, es ſoll zu ihrem Augenlide 
Kein Schlaf herniederthaun bis er gerettet, 
Und wenn Aslauga eintritt noch ſo flüchtig, 
Faſt wegen ihrer wird ſie eiferſüchtig. 


Nur ihr ſoll Otto die Geneſung danken; 
Bei Nacht und Tag hin über ihn geneigt 
Forſcht ſie, ob ſich im Angeſicht des Kranken 
Ein Zeichen, das ihr Hoffnung gebe, zeigt. 
So wie für ihn Geneſung, Heilung ſchwanken, 
So wie ſein Leben ſich bald hebt, bald ſteigt, 
Alſo auch ihres; wär' er nicht geneſen, 

Des Todes Raub auch wäre ſie geweſen. 


— 348 — 


Doch endlich da in ſeiner Augen Blau, 
Nach welchem ſie geſpäht zu tauſendmalen, 
Aufdämmern ſieht ſie, wie durch Nebelgrau 
Die Sonne leuchtet, des Bewußtſeins Strahlen, 
Und ihrer Augen Freudenthränenthau 
Verkündet: nun für alle Mühn und Qualen, 
Die ſie beſtand in kummertrüben Nächten, 
Reich iſt belohnt ſie von den Himmelsmächten. 


Und als er ganz geneſen ſah den Kranken, 
Sprach zu Elfriden Nikolas, die Hand 
Ihr reichend: „Du, der wir ſein Leben danken, 
Die du geriſſen ihn vom Grabesrand! 
Nun auch vereinige — wozu noch ſchwanken? — 
Mit dem Geliebten dich ein ew'ges Band!“ 
Er riefs, und Otto, dem vom Auge warme 
Dankthränen tropften, ſchlang ſie in die Arme. 


„Doch jetzt“ — ſo ſprach Aslauga dann — „vereinigt 
Laßt uns ein Schreiben an den Vater richten, 
Damit uns länger das Gefühl nicht peinigt, 
Als Kinder hätten wir verſäumt die Pflichten. 
Von jeder Schuld, fürwahr, ſind wir gereinigt, 
Wenn wir ihn bitten, dieſen Kampf zu ſchlichten 
Und die zu ſegnen mit des Vaters Liebe, 
Die nur gefolgt des Herzens mächt'gem Triebe.“ 


So ſchrieben Otto, Erich und Aslauge, 
Indem ſie um des Vaters Segen baten; 
Auch fügte Nikolas hinzu: „Ich tauge 
Nicht für den Kreis der fürſtlichen Agnaten; 
Die Eine ſucht, die Einzige, mein Auge, 
Und find' ich ſie, gern allen Majoraten 
Entſag' ich, allen Titeln ihretwegen; 

O Vater, dann auch hoff' ich deinen Segen!“ 


— 349 — 


Der Brief ging ab, allein als bis zu Ende 
Des Juli Antwort nicht gekommen war, 
Vor Zeugen reichten feierlich die Hände 
Elfride ſich und Otto am Altar. 
Das war der Tag der großen Sonnenwende 
Von Mißgeſchick zu Glück für unſer Paar, 
Und ſelig wohnten nun im engen Stübchen 
Als Mann und Weib, die ſonſt nur Freund und Liebchen. 


Zu Nikolas drauf ſprach der junge Gatte: 
„Du boteſt freundlich mir dein Alles an; 
Doch ſo viel anzunehmen nur geſtatte 
Ich mir, daß ich ein Handwerk lernen kann. 
Fliehn wird von mir der Trübſal letzter Schatte, 
Wenn Tag für Tag, ein tücht'ger Arbeitsmann, 
Ich unbekümmert um der Väter Erbe 
Den Unterhalt des Lebens mir erwerbe.“ 


So ging, daß er das Steinmetzhandwerk lerne, 
Zur Werkſtatt Otto früh an jedem Tag; 
Nachdem er dort ſich, von der Gattin ferne, 

Bis ſpät mit Hammer und mit Meißelſchlag 
Gemüht, wie pries er Abends ſeine Sterne, 
Wenn er in den geliebten Armen lag! 

Mit den Geſchwiſtern auch wie frohe Stunden 
Verlebt' er dann, die er in Wien gefunden. 


Oft auch geſellt ſich Erich ihrem Kreiſe, 
Den die Muſik, die freundliche, verſchönt; 
Dem neuen Schwager, deſſen ſtolze Weiſe 
Er früher oft mit bitterm Spott gehöhnt, 
Jetzt, da der Geiſt ihm von des Hochmuths Eiſe 
Befreit iſt, hat er völlig ſich verſöhnt; 
Die Hand ihm reichend, ſcherzt er wohl: „Nun Otto, 
Sit: „immer ſtandesmäßig!' noch dein Motto?“ 


— 350 — 


Viertes Buch. 


Vermöcht' ich doch, ſtatt für die Druderprefie . 
Zu dichten, wie es Brauch in unſern Tagen, 
Auf Yemens ſtolzem Roß mit weißer Bläſſe 
Arabiens Wüſten ſingend zu durchjagen! 
Dann würden an der Kaba auf der Meſſe 
Von Okaz meine Lieder angeſchlagen, 

Und wohl für ſie, eh ſie erblichen, fände 
Sich ein Hamaſa-Sammler noch am Ende. 


Beneidenswerth auch iſt der Lazzarone, 
Der am Veſuv auf hohem Felſenſitze, 
Umleuchtet von des Berges Flammenkrone, 
Bojardos Mären oder Bernis Witze 
Den Hörern vorträgt bei Guitarrentone 
Und, Kupfermünzen ſammelnd, ſeine Mütze 
Umherreicht in dem Kreis der Marinari; 
Ihm ſtehn die Dichtungsactien über Pari. 


Doch ach! bei uns, daß am Toilettentiſche 
Ein Kreis von Damen ſeine Verſe preist, 
Daß ein Juſtizrath in der Sommerfriſche 
Daran erquickt den actenmüden Geiſt, 

Daß Confirmandinnen, die netten Fiſche, 
Die man im Singularis Backfiſch heißt, 
Sie Nachts ſich heimlich unters Kiſſen legen, 
Nicht höhern Ehrgeiz darf der Dichter hegen. 


— 351 — 


Und nun, anſtatt nach Taſſos Vaterlande, 
Statt nach dem Heimathland des Amrul Keis, 
Weist mich nach Prenzlau gar und ſeinem Sande 
Der Muſe peremtoriſches Geheiß. 

Fürſt Friedrich, tief ergriffen von der Schande, 
Die ihm die Kinder bringen, und zum Greis 
Herabgewelkt, weilt mit gebrochnem Muthe 
Nah jener Stadt auf ſeinem Ahnengute. 


Nachdem ſein Nikolas von ihm geflohen, 
Die Hoffnung des durchlauchtigen Geſchlechts, 
Das links von den Germaniſchen Heroen 
Abſtammt und von den Eddagöttern rechts, 
Schon ſah er ſeinem Haus den Einſturz drohen; 
Und ach! das Schickſal, mehr und mehr erfrechts 
Sich, an dem edlen Fürſtenſtamm zu rütteln 
Und Frucht an Früchte vom Gezweig zu ſchütteln. 


Aslauga gar mit einem Farbenkleckſer 
Vermählt, den er im Herzen oft geſchmäht, 
Er habe in der Taſche keinen Sechſer, 

All ſein Beſitzthum ſei ſein Malgeräth! 

Und endlich ward die Lage noch complexer, 
Denn wie ſprach Otto aller Pietät 

Für ſeines Hauſes alte Tradition 

Durch Flucht mit einer Circustänzrin Hohn! 


Um ihn als hoffnungslos Verlornen jammert 
Der Vater, auch bevor er noch erfuhr, 
Daß er in einer Steinmetz-Werkſtatt hammert — 
Sank je ſo tief die menſchliche Natur? 
Seitdem um einen heißen Wunſch nur klammert 
Sein Herz ſich, eine Hoffnung kennt er nur, 
Daß Max zum mindſten und die jüngern Töchter 
Die Ahnen werden herrlicher Geſchlechter. 


— 352 — 


Denn wie am Mittelmeer die Fee Morgane 
Von ferne lockend winkt, doch in der Nähe 
In Luft verſchwimmt, ſo gings auch mit dem Plane, 
Den er auf Petersburg für eine Ehe 
Des Prinzen Karl gebaut. Als Ruſſomane 
An ihm lang feſt gehalten hat er zähe 
Und einen Rechtsverſtänd'gen ſchon als Beirath 
Erkoren für die projectirte Heirath. 


Er wartete tagtäglich auf Couriere 
Von ſeinem Sohne und vom Grafen Lorm, 
Ja, daß der Kaiſerhof das Prävenire 
Zu ſpielen denke und in Uniform 
Bei ihm als Ehpaktträger ein Baſchkire 
Erſcheinen werde, dünkt' ihn nicht abnorm. 
Zuletzt, um nicht mehr ungewiß zu bleiben, 
Entſchloß er ſich nach Petersburg zu ſchreiben. 


Doch keine Antwort kam; wie das erklären? 
Erfindriſch war Fürſt Friedrich im Vermuthen: 
That Karl auf den Diners, die ihm zu Ehren 
Gegeben wurden, allzu viel des Guten? 
Mußt' unter Tatzen eines grimmen Bären 
Auf einer Hofjagd er vielleicht verbluten? 

So ſann er täglich, welchen Grund es hätte, 
Daß kein Bericht anlangte durch Staffette. 


Dann wieder, während er die Tage zählt, 
Die ſchon verſchwunden, denkt er: längſt verſprochen 
Iſt Karl mit der Czarewna, ja vermählt, 
Und Feſtlichkeiten giebts ununterbrochen, 
So daß es ihm an Zeit zum Schreiben fehlt 
Bei ſeinen mondelangen Flitterwochen; 
Auch mögen ihn, der zu den höchſten Würden 
Befördert ward, Geſchäfte überbürden. 


— 353 — 


Bisweilen aber faſt in einem Kerker 
Glaubt ſich der Fürſt. Der Unterſchied wie ſchroff 
Vom Rhein'ſchen Schloß zu dieſem Ukermärker! 
Wenn Winters hoch der Schnee bedeckt den Hof 
Und eiſ'ge Winde pfeifen durch den Erker, 
Behagen mags dort einem Suwaroff, 
Doch Jeden ſonſt, der nicht ſo decidirt 
Eisbärnatur beſitzt, natürlich friert. 


Vereinſamt überdies fühlt ſich Fürſt Friedrich; 
Da unſre Zeit nicht Rang mehr ſchätzt noch Namen 
Und Kenntniſſe verlangt von hoch wie niedrig, 
Muß leider Max fürs Lieutenants-Examen 
Sich präpariren — o wie ſtandeswidrig! — 

Indeß die Töchter ſich, die jungen Damen, 
Die Siegelinde und Gertrude heißen, 
Des Piano und Franzöſiſchen befleißen. 


Daß ſich ein heitrer Kreis um ihn geſelle, 
Verſchreibt drum aus der nahen Metropole 
Der Fürſt ſich eine kleine Hauskapelle, 
Und bald auch ſchon — gereich' es ihm zum Wohle! — 
Ziehn über ſeines öden Schloſſes Schwelle 
Mit Violine, Cello und Viole 
Die jungen Muſiker heran, im Geigen 
Von Streichquartetten ihre Kunſt zu zeigen. 


Stolz aus dem Heiligthum des Cabinettes 

Tritt Abends dann der Schloßherr in den Saal 
Und giebt für das Beginnen des Quartettes 
Alsbald mit einer Glocke das Signal; 
Auf höhrem Platz, der mittels eines Brettes 
Geſondert iſt vom übrigen Lokal, 
Verſammeln zum Concert ſich die devoten 
Tonkünſtler mit den Heften und den Noten. 

Schack, Geſ. Werke. III. 23 


— 354 — 


Zuerſt mit einem ſteifen Complimente 
Begrüßte der Herr Fürſt die Muſici, 
Denn welche weite Kluft ſie von ihm trennte, 
Dem hohen Standesherrn, vergaß er nie; 
Vielleicht dem Einen oder Andern gönnte 
Er auch die Frage wohl: „wie heißen Sie?“ 
Doch daß von ihm zu ihnen ſtreng bemeſſen 
Der Abſtand ſei, ließ er ſie nie vergeſſen. 


Nur hier und da, wenn irgend ein Andante 
Sein Herz bewegte mit dem ſüßen Moll, 
Wenn feurig ihm zum Ohr das impoſante 
Allegro, ſcherzend das Menuett erſcholl, 
Vergaß er ſich ſo weit, daß er bekannte: 
„Ein großer Mann, Beethoven! wundervoll!“ 
Jedoch den Zuſatz las man im Geſicht 
Ihm gleich: „mir ebenbürtig war er nicht.“ 


An ſeiner Seite ſaßen beim Concerte 
Die Kinder Max, Gertrude und Sieglinde, 
An ſeinem Tiſch auch deckte man Couverte 
Für ſie nur, da, wie gegen eine Sünde, 
Sein Geiſt ſich gegen den Gedanken ſperrte, 
Daß irgend Andre, die er dem Geſinde 
Beizählte, Theil an ſeiner Tafel nähmen; 
Müßt' er ſich ſonſt nicht vor den Ahnen ſchämen? 


Auch Emma lebte drum, die Gouvernante, 
Bei Büchern und Klavierſpiel und Geſang 
Beinah wie eine aus der Welt Verbannte; 
Obgleich ſie bei den Töchtern Jahre lang 
Bereits geweilt, doch nur von Anſehn kannte 
Der Vater ſie, denn ſeinen Stolz bezwang 
Er kaum ſo weit, um einen Blick der Gnade 
Ihr zuzuwerfen bei der Promenade. 


— 355 — 


Oft ſagten ihm die Töchter wohl: „Talent 
Wie dieſe Emma mögen Wen'ge haben! 
Trefflich iſt ihr franzöſiſcher Accent, 

Und — die geringſte nicht von ihren Gaben — 
Vorleſekunſt beſitzt ſie eminent. 

Du ſollteſt ſie, ſtatt ſo dich zu vergraben 

Und trauriger als deine Hinterſaſſen 

Zu leben, dies und das dir leſen laſſen!“ 


Doch er gab Antwort: „Kinder! nicht beſäß' ich 
Den Stolz, der mehr als Alles Fürſten ziert, 
Wenn euerm Rath ich folgte! Wie vergäß' ich, 
Daß mir dies Mädchen tief ſubordinirt?“ 

Allein zuletzt, da lang er ſtandesmäßig 

Sich über alle Maßen ennüyirt, 

(Selbſt das Quartett half nichts dagegen) ſchmolz 
So weit, daß er dem Rath nachgab, ſein Stolz. 


Verſchrieben alſo wurden aus Berlin 
Die neuſten literariſchen Produkte, 
Die, weil als Meiſterwerke ausgeſchrien, 
Man hundertfältig druckt' und wieder druckte; 
Wenn dazumal zu des Geſchmacks Ruin 
Das Publikum ſie mit Begier verſchluckte, 
Greift jetzt nicht eine Hand mehr in den Säckel, 
Um ſie zu kaufen; ſtaubig iſt ihr Deckel. 


Berühmte ihr von heute, die der Laune 
Des Tags ihr euern Ruhm verdankt, da ſeht 
Eur künft'ges Loos! Des Tagesruhms Poſaune 
Iſt für die Zukunft noch kein Schiboleth; 
Man bricht Unſterblichkeit nicht ſo vom Zaune, 
Glaubt mir, wenn man mit heiſrer Stimme kräht, 
Der Leſewelt verwöhnte Nerven kitzelt 
Und in ein Feuilleton Novellen kritzelt! 


— 356 — 


Kaum noch der Novelliften und der Sänger 
Von damals kennt man Einen. Ein Jahrzehnt 
Unſterblich waren ſie, jedoch nicht länger, 

Bei ihren Werken hat man dann gegähnt; 
Erblickt in ihnen eure Doppelgänger! 

Die ſich die Meiſter ihrer Zeit gewähnt, 
Verſchlungen nun — und Viele waren beſſer 
Als ihr — hat fie des Letheſtroms Gewäſſer. 


Die Nachwelt einzig iſt der ächte Richter. 
Wo iſt mit ſeinen myſtiſchen Karfunkeln 
Nun Werner hin? Wo ſind die Schickſalsdichter? 
Doch Andre ſtrahlten, die verkannt im Dunkeln 
Gelebt, ſeitdem empor als helle Lichter, 
Um fixſterngleich durch alle Zeit zu funkeln. 
Fouqué und Müllner haben Ruhm genoſſen, 
Als Kleiſt ſich in Verzweiflung todtgeſchoſſen. 


Aus Büchern, welche damals Mode waren, 
Las alſo Emma, wie der Fürſt befahl, 
Ihm täglich vor — die Titel zu erfahren 
Vermocht' ich nicht; Auflagen ohne Zahl 
Davon in hunderttauſend Exemplaren 
Sind für die Mäuſe jetzt ein leckres Mahl — 
Er gähnte unaufhörlich, aber fand 
Der Ehre halber Alles amüſant. 


In Wahrheit gab er wenig darauf Acht, 
Denn ſchwer von Sorgen war ſein Herz beklommen, 
Und ohne Schlummer lag er manche Nacht, 
Da er von ſeinem Karl noch nichts vernommen; 
Schon ward ihm der Gedanke nah gebracht, 
Auf ſeiner Reiſe ſei er umgekommen, 
Denn immer wurde noch von einem Brautpaar 
Am Petersburger Hofe nichts verlautbar. 


Trüb' alſo trotz Muſik und trotz Lectüre 
Hin lebt' er bis der nächſte Lenz begann, 
Und einen neuen Faden die Walküre 
Am Schickſal ſeines hohen Hauſes ſpann. 
Der Fürſt vernahm vor ſeines Zimmers Thüre 
Einſt Morgens Streit, wie ſein Lakai Johann 
Den Eingang einem fremden Mann verwehrte, 
Der heftig Zutritt zur Durchlaucht begehrte. 


Das Lärmen wächst; dabei Gebell der Hunde; 
Forthetzen will den Fremden der Lakai; 
Der Fürſt, erſtaunt, wer in ſo früher Stunde 
Bis in ſein Vorgemach gedrungen ſei, 
Tritt aus der Thür, und ſieh! ein Vagabunde 
In Lumpen, wohl der Haft der Polizei 
Entſprungen, ſucht ſich Bahn zu ihm zu brechen. 
„Hinweg mit ihm! welch unerhört Erfrechen!“ 


Es rufts der Fürſt; doch Jener drauf: „Durchlaucht! 
Muß ich erſt als Graf Lorm mich Ihnen nennen? 
Hätt' ich den letzten Athem doch verhaucht, 

Eh ichs erlebe, daß Sie mich nicht kennen!“ 
Und wie der Fürſt ihn anblickt, wirklich taucht 
Ihm ein bekanntes Antlitz auf; es trennen 
Aus fremder Maske ſich die alten Züge; 

Daß das Graf Lorm, fürwahr iſt keine Lüge. 


Sogleich nach ſeinem Sohn drängt ſich die Frage 
Auf ſeinen Mund; den Grafen mit der Fauſt 
Packt er und ruft: „Verräther! Schelm! nun ſage, 
Der du mich anzuſehn dich nicht getrauſt, 

Was ward aus meinem Karl? Von Tag zu Tage 
Hofft' ich umſonſt Nachricht von ihm; mir graust 
Vor deinem Anblick, wie vor dem von Mördern; 
Zum Hochgerichte werd' ich dich befördern.“ 


— 358 — 


„Weh mir“, ruft Jener, „muß ich ohne Mildrung 
Die Wuth des Schickſals bis zuletzt ertragen? 
Am Leben iſt Ihr Sohn, doch eine Schildrung 
Iſt möglich kaum der Noth und tauſend Plagen, 
Die mich in dieſen Zuſtand der Verwildrung 
Zuletzt verſetzt! Zu den Anthropophagen, 
Ja in die Hölle reiſ' ich künftig lieber, 
Als zu den Ruſſen — weh! ich habe Fieber! 


„Auf Ihrem Gut, Durchlaucht, nur eine Hütte, 
Ein Krankenlager gönnen Sie mir nur!“ 
Daß Wahnſinn heillos ihm den Geiſt zerrütte, 
Vermeint der Fürſt; weichherzig von Natur 
Jedoch, wie ſollt' er weigern ihm die Bitte? 
Nach einem Arzte, daß er in die Kur 
Ihn nehme, ſendet er und räumt im Schloſſe 
Ein Wohngemach ihm ein im Erdgeſchoſſe. 


Den Dienern, denn er ſcheut ſich vor dem Tollen, 
Giebt er Befehl, daß ſie ihn ſtreng bewachen 
Und ihm Zutritt zu ihm verwehren ſollen; 
Auch hüten die des Kranken Thür wie Drachen, 
Doch da der Arzt verſichert, daß er vollen 
Bewußtſeins ſei, was läßt ſich weiter machen? 
Fremd iſt dem Fürſten Alles, unverſtändlich, 
Und, was geſchehn, erfahren will er endlich. 


Doch bleibt ſein Herz von Sorgen noch beklommen. 
Erlaubt die Etikette, Dem, der leider 
So tief, unglaublich tief herabgekommen, 
Audienz zu geben? Erſt wird drum vom Schneider 
Ihm Maß zu einem Staatshabit genommen, 
Sodann, als Lorm die tiefzerlumpten Kleider 
Mit einem Frack vertauſchen kann, in Gnaden 
Wird er zur fürſtlichen Audienz geladen. 


— 359 — 


In aller Form hat Statt die Reception; 
Dreimal verneigt der frühre Gouverneur 
Sich tief und hebt ſo an mit dumpfem Ton: 
„Durchlaucht vergönnen gnädig mir Gehör, 
Doch weiß ich nicht, bei Gott, wie den Sermon 
Beginnen oder enden, Monſeigneur! 
Was ich erlebt, iſt über das Begreifen 
Und ſcheint das Reich des Mythiſchen zu ſtreifen.“ 


Ins Wort fällt ihm Fürſt Friedrich und begehrt 
Nachrichten über ſeinen Sohn vor allen: 
„Ihr Schweigen hab' ich daraus mir erklärt, 
Daß unterwegs Unfälle Sie befallen, 
Doch von der Fahrt nicht, die ſo lang gewährt, 
Nein vom Empfange in den Kaiſerhallen 
Erzählen Sie, wie ſie im Feſtſchmuck prangten, 
Als Sie mit Karl nach Petersburg gelangten. 


„Wann ſeine Hochzeit iſt, will ich erfahren, 
Und ob er gleich, wie ich vermuthen muß, 
Zur Kaiſerlichen Hoheit von dem Czaren, 

So wie zum Gouverneur des Kaukaſus 
Erhoben ward. Was Ihre Fata waren, 
Berichten können Sies mir dann am Schluß.“ 
So er; allein, als ob er ihn nicht hörte, 
Fährt alſo fort Graf Lorm, der ſinnverſtörte: 


„O dieſes Rußland! Eine Tigerhöhle, 
Ein einziges Schaffot und Hochgericht 
Iſt es; und, wenn Gott ſelber mir beföhle 
Dahin zu reiſen, wahrlich thät' ichs nicht, 
Nein ließe eher mit dem letzten Oele 
Mich ſalben. Podagra wünſch' ich und Gicht, 
Die dort bei den Mongolen, den Tartaren 
Ich mir geholt, dem Volke von Barbaren!“ 


— 360 — 


Der Fürſt fällt ein: „Es will mir nicht geziemen, 
Sie anzuhören? Wie? ein Apoſtat 
Sind Sie von Ihren eignen Rechtsmaximen 
Und ſchmähen Rußland, jenen Muſterſtaat? 
Wird hochgeehrt von allen legitimen 
Monarchen nicht der mächt'ge Autokrat, 
Und ſchloſſen, um wie er patriarchaliſch 
Zu herrſchen, ſie nicht einen Bund in Kaliſch?“ 


Darauf Graf Lorm: „Nur auf vollſtänd'ge Data, 
O Fürſt, fällt der Gerechte ſein Verdict; 
Darum vernehmen Sie des Prinzen Fata, 
Seitdem Sie auf die Brautfahrt ihn geſchickt; 
Als ohne Beiſpiel ſtehn ſie in der That da. 
Sogleich, als man an Rußlands Gränzdiſtrikt 
Uns führte zu dem erſten Paßbureautiſch, 
Erkannt' ich: Willkür herrſcht dort alldeſpotiſch. 


„Doch ich verwirre mich. In Huld ergänzen, 
Fürſt, werden Sie, was mir an Klarheit fehlt. 
Von vorn an denn! Prinz Karl, als Rußlands Gränzen 
Wir nahten, ſah, von Freude ganz beſeelt, 
Im Geiſt ſchon Kiews goldne Kuppeln glänzen 
Und mit der Kaiſertochter ſich vermählt; 
Er kniete hin, dem Reich der Moskowiten, 
Dem langerſehnten, ſeinen Gruß zu bieten: 


„Heil, Land der Herrſchermacht, der abſoluten, 
Das dem legitimiſtiſchen Princip, 
Indeß im Sturm die andern rathlos fluthen, 
Allein ein feſter Hort auf Erden blieb.“ — 
Er rief es und, von Freude ſtrahlend, ruhten 
Auf Rußlands Farben, ihm vor allen lieb, 
Die Augen ihm, als er zum erſtenmale 
Sie leuchten ſah an dem Barrierenpfahle. 


—u satin? 


„Auf einmal da, Durchlaucht'ger, wie Harpunen 
Auf einen Wallfiſch in des Nordens Meer, 
Auf ihn gerichtet ſah ich bei Eydtkuhnen 
Der Bajonette hundert oder mehr. 
Ich ſchrie: „Hält man für einen Volkstribunen 
Den Prinzen? Auf der Brautfahrt kommt er her; 
Daß Hand an ihn man legt, iſt ein flagranter 
Rechtsbruch, und rächen wird es ſein Geſandter. 


„Lernt erſt, was Sproſſen älteſter Geſchlechter, 
Was deutſchen Prinzen an Reſpect gebührt!“ 
Ich riefs; allein die Antwort war Gelächter. 
In einen Hofraum werden wir geführt 
Und ſehen einen Haufen Halbbezechter 
An einem Feuer, das man emſig ſchürt; 
Dort ihn — hochauf beginnt mein Blut zu ſieden — 
Und mich in Eiſenketten will man ſchmieden. 


„„Hier iſt ein Irrthum! holt den Commandanten!“ 
Ruf' ich und kann vor Wuth kaum Athem holen. 
Da vor tritt Einer und in fulminanten 
Zornworten ſpricht er: „Ich hab' es befohlen, 

Zu gut nur kenn' ich Sie als Tumultuanten; 
Zum Aufruhr haben Sie gehetzt die Polen, 

Kaum aber ſahn Sie die Entdeckung drohen, 
So ſind nach Preußen Sie geheim entflohen.“ 


„Verleumdung! Lüge! Ueber alles Maß 
Geht das hinaus! ſchrie ich; ſo reſpectiren 
Sie doch den preußiſchen Regierungspaß!' 
Doch er lacht laut: ‚Mit ſolcherlei Papieren 
Bleibt mir zu Haus! Ich kenne den Ukas 
Allein, der mir befiehlt, zu vigiliren, 

Daß Keiner uns der Revolutionäre 
Entgeht; und nun genug von der Affaire!“ 


„Der Prinz ruft wüthend: „Die ihr an der Werbung 
Um die Czarewna ſo mich hindern wollt, 
Wißt, daß in meinen Adern durch Vererbung 
Das Blut Wodans und der Gepiden rollt, 
Daß hochconſervativ wie ich von Färbung 
Kein Andrer iſt.“ — Allein nicht Mitleid zollt 
Man ihm; bald ſieht er, da iſt nichts zu machen; 
Was er auch ſagt, man hört ihn an mit Lachen. 


„Ich bei dem Allen glaubte bald verrückt 
Zu ſein und fühlte Fieberfroſt mich ſchütteln, 
Bald wollt' ich ſchreien, wie vom Alp gedrückt, 
Man möchte aus dem grauſen Schlaf mich rütteln. 
Bei uns ſtand ein Soldat, das Schwert gezückt, 
Und unſer Jeder ward umringt von Bütteln, 
Die beide Arme feſt mit Eiſenringen 
Uns feſſelten, an denen Ketten hingen. 


Wir wollten ſchrein, doch konnten einzig ſtöhnen; 
Der Worte jedes ward erſtickt von Röcheln. 
Geduld! Sie werden ſich daran gewöhnen, 

Nur ruhig!" ſprach der Commandant mit Lächeln, 
Und noch auf ſeinen Wink, das Werk zu krönen, 
Mit Eiſenreifen an der Füße Knöcheln 

Belaſtet wurden Beide wir, die mitten 

Bis in der Knochen Mark uns ſchmerzhaft ſchnitten. 


„Dann — und wie Fieberkranke in Delirien 
Sah ich die Welt ſich wirbelnd um mich drehn — 
Erſcholl der Ruf: Nun auf! fort nach Sibirien!“ 
Und uns mit Hieben zwang man aufzuſtehn; 
Wenn es Sie tröſten kann, gern an die Ihr'gen 
Beſtell' ich einen Gruß; auf Wiederſehn!“ 

Rief noch der Commandant dem Prinzen nach, 
Als vor der Hofthür er zuſammenbrach. 


— obs — 


„Nicht gehen ließ ſich bei der Ketten Laſt, 
Allein ein ſtämm'ger Kerl kam uns zu packen 
Und trug in die Kibitke uns in Haſt. 
Drin ſitzen mußten wir mit krummem Nacken, 
Ein Zwerg ja hätte kaum hinein gepaßt; 
An jeder Seite hielten zwei Koſacken 
Und um uns ſcholls: „Sie find ja nicht die Erſten! 
Glück auf die Reiſe von dreitauſend Werſten!“ 


„Ein geller Pfiff ſodann, und vorwärts ſauſend 
Bei Peitſchenknallen gings wie der Orkan. 
Ein Tag, den wir, in dieſem Käfig hauſend, 
Zerriſſen von der Ketten ſcharfem Zahn 
Verbrachten, o ſchien länger uns als tauſend, 
Und, wenn man Raſt uns, denn man war human, 
Verſtattete, ſo dienten, um das Grauſen 
Der Fahrt nachher zu mehren, nur die Pauſen. 


„In wilder Wuth die beiden Fäuſte ſchlug 
Ich, bis ſie wund, an der Kibitke Wände. 
„Halt, halt! Barmherzigkeit! es iſt genug; 
Schrie ich, und ſtreckte flehend aus die Hände, 
Doch weiter, immer weiter donnernd trug 
Der Wagen uns, als gings ans Weltenende, 
Und das Geroll, vom Fuße bis zur Stirne 
Hinzitternd, hallte wieder im Gehirne. 


„In Dörfern, wenn am Weg ſich Menſchen fanden, 
„Helft!“ riefen wir, ‚ſchuldlos find wir bei Gott!“ | 
Doch unſre Worte wurden nicht verſtanden, 

Sie hatten Haß allein für uns und Spott 

Und hielten uns in unſern Eiſenbanden 

Für arge Frevler, reif für das Schaffot, 

Ja wünſchten wohl, mehr noch von ſolchen Räubern 
Und Mördern möge man die Gegend ſäubern. 


u 22, — 


„So Tag und Nächte vorwärts weit nach Norden 
Gelangten wir in unwirthbare Strecken, 
Durchſtreift von der Burjäten wilden Horden; 

Da kamen zu den alten neue Schrecken; 
Tief Winter war es dort bereits geworden, 
Und allhin lagen ſchon die Eiſesdecken; 
Allmächtig ſchien in jenen Regionen 

Der Tod, der grauſe Autokrat, zu thronen. 


„Durch Oeden, ſelber im Auguſt nicht ſchneelos, 
Fort ging es ohne Raſt; wie war mir da, 
Wenn ich den Prinzen, ſtatt in Zarsko-Selos 
Prachtſälen, neben mir in Ketten ſah! 
Erliegen müßt' er ſolchem Elend fehllos, 
Dacht' ich und glaubt' ihn oft dem Tode nah — 
O vor dem Anblick ſchwand mein eignes Leiden; 
War er doch der unſeligſte von Beiden. 


„Vertauſcht ward die Kibitke mit dem Schlitten, 
Das Roßgeſpann mit ungeheuren Hunden; 
Die Wächter, die an unſrer Seite ritten, 
Lösten ſich ab, ſie trugen es nur Stunden; 
Jedoch wie lang wir ſo dahingeglitten, 
Aus dem Bewußtſein iſt es mir geſchwunden; 
Nicht weiß ich, ob es Wochen, Monde waren, 
An Schrecken wurde jeder Tag zu Jahren. 


„Und dann die Nächte erſt, wie grauſenvoll, 
Wenn durch den Sturmwind, der den Schnee in Säulen 
Aufwirbelte, vor dem Gefährt wie toll 
Die Hunde ſchnoben, und das heiſre Heulen 
Blutgier'ger Wölfe um uns her erſcholl; 
Rechts, links und hinter uns in ſchwarzen Knäulen 
Sahn wir der Beſtien Rudel und durchs Dunkel 
Der gier'gen Augen röthliches Gefunkel. 


— 365 — 


„Das Blut ſtand uns erſtarrt in allen Venen; 
Sieh! nah ſchon ſind ſie! wie ihr Zahngebiß 
Weiß durch die Nacht blitzt! wie die Rachen gähnen! 
Schnell vorwärts, ſonſt iſt uns der Tod gewiß! — 
Doch wars nicht beſſer, daß mit ſeinen Zähnen 
Uns ſolch gefräß'ges Ungethüm zerriß, 
Als daß fürs Ende der Entſetzensfahrt 
Zu ſchlimmerm Loos wir wurden aufgeſpart? 


„Ein Mörder nur — Fürſt, ich betheur' es Ihnen — 
Wenn in der Nacht, wo ſein der Henker harrt, 
Der Höllenabgrund ihm im Traum erſchienen 
Und jede Fiber ihm vor Schreck erſtarrt, 
Macht ſich ein Bild vom Graun der Bergwerkminen, 
Wohin Ihr Sohn mit mir verurtheilt ward. 
Nertſchinsk — kein Wort, das grauſiger erſchölle, 
Kenn' ich — Nertſchinsk nur iſt die wahre Hölle. 


„O Fürſt, um Gott! bedenken Sie das Eine: 
Der Prinz, ſo herrlichem Geſchlecht entſtammt, 
Von dem Sie wähnten, daß beim Kerzenſcheine 
Im Kaiſerſchloß er tanze, dort verdammt 
Ward er zum Schleppen ſchwerer Erz' und Steine 
Und ich mit ihm. Die Fabeln allgeſammt, 

Die Schreiber von Romanen wohl erfinden, 
Vor ſolcher Wahrheit müſſen ſie verſchwinden. 


„In Sträflingstracht und ſchweren Eiſenklammern, 
Von ſcharfen Ketten Hand und Fuß zernagt, 
Hinab in jene unterird'ſchen Kammern 
Uns ſtieß man, wo ein Morgen nimmer tagt 
Und Wehruf nur erſchallt, Geächz und Jammern, 
Daß ſelbſt dem Muthigſten das Herz verzagt; 
Dazwiſchen Flüche, wüſter Lieder Singen 
Von Wächtern, die die ehrne Geißel ſchwingen. 


— 366 — 


„An Stollenwänden hin, an deren Schwärze 
Sich Qualm hinzog, wie aus dem Höllenſud, 
Dort ſchleppten wir beim Licht der Grubenkerze 
Die Bürden, die der Treiber auf uns lud, 
Schlacken Metalles, zack'ge Steine, Erze; 
Und, wollten ſtillen wir der Wunden Blut, 
Schon harrten unſer — nie ließ man uns raſten — 
Daß wir ſie ſchleppten, neue Centnerlaſten. 


„So oft uns matt die Glieder auch erſchlafften, 
Aufjagte wieder uns der Schrecken bald, 
Denn in den Schlünden, welche ringsum klafften, 
Sahn wir Unthiere, rieſig von Geſtalt, 
Skelette von verſteinten grauſenhaften 
Scheuſalen, Schlangen, wirr zum Knäul geballt; 
Uns war, als wenn ſie ihre Glieder reckten 
Und mit den gier'gen Zungen nach uns leckten. 


„Wohl, am Geſtein das Haupt uns zu zerſchmettern, 
Verſuchten wir, doch hatten nicht die Macht; 
Den Erddämonen, wenn in Grubenwettern 
Ihr Zug verheerend ging von Schacht zu Schacht, 
Oft wohl zujauchzten wir als unſern Rettern: 
„Kommt und begrabt uns in die ew'ge Nacht!“ 
Doch uns vorbei — wir fanden nicht Erhörung — 
Zogen ſie auf dem Pfade der Zerſtörung. 


„Nicht Trank bot man am Tag uns dar noch Speiſe; 

Scholl Abends dann der Ruf: ‚es iſt genug!“ 

So klommen wir die Schachte, Kreiſ' auf Kreiſe, 
Empor, bis Schneeluft uns entgegen ſchlug; 

Und über Felder, ſtarr von ew'gem Eiſe, 

Heimtrieb die Sträflinge in langem Zug 

Der Wächter Chor, um bald zu neuen Schrecken, 
Noch eh' der Morgen anbrach, ſie zu wecken. 


ae 


„Der arme Prinz! Mehr, als ihm zuzumuthen 

Bei ſeiner Jugend, ward ihm auferlegt, 

Wenn ich die Treiber mit den Eiſenruthen 

Ihm drohen ſah, oft rief ich wilderregt: 

„Mich, mich laßt unter euren Streichen bluten! 
Mir ladet noch die Laſt auf, die er trägt!“ 

Bang war mir, daß der Jugendliche, Zarte 

Ein Leiden trüge, das man mir erſparte. 


„Wir zählten lang uns ſchon zu den Verlornen: 
Wie ließ ſich hoffen, daß man jemals frei 
Uns geben werde? Uns der Ungebornen, 
Der Todten Schickſal wünſchten wir herbei. 
Auf einmal da ward kund, daß von Verſchwornen 
Ein Plan zum Aufſtand angezettelt ſei, 
Und ob nun wahr, ob Lüge die Entdeckung, 
Schnell folgten Urtheil und Gerichtsvollſtreckung. 


„Obgleich von hundert Wächtern ſtreng behütet, 
Beladen mit der Eiſenketten Wucht, 
Doch, hieß es, hätten ſie den Plan gebrütet 
Zum Mord der Hüter und zu eigner Flucht. 
Drum mitleidlos ward wider ſie gewüthet, 
Und an dem Eingang in die Bergwerkſchlucht 
Erſchoß man jeden, welchen ein Verräther 
Angab, als Complotteur und Miſſethäter. 


„Vor Tag, wenn man uns in der eiſigkalten 
Dämmrung zum Schacht trieb, beim Vorüberſchreiten 
Sahn wir Gericht die Willkürſchergen halten; 

Wir ſahn an Pfählen ſtehn die Todgeweihten, 
Wir hörten wie die Flintenſchüſſe knallten 
Und prieſen als beglückt die ſo Befreiten. 
Auch uns einſt Abends vor den Gouverneur 
Hinführte man; wir glaubten, zum Verhör. 


„Nun, dachten wir, würd' unſer Elend enden; 
Die Todesſtrafe war uns angedroht, 
Wenn, Briefe in die Heimath zu entſenden, 
Wir wagten; dennoch, trotzend dem Verbot, 
Hatt' ich verſucht, mich, Fürſt, an Sie zu wenden 
Und ebenſo der Prinz, drum, auf den Tod 
Gefaßt, zum Gouverneur hintraten wir 
Und einzig: „macht es kurz! ihn baten wir. 


„Er aber winkte; mir nahm ein Gensdarm 
Die Ketten, die ſo lang an mir geklirrt, 
Auf ſein Geheiß vom Fuße und vom Arm, 
Und ihm ins Antlitz ſtarrt' ich ſinnverwirrt, 
Indeß er ſprach: ‚Wir ſuchten einen Larm, 
Sie heißen Lorm, wie uns berichtet wird; 
Man hatte a ſtatt eines o geleſen, 
Verzeihen Sie! ein Irrthum iſts geweſen.“ 


„Dann von den Feſſeln ward der Prinz befreit, 
Und alſo ſprach der Gouverneur: „An Zügen 
Herrſcht zwiſchen Ihnen große Aehnlichkeit 
Und einem Sohn Dembinskis; mit Vergnügen 
Zu conſtatiren bin ich jetzt bereit, 

Daß Sie ein Andrer ſind, und werd' es rügen, 
Daß die Beamten das Verſehn begangen; 
Dembinskis wahrer Sohn ward ſchon gefangen. 


„Sie können reiſen nun, wohin Sie wollen, 
Adieu! — jetzt führt den Delinquenten vor!“ 
Er ſprachs und winkte uns zu gehn. Gleich Tollen 
Hinſchritten wir durch das Soldatencorps. 
Wohl unſern Sinnen war das Wort erſchollen, 
Doch dachten wir: getäuſcht hat uns das Ohr, 
Es kann nicht ſein! — Erſt nach und nach zu faſſen 
Gelang uns, daß wir wirklich freigelaſſen. 


— 369 — 


„Was konnten wir nun thun? Nach Hauſe ſchreiben, 

Daß man uns Mittel für die Heimfahrt ſchicke, 

Und, ſie erwartend, in Sibirien bleiben? 

Nein, beſſer, als dort auch nur Augenblicke 

Noch zu verweilen, ſchiens ſich zu entleiben; 

So traten wir, vertrauend dem Geſchicke, 

Den Heimweg an mit unſrer Habe Reſten; 
Vieltauſend Werſte ging er gen Südweſten. 


„Wie wir dann hin durch unwirthbare Zonen 
Geirrt, die kaum zuvor ein Fuß betreten, 
Wie uns in jenen wüſten Eisregionen 
Vom Tod gerettet ſchweifende Burjäten, 
Wie wilde Stämme, die am Ural wohnen, 
Wir bettelnd um Barmherzigkeit gebeten, 
Verſtatten Sie mir, Fürſt, davon zu ſchweigen! 
Mein Antlitz mag, was ich erlebt, bezeugen. 


„Auf Knieen prieſen wir die Himmelsmächte, 
Als nach und nach der eiſ'ge Boreas 
Nachließ und nun die Fackel unſrer Nächte, 
Der blut'ge Schein des Nordlichts, mählig blaß 
Und bläſſer wurde. Jenem Land der Knechte 
Noch ſchwuren wir beim Abſchied ew'gen Haß. 
Brich, Ocean, die Deiche, die dich dämmen, 
Vom Erdenboden es hinwegzuſchwemmen! 


„Doch mir ſelbſt war zu groß die Wuth des Prinzen; 
Ich fürchtete Gefahr, wenn laut und ſcharf 
Er ſeinem Grimm Lauf ließ und ſchmähnd die Münzen, 
Drauf er des Czaren Bild ſah, niederwarf. 
Vor Allem in den polniſchen Provinzen, 
Wo man kein freies Wörtchen wagen darf, 
War ich beſorgt; erſt als die Grenzenpfähle 
Ich ſah, ward mehr beruhigt meine Seele. 
Schack, Geſ. Werke. III. 24 


are 


„Allein — Durchlaucht, wie ſoll ichs Ihnen künden? — 
Auf deutſchem Grund nicht hindern konnt' ich ihn, 
Mit den Verſchworenen ſich zu verbünden, 

Die Tag für Tag aus Polen dahin fliehn, 

Um neu von dort den Aufruhr zu entzünden; 

Die Sache wurde ruchbar in Berlin, 

Und jetzt zu Graudenz innerhalb der Wälle, 
Fürſt, ſeufzt Prinz Karl in dunkler Feſtungszelle.“ 


Der Fürſt, als ers vernahm, ſtand wie vernichtet; 
So ſehr nicht von dem Leiden, das ſein Sohn 
Ertragen — meiſtens ſchien es ihm erdichtet — 
Ward er gerührt, allein o Schmach und Hohn! 
Daß der, der ſeinen Blick ſo hoch gerichtet, 

Den er ſchon nah gewähnt dem Kaiſerthron, 
Geſunken nun zum Revolutionäre, 
Welch ſchwarzer Fleck auf ſeines Hauſes Ehre! 


Als Kainsmal erſcheint es ihm, und brennen 
Muß es für ewig auf des Frevlers Stirne. 
Er ſchwört, Karl minder noch hinfort zu kennen, 
Als Otto, der ſich einer Tänzerdirne 
Vermählt, ja ſeinen Namen nie zu nennen. — 
Lang ſtand er ſo mit ſchwindelndem Gehirne 
Und ließ den Grafen Lorm auf Antwort harren; 
Das Wort auf ſeinem Mund ſchien zu erſtarren. 


„Das Herz hat Ihr Bericht mir, Graf, zerſchnitten — 
So redend bot er endlich ihm die Hand — 
„Sie haben viel, ich glaub' es gern, gelitten, 
Seit ich auf jene Reiſe Sie geſandt; 
Allein um Eins muß ich Sie dringend bitten: 
Schmähn Sie mir deshalb nicht das edle Land! 
Rußland bleibt alles deſſen unbeſchadet 
Ein Muſterſtaat, vom Himmel hochbegnadet. 


55 


„Kann man denn in der Revolutionäre 
Verfolgung jemals allzu eifrig ſein? 
Zwar wer um deshalb Leiden von der Schwere, 
Wie Sie, ertragen hat, das leuchtet ein, 
Mag kurz verſtimmt ſein, aber ſich zur Ehre 
Anrechnen wird er die erlittne Pein; 
So, wie das ſelbſtverſtändlich, ziemts dem Chriſten 
Und, was identiſch, dem Legitimiſten.“ 


Noch dies und jenes wollte Lorm erwidern, 
Jedoch Fürſt Friedrich ſchnitt ihm ab das Wort. 
„Herr Graf! ich ſchätze Sie von je als biedern, 
Achtbaren Mann“ — ſo fuhr er höflich fort — 
„Beſuchen Sie, auf daß aus Ihren Gliedern 
Die Gicht entweiche, einen Badeort! 

Die Mittel geb' ich Ihnen, die Sie brauchen, 
Damit Sie ſich in Wildbads Quellen tauchen.“ 


So ward, als lau die Frühlingslüfte wehten 
Und in der Mark ſelbſt aller Schnee zerſchmolz, 
Von Lorm die Fahrt nach Wildbad angetreten. 
Fürſt Friedrich blieb mit tiefgebeugtem Stolz 
Auf ſeinem Schloß und ſann noch bis zur ſpäten 
Nachtſtunde trauernd, wie zum dürren Holz 
Sein Fürſtenſtammbaum abzuſterben drohe — 
So ſchwindet auf der Erde alles Hohe. 


Für Nikolas und Otto Hoffnung hegen 
Kaum darf er mehr; nun auch in Karl ſo ſchändlich 
Betrog er ſich! Nach ſolchen Schickſalsſchlägen 
Scheint gänzliches Verzagen unabwendlich; 
Allein, ſo wie ein welkes Blatt beim Regen, 
An einem neuen Plane richtet endlich 
Sein Herz ſich auf; bleibt nicht im jüngſten Sohn 
Ihm Hoffnung noch auf würd'ge Succeſſion? 


— 372 — 


Vor dem Gedanken nun muß Alles weichen. 
Wenn Abends zum Quartett die Stunde ſchlägt, 
Läßt er die Geiger ihre Saiten ſtreichen, 

Doch kommt nicht in den Saal, wie er gepflegt; 
Auch ſtehen bei dem letzten Leſezeichen, 

Das Emma nach Gewohnheit eingelegt, 

Bleibt er in Sues „unſterblichem“ Romane; 

Er brütet einzig über ſeinem Plane. 


Als er zuletzt gereift — ſchon rückte Pfingſten, 
Das ſchöne Feſt heran — ſprach ſo der Fürſt 
Zu Max: „Zwar nenn' ich dich der Söhne jüngſten, 
Doch, daß die ältern du beſchämen wirſt, 
Daß du dich nimmer auch nur im geringſten 
Von unſres Hauſes Tradition verirrſt, 
Das iſt der Glaube, der in dieſer Welt 
Des Irrſals mich allein noch aufrecht hält. 


„Auf dich, mein Max, ich muß dich deſſen mahnen, 
Auf dich als unſres hohen Stammes Halter 
In langer Reihe ſchauen deine Ahnen, 
Vor denen Grafen noch im Mittelalter, 
Ja Fürſten, ſich gebeugt als Unterthanen, 
Und alle flehen zu dem Schickſalswalter, 
Es möge unſer Haus in der feudalen 
Ehrwürd'gen Pracht durch dich von Neuem ſtrahlen. 


„So höre denn! Zu Pfingſten — dieſe Kunde 
Entnahm ich aus dem Pommerſchen Mercur — 
Begeben wird Prinzeſſin Kunigunde 
Nach Interlaken ſich zur Molkenkur. 

Aus herrlichem Geſchlecht, das lang am Sunde 
Geblüht und durch Secundogenitur 

Abſtammt vom alten Königshaus der Dänen, 
Iſt ſie verwandt mit allen Souveränen. 


ur 76 


„Wenn ihres ſich mit deinem Wappenſchilde 
Vermählt, welch Glück für mein erlauchtes Haus! 
Wohlauf denn! in Helvetiens Gefilde, 

Die juſt im Schmuck des Lenzes blühn, zieh aus! 
Der Fürſtin Mutter bring — ſie heißt Clotilde — 
In meinem Namen einen Blumenſtrauß 

Und ſprich, ich ſei, wie ehmals auf dem Wiener 
Congreß, noch ſtets ihr unterthän'ger Diener. 


„Dann zur Prinzeſſin — doch dein Mutterwitz 
Wird ſchon dich lehren, wie man ſich als Freier 
Benehmen muß; was iſt mein Reden nütz? 

Vor meinem Auge lichtet ſich der Schleier, 

Und ſchon auf Kunigundens Herrſchaftsſitz 
Bereitet ſeh' ich dir die Hochzeitsfeier. 

Zieh hin, mein Sohn, und werde zu der Spötter 
Verſtummen unſres Hauſes Ehrenretter!“ 


Prinz Max iſt hochentzüdt von dem Projekt; 
Denn da zum Taktiker und zum Strategen 
Er niemals viel Beruf in ſich entdeckt, 
Sah dem Examen er beſorgt entgegen. 
So nach der Schweiz mit Extrapoſt direkt 
Fuhr er, geleitet von des Vaters Segen. 
Wir aber laſſen ſeines Wegs ihn ziehn 
Und richten wieder unſern Blick nach Wien. 


Glaubwürdig wird von dort uns mitgetheilt: 
Mit den Geſchwiſtern an der Donau Strande 
Hat unterdeß Prinz Nikolas geweilt; 
Doch trotz der Freundſchafts-, der Verwandtſchaftsbande, 
Die feſt ihn halten, längſt hinweggeeilt 
Wär' er zum heißerſehnten Morgenlande, 
Nur möcht' er gern erſt heben die Bedrängniß, 
Die noch ſein Peter ausſteht im Gefängniß. 


— 374 — 


Nach München Brief auf Brief hat er geſendet, 
An Herrn von Luchs, ja ſelbſt an die Miniſter, 
Die Bayerns Staatswohl hüten, ſich gewendet, 
Doch Alles blieb umſonſt; ſein langvermißter 
Leibdiener langt nicht an, und ſchließlich endet 
Ihm die Geduld; er tritt vor die Geſchwiſter 
Und kündet ihnen, in den nächſten Tagen 
Werd' ihn der Dampfer gegen Oſten tragen. 


Was für ein Seelendrang als Argonauten 
Ihn alſo in den Orient treibe, läßt er 
Vor Otto und Aslauga nicht verlauten; 
Er fürchtet Hohn von Bruder und von Schweſter 
Und hegt den Wunſch doch, einem Herzvertrauten 
Zu künden, vor ihm ſtrahle ſtets als feſter 
Leitſtern die Hoffnung noch, in weitentlegnen 
Regionen ſeinem Traumbild zu begegnen. 


In einem Keller ſitzen einſt am Graben 
Der Prinz und Erich, an des Ungarweins 
Gluthvollem Trank ſich beim Geſpräch zu laben; 
Leid thut mir, ich geſteh's, dabei nur eins, 
Daß mich die Zwei nicht mitgenommen haben; 
Als Lebenslabſal dünkt ſo ſchön mich keins, 
Wie bald in ernſter Zwieſprach, bald mit Lachen 
Beim Becher Weins die Nacht zum Tag zu machen. 


Denn neu, ſo wie in einem Zauberbronnen, 
Verjüngen wir uns in der goldnen Fluth, 
Und an den Strahlen längſt erblichner Sonnen, 
Davon der Wein in ſich die Flammengluth 
Geſogen hat, erblühen alte Wonnen, 
Die ſtarr in unſrer Seele lang geruht; 
Die ſchönſten Stunden, die je unſer waren, 
Entſteigen wieder den verſunknen Jahren. 


aa 


Laut wirds um uns von Stimmen, lang verklungen, 
Indeſſen Becher an den Becher hallt, 
Und uns von ſeligen Erinnerungen 
Wie Hoffnungen die Lippe überwallt; 
Des Weines Geiſter haben tauſend Zungen, 
Die das Geheimſte ſelbſt dem Freunde bald 
Vertraun. So hebt vor Erich beim Tokaier 
Der Prinz von ſeiner Seele denn den Schleier. 


Er hat vergeſſen, daß mit ſcharfem Spotte 
Der Freund ihn ſchon verhöhnt ein frühresmal; 
Auch jetzt ſcherzt Erich über die Marotte: 
„Bevor du ſuchſt dein hohes Ideal, 

Studire fleißig eine Polyglotte, 

Denn Sprachen giebts in Aſien ſonder Zahl, 
Und ehe du arabiſch, perſiſch, indiſch 

Gelernt haſt, abzureiſen wäre kindiſch. 


„Auch denk! das Heimathland der böſen Ghule 
Iſt ja der Orient, der argen Dſchinnen — 
Aus Dichtern von des Victor Hugo Schule 
Wirſt du dich ihrer noch gewiß entſinnen! 
Ganz hübſch liest das ſich auf dem Polſterſtuhle, 
Allein in Wirklichkeit, Freund, ſchwer entrinnen 
Nur würdeſt du den feuerſpeinden Drachen, 
Die deine Angebetete bewachen. 


„Wie du lieb' ich das Schwärmen; als Elias 
Im feur'gen Wagen fahr' ich auf im Traum; 
Wie Paris hoff' ich täglich eine Trias 
Von Göttinnen zu ſehn am Bergesſaum; 

In jedem Walde ſuch' ich eine Dryas, 

Und, käme fort bei uns ein Lorbeerbaum, 

Gern ihn umarmt' ich, wie der Sohn der Leto — 
Doch wider dein Projekt einleg' ich Veto. 


Ban: 


„Im Orient, bedenk, giebts keine Poſten, 
Man reist dort zu Kameel, zu Elephant. 
Drum bleib bei uns und ſpare dir die Koſten 
Der weiten Reiſe, die exorbitant! 

Mag Goethe lieber für die Fahrt nach Oſten, 
Mag Rückert lieber bieten uns die Hand, 

Daß mit Suleika, mit dem Kind des Bhima 
Wir ſchwärmen in dem ſchönen Tropenklima. 


„Doch wenn wir unter Palmen, unter Bambus 
Genug geweilt im Urwald Indias, 
Auf unſern Schiller einen Dithyrambus 
Anſtimmen wir, geliebter Nikolas, 
Berauſchen uns an ſeinem mächt'gen Jambus, 
Und leeren auf ſein Wohl ein volles Glas. 
Führt man die Dichter all in die Arena, 
So bleibt doch Sieger der Poet von Jena!“ 


Er ſprichts; der Prinz leiht, in das Naß der Reben 
Hinunterſtarrend, ihm nur halb das Ohr. 
Dann ruft er: „Du verhöhnſt ſie, die fürs Leben 
Ich zum Idol des Herzens mir erkor!“ 
Und, ohne Erich nur die Hand zu geben, 
Von ihm fortſtürzt er, dann hinaus zum Thor, 
Um unterm Sternendache Nachts im Freien 
Sich ganz im Geiſt der Einzigen zu weihen. 


Am nächſten Tage — denn ihm gilt für nichts 
Was Jener prophezeit als Unglücksrabe — 
Zum Land des Sonnenaufgangs und des Lichts 
Zu reiſen eben packt er ſeine Habe, 
Als Peter freudeſtrahlenden Geſichts 
Zu ihm ins Zimmer tritt. „Ei, alter Knabe, 
Durch ein Tedeum muß ichs wahrlich feiern, 
Daß du lebendig dich ſalvirt aus Bayern!“ 


— 377 — 


„O lieber Herr, ausruft der Diener heiter, 
Vergeſſen längſt iſt Alles was ich litt, 
Als Held jetzt ſteh' ich da, als Freiheitsſtreiter 
Und bringe eine Bürgerkrone mit; 
Wie dächt' ich noch an das Gefängniß weiter? 
Vernehmen Sie, welch einen großen Schritt 
Die Weltgeſchichte that!“ (auf ſeiner Fahrt 
Hat Peter aufgeſchnappt die Redensart). 


„Die alte Schmach von Como iſt gerochen, 
Und froh kann jene Lola ſein, am Rumpf 
Noch ihren Kopf zu haben! Schon ſeit Wochen 
Gohr wider ſie die Wuth im Volke dumpf: 
Zuletzt ward unſer Kerker aufgebrochen, 
Und uns Gefangne hat man im Triumph 
Befreit, damit wir hülfen, jener frechen 
Hiſpanierin verhaßtes Joch zu brechen. 


„Hin durch die Straßen gings in wildem Toben 
Vor ihr Palais; allein erſtürmt ſchon wars 
Und ward geplündert juſt; mit Seidenroben 
Weithin bedeckt ſchon ſah ich die Trottoirs, 
Und ſtets hernieder aus den Fenſtern ſtoben 
Noch Crinolinen, Hauben, Shawls, Foulards; 
Selbſt leider hatte ſie Reißaus genommen 
Und war verkleidet nach der Schweiz entkommen. 


„So denn von jener argen Tyrannei, 
Die ſie ſo lang in ihre Bande ſchlug, 
Aufathmeten die Münchner wieder frei; 
Und mich als Märtyrer der Freiheit trug 
Man jubelnd fort in eine Brauerei, 
Wo mir die edlen Bürger Krug auf Krug 
Des köſtlichſten Salvatorbiers kredenzten 
Und mich mit einem Hopfenzweig bekränzten. 


„Stolz, Herr, auf dieſe Bürgerkrone bin ich, 
Und bis zum Tod als einen theuern Schatz — —“ 
„Daß ich dich wiederhabe, freut mich innig“ — 
So unterbrach der Prinz ihn in dem Satz — 
„Denn eben neue Reiſepläne ſinn' ich; 

Am beſten iſt, du gehſt ſogleich, uns Platz 
Auf einem Donaudampfer zu belegen; 
Dem ſchwarzen Meere geht die Fahrt entgegen.“ 


Der Diener geht. Des Fürſten Friedrich Sohn 
Bleibt, wie er pflegt, in Träume tief verſenkt 
Am Fenſter ſtehen. Lang dort weilt er ſchon, 
Indem er an ſein Herzenstraumbild denkt; 
Da gegenüber auf den Hausbalkon 
Wird unverſehens ihm der Blick gelenkt; 
An einer niegeſehnen märchenhaften 
Erſcheinung bleibt ſein Auge ſtaunend haften. 


Umwogt von langem dunklem Lockenhaare, 
Das unter grüner, turbangleicher Binde 
Herniederwallt und um die wunderbare 
Geſtalt leichtgaukelnd ſpielt im Morgenwinde, 
Steht dort ein Weib; aus ihrem Augenpaare — 
Wohin nur ſchaun, damit er nicht erblinde? 
Ertragen kann das Keiner auf die Dauer — 
Strömt über ihn ein heißer Strahlenſchauer. 


O ſteht mir bei, ihr Dichter der Aſiaten, 
Du Hafis, hoher Sänger du von Tus! 
Bei der Beſchreibung lad' ich euch zu Pathen, 
Die ich von dieſer Schönheit liefern muß; 
Helft ſchildern mir die Wange von Granaten, 
Den Mundrubin, auf dem ein künft'ger Kuß 
Schon lockend blinkt, die bogengleichen Brauen, 
Von denen Pfeile wirft die Frau der Frauen! 


—ru N 


Von ihres dunkeln Auges Blitz getroffen, 
Stand Nikolas; vor ſich das Paradies, 
Ja alle ſieben Himmel ſah er offen, 
Die der Prophet den Gläubigen verhieß, 
Da ſie, auf ihre Neigung dürf' er hoffen, 
Ihn durch der Zeichen Sprache ahnen ließ; 
Leicht ſolche kabbaliſtiſch-myſteriöſen — 
Aenigmata weiß Liebe ja zu löſen. 


Auf einmal hinter des Balkones Gittern 
Verſchwunden war das himmliſch-ſchöne Weib, 
Und, wie wenn jede Nerve bei Gewittern 
Galvaniſch zuckt, alſo durch Geiſt und Leib 
Ging unſerm Prinzen hin ein mächt'ges Zittern; 
Nachrufen wollt' er der Erſcheinung: „bleib! 

O bleib!“ allein der Ruf erſtarb in Stammeln, 
Und lang noch konnt' er ſich nicht wieder ſammeln. 


Wer war dies Frauenwunder? Er erkannte 
Beim erſten Blick: ein Weib des Orients, 
Und hörte weiter dann: der neuernannte, 

Von Iſtambul erſt ſeit dem letzten Lenz 

Nach Wien verſetzte perſiſche Geſandte 
Bewohne jenes Haus; doch zur Audienz 
Beim Kaiſer, der dort Ruhe von des Staats 
Geſchäften ſuche, weil' er jetzt in Graz. 


Daß bei der Freiheit, die ihm ſo gegeben, 
Dies eine Feſtzeit ſeinem Harem war 
Und eine Schönheit dieſes Harems eben 
Auf dem Balkon erſchienen, ward nun klar; 
O größter Tag in unſres Prinzen Leben! 
Sie, der auf ſeines Herzens Weihaltar 
Ein ew'ges Opfer flammt, hat er geſchaut, 
Gefunden ſeiner Seele hohe Braut. 


— 380 — 


Indeß durchs Fenſter ihn mit milden Lüften 
Der Lenz anweht, und er von ſel'gen Looſen 
Der Zukunft träumt, ſpürt plötzlich er ein Düften, 
Wie Ambra halb, halb wie Eſſenz von Roſen; 
Er kehrt ſich um, und ſiehe! um die Hüften 
Den rothen Gurt, mit weiten Faltenhoſen 
Steht hinter ihm ein junger Orientale; 
Von ſelbſt verſteht ſich Kaftan und Sandale. 


Drei Finger auf die Stirn gelegt, devote 
Huldigungsgrüße ſtammelnd, überreicht 
Ihm ein Billet von Seidentafft der Bote. 
Doch welche Schrift, die keiner andern gleicht! 
Ach! wohl der Römer und der Griechen todte 
Idiome kennt der Prinz, indeß vielleicht 
Nie von der ſchönſten der lebend'gen Sprachen 
Sich Klänge Bahn zu ſeinem Ohre brachen! 


O Perſien, Heimathland der Nachtigallen, 
Der einzig wahren, deren Melodien 
In deinem ſüßen Parſi widerhallen, 
Wie in dem Lied von Chosru und Schirin, 
Wer je gelernt Firduſis Verſe lallen, 
Ihm ſcheinen — ſei der Ausſpruch mir verziehn! — 
Die andern Sprachen als ein Kauderwälſchen 
Elender Stümper, deine nur zu fälſchen! 


Der Prinz ſtarrt lange nach den krauſen Lettern, 
Und, während er ans Herz das Brieſchen preßt, 
Schon glaubt er, überſtäubt von Roſenblättern 
In Schiras' Gartenhain beim Frühlingsfeſt 
Zu ruhen und der Bülbül ſel'ges Schmettern 
Zu hören, die im duftenden Geäſt 
Sich ihm zu Häupten wiegt — allein die Chiffern, 
Die räthſelvollen, kann er nicht entziffern. 


— 381 — 


Zuletzt dann durch den Boten, der ſchon Brocken 

Franzöſiſch aufgefiſcht hat, und durch Blicke 

Und Zeichen nachhilft, wenn die Worte ſtocken, 
Erfährt er von dem nahen Liebesglücke. 

Korane, ſpricht der Sklav', die ihrer Locken 

Als Herzenspfand dem Prinzen eine ſchicke, 

Werd' ihn nach Sonnenuntergang im Garten, 

Der hinter dem Palaſte lieg', erwarten. 


Glücklicher Prinz! Die Reiſe in die Länder 
Des Oſtens ſpart ihm nun das Schickſal hold; 
Hält er in Händen doch die Liebespfänder 
Der Einz'gen, der ſein Herz Verehrung zollt! 
Und weſtlich iſt bis an die Himmelsränder 
Der Sonnenwagen ſchon herabgerollt; 

Sein Herzensſchlag zählt jegliche Sekunde, 
Bis ſie erſcheint, die heißerſehnte Stunde. 


Sobald verſchwunden denn der letzte blaſſe 
Lichtſchimmer, führt der Sklav' den Sehnſuchtvollen 
Bedächtig fort in eine Seitengaſſe. 

Dort hängt an mächt'gen Seilen, die in Rollen 
Sich drehn, ein Korb herab von der Terraſſe, 
Drin ſie den Prinzen aufwärts ziehen ſollen; 
Am Hauptthor leider wachen die Eunuchen, 
Drum gilt es, dieſe Luftfahrt zu verſuchen. 


Mag Allah denn, der in Vorherbeſchlüſſen 
Der Menſchen Schickſal lenkt, den Prinzen leiten 
Und in der herrlichen Roxane Küſſen 
Ein Vorgefühl der Wonnen ihm bereiten, 

Die einſt ihn an den Paradieſesflüſſen 

Erwarten, wenn der Tubabaum mit breiten 
Laubzweigen ihn beſchattet, und im langen 
Glühheißen Kuß die Huris ihn umfangen! 


a. Ve 


Doch weh! das klingt ja ganz muhammedaniſch, 
Als wär' es aus dem Koran überſetzt! 
Ich fürchte, daß ein Schrecken, wahrhaft paniſch, 
Den Leſer faßt, daß er das Buch entſetzt 
Zu Boden wirft und ausruft: „Lange ſpaniſch 
Schon kam mir dein Roman vor, aber jetzt 
Wird es zu arg; du willſt bei Glaubensſchwachen 
Gar für den Islam Propaganda machen.“ 


So weiter gehts im Styl des Torquemada, 
Des Inquiſitors, der mit eigner Hand 
Zehntauſend Ketzerbücher in Granada 
Und hinterdrein die Ketzer ſelbſt verbrannt; 
Doch ich erwidre ſolcher Kanzelſuada: 
„Wohin, zu welchem Volke, welchem Land 
Der Dichter ſchweifen mag, er nimmt davon 
Die Farben an, wie das Chamäleon. 


„In Indien liest er andachtsvoll die Veda 
Und liebt, ſich mit den Büßern zu kaſtein; 
In Hellas ſcheint Zeus' Liebſchaft mit der Leda 
Ein heiliges Myſterium ihm zu ſein; 
In Spanien auf Sevillas Alameda 
Schlägt er ein Kreuz, wenn durch die Pappelreihn 
Der Klang des Ave hallt im Abendwehen, 
Und küßt in Japan Buddhas heil'ge Zehen. 


„So hab' ich vor der Götterwelt Walhallas 
Gekniet als ich des Snorro Sturleſon 
Heimskringla las, ich betete zur Pallas 
Im hehren Säulenhaus des Parthenon, 

Am Nil entflammte zur Verehrung Allahs 
Mich eines Imam feuriger Sermon, 
Und mit Huronen, fern den Menſchenſtädten, 

Vielleicht zum „großen Geiſté noch werd' ich beten.“ 


„ 


Und zu dem Abenteuer nun zurück, 
Das ſich nach Wien verirrt aus Bagdads Nächten! 
Der Prinz, ſich mit der Linken an dem Strick 
Feſthaltend, an dem Korbe mit der Rechten, 
Wagt kühn die Fahrt zu dem erſehnten Glück; 
Nach einem Aufruf zu den Himmelsmächten 
Auf die Terraſſe — ſeis zu ſeinem Heile! — 
Emporgezogen wird er an dem Seile. 


Und ſieh! Entgegen ſtrecken, als er oben, 
Sich ihm zwei Arme, weiß wie Elfenbein, 
Ein Schleier wallt zurück — aus Duft gewoben 
Von einer Peri Hand ſcheint er zu ſein — 
Und nicht zwei Augen, nein zwei lichte Globen 
Ergießen funkelnd wunderbaren Schein 
Auf ihn, ſo daß er fürchtet, ohne Hülle 
Ertragen könn' er nicht des Glanzes Fülle. 


Sie iſt es, ſchlank von Wuchs, wie die Platane, 
Der Frauen ſchönſte, die er je geſehn; 
Auf ihren Lippen ſcheint der Liebe Fahne 
Von einem Gotte aufgepflanzt zu wehn; 
Und, als die Rechte nun ihm beut Roxane, 
Glaubt er im Rauſch der Wonne zu vergehn, 
Ihm iſt, als ob von ihrem Händedrucke 
Ein Blitz elektriſch bis ans Herz ihm zucke. 


Der Peri, welche Nachts an der Ciſterne 
Den Wandrer grüßt — ſo künden Irans Sagen — 
Gleicht dieſes Weib; all ihre Reize gerne 
Hier möcht' ich ſchildern, doch ich darfs nicht wagen; 
Firduſi konnt' es, aber der moderne 
Poet muß der Aeſthetik Rechnung tragen, 
Sonſt trifft ihn Leſſings Vorwurf, er vermiſche 
Das Pittoreske und das Dichteriſche. 


— 384 — 


Die Schöne ſchreitet, während auf die Pfade 
Ein junger Sklave Roſenwaſſer ſprengt, 
Hin durch des Laubgangs luftige Arkade, 
Bis wo, mit bunten Lampen überhängt, 
Auf reicher, purpurprangender Eſtrade 
Ein goldgeſtickter Thronſitz ſie empfängt. 
Zu ſich hernieder zieht ſie dort in vollſter 
Herzfreudigkeit den Prinzen auf das Polſter. 


Die Sprache, die von ihren Lippen thaute, 

Verſtand er nicht, allein wie Harmonie 

Der Sphären oder Klänge von der Laute 
Der Anahid ſein Ohr berauſchte ſie; 

Und daß er kühner ihr ins Antlitz ſchaute, 
Den Arm um ihre Schulter legte, lieh 

Sie ihm den Muth durch ihre holde Rede, 
Denn Liebe athmete der Silben jede. 


Ein Täfelchen dann brachten Aethiopen 
Von denen, dran der Orientale ſpeist, 
Und drauf, genäht in Fell von Antilopen, 
Das köſtliche Gericht, das Chalwe heißt — 
Werth iſt die Speiſe, daß man in die Tropen 
Nur zu dem Zweck, von ihr zu koſten reist, 
Denn das Ambroſia, ich behaupt' es keck, 
Weicht dieſem unvergleichlichen Gebäck. 


Dem Duft gleich, der auf Perſiens Oaſen 
Von Weihrauchſtauden quillt und fluthet, ſchwang 
Sich Myrrhenrauch aus Alabaſtervaſen; 

Und von dem Weine, den Hafis beſang — 
Er funkelte und ſtrahlte gleich Topaſen — 
Ließ, während ſie ihn mit dem Arm umſchlang 
Und erſt den Becher weihte mit den Lippen, 
Roxane den entzückten Prinzen nippen. 


— 385 — 


Ihm war, ſo wie dem Streiter, der gefallen 
Für Allahs Namen in der Glaubensſchlacht 
Und plötzlich unter Köſchken von Kryſtallen 
Nun ſelig in der Huri Arm erwacht; 

Ihr Lockenhaar auf ſich herniederwallen 

Fühlt' er, ſo weich wie Perſiens Sommernacht, 
Indeß wie Duft von Edens Lotosbeeten 

Ihn ihre Athemzüge mild umwehten. 


Auf einmal, als ſein Mund im langen, langen, 
Glühheißen Kuß an ihren Lippen hing, 
Auffuhr Roxane; wirre Stimmen drangen 
Her vom Palaſte durch das Laubgeſchling; 
Nicht hehlen konnte ſie des Herzens Bangen, 
Entwand dem Prinzen ſich, der ſie umfing, 
Und rief, doch dieſer konnt' es nicht verſtehen: 
„Verbirg dich! ſchnell! ſonſt iſts um dich geſchehen.“ 


Herüber tönte zu der Schreckerſtarrten 
Vom Hof, wo Alles durch einander rannte, 
Die Meldung, wider jegliches Erwarten 
Zurückgekehrt ſei Haſſan, der Geſandte; 
Und ſchon, gefolgt von Sklaven, in den Garten 
Auch drang der Wüthende, ſein Auge brannte 
Vor Zorn, die Klinge riß er aus der Scheide 
Und rief den Sklaven zu: „Packt alle beide!“ 


Zunächſt gebot er, daß die Favorite 
Bei Waſſer ſchmachten ſolle und bei Brod, 
Drauf donnernd, ſich geberdend wie ein Seythe, 
Schrie er dem Prinzen zu: „Dich trifft der Tod! 
Ihr, Sklaven, haftet — hört was ich gebiete — 
Mit eurem Haupt für ihn bis Morgenroth! 
Die Büttel holt, in Ketten ihn zu werfen, 
Sein Richtſchwert mag indeß der Henker ſchärfen!“ 
Schack, Geſ. Werke. III. 25 


— 36 — 


Roxane will ihn zu beſänft'gen ſuchen, 
Allein, von ihren Bitten ungerührt, 
Fährt Haſſan fort zu drohen und zu fluchen; 
An beiden Armen wird ſie feſtgeſchnürt 
Und in das Fraungemach von den Eunuchen, 
Den ſtrengen Haremswächtern, fortgeführt. 
Der Prinz, ohnmächtig, ſie aus dieſer Schmach 
Zu retten, ſtarrt ihr in Verzweiflung nach. 


An ſie nur, nicht an ſich ſcheint er zu denken 
Und wäre froh, des Wilden Eiferſucht 
Und Zorneswuth auf ſich allein zu lenken. 
Belaſten läßt mit ſchwerer Eiſenwucht 
Haſſan an Händen ihn und Fußgelenken 
Und ruft: „Schließt feſt die Reife, daß die Flucht 
Unmöglich werde dem verfluchten Giauren! 
Nun, nur noch Stunden wird ſein Leben dauern.“ 


Hinabgeſtürzt in einen finſtern Keller 
Wird der Unſel'ge, kalte Pflaſterſteine 
Sind ſeine Lagerſtatt; o läßt ſich greller 
Ein Schickſalswechſel denken, als der ſeine? 
Und dennoch dünkt die Finſterniß ihn heller 
Als Tageslicht, denn noch vom Widerſcheine 
Erleuchtet wird ſie jener Götterſtunde, 
Als Seligkeit er trank von ihrem Munde. 


Auch hofft er — denn an Harun Raſchids Hofe 
Glaubt er zu ſein, im Reich der Feen und Dſchinnen — 
Gut enden werde noch die Kataſtrophe 
Und er dem Kerker, drin er ſeufzt, entrinnen. 

Er denkt bei jedem Rauſchen, eine Zofe, 

In Liſt geübt, wie alle Perſerinnen, 

Sei nah und werde durch geſprengte Thüren 
Ihn in die Arme der Geliebten führen. 


SS 


Dann fliehen fie vereint, vielleicht zum Rheine, 
Hinunter auf dem Strom in ſchwankem Kahn 
Und weiter, bis der ſel'gen Inſeln eine 
Sie aufnimmt fern im blauen Ocean. 

Da iſt für ihn in ew'gem Sonnenſcheine 
Ein neuer Lebenshimmel aufgethan; 

Die lang Geſuchte, endlich nun gefunden, 
Untrennbar lebt ſie dort mit ihm verbunden. 


So träumend lang noch in Geduld ſich faßt er; 
Doch um ihn her bleibt Alles todtenſtill 
Und, ſtatt in ihrem Arm von Alabaſter — 
Auf ſeine Träume ſcheint es ein Pasquill — 
Noch fort und fort daliegt er auf dem Pflaſter; 
Zuletzt, da ſich kein Retter zeigen will, 
Beginnt der Unmuth ſich in ihm zu regen; 
Er ſieht beſorgt dem Kommenden entgegen. 


Da plötzlich klirrt der Riegel, und ein Neger 
Tritt durch das Thor; im Kerker wird es hell. 
„Auf!“ ruft der Schwarze, „rüſte dich, du Träger! 
Der Henker wartet ſchon auf dich; nur ſchnell!“ 
Am Eingang aber ſtehn zwei Trommelſchläger, 
Von deren Klöpfeln dumpf das Trommelfell 
Erbebt — des letzten Augenblicks Verkünder 
Sind ſie nach Perſiens Sitte für den Sünder. 


Der Prinz muß folgen. Sieh! in des Palaſtes 
Hofraum errichtet ſind zwei Henkerbühnen; 
Ach! armer Nikolas, dies Loos, du haſt es 
Verſchuldet durch dein frevelndes Erkühnen! 
Doch daß in Wien dies möglich iſt, wer faßt es? 
Nächſt den Schaffotten ſtehen zwei Tribünen; 
Denn Haſſan will ſammt ſeinen Secretären 
Das Feſt mit ſeiner Gegenwart beehren. 


Des Hofes Ausgang ſchließt das langgereihte 
Geſinde der Geſandtſchaft als Spalier; 
Auf einer Holzbank nimmt der Todgeweihte, 
So wie befohlen, Platz. Die Augen ſtier 
Am Boden haftend, ſitzt an ſeiner Seite 
Als zweites Todesopfer ein Barbier, 
Der beim Raſiren — unerhörte That! — 
Jüngſt Seine Excellenz geſchnitten hat. 


Dem Prinzen kommt das Ganze bald als fader 
Hanswurſtſpaß vor, bald, wenn es Ernſt ihm ſcheint, 
Kocht ihm das Blut vor Wuth in jeder Ader; 

Doch wie ſich helfen? Alle ſind ihm feind, 

Die ihn umſtehen, außer nur der Bader, 

Der auf der Bank an ſeiner Seite weint. 

„Ach!“ ſchluchzt der Arme, „was hab' ich gelitten, 
Seit aus Verſehn den Perſer ich geſchnitten! 


„In unſrer Zeit, die ſich die Glanzepoche 
Der Welt zu ſein rühmt, kann ein freier Unger 
Alſo behandelt werden? Eine Woche 
Bereits, verſchmachtend faſt vor Durſt und Hunger, 
Hab' ich geſeufzt im unterird'ſchen Loche 
Und um den Kopf nun komm' ich ach! als junger 
Geſell, bevor ich Meiſter noch geworden! 
Verdammt ſei'n dieſe Schufte, die mich morden!“ 


Dann laut aufſchrie der Bader, denn er ſah 
Zwei Henker, welche in den Hofraum traten 
(Stets finden ſolche, wie am Hof des Schah, 
Sich im Gefolg' von Perſiens Diplomaten, 
Doch in den Nebenſtunden hier und da 
Auch drehen in der Küche ſie den Braten — 
Verſteht ſich, das ſind Nebenbeigeſchäfte, 

Dem Köpfen widmen ſie die beſten Kräfte). 


ES 


Nächſt dem Schaffotte mit dem Richterſchwert 
Nimmt Jeder Platz; da ſchallt Tumult und Schrein 
Von außen her, und nach dem Hofthor kehrt 
Der Prinz den Blick, wo in geſchloßnen Reihn 
Das Sklavenvolk den Zutritt Jedem wehrt; 

Er ſieht, gewaltſam in den Hof herein 
Will Einer dringen, und vernimmt ein Zeter— 
Geſchrei; er iſt es, ja das iſt ſein Peter! 


„Geh, Peter, geh, um Hülfe mir zu ſchaffen,“ 
Ruft er ihm zu und ſcheint bei dieſer neuſten 
Wendung des Schickſals neu ſich aufzuraffen. 
Und Jener packt zwei Sklaven mit den Fäuſten 
Und wirft zu Boden ſie mit ihren Waffen; 
Doch andre drängen ach! der Diener treuſten 
Zurück; bald wieder nach des Zwiſchenfalles 
Beſeitigung iſt ſtumm im Hofe Alles. 


Längſt wär' auch die Execution der Beiden 
Vollſtreckt ſchon ohne Urtheil und Verhör, 
Doch an dem Schauſpiel ſelber ſich zu weiden 
Beſchloſſen hat der Herr Ambaſſadeur; 
Die Henker Köpfe von den Rumpfen ſchneiden 
Zu ſehn liebt er einmal als Amateur, 
Und über den Geſchmack läßt ſich nicht ſtreiten; 
Diesmal jedoch, was kommt er nicht bei Zeiten? 


Iſt es, daß er, ermüdet von der Reiſe 
Im Schlafgemach noch in den Federn ſteckt? 
Iſts, daß zum Frühſtück noch die Lieblingsſpeiſe, 
In Roſenöl geſchmortes Huhn ihm ſchmeckt? 
So geht die Frage in der Sklaven Kreiſe. 
Vielleicht auch, daß ihm eine Flaſche Sekt 
Nach Perſerbrauch zum Morgentrunke mundet 
Und er den Beiden drum die Strafe ſtundet. 


ati. = 


Nun ſchmettern vom Palaſte her Drommeten, 
In voller Uniform, ſieh! aus dem Saal 
Mit Secretären, Attachés und Räthen 
Tritt ſeine Excellenz bei dem Signal; 
Und die Eſtrade hat er kaum betreten, 
So wird, da nicht vor dieſem Tribunal 
Appell Statt hat, die Arme feſtgeſchnürt, 
Prinz Nikolas auf das Schaffot geführt. 


Muthvoll hin durch die Reihn der Sklaven ſchreitet 
Der Unglückſel'ge; feſt ſteht ſein Geſchick; 
Gebunden für den Tod, der ihm bereitet, 
Schon wird er an den Pfahl mit mächt'gem Strick. 
Da, während irr umher ſein Auge gleitet, 
An einem Fenſter was gewahrt ſein Blick? 
Roxane ſieht er dort, die Einzig-Eine; 
Ihr großes Auge grade trifft das ſeine. 


Er denkt, daß ſie ein Wehgeſchrei erheben, 
Daß Himmel in Bewegung ſie und Erde 
Für ſeine Rettung ſetzen, um ſein Leben 
Den unbarmherz'gen Haſſan flehen werde; 
Doch ruhig an des Fenſters Gitterſtäben 
Daſitzt ſie, mit gleichgültiger Geberde 
Nach unten ſchaund, und ſaugt den Tabakrauch 
Aus einer Waſſerpfeife breitem Schlauch. 


In Nebeln, welche ſeinen Blick umfloren, 

Erliſcht ihm da das Licht des Tages bleich; 

Mit jenem Weib giebt er die Welt verloren; 

„Nun, Henker, hole aus zum Todesſtreich!“ — 

Doch welches Lärmen außen vor den Thoren? 

Wirrſal im Hofe und Geſchrei zugleich; 

Haſſan, vom Sitz aufſpringend, mahnt die Sklaven: 

„Verrammt das Thor! Mein Hausrecht ſchützt, ihr 
Braven!“ 


— 391 — 


Mit Schall von Trommeln, Pfeifen und Triangeln, 
Muſik in Wahrheit wie der Janitſcharen, 
Antworten ſie: „Wir werden nicht ermangeln, 
Dein Haus zu ſchützen; zähl' auf deine Schaaren! 
Doch weh! ſchon bebt das Thor in ſeinen Angeln; 
Es iſt zu ſpät; eindringen die Barbaren!“ 
Und wirklich treten in den Hof Soldaten 
Trotz Widerſtands der tapfern Aſisten. 


Bewältigt iſt alsbald die wilde Rotte, 
Von Militär wird ganz der Hof beſetzt, 
Und athemlos ſtürzt Peter zum Schaffotte: 
„Durchlaucht, iſts möglich denn?“ ruft er entſetzt, 
„Sie feſtgebunden hier? Beim ew'gen Gotte, 
Man hat ſie köpfen wollen, aber jetzt 
Iſt Alles gut; o ganz gehörig knuffte 
Ich ſchon zur Strafe die verdammten Schufte!“ 


Indem er tauſend, abertauſendmale 
Dem Himmel dankt, der Hülfe noch geſandt, 
Und auf die Perſer ſeines Zornes Schale 
Ausgießt, löst er den Prinzen von dem Band 
Der Stricke; aber fort und fort am Pfahle 
Steht dieſer; Petern reicht er wohl die Hand, 
Der ſich ſo hohes Recht auf Dank erworben; 
Doch iſt ſein Herz für Luſt wie Weh erſtorben. 


Seit ihn die Liebe ſo getäuſcht, ein wüſter, 
Ein fader Traum ſcheint alles Leben ihm; 
Doch der Barbier wirft nach ſo ſchwer gebüßter 
Verſchuldung ſich aufs Knie mit Ungeſtüm 
Und Petern ſo als ſeinen Retter grüßt er: 
„Wenn Menſch und einer nicht der Cherubim 
Du biſt, ſo will — mein Dank iſt überſchwänglich — 
Ich dich umſonſt raſiren lebenslänglich.“ 


— 392 — 


Indeß erklärten Polizeiſergeanten 
Durch einen Dolmetſch, den ſie mitgebracht, 
Höflich, doch kategoriſch, dem Geſandten: 
„Bei uns, mein Herr, beſchränkt iſt Ihre Macht! 
Mit der Humanität, der allbekannten, 
Die Oeſterreich ſich zum Princip gemacht, 
Iſt völlig unvereinbar, Jeder ſiehts, 
Das Henkerweſen und die Hausjuſtiz.“ 


Drauf Haſſan tiefempört: „Ich proteſtire 
Im Namen meines hocherlauchten Schahs 
Und ſämmtlicher Miniſter und Veziere! 
Der Eingriff in mein Recht iſt ohne Maß. 
Wenn ich geſchnitten werde vom Barbiere, 
Ja wenn ein Fant mein Weib umarmt — ich ſahs 
Mit eignen Augen — in Geduld mich faſſen 
Sollt' ich und nicht den Frevler richten laſſen?“ 


Noch weiter ſo parlamentiren Jene, 
Indeß voll Neugier in den Hof ein Schwarm 
Von Volk ſich wälzt, zu ſchaun die ſeltne Scene. 
Aslauga auch kommt an des Gatten Arm 
Und bei des Bruders Anblick Thrän' auf Thräne 
Vergießend, ruft ſie: „Nein, daß Gott erbarm', 
Blaß biſt du, Nikolas, wie eine Leiche! 
Schlimm enden konnt' es mit dem tollen Streiche! 


„Kaum glauben wollt' ichs erſt. Am Fenſter ſtand 
Ich juſt, beſchäftigt mit den Blumentöpfen, 
Da auf der Straße wild daher gerannt 
Kam Peter; kaum noch Athem konnt' er ſchöpfen 
Und ſchrie angſtvoll, als ſtünd' ein Haus in Brand: 
„Helft! helft! fie wollen meinen Herren köpfen! 
Gensdarmen! Polizei! in das Hotel 
Des perſiſchen Geſandten kommt! nur ſchnell!“ 


„ 


Drauf Nikolas zum Diener: „Wahrlich, wacker, 
Mein alter Diener haſt du dich bewährt! 
Nun ohne dich, wohl auf den Todtenacker 
Spedirt ſchon hätte mich des Henkers Schwert.“ 
Von Erich wird inzwiſchen ein Fiaker 
Geholt, und in der Andern Mitte fährt 
Der Prinz nach Hauſe. Dort erſchöpft aufs Lager 
Streckt er ſich nieder; bei ihm bleibt der Schwager. 


Den Hergang ihm erzählend, ſpricht er: „Schilt 
Mich tüchtig, Erich, ruhig will ichs tragen 
Und ſchwöre dir, nie meinem Traumgebild 
Bei Orientalinnen mehr nachzujagen. 
Schon wollte — dran zu denken macht mich wild — 
Der Henker mir das Haupt vom Rumpfe ſchlagen, 
Doch ruhig ſaß Roxane — das begreife, 
Wer es vermag! — und rauchte ihre Pfeife.“ 


Fünftes Buch. 


Die ihr, bald Poſſen ſo wie vor den Faſten 
In Scene ſetzend, bald ein Trauerſpiel 
Allhier eur Weſen treibt in tollem Haſten 
Und dieſem nachjagt oder jenem Ziel, 
Vermögt ihr einen Augenblick zu raſten 
In dieſem immer fluthenden Gewühl, 
So denkt, an welchem Ort das ganze Treiben 
Von Statten geht! Ich will ihn euch beſchreiben. 


„ 


Ein gaſ'ger Nebelſtrom, ein Flammenſchwaden, 
Der uferlos durch alle Räume wallt, 
Reißt auseinander, wird zu Myriaden 
Von feur'gen Klumpen nach und nach geballt; 
Die Kugeln dann, erſtarrt von Grad zu Graden, 
Bedecken ſich mit Rinden, wenn ſie kalt, 
Und berſten wiederum; darauf geſtalten 
Sich andre, neue Bälle aus den alten. 


In dieſer Kugeln kreiſendem Gewimmel, 
In das zerwallt der Flammennebelſtrom, 
Der kleinſten eine denkt euch, in der Himmel 
Unendlichkeit verloren als Atom! 
Auf ihr hinwälzt ſich, Menſchen, eur Getümmel, 
Von ihr, dem Sonnenſtäubchen, aus will Rom 
Im Sturm der Wirbel, die es vorwärts reißen, 
Das unermeßne Weltall ſtillſtehn heißen. 


Gehäuft auf ihr hat ſich der Schutt von Reichen, 
Von Städten und Paläſten, hochgezinnt, 
Der Kampf der Völker ſie bedeckt mit Leichen, 
Seit der Geſchichte wüſter Traum beginnt; 
Nicht Name blieb und nicht Gedächtnißzeichen 
Von hunderttauſend, die geweſen ſind, 
Und einſt gleich eines Traumes Hirngeſpinnſten 
Wird dieſe Kugel ſelbſt in Nichts verdünſten. 


Die Götter alle und die Religionen, 
Die ſie geglaubt auf dem verſchollnen Ball, 
Der Throne Glanz, der Ruhm der Nationen 
Verwehn mit ihm. Von Stern zu Stern durchs All 
Wird von dem Lärmen all der Millionen 
Nur kurz hinſchleichen noch der Widerhall, 
Dann, matt wie eines Mückenſchwarmes Summen, 
Fern in der Unermeßlichkeit verſtummen. 


— 395 — 


Selbſt Jene, die um ew'gen Nachruhm warben, 
Die Grabpaläſte ſich gebaut am Nil, 
Die mit Leonidas für Sparta ſtarben, 
An ſie, wie an des Pindar Saitenſpiel, 
Das Lied Homers und des Urbiners Farben 
Bleibt nirgend wo Erinnrung nur jo viel, 
Wie an der fabelhaften, ſeit der frühſten 
Urzeit verſunkenen Atlantis Küſten. 


Wer deſſen denkt und blickt dann auf der flachen 
Armſel'gen Eintagskinder eitles Thun, 
Wie ſie mit ihrem Nichts ſich wichtig machen 
Und nie, nach leerem Tand zu haſchen, ruhn, 
Anwandeln muß ihn ein homeriſch Lachen, 
Ein unauslöſchliches. So lachend nun 
Dem Schluß entgegenführen will ich meinen 
Bericht vom Fürſten Friedrich und den Seinen. 


Im Mai, dem Mond der Wonne und der Weihe, 
Kam in das Land der Tells und Winkelriede 
Prinz Max, der letzte Sproß der Ahnenreihe, 
Der ich in dieſem meinem hohen Liede 
Unſterblichkeit und ew'gen Ruhm verleihe. 
Auftrug ihm, der Familie jüngſtem Gliede, 
Wie aus dem letzten Buch wir uns entſinnen, 
Der Vater, Dänemarks Prinzeß zu minnen. 


Zur Braut, die ihm Fürſt Friedrich auserkoren, 
Einſpännig macht die Fahrt er, dienerlos. 
Wie? fragt ihr; Einer, der ſo hoch geboren? — 
tun ja, denn alſo wills ſein Unglücksloos; 
Beim Spiel in Baden hat er arg verloren, 
Und ſeiner Baarſchaft Reſt iſt nicht mehr groß; 
Drum, da Recurs ihm an des Vaters Kaſſen 
Nicht freiſteht, hat er den Lakain entlaſſen. 


— 3% — 


Juſt in der Schweiz hebt an die Zeit der Reiſen 
Wo allher, gierig nach Naturgenuß, 
Von beiden Polen, von den Wendekreiſen, 
Den Cordilleren wie dem Kaukaſus, 
Die Fremden nahen, und der Schmied das Eiſen 
Am Stachelſtock des Führers ſchärfen muß, 
Daß er auf Jungfrau, Matterhorn und Eiger 
Geleite die beherzten Bergbeſteiger. 


Der Hirt beginnt, das Alpenhorn zu blaſen, 
Um baar jedwede Note zu verkaufen, 
Die Buben ſieht man auf jedwedem Raſen 
Für Trinkgeld ſich, ſo wie beim Schwingfeſt, raufen; 
Und jeder Platz, wo zu Natur-Ekſtaſen 
Bei Sonnenuntergang in ganzen Haufen 
Die elegante Reiſewelt ſich ſammelt, 
Wird ſorglich wegen der Entrée verrammelt. 


Kein Fels iſt, wo noch Lämmergeier niſten, 
Kein Firſt, kein noch ſo hoher Bergesgrat, 
Auf welchen nicht zur Labung der Touriſten 
Ein Wirth ſein Gaſthaus aufgeſchlagen hat 
Und ſie, barmherzig, wie es ziemt dem Chriſten, 
Für ein'ge Francs mit Kaffeeſurrogat, 
Getauftem Wein und mehr Delikateſſen 
Erquickt bei Frühſtück oder Mittageſſen. 


Das Thal, das bei Gegirre und Geſchnäbel 
Der Tauben eben ſo idylliſch prangt, 
Lockt nicht den kletterluſt'gen Faſhionable, 
Der Rain nicht, der mit Alpenroſen prangt; 
Höher empor klimmt er durch Sturm und Nebel, 
Wohin dem Adler ſelbſt zu fliegen bangt; 
Und bricht er ſich den Hals in jähem Sturz, 
Das iſt juſt ſein Geſchmack; der Tod währt kurz. 


— BB 


Doch wo bleibt Max? Nicht groß iſt feine Halt; 
Eh er die Braut, den hohen Frauenſtern, 
Heimführt in ſeinen heimiſchen Palaſt, 

In Solothurn erſt hält er, in Luzern, 

Das ſchöne Schweizerland bewundernd, Raſt; 
Gern ſchaun auch möcht' er noch das alte Bern, 
Doch ſieht ſich, da ſein Geld ſich täglich mindert, 
An dieſer weitern Excurſion behindert. 


Direkt begiebt er ſich vom Alpnacht-See 
Darum nach Interlaken auf die Fahrt; 
Doch nein! Damals war dort noch nicht Chauſſee, 
Und da er gerne auch das Fahrgeld ſpart, 
Schlägt er den Weg zu Fuß ein; aber weh! 
Gewöhnt noch nicht an dieſe Reiſeart, 
Bald, eh' er noch erreicht den Brünigpaß, 
Fühlt er die Füße wund, die Glieder laß. 


In Lungern ein Cabriolet zu miethen 
Verſucht er drum, doch Mangel giebt ſich kund 
Im Dorf an ſolchen Reiſe-Requiſiten; 
Kein Fuhrwerk finde ſich, erklärt man rund, 
Und mög' er hunderttauſend Franken bieten; 
Zuletzt erſt wird als unverhoffter Fund 
Ein Wägeli gebracht, ein ſchlechter Karren, 
Und doch erwünſcht ihm nach dem langen Harren. 


Der Koffer wird auf dieſe Staatskaroſſe, 
Den ihm bisher ein Führer trug, geladen, 
Den Sitz beſteigt des Odin hoher Sproſſe, 
Der Vetter Vieler, die von Gottes Gnaden, 
Und, Dank dem Kutſcher und dem braven Roſſe, 
Geht raſch dahin auf ſteilen Bergespfaden 
Die Fahrt, daß, von den Stößen ſanft gewiegt, 
Der Prinz von ſeinem Sitz oft hochauf fliegt. 


— 398 


Seit Tagen hat aus ſchweren Wolkenballen 
Ergoſſen auf die Erde ſich der Regen; 
Am Morgen auseinander zwar zu wallen 
Schien das Gewölk, der Weſtwind ſich zu legen, 
Doch nun von Neuem ſtark und ſtärker fallen 
Die Tropfen unter Blitz und Donnerſchlägen; 
Das Waſſer ſtrömt — den Ausdruck mir verübeln, 
Ich hoffe, wird man nicht — ſo wie aus Kübeln. 


Mit Mühe wird der Brünig überwunden, 
Und abwärts gehts zum Berner Oberland; 
In Dunkel iſt das Taglicht ſchon men 
Und die Natur ſcheint ganz aus Rand und Band; 
Nicht kann der Kutſcher mehr den Weg erkunden, 
Der ihn an des Brienzer Sees Strand 
Hinführen ſoll; zudem noch überſchwemmen 

Das Thal die Ströme mit durchbrochnen Dämmen. 


Stets vorwärts ſtürmt, ob auch bis an den Bug 
Hinauf ihm die empörten Fluthen ſchwellen, 
Der tapfre Gaul; ihm nach ſchießt, wie im Flug, 
Der Wagen durch die ungeſtümen Wellen. 
Ausſtößt der arme Kutſcher Fluch auf Fluch; 
Kein Lichtſtrahl will die tiefe Nacht erhellen, 
Und ſtärkre, immer ſtärkre Waſſer wälzen 
Sich von den Gletſchern, die zerthauend ſchmelzen. 


Was weiter werden ſoll, wer mag es wiſſen? 
Die Sturmfluth wächst und ſchwillt, der Donner hallt, 
Rings iſt die Welt umhüllt von Finſterniſſen, 
Und plötzlich von den Wogen mit Gewalt 
Wird Roß zugleich und Reiter fortgeriſſen; 
Der Prinz fühlt bis ans Haupt ſich naß und kalt; 
Durch Schwimmen einzig, will er nicht ertrinken, 
Kann er ſich retten; ſonſt muß er verſinken. 


55 


Er theilt mit ſtarker Fauſt, da er zum Glücke 
Ein guter Schwimmer iſt, zuerſt die Wogen, 
Doch arg iſt ſolcher Gletſcherbäche Tücke; 
Zuletzt, vom Wirbel faſt herabgezogen, 
Gewinnt er einzig Halt an einer Brücke, 
Die übers Thal ſich ſpannt in breitem Bogen; 
An ihren Pfeiler hält er wie im Krampf ſich 
Und ringt ans Ufer dann mit ſchwerem Kampf ſich. 


Ermattet ſinkt er dort zur Erde nieder, 
Doch von den Kleidern eiskalt und durchnäßt, 
Durchſchüttelt ihm ein Fieberfroſt die Glieder. 
O jetzt ein wärmend Feuer, welch ein Feſt! 
Er rafft ſich krampfhaft auf vom Boden wieder 
Und ſpäht, ob ſich kein Licht erblicken läßt; 
Ja ſieh! fernher durch Nacht und Sturm und Regen 
Blinkt lockend ihm ein blaſſer Schein entgegen. 


Vor Influenza bangend oder Grippe 
Und Obdach ſuchend nach dem kalten Bad, 
Eilt er drauf zu, ob auch von Felsgeklippe 
Und Dorngeſträuch gehemmt auf ſeinem Pfad. 
Zerriſſen von dem ſtachligen Geſtrüppe 
An ſeinen Kleidern wird jedwede Naht, 
Und das Geſtein bohrt ſich mit ſcharfem Schnitte 
In ſeine Sohlen ein bei jedem Schritte. 


Von Regenſtrömen fort und fort begoſſen, 
Hat er die Hütte ſo zuletzt erreicht, 
Aus der das Licht ſcheint; doch ſie iſt verſchloſſen, 
Und eine Viertelſtunde ſchon vielleicht 
Pocht er ans Thor, als endlich ein verdroſſen 
„Wer da?“ von innen ſchallt, der Riegel weicht 
Und ihn ein Weib anfährt: „Er Vagabunde, 
Was ſucht er hier in dieſer ſpäten Stunde?“ 


— 400 — 


„Schutz vor dem Wetter unter Eurem Dache, 
Ein Nachtmahl und ein Feuer auf dem Herd,“ 
Ruft zähneklappernd Max — ſogar ein Drache 
Hätt' ihm ins Haus zu dringen nicht gewehrt — 
Und bricht ſich Bahn bis wo er im Gemache 
Ein Feuer glimmen ſieht. Dort ſchreiend fährt 
Ein junges Mädchen auf von ihrem Rocken 
Und ſtarrt den ſeltnen Fremdling an erſchrocken. 


Mit lautem Schelten kehrt die Alte wieder; 
Als unerhört doch will es ſie bedünken, 
Daß ſolch ein Bettler, dem die weißen Glieder, 
Die nackten, durch zerrißne Kleider blinken, 
Bei ihr eindringt. Plötzlich am Ofen nieder 
Zu Boden ſieht ſie den Erſchöpften ſinken 
Und bald — denn gut von Herzen iſt Frau Holler — 
Für ſein Gebahren wird ſie nachſichtsvoller. 


„Geh, Trini!“ ruft fie; „lege neuen Reiſig 
Aufs Feuer! ach, wie ſtarr er iſt, wie blaß! 
Auch Tücher hol', um ihn zu trocknen! Eiſig 
An allen ſeinen Gliedern klebt das Naß.“ 

Aus einem Fläſchchen, das ſie immer bei ſich 
Im Säckli trägt, reibt ſie ohn' Unterlaß 

Die Schläfen ihm, indeß die Tochter warme 
Umſchläge macht um Hals und Bruſt und Arme. 


Bald regt ſich in dem Starren wieder Leben, 
Durch ſeine Adern ſchleicht ein ſanftes Thauen 
Und gießt in ſein Geſicht, todblaß noch eben, 
Von Neuem rothen Schein. Die beiden Frauen 
Sehn ihn vom Boden mählig ſich erheben 
Und freundlich dankend auf zu ihnen ſchauen; 
Und eh' ein Wort geſprochen ſeine Zunge, 
Gewinnt der Tochter Herz der hübſche Junge. 


ZA 


„Ach, Mutter“ — ſpricht ſie — „sieh nur ſeine Schwäche! 
Zur Stärkung einen Imbiß hol' ich ihm.“ 
„Was“ — fällt Frau Holler ein — „ſoll gar der Freche, 
Der ſo bei uns eindrang mit Ungeſtüm, 
Beköſtigt werden? Wer bezahlt die Zeche, 
In ſeinen Taſchen iſt ja kein Centime.“ 
Doch dann ſetzt ſie hinzu mit milderm Tone: 
„Geh! bring ein Nachtmahl her und Wein vom Rhone!“ 


Das Zanken liebt die Alte, doch iſt beſſer, 
Als ſie es ſcheint, und, während Trini geht, 
Das Mahl zu rüſten, ordnet ſelbſt ſie Meſſer 
Und Gabeln ſammt dem ſonſt'gen Tiſchgeräth; 
Daß aber unſer Prinz als tücht'ger Eſſer 
Sich zeigen wird, der ſeine Kunſt verſteht, 
Wer zweifelt dran? An Appetit ein Rieſe 
Iſt er geworden durch die feuchte Briſe. 


Allmählig wiederum in Jugendfriſche 
Beginnt ſein Angeſicht zu glühn, hochroth. 
Nicht lange bitten läßt er ſich zu Tiſche, 
Um Ehre anzuthun dem Gaſtgebot. 

Ein mächt'ger Käſe kommt auf ſchweizeriſche 
Manier zuerſt ſammt einem Laibe Brod, 
Und größeren Behagens davon ſchmaust er, 
Als je von Caviar, Trüffel oder Auſter. 


Als die Begier des Trankes und der Speiſe 
Geſtillt iſt — ſo im Stile des Homer 
Schließ' ich die Schildrung ſeiner Tagesreiſe — 
Sind ihm von Schlaf die Augenlider ſchwer; 
Die Frauen tragen nach der Weiber Weiſe, 
Woher er ſei, zu wiſſen noch Begehr, 
Doch lallend ſinkt er auf die Lagerſtreu, 
Die ihm bereitet iſt aus duft'gem Heu. 

Schack, Geſ. Werke. III. 26 


—— AD 


„Was“ — ſpricht Frau Holler — „ind das für 

Manieren? 

Noth thuts, daß Lebensart der Menſch erſt lerne! 

So ohne Weitres hier ſich einquartieren! — 

Komm, Trini! leuchte mir mit der Laterne.“ 

Die Tochter drauf: „Warum ſoll er ſich zieren? 

Gerad herausgeſagt, ich hab' es gerne, 

Wenn man nicht allzu zaghaft iſt; nun, morgen 

Will ich ein gutes Frühſtück ihm beſorgen.“ 


Nach allen den beſtandnen Aventüren 
Bezwungen von des Schlummergotts Gewalt, 
Liegt Max zehn Stunden ohne ſich zu rühren. 

Am Morgen, als die achte Stunde ſchallt, 

Als Trini kommt, die Ofengluth zu ſchüren, 
(Denn noch im Mai im Thal hier iſt es kalt) 
Und draußen lärmend zu dem Schulmonarchen 
Die Kinder ziehn, noch fährt er fort zu ſchnarchen. 


Erwacht ſodann, als höher ſteigt der Tag, 
Wird er gewahr, wie ihm zerfetzt zu Lappen 
Die Kleider ſind, wie unter ihm, o Schmach! 
Die Stiefelſohlen auf den Boden klappen; 

Und ſeine ganze Lage nach und nach 

Macht er ſich klar — von ſeinem Fürſtenwappen 
Wie ſoll er jemals ſolchen Flecken waſchen? 
Leer ſind von Gelde die zerrißnen Taſchen. 


Er wünſcht ſich, daß er in die Erde ſinke, 
Und durch das Herz ihm geht es wie ein Schnitt, 
Als außen eine Hand er auf die Klinke 
Sich legen hört und Trini zu ihm tritt, 
Um ihn zu laden, daß er Kaffee trinke. 
Er folgt ihr endlich, doch mit lahmem Schritt, 
Indem er mit der Rechten den Defect 
Der Hoſe, die ein großes Loch hat, deckt. 


Am Frühſtücktiſche, als mit Frageſtellen 
Frau Holler, neugiervoll, nicht müde wird, 
Für einen armen wandernden Geſellen 
Giebt er ſich aus und denkt dabei verwirrt 
An ſeine Ahnenreihn und die Tabellen 
Des göttlichen Geſchlechts; wie weit verirrt 
Von ſeinem Stamm hat ſich der Odins-Enkel! 
Kaum Lumpen decken jetzt ihm Knie und Schenkel. 


Indeß, die Fäden ziehend von der Spindel, 
Die beiden Weiber ihm zur Seite ſchwatzen, 
Denkt er, wie er zu niederem Geſindel 
Jetzt degradirt iſt, wie ſtatt auf Matratzen 
Er ſich begnügen muß, auf einem Bündel 
Von Heu zu ruhn; umſonſt nach einem Batzen 
Sucht er in allen ſeinen Kleiderſäcken, 

Und weder Brod noch Kaffee will ihm ſchmecken. 


Was ſoll er thun nun? An den Vater ſchreiben, 
Daß er ſein Geld leichtfertig durchgebracht? 
Da ſchämt er ſich; auch weiß er, einzutreiben 
Iſt von den Gütern eben keine Pacht. 
Am beſten alſo wär' es hier zu bleiben; 
Zieht Trinis Antlitz ihn doch an mit Macht; 
Allein fortweiſen wird man ihn — ſo ſchwanken 
Im Haupt ihm auf und nieder die Gedanken. 


Fortſtrömt der Regen unterdeß in Bächen, 
Weil neue Wolken ſtets die Winde ſchicken. 
„Zeit wird es endlich, von hier aufzubrechen“ — 
Ruft da der Prinz — „Eur Geld Euch werd' ich ſchicken, 
Frau Wirthin, hört mein heiliges Verſprechen! 
Nicht ſo viel hab' ich jetzt, den Rock mir flicken 
Zu laſſen, aber gern durch Arbeit — wüßt' ich 
Nur wo — erſchwäng' ichs, da ich jung und rüſtig.“ 


— 404 — 


Kaum wollen ihm die Worte von der Zunge; 
Geweilt gern länger in dem Häuschen hätt' er; 
Da nimmt das Wort Frau Holler: „Armer Junge, 
Geh nicht von hier, ſonſt in dem Höllenwetter 
Holſt du Entzündung dir von Hals und Lunge! 
Ich ſah dirs an ja, du biſt ein honetter 
Ehrlicher Burſch, nur tief herabgekommen; 
So höre meinen Plan: er wird dir frommen. 


„In unſre Dienſte nehm' ich dich als Knecht. 
Bisher zwar waren wir nur arme Leute, 
In unſerm Hausſtand gings uns herzlich ſchlecht, 
Doch eine Erbſchaft macht' ich jüngſt, und heute 
Vielleicht noch kehrt mein Mann, mein Eckebrecht, 
Der ſie erhoben hat, zurück aus Reutte 
Im Land Tirol, wo mir Verwandte ſtarben; 
Da brauchen wir in Zukunft nicht zu darben. 


„Ein kleines Wirthshaus alſo anzulegen 
Gedenken wir, da oft im Dorfe hier 
Die Wandrer, müde von den Alpenwegen, 
Ein Mahl begehren oder Nachtquartier. 
Bleib denn bei uns! Mein Mann hat nichts dagegen, 
Denn nur mein Wille gilt, indem er mir 
Die ganze Baarſchaft dankt. Credit beim Schneider 
Gewähr' ich dir; beſtell dir neue Kleider.“ 


Man ſteht wie ſtarr, halb froh und halb erſchrocken. 
Ein Prinz ſoll Knechtdienſt thun um ſchnödes Geld? 
Doch mit zerrißnen Kleidern, kaum noch trocken, 

Wie möcht' er weiter ziehen in die Welt? 

Auch Trinis große blaue Augen locken 

Zum Bleiben ihn. So geht er denn, beſtellt 
Kniehoſen ſich und Wamms nach Art der Schweizer 
Und tritt den Dienſt gleich an als Ofenheizer. 


— 405 — 


Am ſelben Tage noch kehrt aus Tirol 
Herr Eckebrecht zurück zum Weib und Kinde, 
Und ihm gefällt der hübſche Burſche wohl, 
Aus dem fürs Erſte ſein Hotelgeſinde 
Beſtehen ſoll. Beinkleid und Camiſol 
Einſtweilen leiht er ihm, da ſo geſchwinde 
Die neue Tracht nicht fertig werden kann, 
Und weist im Haus ihm die Hantierung au. 


So wurde Maxi denn — für jedes Alter 
Braucht der Helvetier das Diminutiv — 
Zu Ried im „Goldnen Hahnen“ wohlbeſtallter 
Hausknecht. Früh Morgens, wenn noch Alles ſchlief, 
Bald auf dem Bödli, bald im Keller, Malter 
Kartoffeln meſſend, war er ſchon activ; 
Auch wußt' er umzugehn mit Milch und Käſen, 
Als wär' er Dienſtknecht immerdar geweſen. 


Des Abends, unterm Arm die Serviette, 
Die Fremden auch bedient er, höchſt gewandt, 
Und gerne plaudern ſie, eh ſie zu Bette 
Sich legen, mit dem Burſchen voll Verſtand; 
Wenn ihn der Wirth in ſeinem Dienſt nicht hätte, 
Es ſtünde ſchlecht um ihn, allein brillant 
Gehn die Geſchäfte jetzt und täglich kehren 
Touriſten ein, die Nachtquartier begehren. 


Darum denkt Eckebrecht: Verließe nun 
Mich dieſer Knecht, wie ſehr würd' er mir fehlen! 
Daß er zwölf Stunden, ohne auszuruhn, 
Arbeitet, darauf darf ich täglich zählen. 
Gewiß daher kann ich nichts Beßres thun, 
Als ihn mit meiner Tochter zu vermählen, 
Längſt aufgefallen iſt mir, daß Geſchmack ſie 
Zu finden ſcheint an dieſem hübſchen Maxi. 


— 406 — 


Auch währt in Wahrheit lange das Geliebel 
Schon zwiſchen Trini und dem Fürſtenſohn; 
Wenn er die ſchweren Eimer ſchleppt, die Kübel, 
Dünkt ihre Hand ihn ſeiner Mühen Lohn, 

Und ihr auch ſcheint der junge Knecht nicht übel; 
So iſt das Paar im Einverſtändniß ſchon, 

Eh ihm der Vorſchlag kommt des guten Alten, 
Und frohe Hochzeit wird alsbald gehalten. 


Verſiegt in unſrem jungen Ehemanne, 
Vertrocknet ſcheint das adlige Geblüt, 
Daß er, nicht zagend vor des Vaters Banne, 
So degradirt das fürſtliche Geſtüt! 
Sein Stammbaum, ragend wie die Edeltanne, 
Die auf dem höchſten Firſt im Frühlicht glüht, 
Wie ſchmachvoll wird er nun, der uralt—sſtolze, 
Durch ihn vermengt mit niederm Krüppelholze! 


Der Ahnen ganze Tradition zu Schanden 
Macht ſeine Ehe. Wenn mit goldnem Schlüſſel 
Ihn Kammerherrn ſonſt beim Diner umſtanden 
Und Damen ihm im Spitzenkleid von Brüſſel 
Zur Seite ſaßen oder Pommerns Granden, 
Mit ſeiner Trini nun aus irdner Schüſſel 
Speist er zu Mittag zwiſchen andern Bauern; 
Wer wird den Tiefgeſunknen nicht bedauern? 


Bald in des Schweizerlandes Sitten hat er 
Sich eingelebt, als wär' er dort zu Haus; 
Sobald ihm Urlaub gab der Schwiegervater, 
Beim Schwingfeſt ſtach er alle Burſchen aus; 
Beim Bundesſchießen oft den Hauptſchuß that er 
Und war, wenn Trini dann ihm einen Strauß 
Als Siegslohn bot, ſo ſtolz, als wär' ein Orden, 
Ein Großkreuz in Brillanten, ihm geworden. 


— AU — 


So laſſen wir ihn mehr und mehr entarten 
Und wenden nach dem Thal uns von Ragatz, 
Wo in den Rhein nach wilden Bergesfahrten 
Sich die Tamina ſtürzt mit kühnem Satz; 
Dort ſehn wir einen kränklichen, bejahrten 
Badgaſt, der eine Bank zum Ruheplatz 
Sich auserſehn. Geplagt iſt er von Gicht, 
Die ihn in Hände und in Füße ſticht. 


Soll ich den Namen euch des Armen nennen? 
Nein, Hörer, die durch Fruchtland wie durch Oeden 
Bis in dies Land der Unſchuld und der Sennen, 
Gefolgt ihr ſeid dem Liede des Aöden, 

Den Fürſten Friedrich werdet ihr erkennen! 
Und hören ſollt ihr jetzt, daß er von ſchnöden 
Geſchicken, die ihn ſich erwählt zur Beute, 
Hierher gehetzt ward, wie von einer Meute. 


Amphions Stamm, auf welchen der Verderber 
Apollo Tod geſchleudert von dem Bogen, 
Vergleicht er ſeinem, ja ſein Loos ſei herber, 
Als Niobes und nicht von Mythologen 
Erdichtet bloß. Seitdem als Brautbewerber 
Sein Max nach Interlaken ausgezogen, 

Kein Sterbenswörtchen von dem hoffnungsvollen 
Jüngling vernahm er mehr; er blieb verſchollen. 


Fortan denn ſann der Fürſt, verſenkt in Brüten, 
Im Schloß bei Prenzlau, wo er trauernd ſaß, 
Wie nach und nach von ſeinem Stamm die Blüthen 
Gefallen ſei'n, Karl, Otto, Nikolas, 
Aslauga — dann ſprang er empor mit Wüthen 
Und rief, indem er wild den Saal durchmaß: 
„Sie, die ich auserkor für Fürſtenſtühle, 
Erniedern ſich — iſts glaublich? — zur Crapüle! 


— 408 — 


„Wie ſoll mans nennen, wenn, ſtatt Trüffelſaucen, 
Sich Einer Waſſer aus der Pfütze wählt? 
Und nun mein Max! muß ich auch ihn verſtoßen? 
Mein Liebling, er, auf den ich ganz gezählt, 
Den ich im Geiſt umringt von ſeinen Großen 
Bereits geſehen, königlich vermählt, 
Häuft er auch Staub auf meine greiſen Haare, 
Daß ich in Schmach und Weh zur Grube fahre?“ 


Nach Interlaken ſandt' er Brief und Boten, 
Doch keine Nachricht von dem Sohne kam, 
Und endlich zählt' er faſt ihn zu den Todten. 
Ein Glück, daß ihm vorerſt der ſchlimmre Gram 
Erſpart blieb, daß die Kunden, die ihm drohten, 
Von ſeines Hauſes Schmach er nicht vernahm; 
Im Grab darob ſich umgekehrt und Zeter 
Geſchrien ja hätten ſeine Aelterväter! 


Allein der Hoffnung wie entſagen möcht' er — 
Blieb ihm nicht Ausſicht noch auf Descendenz, 
Wenn indirekt auch, durch die jüngſten Töchter, 
Die herrlich blühten, Roſen gleich im Lenz? 
Stammmütter konnten herrlicher Geſchlechter 
Sie werden, wenn er mittels Teſtaments, 
Vielleicht auch durch pragmatiſche Sanction, 

Für Weiber ſicherte die Succeſſion. 


Natürlich ebenbürtig ſie vermählen, 
War Hauptbedingung für des Fürſten Plan, 
Und alſo hofft' er, bald in ſeinen Sälen 
Fürſtliche Brautbewerber zu empfahn 
Und ihrer den erlauchteſten zu wählen; 
In ſtolzem Hochgefühl ſah er als Ahn 
Enkel auf Enkel ſeinem Stamm entſprießen, 
Die alle Hoheit oder Durchlaucht hießen. 


„ 11 


So nicht um die verlornen Kinder ſchien 
Er mehr zu trauern; wenn ihm bang geweſen 
Um ſeines Hauſes drohenden Ruin, 

Wenn in Zerknirſchung er nur Exegeſen, 
Erbauungsbücher oder Homilien 

Statt der Novellen lange Zeit geleſen, 
So trieb er in der goldnen Morgenſtunde 
Nun Genealogie und Wappenkunde. 


Sodann am Abend las die Gouvernante 
Emma ihm aus dem Gothaſchen Kalender; 
Und ob er längſt auch jedes Blatt drin kannte, 
Ob auch kein Buch der Welt von gleich horrender 
Langweiligkeit ſein mag, wie das genannte, 
Die Prinzen aller deutſchen Vaterländer 
Ließ er ſtets neu vor ſeinem Geiſtesauge 
Vorüberziehn, ob Einer für ihn tauge. 


Oft bei den Namen that er heimlich Schwüre: 
Den weiſ' ich ab, denn ſeiner Ahnen Zahl 
Kommt nicht der unſern gleich. Bei der Lectüre 
Gähnten die beiden Töchter manchesmal; 

Auch ſchlichen ſie hinweg wohl durch die Thüre, 
Und ließen von den Muſicis im Saal 
Lection ſich geben im Solfeggienſingen; 
Der Vater ward gewahr nicht, daß ſie gingen. 


Er ſelbſt, in ſeine Pläne ganz verſunken, 
Verſpürte nicht mehr Luſt, Quartett zu hören — 
Denn wer, das Herz von hoher Hoffnung trunken, 
Stets den Geſang vernimmt von Himmelschören, 
In ſeinen Träumen, wie Geſchrei von Unken, 
Muß jede irdiſche Muſik ihn ſtören. 

Nah war der Fürſt ſchon, den Beſchluß zu faſſen, 
Die Muſici des Dienſtes zu entlaſſen. 


„ 


Gewachſen in den fürſtlichen Finanzen 
War nämlich Jahr für Jahr das Deficit. 
Er, der in ſeiner Glanzzeit einen ganzen 
Hofſtaat gehalten, längſt von Schritt zu Schritt 
Bis zur Entlaſſung auch des letzten Schranzen 
War er herabgeſtiegen, und ſomit 
Erſchien als überflüſſige Entfaltung 
Von Luxus der Capelle Unterhaltung. 


Einſt ſetzen wollt' er ſich zum Mittageſſen 
Und harrte nur auf Gertrud und Sieglinde, 
Da ward ihm Nachricht, daß man die Alteſſen 
Im ganzen Schloß geſucht, doch nirgend finde — 
Denkt euch den Schrecken! er war unermeſſen, 
Und allarmirt ward ſämmtliches Geſinde; 
Dann gar kam Einer mit der fürchterlichen 
Botſchaft, zwei Muſici auch ſein entwichen. 


Erſt ſtand der Fürſt, gelähmt vom jähen Schrecken, 
Der ihn durchrieſelte an Bein und Mark; 
Nochmals dann ward in Winkeln und in Ecken 
Auf ſein Gebot das Schloß durchſucht, der Park, 
Doch ließ der Flücht'gen keiner ſich entdecken; 
Ringshin, durch Altmark, Neumark, Ukermark 
Ausſandt' er Boten, doch vergebens ſpähten 
In allen Dörfern ſie, in allen Städten. 


Verzweifelnd brach Fürſt Friedrich da zuſammen; 
Nur matt bei halberſticktem Wuthgeſchrei 
Aus ſeinem Blick noch ſchlugen Zornesflammen, 
Indeß zu einem wüſten Einerlei 
Die Erde und der Himmel ihm verſchwammen. 
Nichts Schlimmres konnt' ihn treffen; weh! die Zwei, 
Die ihm mit Siegelinden und Gertruden 
Entflohen, waren ungetaufte Juden! 


— 41 — 


So blieb der arme Vater herzgebrochen 
Und ſann dem Sturze ſeines Hauſes nach; 
Den ganzen Sommer, Wochen hinter Wochen, 
Verließ er nicht ſein ödes Schloßgemach. 
Wenn er den Tag hindurch kein Wort geſprochen, 
Vergebens ſucht am Abend ihn durch Schach 
Die Gouvernante Emma zu zerſtreuen; 
Nichts half es, die Verſuche zu erneuen. 


Wenn er ein Buch ſah, fuhr er auf erſchrocken; 
Der Almanach von Gotha, glaubt' er, ſeis. 
Und als der Winter nun mit weißen Flocken 
Die Flur bedeckte und die Seen mit Eis, 
Aſchgrau geworden waren ſeine Locken; 
Gebeugt ſaß er, mit fünfzig Jahren Greis, 
Am Ofen da, in Decken eingewickelt, 
Von Podagra und Chiragra geprickelt. 


Die Diener, die ihm nur mit Zagen nahten, 
Mit Schelten fuhr er an wie ein Barbar 
Und überhäufte ſie mit Prädikaten, 
Davon das mildeſte „Halunke!“ war; 
Die Köchin konnte kochen nichts noch braten, 
Er ſchickt' es ihr zurück, es ſei nicht gar; 
Durch ſeine üble Laune außer Faſſung, 
Begehrten alle ihre Dienſtentlaſſung. 


Die Gouvernante einzig, mitleidsvoll, 
Hielt aus, bemüht den Leidenden zu pflegen. 
Ein ſchweres Amt! Oft, wenn ſein Unmuth ſchwoll 
Und hoch der Puls ihm ging in Fieberſchlägen, 
Auch ſie entgelten ließ er ſeinen Groll — 
Doch durfte ſie es ſchwer zur Laſt ihm legen, 
Da Gicht ihn zwickte wie mit glühnden Zangen, 
Und ihm die Kinder alle durchgegangen? 


Selbſt als ſchon draußen das Gezirp der Meiſe 
Erſcholl — mild war, wie nie, der Februar — 
Als wieder heim von ſeiner Winterreiſe 
Der erſte Frühlingsbote kam, der Staar, 

Lebt' er dahin in alter traur'ger Weiſe; 

Und bracht' ihm Emma, die befliſſen war 

Ihn zu erheitern, eine Handvoll Krokus, 

So ſagt' er nur: „Ach! das iſt Hokus-Pokus.“ 


Um mehr noch ſeine Lage zu verbittern, 
Erſchien im tollen Jahre Achtundvierzig 
Der März mit den politiſchen Gewittern. 
Wohl mancher der geneigten Leſer wird ſich 
Der Zeit erinnern, als ein dumpfes Zittern 
Von Land zu Lande ſchlich, und wie verwirrt ſich, 
Wie rathlos Deutſchland während jenes Jahres 
Gezeigt; ein wahres Tohu-bohu war es. 


Mit Pflaſterſteinen und auf Barrikaden 
Ward Staatsrecht da docirt, ſtatt vom Katheder, 
Und bang verkrochen ſich die Retrograden; 
In Blouſen und mit rother Hahnenfeder 
Gebietriſch vor die Herrn von Gottes Gnaden 
Traten die Freiheitshelden hin: „Entweder 
Bewilligt alle Forderungen oder 
Dankt ab!“ — nun! das Bewill'gen war kommoder. 


Fürſt Friederich erfuhr, daß Karl, ſein Sohn, 
Der jener kühnen Brautfahrt ſich vermeſſen, 
Dann in Sibirien ſeine Ambition 
Gebüßt und drauf in Graudenz lang geſeſſen, 
Im März aus der Gefängnißhaft entflohn 
Und in Berlin bei allen Sturmadreſſen 
Anführer war und Chef der Demagogen, 

Die lärmend durch der Hauptſtadt Gaſſen zogen. 


— 413 — 


Ein Schriftſtück fiel einſt in des Fürſten Hände, 
In dem es hieß: „Auf! rafft euch auf zur That! 
Daß Rußlands Herrſchaft uns nicht länger ſchände, 
Das halb in ſeiner Macht ſchon Preußen hat, 
Macht feinen Creaturen hier ein Ende.“ 

Et caetera. Es hieß, ein Demokrat, 
Vor allen anderen vom reinſten Waſſer, 
Mit Namen Meyer, ſei der Schrift Verfaſſer. 


Nun hatte, wißt! der Czarentochter-Freier 
Schon längſt den Prinzentitel abgelegt 
Und führte ſchlicht den Bürgernamen Meyer. 
Man kann ſich denken, wie von Gram bewegt 
Das Herz des Vaters ſchlug, als dieſer Schleier 
Vor ihm gelüftet ward; tiefaufgeregt 
Wünſcht' er, daß lieber in Sibiriens Schachte 
Den Sohn noch ew'ge Finſterniß umnachte. 


Die Winterluft der Ukermark auch füllten 
Des neuen Völkerfrühlings Stürme bald, 
Und Bauern drangen, die im Chore brüllten, 
Ins Schloß des Fürſten Friedrich mit Gewalt; 
Aufhebung aller Zehnten, aller Gülten 
Verlangten ſie, die Fäuſte drohnd geballt, 
Und ſchrien: „Nichts mehr von Frohndienſt! von Feudal— 
. recht! 
Adelsabſchaffung, allgemeines Wahlrecht!“ 


Erſt lange wies er ab die Flegelhaften; 
Nicht ſeine, nur des Königs Sache ſeis, 
Das zu entſcheiden. Aber dem Erſchlafften 
Wie hätten ſies nicht abgetrotzt, dem Greis? 
Am Ende alſo die Errungenſchaften 
Heimtrugen ſie befriedigt, ſchwarz auf weiß; 
Obgleich er ſie nicht zu gewähren hatte, 

Es war genug, ſie ſtanden auf dem Blatte. 


— 414 — 


Dem Fürſten, der ſo vergewaltigt worden, 
War es, als ob die Welt zuſammenſänke; 
Er hätte lieber jetzt bei Negerhorden 
Gehaust, als bei den Deutſchen, die — man denke! — 
Den Adel abgeſchafft. Da nun im Norden 
Ihn überdies ein jedes der Gelenke 
Im ſcharfen Hauch der Oſtſeewinde ſchmerzte, 
Verließ er Deutſchland auf den Rath der Aerzte. 


Das Gut in Obhut gebend dem Verwalter, 
Die Pflegerin mit ihm zu reiſen bat er, 
Doch Emma konnte nicht; im hohen Alter 
Berief an ſeine Seite ſie ihr Vater; 

Und ſo, in Pelze eingehüllt, bei kalter 
Schneeluft juſt am Pankratiustage trat er 
Mit einem treuen Diener an die Reiſe, 
Geflohn gern wär' er bis zum Wendekreiſe. 


So viel von dem, was ſich bisher begeben! 
Jetzt aber wend' ich mich zur Gegenwart, 
Wo er, wie früher ſchon berichtet, eben 
An der Tamina vor ſich niederſtarrt. 
Wenn er gehofft, daß ihm zu neuem Leben 
Ragatz verhülfe — weh! ſein Loos iſt hart — 
So hat er ſich geirrt; von Podagra 
Noch ſtets gepeinigt ſitzt er ächzend da. 


„Seit ich hier bade, iſt ein Mond verfloſſen, 
Und keine Beßrung hab' ich noch gewahrt; 
Ein Jahr iſts, daß ich meinen jüngſten Sproſſen 
Zu der Prinzeſſin auf die Werbefahrt 
Entſendet in das Land der Eidgenoſſen, 
Und ach! kein Leid ward mir ſeitdem erſpart, 
Nicht Flucht der Töchter und nicht der feudalen 
Zuſtände Umſturz durch die Liberalen.“ 


— 415 — 


Er denkts, und wie Erinnerung nicht minder 
Der andern Sprößlinge in ihm erwacht, 
Ein zweiter Lear ſich dünkt er, durch der Kinder 
Undank geſtürzt in der Verzweiflung Nacht; 
Wenn er als neuer Königslinien Gründer, 
Sich ſchon mit ſtolzem Selbſtgefühl gedacht, 
So wird er nun — ihn faßt ein Ingrimm-Schwindel — 
Der Ahnherr nur von niederem Geſindel. 


Nicht alle Pracht, mit der in dieſem Bade 
Natur ſich ſchmückt, erheitert ihm den Sinn; 
Aus Argliſt, denkt er, hat die Stromnajade 
Ihn hergelockt nur, die Betrügerin; 
Denn hüpft ſie auch am blühenden Geſtade 
Lachend mit krauſen Wellenlocken hin, 
Spielt auch das Licht darauf in tauſend Prismen, 
Ihm bringt ſie nichts als neue Rheumatismen. 


Mit dem Entſchluß, den Kurort zu verlaſſen, 
Schwermüthig ſchleicht er heim in die Penſion; 
Anſtatt des Klimas hier, des kalten, naſſen, 
Will er in einem anderen Canton 
Die Lüfte ſuchen, welche für ihn paſſen; 

Und da er hofft, daß er vom jüngſten Sohn, 
Von Max, dort Kunde finde, ſchwebt zumeiſt 
Als Ziel ihm Interlaken vor dem Geiſt. 


Bald trägt der Wagen mit dem Fürſtenwappen, 
Mit Roſſen von der Schweizerpoſt beſpannt, 
Ihn hin durch Gegenden, die aus den Mappen 
Der Landſchaftsmaler männiglich bekannt; 
Allein die Reiſe geht nur in Etappen, 
Sein matter Leib, von Krankheit übermannt, 
(Ich ſprech' als Arzt), iſt gegen ſeines Wagens 
Fahrſtöße kein genügendes Reagens. 


— A 


So kommts, daß wenig an dem Zauberbilde 
Der Gegend um ihn her ſein Auge hangt; 
Gleichgültig ſind auch mir drum die Gefilde, 
Durch die er bis ins Oberland gelangt, 

Erſt als im Dorfe Ried er vor dem Schilde, 
In dem ein goldner Hahn als Zeichen prangt, 
Stillhält, wird das Lokal mir wieder wichtig, 
Darum von ſeinem Nachtquartier bericht' ich. 


Befallen hat das Podagra ihn arg, 

Darum ſucht er ſich ein Logis bei Zeiten; 
„Ach! aus dem Leben, das, an Freuden karg, 
Nur ſinnt, mir Weh und Jammer zu bereiten, 
Warum quartier' ich lieber nicht im Sarg 
Sogleich mich ein? Denn der vermaledeiten 
Gichtſchmerzen werd' ich nie auf Erden quitt,“ 
So denkt er, wie er in das Wirthshaus tritt. 


Der Wirth und ſeine Frau, die edlen Zwei, 
Dienſtfertig immerdar für ihre Gäſte, 
Eilten, als er die Klingel zog, herbei 
Und klagten, daß in Bern beim Schützenfeſte 
Ihr Schwiegerſohn, das Hauptfactotum, ſei, 
Bald aber kehr' er heim und werd' aufs Beſte 
Alsdann den hochgeehrten Gaſt bedienen; 
Jetzt ſei noch Alles mangelhaft bei ihnen. 


„Komm Er ſogleich, das Zimmer mir zu zeigen!“ — 
So adreſſirt der Fürſt den Wirth mit ‚Er! — 
„Ich liebe nicht, treppauf treppab zu ſteigen, 
Drum nehm' ich meine Wohnung im Parterre.“ 
Eckbrecht denkt wohl: „Nun die Manier iſt eigen; 
So ſpricht bei uns zum Knecht wohl nicht der Herr; 
Doch mag er grob ſein, nicht daran mich kehr' ich, 
Wenn er nur Geld hat; ſonſt kein Gaſtwirth wär' ich.“ 


Zange 


Ins beſte Zimmer, das zu ebner Erde, 
Läßt denn der Gaſt vom Wirthe ſich geleiten, 
Er heiſcht, daß gleich gemacht ſein Lager werde, 
Und Trini kommt, das Leinen drauf zu breiten. 
Frau Holler zündet Feuer auf dem Herde, 
Die Mahlzeit für den Fremdling zu bereiten, 
Doch er, nach Ruhe lechzend, nicht nach Speiſe, 
Wirft ſich aufs Bett, todmüde von der Reiſe. 


Bis nächſten Morgen liegt er da und ſtöhnt 
Und ächzt, von ſeinem Podagra gezwickt. 
Sein Diener ſelbſt, obgleich daran gewöhnt, 
Daß er bei ſchlimmſter Laune ſei, erſchrickt, 
Wenns: „Bleib vom Leib mir!“ ihm entgegentönt, 
Sobald er durch die Thür ins Zimmer blickt; 
Am Nachmittag beſänftigter indeſſen 
Ruft er ihm zu: „Beſtelle mir das Eſſen!“ 


Vom Lager rafft ſich ächzend auf der Kranke 
Und ſetzt ſich auf den Lehnſtuhl nächſt dem Bette. 
Trini tritt ein, nimmt Leinen aus dem Schranke, 
Bedeckt den Tiſch mit zierlicher Serviette, 
Geht abermals, bringt Teller, Meſſer, blanke 
Beſtecke noch auf einem Tafelbrette 
Und ſpricht: „Mein Mann iſt heimgekehrt aus Bern; 
Serviren wird er gleich dem gnäd'gen Herrn.“ 


Hinaus zur Thüre ruft ſie dann: „Hab' Acht! 

Das Brod und dann die Suppe bring, mein Schatz!“ — 
Der Fürſt, in dem der Appetit erwacht, 
Nimmt eben am gedeckten Tiſche Platz. 
Da ins Gemach in hübſcher Schweizertracht, 
Das Lederbeinkleid kurz, doch breit der Latz, 
Schneeweiß das Hemd, die Hoſenträger roth, 
Tritt Max mit einem mächt'gen Laibe Brod. 

Schack, Geſ. Werke. III. 27 


— 418 — 


„Mein Mann, mein Maxi, der gekrönte Schütze 
Iſt das!“ ſpricht Trini, drückt noch ſeine Hand 
Und geht hinweg. Der Fürſt auf ſeinem Sitze 
Bleibt achtlos erſt und hat ihn nicht erkannt, 
Map aber ſteht, getroffen wie vom Blitze, 
Gelähmt und an die Schwelle feſtgebannt; 

Zu Boden fällt das Brod, das er gehalten, 
Und ſtarren Auges ſchaut er auf den Alten. 


Da, wie ſich ſeine Blicke auf ihn heften, 
Wird auch der Fürſt der Aehnlichkeit gewahr, 
Ihm iſt, als ob ihn Spukgebilde äfften, 

Und doch, der Name Maxi macht es klar, 

Das iſt ſein Sohn! Bei den geſunknen Kräften 
Bringt, fürcht' ich, die Entdeckung ihm Gefahr; 
In Wuth, die ihm durch alle Nerven zittert, 
Sinkt er auf ſeinen Stuhl zurück erſchüttert. 


Dann aufgerafft ruft er: „Haſt du die Stirne, 
Dich, Ungerathener, vor mir zu zeigen? 
Mein Sohn vermählt mit einer Schweizerdirne!“ 
Max ſtammelt: „Vater!“ — aber: „Wirſt du ſchweigen?“ 
Donnert der Fürſt; im ſchwindelnden Gehirne 
Wird es ihm wirr; vor ſeiner Seele ſteigen 
Die Bilder all der Kinder auf, die Schande, 
Wie dieſer, ihm gebracht und ſeinem Stande. 


Ihn zu beſänftigen tritt Max heran: 
„O Vater! gieb mir doch die Hand zum Zeichen, 
Daß ich noch auf Vergebung hoffen kann! 
Wenn du es wüßteſt nur, wie ohnegleichen 
Ich glücklich bin als Trinis Ehemann!“ 
Den Alten ſieht er plötzlich da erbleichen, 
Die Hände krampfhaft nach der Stirne ballen 
Und plötzlich wie entſeelt zu Boden fallen. 


ee 


Er kniet zu dem Geſunknen hin voll Schrecken 
Und ruft, ihm beizuſtehen, auch ſein Weib; 
Sie ſuchen ihn zum Leben neu zu wecken, 
Allein umſonſt; ſtarr, reglos iſt ſein Leib. 
Aufs Lager tragen und in warme Decken 
Einhüllen ihn die Beiden dann. „Du bleib 
Am Bette hier bei ihm,“ ſpricht Max, „ich eile, 
Um einen Arzt zu holen mittlerweile.“ 


Dem Kranken reibt die junge Frau die Glieder, 
Die noch den Schwiegervater in dem Gaſt 
Nicht ahnen kann. Bald kommt der Oberrieder 
Dorfarzt, von Max herbeigeholt in Haſt, 
Und fühlt den Puls: „Er iſt ein Invalider, 
Todmatt; Noth thuts, daß ihr ihn nicht verlaßt; 
Umſchläge muß man fort und fort ihm machen; 
Zum Leben, denk' ich, wird er dann erwachen.“ 


Alſo der Aesculap und ging von dannen. 
Zuſammen, ſonſt ein Rieſe von Natur, 
Brach Max und konnte lang ſich nicht ermannen. 
Der Frau vertraut' er drauf, ſie ſei die Schnur 
Des kranken Manns, und Beider Thränen rannen; 
Sein treu zu warten, thaten ſie den Schwur 
Und nicht ſein Bett, bis wieder auf dem blaſſen 
Geſicht ſich Leben zeige, zu verlaſſen. 


Wie ſie bei Tag und Nacht am Lager ſaßen, 
Um nach des Arztes Vorſchrift ihn zu pflegen, 
Und Schlaf und Speiſ' und Trank dabei vergaßen, 
Begann er nach und nach ſich neu zu regen. 

Ja bald glomm ſeine Stirne über Maßen, 
Und Fieber ſprach aus ſeiner Pulſe Schlägen; 
Es war, als ob er kämpfte mit Phantasmen; 
Sie aber legten kalte Kataplasmen. 


— 


So reihten langſam Wochen ſich an Wochen, 
Und jene Beiden ſpähten, wechſelnd wach, 
Indeſſen träge hin die Stunden krochen, 

In ſeinem Antlitz einem Zeichen nach, 

Daß endlich ſeiner Krankheit Macht gebrochen. 
Das Fieber wich zuletzt, doch wieder ſchwach 
Nun lag er da und reglos; nichts gewährte 
Gewißheit, daß ihm die Beſinnung kehrte. 


Einſt da, zum erſtenmal halb aufgerichtet, 
Schlägt er die Augen auf, ſchaut Beide an; 
Es ſcheint, daß ſein Bewußtſein neu ſich lichtet, 
Daß er zu ſprechen ſucht, allein nicht kann, 
Dann plötzlich ſinkt er rückwärts wie vernichtet, 
Auf ſeinen Geiſt legt ſich der alte Bann; 

Nach Tagen erſt aufblickt er wiederum 
Und ſchaut den Beiden lang ins Antlitz ſtumm. 


Auf ſo viel bange Tage, düſtre Nächte, 
Iſt das der erſte Hoffnungsſtrahl für ſie. 
Mit warmen Thränen küſſend ſeine Rechte, 
Wirft Max ſich vor dem Vater auf das Knie 
Und ſchluchzt: „Erkennſt du nun, daß ich der Schlechte 
Nicht bin, wie du geglaubt? O Vater, ſieh 
Mich freundlich an!“ — „Ach! gieb uns deinen Segen!“ 
Streckt Trini ihm die Hände flehnd entgegen. 


Der Alte macht unwillig erſt ein Zeichen, 
Er woll' allein ſein auf der Lagerſtatt, 
Doch nach und nach läßt er den Unmuth weichen, 
Sein Blick wird milde, ſeine Stirne glatt, 
Die Rechte, um ſie freundlich ihm zu reichen, 
Eutgegen ſtreckt er ſeinem Sohne matt, 
Auch Trini hat Erlaubniß ſie zu küſſen, 
Und Beide netzen ſie mit Thränengüſſen. 


— 421 — 


Mehr nun und mehr durch ihre treuen Sorgen 
Genest der Fürſt; Frau Holler und Gemahl 
Stehn ihnen bei, und bald erſcheint der Morgen, 
An dem er nach der ſchweren Krankheit Qual 
Vom Lager aufſtehn kann. So wohlgeborgen, 
Wie hier im Bauernhaus, in keinem Saal 
Der Königſchlöſſer, die von Goldglanz blinken, 
Ja nicht im Himmel würd' er ſich bedünken. 


Zwar wortkarg bleibt er immer noch und ſpricht 
Zum Sohn kein Wort von Allem, was geſchehen, 
Auch nennt er Trini Schwiegertochter nicht 
Und will, daß ſie es ſei, ſich nicht geſtehen; 

Doch wenn ſie mit dem lieblichen Geſicht 
Bei ihm eintritt und ihn um ſein Ergehen 
Befragt, unmöglich kann er fort ſie ſchicken; 
Er muß die Hand ihr zum Begruße drücken. 


Schon in der Frühe, wenn ſie mit dem Beſen 
Das Zimmer auskehrt, grüßt ſie ihn im Bette; 
Dann ſteht er auf, verwandelt all ſein Weſen, 
Und wandert mit den Kindern um die Wette, 
Denn ſo fühlt er ſich von der Gicht geneſen, 
Als ob ſie niemals ihn gemartert hätte; 

Er ſpürt, man wird in dieſen Alpenthälern, 
An Geiſt und Seele jung, an Nerven ſtählern. 


Geſtützt von Jenen, oft bis zu der Sennen 
Berghütten ſteigt Fürſt Friedrich auch empor, 
Max lehrt ihn ihre Käſewirthſchaft kennen, 
Und achtſam leiht er manchmal ihm ſein Ohr. 
Auch, hört er ſich Papa von Trini nennen, 
Unwillig fährt er nicht, wie ſonſt, empor; 
Bisweilen aber, ſo will ſie bedünken, 

Sehn ſie in Sinnen plötzlich ihn verſinken. 


— 42. — 


Da ſpricht er einft: „Fort rufen mich Geſchäfte, 
Auf kurz darum ſei Abſchied nun genommen, 
Verjüngt hier fühl' ich meine Lebenskräfte, 

Frei klopft die Bruſt, im Norden ſo beklommen, 
Und friſcher quellen alle meine Säfte. 

Verlaßt euch drauf, bald werd' ich wiederkommen! 
Für jetzt lebt wohl!“ Er ſprichts, giebt anzuſpannen 
Befehl und rollt im Wagen raſch von dannen. 


Sechstes Buch. 


ie ich begeiſtert eben daran denke, 
Den letzten Canto des Gedichts zu ſingen, 
Um das vollendete zum Weihgeſchenke 
Dem hohen Adel Deutſchlands darzubringen, 
Fällt mir der Blick auf meine Bücherſchränke, 
Und plötzlich ſinken läßt mein Geiſt die Schwingen, 
Wie ich das oftmals und vor langen Jahren, 
Als ich mein erſtes Buch ſchrieb, ſchon erfahren. 


All dieſe Reihen, Bände neben Bänden — 
Biblioman ja war ich von jeher — 
Noch jährlich wachſen ſie; wo ſoll das enden? 
Kaum hab' ich Platz in meinem Saale mehr; 
Und auf wie vielen, einſt von meinen Händen 
Gierig durchblättert, ruht der Staub ſchon ſchwer! 
Wie manchen Ruhm nicht hat die Zeit verſchlungen, 
Den ſchmetternde Fanfaren einſt umklungen! 


— 423 — 


Jetzt ſcheinen viele Bücher uns Scharteken, 
Die uns durch blanken Firniß ſonſt bethört, 
Bedünken wills uns, wie wenn Fröſche quäken 
Wo ſonſt wir Nachtigallenſchlag gehört; 

Und gar im Winkel der Bibliotheken 

Wie ſchläft den ew'gen Schlummer ungeſtört, 
Was noch zu unſrer Väter Zeiten Aller 
Entzücken war — wer liest noch Uz und Haller? 


7 


„Durch Klopſtock wurden des Homer Gedichte, 
Tyrtäus ward durch unſern Gleim beſiegt“ — 
So leſ' ich in der Literargeſchichte 
Von Achtzehnhundert, welche vor mir liegt. 
Caſſirt wird von der Nachwelt Schwurgerichte 
Wie dies, manch Urtheil. Die ihr geſtern ſtiegt, 
Um kurze Zeit mit falſchem Glanz zu blinken, 
Sternſchnuppen gleich ſieht man euch heut ſchon ſinken. 


Und doch, nicht zagend vor dem ernſten Richter, 
Wag' ich auch — o wie thöricht! — den Verſuch, 
Mich einzureihen in die Schaar der Dichter, 

Ja füge zu den frühern noch ein Buch, 

Daß bald, ſo wie auf ihnen, nein noch dichter 
Staub auf ihm lagre, wie ein Leichentuch, 
Bis es zuletzt, wofern nicht ſchon vermodert, 
Im großen, allgemeinen Brande lodert. 


Denn, jetzt ſchon hochgeſchwollen, immer wachſen 
Wird ſo die Bücherfluth von Tag zu Tag, 
Daß ſie, und hätte ſie auch hundert Achſen, 
Die Erde doch zu tragen nicht vermag. 
Nichts wird dann helfen; legt man ſchwere Taxen 
Auf Verſeſchreiben auch und Buchverlag, 
Selbſt Todesſtrafen; eines nur kann frommen, 
Ein zweiter Omar muß als Retter kommen. 


— 424 — 


Ja komm, Erſehnter! Dieſe meine Strophen 
Und Alles, was ich ſchrieb, geb' ich dir preis; 
Verbrannt in einem ungeheuren Ofen, 

Ein Opfer für der Zukunft Götter, ſeis! 

Nur gieb auch, daß der Afterphiloſophen, 

Daß Hegels Werke brennen, das Geheiß! 

Gern, wenn der Babelthurm von hohlen Phraſen 
Mit aufflammt, in das Feuer will ich blaſen. 


Laß in der Gluth die Shakſpear-Commentare 
Und der Aeſthetik-Schreiber Faſelein 
Auflodern bis zum letzten Exemplare! 
Wirf noch, ſie ew'gem Untergang zu weihn, 
Goethes Waſchzettel und dergleichen Waare 
Sammt ſämmtlichen Dogmatiken hinein — 
Gereinigt, friſcher wird nach ſolchem Brande 
Die Luft hinwehn durch alle Erdenlande. 


Allein wohin hab' ich in dieſer langen 
Einleitung mich verirrt? Mein Pegaſus 
Iſt mir auf Seitenwege durchgegangen 
Und warf mich ab, ſo daß ich, um zum Schluß 
Vorliegender Hiſtorie zu gelangen, 
Den Pfad zu Fuße keuchend ſuchen muß. 
Voll Schwindel, kaum in ihren Irrgewinden 
Vermag ich wieder mich zurecht zu finden. 


Wir haben Nikolas in Wien verlaſſen, 
Wo ihn ſo arg getäuſcht die Perſerin. 
Verzerrt jetzt ſchauen ihn und mit Grimaſſen 
Die Bilder an, die ihm ſo lang den Sinn 
Gefangen hielten. Durch der Hauptſtadt Gaſſen 
Schleicht er mit tief gefurchter Stirne hin, 
Und ſchon ſein Blick ſcheint dem Geſchick zu fluchen; 
Wo ſoll er nun ſein hohes Traumbild ſuchen? 


8 
Des Oſtens Tochter hat ihn in Roxanen, 
In Lola ihn des Südens Kind betrogen; 
Und wenn er nun zu fernen Meridianen 
Fortzieht durch unbekannter Meere Wogen, 
Wird nicht auch dort ſein Hoffen und ſein Ahnen 
Ihn trügen, da als ſchlechten Psychologen 
Er hier ſich zeigte und beim erſten Laute, 
Dem erſten Blick die Beiden nicht durchſchaute? 


Nah dran oft war er, wenn ſein Schmerz am größten, 
Hinabzuſpringen in der Donau Wellen, 
Damit ſie ihn von Welt und Weh erlösten; 
Auch der Geſchwiſter heitern Naturellen 
Gelang es nicht, den Leidenden zu tröſten, 
Doch Otto ließ ſich, den wir als Geſellen 
Des edlen Steinmetzhandwerks jüngſt verließen, 
Erneuerte Verſuche nie verdrießen. 


Bildhauerei auch in den Nebenſtunden 
Trieb dieſer, ſehr geſchickt im Modelliren — 
Er der zuvor an Pferden und an Hunden 
An Staatskaroſſen, ſtolz beſpannt mit Vieren, 
Wettrennen Wohlgefallen nur gefunden, 

So Rang und Habe mußt' er erſt verlieren, 
Um zu entdecken, wie ihm in den Tiefen 
Der Seele höhre Trieb' und Gaben ſchliefen. 


O heil'ge Kunſt, die du an deinen Brüſten 
Die Menſchheit mit der Milch des Schönen nährſt, 
So Wen'ge kennen dich! wenn fie doch wüßten, 
Wie du dem Leben Troſt und Zier gewährſt! — 
Doch dies in Klammern! Der Geſchwiſter Büſten 
Hub Otto an zu formen, und zuerſt 
Des Bruders Bild; um Nikolas geſellten 
Die Andern bei der Sitzung ſich nicht ſelten. 


a el 

Indeſſen Zug an Zug dann aus dem Thon 
Das Bild des Melancholiſchen erwachte, 
Mit Scherzen, die vom Mund ihm gaukelnd flohn, 
Mit Schwänken, die ſein muntrer Geiſt erdachte, 
Abließ nicht ehr der junge Fürſtenſohn, 
Bis auch der ältre heitre Miene machte, 
Und Beiſtand liehn dabei ihm Erich — vide 
Buch vier! — ſo wie Aslauga und Elfride. 


Da kam der wüſte März, der dem Orakel 
Der alten Staatsweisheit den Mund verſchloß, 
Die Zeit, als Lärm und hölliſcher Spektakel 
Durch Wiens geſammte Straßen ſich ergoß, 
Und Knaben, kaum des Schultyrannen Bakel 
Entflohn, gefolgt vom Gaſſenjungentroß, 

Den alten Metternich zu fliehen zwangen, 
Am Stephansthurme hätt' er ſonſt gehangen. 


Nie hat die Freiheit tollre Capriolen 
Gemacht, als dazumal im guten Wien, 
Da Deutſche jubelten bei den Parolen, 
Die Koſſuth gab zu Oeſterreichs Ruin, 
Und an den Straßenecken Ungarn, Polen, 
Slovaken, Czechen predigten und ſchrien; 
Nah wars ſchon dran, daß ſie durch Guillotinen 
Erläuterten die neuen Staatsdoctrinen. 


Vom Praterſtern her auf der Zeil der Jäger 
(Der Reim trägt an der Inverſion hier Schuld) 
Einſt wanderten die beiden edlen Schwäger 
Erich und Nikolas durch den Tumult, 

Und während Fiſchverkäufer, Gaſſenfeger 
Durch Lärm der Tagesgöttin ihren Cult 
Erwieſen, ſprach zu dem Begleiter Erich: 
„Entfernt von Wien gern tauſend Meilen wär' ich. 


— 427 — 


„An dieſe Orgien, dieſen permanenten 
Spektakel mag ein Andrer ſich gewöhnen! 
Darum hinweg, hinweg! Mit den Studenten, 
Der Aula völlig tollgewordnen Söhnen, 
Verbündet, mögen hier die inſolenten 
Volkshaufen ihrem Freiheitsſchwindel fröhnen 
Und toben wie vom Biſſe der Tarantel — 
Wir hüllen uns in unſern Reiſemantel. 


„Mir dir und mit Aslauga nach Venedig 
Am liebſten, Nikolas, wohl möcht' ich ziehn, 
Der Stadt der Kunſt, die ſchon, da ich noch ledig, 
Als Zielpunkt aller Wünſche mir erſchien. 
Nun, ſehen werden wir, wenn Gott uns gnädig, 
Im Herbſt ſie und den hohen Gian Bellin, 
Den prächt'gen Paolo, den ernſten Cima, 
Doch iſt im Sommer dort zu heiß das Klima. 


„Laß uns bis dahin denn mit deiner Schweſter 
In Bergeseinſamkeit Erholung ſuchen! 
Glaub', wohlthun wird vor Allen dir, mein Beſter, 
Die Waldesluft, das Schattengrün der Buchen; 
Nicht ferner wirſt du dort mit ſchmerzgepreßter 
Empfindung deinem Mißgeſchicke fluchen! 
Die Wunder, die der Berge freier Aether 
Im Menſchen wirkt, kann ahnen kaum der Städter.“ 


Zuſtimmte Nikolas des Schwagers Plänen; 
Empfand er nach Naturgenuß von je, 
Nach blauen Bergſeen, wilden Felſenſcenen, 
Die jetzt als aller Leiden Panacee 
Ihm Erich preist, ein niegeſtilltes Sehnen. 
So eilten flugs zu Ottos Atelier, 
Zuvor Aslauga holend, unſre Beiden, 
Abſchied von ihm zu nehmen vor dem Scheiden. 


s 2 


Verhallen mög' uns denn das Stadtgewühl! 
Die Drei empfängt beim ſchönen Berchtesgaden 
(Und Petern mit) ein ländliches Aſyl 
An des ſmaragdnen Königſees Geſtaden, 

In deſſen leichtbewegtem Wellenſpiel 
Den Fuß die mächt'gen Berggiganten baden, 
Indeß, von Adlerfittigen umſchwebt, 
Die Stirn ſich trotzend in die Wolken hebt. 

Schon früh, wenn noch das Thal in Nebel ſchwimmt 
Und von den Firnen nicht die Wolkenkappe 
Gewichen iſt, ſteht Erich auf und nimmt 
Zur Hand den Bleiſtift, untern Arm die Mappe. 
Kein Felſenvorſprung, den er nicht erklimmt! 
Und, blieb' er hundert Jahre, eine knappe 
Zeitfriſt erſchien' ihm das, die tauſendfältigen 
Schönheiten dieſes Bergſees zu bewältigen. 


Aslauga auch an ihres Häuschens Schwelle, 
Wo ſie vom blühenden Hollunderbuſche 
Beſchattet wird, ſucht bald im Aquarelle 
Der Gegend Reiz zu malen, bald im Tuſche; 
Doch dieſe Berghöhn, dieſe Waſſerfälle, 
Wer kann ſie ſchildern? Oft, daß ſie nur pfuſche, 
Sich ſagt ſie, ſpringt verzweifelnd auf vom Sitze 
Und wirft ins Waſſer die zerriſſne Skizze. 


Und Nikolas? Kam dem von Gram Betäubten 
Hier eines neuen Lebenstags Beginn? 
Ja, nach und nach, wie lang ſie ſich auch ſträubten, 
Die düſtern Wolken, die auf Geiſt und Sinn 
Ihm drückend lagerten, zu ſeinen Häupten 
In lichtrer Wallung zogen ſie dahin — 
Allmählig durch ſein ganzes Sein und Weſen, 
Er fühlt' es, drang ein wonniges Geneſen. 


ee 


Er rang fich, eh' das Morgenroth gekommen, 

Von ſeinem Pfühl in jeder Frühe los 

Und lag, zu ſteiler Halde aufgeklommen, 

Auf duft'ges Gras gebettet und auf Moos. 

O Luſt, wenn da die Felſen höher glommen 
Und, ahnend, daß die Sonne hehr und groß 
Bald ſteigen werde, halb noch traumbefangen 
Die Lerchen ihre Morgenlieder ſangen! 


Er blickt, die Augen halb von Tropfen Thaus 
Und halb von Thränen feucht, auf voll Entzücken 
Und breitet ſehnſuchtsvoll die Arme aus, 

Als wollt' ans Herz er alles Leben drücken; 
Ihm iſt, als ſäh' er aus des Himmelblaus 
Kryſtall geliebte Augen niederblicken 

Und holde Züge, die, wie einſt im wachen 
Traume der Kindheit, ihm entgegenlachen. 


Wenn auch getäuſcht und fürchterlich betrogen 
Durch jene Zwei, verzweifeln darf er nicht — 
Dies iſt der Inhalt von den Monologen, 

Die er nicht laut, doch mit der Seele ſpricht — 
Reichlich wird all ſein Weh noch aufgewogen, 
Wenn er das Urbild zu dem Traumgeſicht 

Erſt findet, das vor den getäuſchten Sinnen 
Ihm vorgegaukelt die Betrügerinnen. 


Doch wo ſoll er, in welcher Hemiſphäre 
Es ſuchen? In den Sonnenaufgangslanden, 
Fern, endlos fern im Oſten, wo die Meere 
An nie zuvor entdeckte Küſten branden? 

Lebt es in Indien als Bajadere? 

Als Sonnenprieſterin am Fuß der Anden? 
Bergens im Süden, jenſeits noch der Tropen, 
Die äußerſten der Menſchen, die Aethiopen? 


— 430 — 


So denkend, klimmt er ruhelos von Klippe 
Zu Klippe auf; zu jedem Waſſerfall 
Dringt er durch Farrenkraut und Dorngeſtrüppe 
Und netzt die Stirn ſich mit dem kühlen Schwall. 
Er ſchlürft das heil'ge Naß mit durſt'ger Lippe 
Und lauſcht des Sturzes mächt'gem Widerhall 
Von Kluft zu Klüften, bis wo es tief hinten 
Verhallt in grünen Waldeslabyrinthen. 


Er glaubt, die große Mutter, die Natur, 
Werd' ihm durch eine ihrer Stimmen künden, 
Wo jene weilt, an die mit theuerm Schwur 
Sein Herz gebannt iſt. Bald in Thalesgründen, 
Bald hoch auf Gipfeln ruft er: „Eine Spur 
Von ihr nur zeige mir, und ſie zu finden 
Den Weg nicht bis ans Weltenende ſcheu' ich; 
Hier feierlich den alten Schwur erneu' ich.“ 


Einſt, als er auf verſchlungnen Felſenwegen 
Zur Dämmerzeit nach Hauſe kehren will, 
Aus einem Häuschen, dicht am See gelegen — 
Die Scenerie iſt wie für ein Idyll — 
Trägt ihm der Abendwind Muſik entgegen, 
Gefeſſelt von den Tönen ſteht er ſtill, 
Und denkt erſtaunt: „Wohin bin ich gerathen? 
Ein Sennhaus und Beethovenſche Sonaten!“ 


Sie war es, ſchon beim erſten Ton erkannte 
Er fie, die große in F-Moll — begonnen 
Hat eben erſt das göttliche Andante, 
In das der Meiſter alle ſeine Wonnen, 
Des Herzens glühendſtes Entzücken bannte; 
Es iſt, vom Strahle aller Frühlingsſonnen, 
An denen ſeine Seele aufgeblüht, 
Sei dieſes eine Wunderwerk durchglüht. 


Du ſiehſt, indeſſen dich die Töne wiegen, 
Die niedre Erde unter dir verſinken, 
Und glaubſt, hoch, höher ſtets emporgeſtiegen, 
Des Sonnenäthers reine Luft zu trinken. 
Wohin noch nie ein Sterblicher zu fliegen 
Gewagt, reißts dich empor, und immer winken 
Dir neue Himmel, die mit ihrem blauen 
Lichtglanz Entzückung auf dich niederthauen. 


Nicht wußte Nikolas, wie ihm geſchah; 
Nie war Muſik ihm ſo ins Herz gedrungen. 
Wie feſtgewurzelt ſtand er lange da, 
Nachdem der Töne letzter ſchon verklungen. 
Dann endlich rafft' er ſich empor und ſah 
Durchs kleine Fenſter, rebenlaubumſchlungen, 
Ein junges Mädchen, am Klaviere ſitzend, 
Die Stirne träumend mit dem Arme ſtützend. 


Nicht ſchildr' ich ihres blauen Auges Strahlen, 
Die Wange, ſanft von Bläſſe überhaucht, 
Das Lockenhaupt; denn ſolcherlei zu malen 
Iſt lang in mir der Ehrgeiz ſchon verraucht; 
Gelänge mir nach langen Dichterqualen 
Ein neues Bild, man nennt' es doch verbraucht; 
Auch zürnen würde mir der Prinz, verrieth' ich 
Sein Theuerſtes; drum ſchweig' ich ehrerbietig. 


Noch hängt ſein Auge an der wundervollen 
Erſcheinung, der ätheriſchen Geſtalt, 
Die, aus der Himmel ſiebentem gequollen, 
Ein Glanz, wie er ihn nie geſehn, umwallt. 
Da ſieht er einen Vorhang niederrollen, 
Das Licht erliſcht, und dunkel legt und kalt 
Sich Nacht um ihn — entſchwunden, hingeflohn 
Iſt Alles ihm, wie eine Traumviſion. 


— 432 — 


Daß er berauſcht von der Sonate Tönen, 
Voll Seelentaumels in die Wohnung kehrt, 
Iſt ſelbſtverſtändlich, wie daß nach der Schönen 
Am Herzen ihm von jetzt an Sehnſucht zehrt. 
Als Weib, das ſeinen Lebenswunſch zu krönen 
Geſchaffen iſt, ſteht ſie vor ihm verklärt; 
Gewißheit hat er in den holden Zügen 
Geleſen: dieſe wird ihn nicht betrügen. 


So jeden Abend an der Hütte harrt er 
Und hofft, nun werde die Muſik erklingen, 
Allein vergebens; nach dem Fenſter ſtarrt er, 
Doch ſie zu ſchauen will ihm nicht gelingen; 
Oft währt die ganze Nacht durch dieſe Marter 
Getäuſchter Hoffnung, bis die Roſenſchwingen 
Aurora übern Watzmanngipfel breitet, 

Und er gebrochnen Muths nach Hauſe ſchreitet. 


Dem Schwager nichts verräth er, wenn mit Lachen 

Er ihn des ſteten Trübſinns wegen ſchilt; 

Er weiß, daß er für einen nervenſchwachen 
Phantaſten ihm, wie auch der Schweſter gilt; 

Doch vor dem Geiſt im Traume wie im Wachen 
Schwebt immer ihm des Weibes Wunderbild, 

Nur läßt er, endlich wieder ſie zu finden, 

Nach langem Suchen faſt die Hoffnung ſchwinden. 


War ſie vielleicht nicht eine Apſaraſe, 
Aus Indras Himmel ungerecht verbannt? 
Die Peri einer duftenden Oaſe, 
Die ſich verirrt in unſer Abendland 
Und im Momente dichtriſcher Ekſtaſe 
Ihm ſichtbar wurde, dann in Luft verſchwand? 
Ach, mußte ſie nachher in Nichts zerrinnen, 
Warum je ſichtbar ward ſie ſeinen Sinnen? 


— 183 


Als Peter ſieht, wie in des Herzens Qual 
Sich ſeines Herren Wangen neu entfärben, 
Spricht er zu ihm: „Prinz, meiner Hut befahl 
Euch Eure ſel'ge Mutter an im Sterben, 
Darum beſchwör' ich Euch: zum drittenmal 
Stürzt Euch nicht in Gefahr und in Verderben! 
Flieht, ſo wie vor der Peſt, vor jedem Weibe! 
Den Teufel haben alle ſie im Leibe. 


„Als Euch am See von Como die verhexte 
Lola einlud, wo führte das Euch hin? 
Gedenkt an Wien, wie zweier Henker Aexte 
Euch drohten wegen jener Perſerin! 
Und nun — das bringt mich ganz aus dem Contexte — 
Berückt ein Weib, ich ahn's, Euch neu den Sinn!“ 
„Schweig!“ ſpricht der Prinz, „von ſolcherlei Materien 
Verſtehſt du nichts, ſie ſind für dich Myſterien.“ 


Nicht lang darauf klimmt er in ſtiller Trauer, 
Als abendlich die Tagesgluth ſich kühlt, 
Durch eine Schlucht, mit deren düſterm Schauer 
Verwandt er ſeine Seelenſtimmung fühlt. 
Da plötzlich ſteilab fällt die Felſenmauer, 
Von einem wilden Bergſtrom unterwühlt; 
Und zitternd ob dem abgrundtiefen Bett — 
Kein andrer Weg iſt — hängt ein ſchmales Brett. 


Der Prinz eilt drüber hin mit ſichern Schritten 
Und weiter aufwärts durch Geröll und Kraut, 
Als eine grüne Alm, beſetzt mit Hütten, 

Sich aufthut, und der Heerdenglocken Laut 

Ihm an das Ohr ſchallt. Unter ihm inmitten 

Von ſteilen Felſen aus der Tiefe blaut 

Der Oberſee, und über ihm erheben 

Sich andre Klippen, die das Thal umgeben. 
Schack, Geſ. Werke. III. 28 


Zu einer Zacke fteigt der kühne Klimmer, 
Von wo der Ausblick herrlich ſich erſchließt — 
Zu Häupten ihm noch wilde Felſentrümmer, 
Vor ihm ein Schlund, der ſteil hinunterſchießt — 
Auf einer Klippe, die mit Glorienſchimmer 
Der Abendſonne goldner Schein umfließt, 
Da ſieht er eine weibliche Geſtalt 
An jähem Rand ſtehn; Schreck durchbebt ihn kalt. 


Doch nein, ſein Schrecken weicht; ſo ohne Zagen, 
So ſicher ſteht ſie an des Abgrunds Rand 
Und will den Schritt zu höhrer Klippe wagen, 
Um eine Blume von der Bergeswand 
Als ihres Klimmens Lohn davon zu tragen; 
Auf einmal hat ſie ſeitwärts ſich gewandt, 
Ihr Angeſicht erblickt er und erkennt 
Die Eine, Einz'ge, die kein Name nennt. 


Sie iſts, ſie iſt es, die er zum Symbole 
Von allem Hohen, Herrlichen gemacht; 
Umfloſſen wie von einer Aureole, 

Noch hehrer als in jener Wundernacht, 

Steht ſie vor ihm; kaum, daß er Athem hole, 
Mag er ſich gönnen; wird er nicht, erwacht, 
Sie in die Lüfte weſenlos vergehen 

Und wie ein Traumgebilde ſchwinden ſehen? 


Noch ſteht er regungslos, halb von Entzücken 
Gelähmt und halb von dem geheimen Bangen. 
Da, einen Büſchel Edelweiß zu pflücken, 

Streckt ſie die Hand nach oben voll Verlangen, 
Allein umſonſt; ſie ſieht, es kann nicht glücken, 
Weil an dem ſteilſten Rand die Blüthen hangen; 
Doch, ſich ermannend, mit des Steinbocks Schnelle 
Klimmt Nikolas empor zu jener Stelle. 


— 435 — 


Schon ſehn wir ihn den Strauß in Händen halten, 
Allein wie ſoll er ihn der Schönen reichen? 
Zitternd fühlt er bald tödtliches Erkalten, 
Bald hohe Gluth durch ſeine Adern ſchleichen; 
Er glaubt, nicht anders, als mit Händefalten, 
Hintreten dürf' er zu der Engelgleichen; 
Zuletzt, ein Herz ſich faſſend, hocherglühten 
Antlitzes ſteht er vor ihr mit den Blüthen. 


Sie nimmt den Strauß von ihm: „Mein Herr, ich danke 
Für Ihr Bemühn! Welch ſchönes Edelweiß! 
Läßt es ſich glauben? Wo nicht Moos noch Ranke 
Gedeiht, erblüht es zwiſchen Schnee und Eis.“ 
Ihm aber iſt, als ob der Boden ſchwanke, 
Als wirble Alles um ihn her im Kreis. 
Das Mädchen ſtaunt, daß er ihr ohne Laut 
Wie blitzgetroffen in das Auge ſchaut. 


Dann abwärts ſteigend von der Felſenplatte, 
Spricht ſie: „Zeit iſts, den Heimweg anzutreten; 
Die Mutter wartet unten auf der Matte 
Und wird mich ſchelten über mein Verſpäten; 
Schon auf den Thälern liegt der Abendſchatte, 
Und oft voll Sorge hat ſie mich gebeten, 

Mich nicht zu hoch im Klettern zu verſteigen, 
Doch wollt' ich Edelweiß durchaus ihr zeigen.“ 


Der Prinz will Glauben ſchenken kaum dem Ohre 
Und ſtaunt befremdet, da ſie alſo ſpricht; 
Zwar lieblich tönt die Stimme, die ſonore, 
Doch deutſch von ihr zu hören dacht' er nicht; 
Sie, die gleich einem lichten Meteore 
So oft gezogen durch ſein Traumgeſicht, 
Geglaubt hat er — an ſieht er darum ſtarr ſie — 
Sie rede nur Sanskrit, Tamuliſch, Parſi. 


Mit Scheu hinſchreitet er an ihrer Seite, 
Doch dann, da ſteil der Weg und voll Gefahr, 
Damit ſie auf dem glatten Fels nicht gleite, 
Beut er die Hand ihr, ſie zu führen, dar, 
Und ihr iſt hochwillkommen das Geleite; 

In dieſen Höhen, nur bewohnt vom Aar, 
Wie fühlte nicht ein junges Mädchen Zagniß? 
Zum erſtenmal beſteht ſie ſolches Wagniß. 


Bald wieder iſt erreicht das Almengrün, 
Und eine Stimme ſchallt: „Sieh da, Helene! 
Im Steigen warſt du diesmal allzu kühn.“ 
Der Schönen Mutter alſo, und dann Jene: 
„Die Blumen, die auf höchſter Alp nur blühn, 
Nach denen ich mich ſchon ſeit Wochen ſehne, 
Sieh hier! Nachdem mir der Verſuch mißglückt, 
Hat ſie der fremde Herr für mich gepflückt.“ 


Die Mutter dankt. „Allein nun in den Nachen! 

Schon ſind die Tagesſtrahlen im Erbleichen. 

Mein Herr! wenn Sie mit uns den Heimweg machen 
Zu großer Freude ſoll es uns gereichen; 

Schön wird die Fahrt fein; wahrlich! ſelbſt der Achen-, 
Dem Königſee kann er ſich nicht vergleichen.“ 

Den Beiden folgt der Prinz zum See mit Schweigen, 
Wo ſie vereint den ſchwanken Kahn beſteigen. 


Da nun — wie anders, als wenn aus dem Schlote 
Des Dampfers uns der Aſchenſtaub umfliegt! — 
Die klare Fluth ſie auf dem Ruderboote 
Von einer Schlucht zur andern ſchaukelnd wiegt, 
Indeß die Firnen glühn im Abendrothe 
Und in dem See ihr Bild geſpiegelt liegt, 
Bricht oft Helene, die ſich mit dem Strauß 
Geſchmückt, in Laute des Entzückens aus. 


— 437 — 


Dem Prinzen auch entquellen endlich Worte; 
Vertrauter, menſchlicher erſcheint ſie ihm, 
Als jenen Abend, da am Pianoforte 
Er ſie für einen hielt der Seraphim, 
Die Wache halten an der Himmelspforte. 
Wohl noch mit allem Hohen ſynonym 
Iſt ihm Helene; doch, mit ihr zu ſprechen, 
Bedünkt ihn ferner nicht mehr ein Verbrechen. 


Was er geſprochen, will ich nicht berichten 
Und nicht die Antwort, welche ſie gegeben, 
Denn Reden giebt es, die durch ihren ſchlichten 
Inhalt dem Prunk der Verſe widerſtreben; 
Ausnehmen ſie ſich ſchlecht nur in Gedichten 
Und ſind von Seligkeit fürs ganze Leben 
Doch übervoll. Allein ich kann beſchwören: 
Die Mutter durfte arglos Alles hören. 


Rings Stille; nur den Ton des Ruderſchlages, 
Des Waſſers Fall, das von ihm niedertrieft, 
Vernimmt das Ohr; es iſt, als fer in vages 
Hinträumen die Natur ringsum vertieft. 

So an dem Schluſſe ſeines ſchönſten Tages, 
Der ihm für immerdar ſein Glück verbrieft, 
Tritt Nikolas ans Ufer mit den Beiden 

Und grüßt ſie ehrerbietig vor dem Scheiden. 


Die Mutter drauf: „Sie werden mich verbinden, 
Mein Herr, wenn Sie nicht unſer kleines Haus 
Verſchmähn. Stets Abends können Sie uns finden.“ 
Und noch Helene: „Dank auch für den Strauß!“ — 
So blickt — wie ſoll die Nacht, der Tag ihm ſchwinden? — 
Der Prinz fortan nur nach dem Spätroth aus; 
Langſam mit träge ſchleichenden Minuten 
Scheint ihm der Strom der Zeit dahinzufluthen. 


— 438 — 


Doch wenn ſie endlich kommt, die Abendſtunde, 
Wenn ihn das kleine, traute Haus umfängt 
Und jedem Worte von Helenens Munde 
Sich ſeine Seele ſtumm entgegendrängt, 

Wie iſt ihm jede ſchwindende Sekunde 

Mit Glück befrachtet! Wie entzückt nicht hängt 
Sein Ohr an jedem Ton der Pianofaiten, 
Wenn ob den Taſten ihre Finger gleiten. 


Das iſt nicht jenes müßige Getändel, 
Das im Salon nur gleich der Whiſtpartie 
Die Zeit vertreibt; nein, eure Werke, Händel, 
Beethoven, Bach, ſind das! Erkennt ihr ſie? 
Still ſtehe, glaubt der Prinz, der Stundenpendel, 
Gebannt von dieſer mächt'gen Harmonie, 
Indeſſen lauſchend durchs Gemach die Geiſter 
Hinſchweben der unſterblich hohen Meiſter. 


Nachdem Helene ſo geſpielt, geſungen, 
Mit ihr hinaus tritt er auf den Altan, 
Denn voll Vertrauen läßt ihn ungezwungen 
Die kluge Mutter ſich der Tochter nahn; 
Wohl auch in ſanften Mondnachtdämmerungen 
Trägt übern See mit ihr ihn hin der Kahn, 
Und mehr und mehr vor ihm zeigt ohne Hülle 
Sich ihrer Seelenſchätze ganze Fülle. 


Von jedem Anblick der Natur noch reiner 
Trägt ſie in ihrer Bruſt das Abbild fort; 
Was ihm als niedrig nur und in gemeiner 
Alltäglichkeit erſcheint, verklärt ihr Wort; 
Zwieſpalt für ſie iſt auf der Erde keiner, 
Der nicht verklingt zum heiligen Akkord, 
Und ſeiner bangen Lebenszweifel jeden 
Glaubt er gelöſt zu ſehn bei ihren Reden. 


— 439 — 


Die Bitte drängt denn, daß ſie ſich fürs Leben 

Mit ihm vereine, ſich auf ſeinen Mund. 

Des Fürſten Rang und Titel aufzugeben, 

War er gewillt, bevor an dieſen Bund 

Er noch gedacht, drum ohne Widerſtreben 

Giebt er als Edelmann ſich einfach kund; 

Nach Herkunft oder Namen ſie zu fragen 

Hat er Verlangen nie bisher getragen. 


Allein ſie ſpricht: „Freund — laßt mich ſo Euch nennen — 
Mein Herz gewannt Ihr, doch bevor die Hand 
Ihr mir zu bieten wagt, müßt Ihr mich kennen; 
Ich fürcht', uns Zwei wird eine Scheidewand, 
Die zwiſchen uns gethürmt, für immer trennen; 
Ihr, wie Ihr ſagtet, ſeid von Adelſtand, 
Schlicht aber nennt man mich Helene Heiſter; 
Mein Vater war in Prenzlau Bürgermeiſter.“ 


So iſt das Weib, von welchem er gewähnt, 
Es müſſ' in endlos fernen Regionen, 
Wohin umſonſt ſich der Gedanke ſehnt, 
An nie zuvor betretnen Küſten wohnen, 
Nachdem er Wüſten, endlos ausgedehnt, 
Durchpilgert hätte, in entlegnen Zonen 
Nicht iſts geboren, nein im märk'ſchen Sand 
Zu Prenzlau, wo auch ſeine Wiege ſtand. 


Daß Nikolas zuerſt erſtaunt, betroffen 
Bei ihren Worten war, erklärt ſich leicht, 
Doch bald nochmals ſein Wünſchen und ſein Hoffen 
Giebt er ihr kund; nicht ſeinen Bitten weicht 
Sie länger aus; er ſieht den Himmel offen, 
Als ſie mit einem Ja! die Hand ihm reicht 
Und gleich, nachdem die Tochter eingewilligt, 
Auch Madame Heiſter die Verbindung billigt. 


Der Schweſter und dem Schwager mitzutheilen, 
Welch Glück nach all dem Leiden, das er litt, 
Zu Theil ihm ward, will er zu ihnen eilen, 
Als an der Hausthür ihm mit haſt'gem Schritt 
Erich entgegentritt: „Komm ohne Weilen, 
Mein Nikolas, komm zu der Schweſter mit! 
Lies, um zu ſehn, wie Alles ſich gewandt hat, 
Das Zeitungsblatt, das Otto uns geſandt hat!“ 


Aslauga finden ſie in Freudenthränen, 
Und ſtammelnd lieſt ſie alſo aus der Zeitung: 
„O meine Kinder! länger nicht mein Sehnen 
Nach euch halt' ich zurück. Des Himmels Leitung, 
Ich ſeh's, ließ ſcheitern mich mit meinen Plänen, 
Drum in dem Blatte, das zumeiſt Verbreitung 
Von ſämmtlichen Journalen Deutſchlands hat, 
An euch wend' ich mich durch dies Inſerat. 


„Ihr Alle kommt! Am erſten des Auguſt 
Hoch auf des Rigi Gipfel werd' ich ſtehen; 
So ſchmerzvoll mir geweſen eur Verluſt, 

So freudiger ſei nun das Wiederſehen, 

Wenn ich euch drücke an die Vaterbruſt! 

Von welcher Art auch ſeien eure Ehen, 

Ob ſtandesmäßig oder ſtandeswidrig, 

Ich will ſie ſegnen. — Euer Vater Friedrich.“ 


Man denke ſich den Jubel unſrer Drei! 
Geſchwunden nun auf einmal alle Sorgen, 
Die ihre Bruſt gedrückt ſo ſchwer wie Blei! 
Kund thut der Prinz, was Jenen noch verborgen, 
Wie er Helenens Anverlobter ſei, 
Und alle rüſten ſich am nächſten Morgen 
Des jungen Paars Vermählung ſchon zu feiern; 
Das Ehgeſetz war nicht zu ſtreng in Bayern. 


— 441 — 


„Nun, zürnſt du noch,“ ſpricht Erich, „daß bisweilen 
Ich Spott auf dich gehäuft, wenn du gewähnt, 
Fern ſuchen müßteſt, fern vieltauſend Meilen, 
Du die, nach der dein Herz ſich ſtets geſehnt?“ — 
„Gut meinteſt dus mit deines Spottes Pfeilen,“ 
Ruft Jener, „mich mit Recht haſt du verhöhnt, 
Der Reiſen ich zum fernſten Fixſtern plante 
Und nicht den Himmel, der ſo nahe, ahnte.“ 


Ein Pred'ger wird, die Zwei zu traun, gefunden, 
Lutheriſch, ſo wie ſie von Confeſſion, 
Und in des nächſten Tages Morgenſtunden 
Schon präparirt er ſich für den Sermon. 
Die Braut, nun bald auf immer ihm verbunden, 
Abholen will der Prinz zur Trauung ſchon, 
Da tritt zu ihm im ſchwarzen Frack ſein Peter 
Und ſpricht: „Nur auf ein Wort, Herr! Nähres ſpäter! 


„Auch ich will eben meine Hochzeit halten, 
Der Paſtor ſoll mich gleich nach Ihnen trauen. 
Ja, unbegreiflich iſt des Schickſals Walten, 
Und unberechenbar ſind dieſe Frauen. 

In mich, den fünfundfünfzigjähr'gen Alten, 
Dem nach und nach die Haare ſchon ergrauen, 
Hat eine ſchöne Fürſtin ſich verliebt, 

Die heut die Hand mir am Altare giebt.“ 


Laut auf lacht Nikolas: „Statt zum Paſtoren, 
Zum Irrenarzte, guter Peter, geh! 
Seit wann denn haſt du den Verſtand verloren?“ 
Doch Jener: „Dieſer Spott, Herr, thut mir weh! 
Daß eine Fürſtin mich zum Mann erkoren, 
Ich ſchwör's! Der Tag, an dem zum Königſee 
Man das Gebirgsholz niederfluthen läßt, 
Hat eingeleitet dieſes Hochzeitfeſt. 


1 


„In dem Gewühl ſtand ich — ich faſſ' es kurz — 
Der Menſchen, die von rings heran dann ziehn, 
Um anzuſchaun der Tannenſtämme Sturz. 
Da, zwiſchen Burſchen mit entblößten Knien 
Und andern mit dem Bergwerkknappen-Schurz, 
Erblickt' ich eine Dame; — mindſtens ſchien 
Sie Excellenz zu ſein; in das Gedränge 
Verirrt, befand ſie ſehr ſich in der Enge. 


„Nun wälzte, horch! mit tobendem Geheule 
Der Gießbach nieder ſeiner Stämme Laſt; 
Die Menge ballte ſich zum wirren Knäule 
Und drängte ſich heran in wilder Haſt; 

Ich ſelber fiel und ſchlug mir eine Beule, 
Dann aber, als ich wieder Fuß gefaßt, 

Was ſah ich? Jäh war, unbemerkt von Allen, 
Die arme Dame in den See gefallen. 


„Nicht lang mehr, denk' ich, und ſie muß verſinken; 
Ich bahne mir durch das Gewühl den Pfad, 
Spring' in den See und faſſ' an ihrer Linken, 
Die ſie mit letzter Kraft erhoben hat, 
Mit meiner Rechten ſie; von dem Ertrinken 
Errettet ſo durch meine Heldenthat, 
Ward ſie gezogen an den Felſenſtrand, 
Wo wartend ihr Livreebedienter ſtand. 


„Der Schurke hätte ſie ertrinken laſſen 
Und ſchien kaum über ihre Rettung froh; 
In eine Hütte mit der Leichenblaſſen 
Dann gingen wir; bald brannte lichterloh 
Ein Feuer dort, daran ſie ihre naſſen 
Gewänder trocknete, doch hell wie Stroh 
In ihr auch brannte, oder welke Blätter, 
Die Liebe bald zu ihrem Lebensretter. 


— 443 — 


„Sie lud mich, als ihr die Beſinnung kehrte, 
In ihre Villa bei Bartholomä; 
Und oft, weil ſie ſo dringend es begehrte, 
War Abends ich ſeitdem bei ihr zum Thee; 
Geſtehen will ichs, daß es lange währte, 
Bis Ahnung mir von ihrem Liebesweh 
Aufging; man mag mich wegen Dummheit ſchelten, 
Doch für Beſcheidenheit nur darf es gelten. 


„Schmachtend mit ſehnſuchtsvollen Blicken ſah ſie 
Mich an, in ſtillberedtem Liebesgrame! 
Iſt ſonſt der Mann der Freier, war hier quasi 
Die Freierin die hochgeborne Dame — 
Nicht weiß ich, heißt ſie Pulsky, Eſterhazy, 
Schimpanski, aber ähnlich iſt ihr Name; 
Sie ſagt, in Ungarn lieg' ihr fürſtlich Schloß, 
Und führt im Wappen ein Rhinoceros. 


„An Jahren paßt ſie für mich alten Knaben 
Und iſt noch ſchön zur Zeit der Dämmerung; 
Wohl keinen Andern konnte ſie mehr haben 
Und hätte mich gewählt nicht, wenn noch jung; 
Jetzt aber ſicher, einen Streich der Schwaben 
Begehnd, wird ſie ſich im Verzweiflungsſprung 
Ins Waſſer ſtürzen, wenn ich ſie verſchmähe; 
Ganz angſt wird mir bei ſolchem Liebeswehe. 


„Was alſo, gnäd'ger Herr, bleibt mir zu thun? 
Zwar viele Thränen hab' ich drum vergoſſen, 
Allein, wenn einzuwill'gen Sie geruhn, 

Aus Ihrem Dienſt zu treten, mich entſchloſſen.“ 
So Peter, und der Prinz drauf: „Laß mich nun! 
Ich glaube immer noch, du treibſt nur Poſſen.“ 
Geſtanden hat er lang ſchon wie auf Kohlen 

Und geht hinweg nun, ſeine Braut zu holen. 


— 444 — 


Als dann die heil'ge Handlung vorgegangen 
Und nach dem Akt, ein junges Ehepaar, 
Helene ſich und Nikolas umſchlangen, 

So trat auch, denn es war leibhaftig wahr, 
Gefärbt die Haare und geſchminkt die Wangen 
An Peters Arm die Fürſtin zum Altar, 

Und er von ihr und ſie von ihm empfing 

Als treuer Liebe Pfand den Ehering. 


Und nochmals nun zur Schweiz, der hohen Veſte, 
Ob deren Wällen, vom Orkan umſtürmt, 
Der Gletſcher ewige Kryſtallpaläſte 
Die Herrſcherin Natur emporgethürmt, 
Geleite mich, o Freundin, Einz'ge, Beſte, 
Die ſeit der frühſten Jugend mich geſchirmt, 
So wie in meines Epos erſten Stanzen 
Anruf' ich, Muſe, dich am Schluß des Ganzen. 


Wie oft, wenn mir der Muth gebrach, die Pfeile 
Des unerbittlichen Geſchicks zu tragen, 
Von dannen trugſt du Meile hinter Meile 
Mich auf der Phantaſie Eliaswagen, 
Empor, empor auf hoher Alpen Steile, 
Wo tief die Länder mir zu Füßen lagen, 
Und nicht des Daſeins kleinliche Miſere 
Hinaufdrang in die reine Atmoſphäre. 


Jetzt leider iſt der wüſte Lebenstrouble 

Bis dorthin auch gedrungen, und je toller 

Das Treiben, deſto größer iſt der Jubel 

Der Wirthe; ihre Kaſſe macht es voller. 

Da kapern ſie des Ruſſen Silberrubel, 

Das Gold des Britten und des Yankee Dollar; 
Bald wird zu Gift das Markten, Prellen, Handeln 

Die Milch der frommen Denkart ganz verwandeln. 


„ 


Am reichlichſten entled'gen ſich die Beutel 
Von allen Erdenländern oder Ländchen 
Des goldnen Inhalts auf des Rigi Scheitel. 
Dort, ſeht! im Loch des Knopfs das rothe Bändchen, 
Bläht der Pariſer Elegant ſich eitel; 
Sei noch ſo winzig auch das Seidenendchen, 
Mit höherm Stolz in ſeinem Vollbeſitze 
Blickt er hinunter von des Berges Spitze. 


An Ladies auch, gepeinigt von Migränen, 
An jungen Fanten aus Berlin und Wien 
Iſt Ueberfluß und Half-pay-Capitänen, 
Sammt andern Gentlemen, geplagt vom Spleen. 
Beim Sonnenaufgang gähnen ſie, und gähnen, 
Wenn in des Abends Roth die Firnen glühn, 
Doch tanzen, wie auf Wengern-Alp und Furka, 
Zur Nachtzeit luſtig Polka und Mazurka. 


Nun auf den Bergvorſprung, abſeits von dieſen 

Touriſten treten wir, wo ſich im Kreis 

Das Panorama, aller Welt geprieſen, 

Aufthut. Seht, wie gekrönt mit ew'gem Eis 

Die Berner Alpen, jene Urweltrieſen, 

Vor uns die Scheitel heben, ſilberweiß, 

Und über zwanzig Seen, die unten glänzen, 

Der Blick zu Deutſchlands ſchweift, zu Wälſchlands 
Gränzen. 


Dort ſitzt, gelehnt an einen Felſenblock, 
Nicht achtend auf die andern Rigigäſte, 
Ein alter Mann im ſchlichten Reiſerock. 
Aus ſeinem Blicke ſpricht, aus jeder Geſte 
Erwartung, denn hierher am Alpenſtock 
Iſt er gepilgert zu dem großen Feſte 
Des Wiederſehns der durchgegangnen Kinder; 
Fürſt Friedrich iſts, das ſieht beinah ein Blinder. 


— 446 — 


Schon ſteht ſein Max bei ihm, dem er geſchrieben, 

Hier an dem Erſten des Auguſt zu ſein; 

Wie wäre Trini da zurückgeblieben? 

Ein jüngſtgebornes Kindchen wunderfein, 

Das erſte Pfand, wie ſie und Max ſich lieben, 

Dem Schwiegervater zu dem Stelldichein 

Hat ſie gebracht, und juſt auf ſeinem Sitz 

Liebkost der Großpapa den kleinen Fritz. 


Dazwiſchen aber ſchweift der Blick des Alten 
Oft abwärts, wo in langen Karawanen, 
Empor am Berghang, durch die Felſenſpalten, 
Ruſſen herpilgern, Britten und Germanen. 
Sorgfältig prüft ſein Auge die Geſtalten 
Der nahnden Fremden, und in momentanen 
Aufwallungen leicht hätt' er Den und Jenen 
Als Sohn umſchlungen unter Freudenthränen. 


Doch nun, wer drängt ſich aus dem bunten Schwarme 
Und wirft ſich zu des Fürſten Füßen hin? 
Sein Otto iſts und führt an ſeinem Arme 
Elfride, vormals Circustänzerin; 
Er aber preßt auf Beider Stirnen warme 
Willkommensküſſe. „Wie ſo froh ich bin, 
Mein Otto, dich an meine Bruſt zu drücken, 
Und Schwiegertochter, dich, o welch Entzücken! 


„Recht hattſt du, Sohn, daß du, die Kluft der Stände 

Nicht achtend, nur gefolgt der Herzensflamme.“ 

Er rufts; doch ſeine Freude nimmt kein Ende, 

Denn lächelnd ſtreckt aus Armen einer Amme 

Ein Zwillingspaar entgegen ihm die Hände; 

Zwei Zweige ſinds, entſproſſen ſeinem Stamme, 

Und zärtlich, hohen Glückes ſich bewußt, 

Drückt er die Enkelchen an ſeine Bruſt. 


et 


Der in der Kleinen Anſchaun ganz Verlorne 
Hat lang nicht um ſich her geſchaut, da ſieh! 
Sinkt plötzlich Nikolas, der Erſtgeborne 
Des Hauſes, vor dem Vater auf das Knie 
Und mit ihm ſeines Herzens Auserkorne, 

Die Gründrin einer neuen Dynaſtie, 
So hoffen wir, die ſich nach ächt humanen 
Principien reihen wird an die der Ahnen. 


Er ruft mit Augen, die von Wonne glänzen: 
„Hier meiner Seele Braut ſtell' ich dir vor; 
Die ich geſucht fern an der Erde Gränzen, 
In Prenzlau — und ich ahnt' es nicht, ich Thor — 
Erwuchs fie. O! wenn Fürften-Defcendenzen 
Sonſt abwärts ſteigen, nun empor, empor, 
Um alle Königshäuſer zu beſchämen, 
Wird, Vater, dein Geſchlecht die Richtung nehmen.“ 


Kaum hat Fürſt Friedrich noch umhalst die Zwei, 
Durch welche ſeines Daſeins Winteröde 
Nun neu verwandelt wird zum duft'gen Mai, 
Da nimmt er wahr, wie, ſchüchtern noch und blöde, 
Aslauga ſeitwärts ſteht und nicht herbei 
Den Mann zu führen wagt, dem er ſo ſchnöde 
Zuvor begegnet iſt; er geht verlegen, 
Die Hände ausgeſtreckt, dem Paar entgegen. 


Nicht duldet er, daß ſie zu ſeinen Füßen 
Sich werfen, doch kann Faſſung kaum gewinnen; 
Bald in die Arme ihn, bald ſie zu ſchließen 
Wird er nicht müd', und ſeine Thränen rinnen. 
Erſt dann mit freudigem Willkommen grüßen 
Sich die Geſchwiſter und die Schwägerinnen; 
Allein als ſie, wie viel ſie ſeien, zählen, 
Gewahren ſie, daß Etliche noch fehlen. 


— 448 — 


Kühl wehn ſchon auf dem Kulm die Abendwinde, 
Und Trini will, beſorgt um ihren Kleinen, 
Ins Wirthshaus eben eilen mit dem Kinde; 
An Armen ihrer Muſiker erſcheinen 
Auf einmal da Gertrude und Sieglinde, 
Und Max ruft aus: „Sieh, Vater, mehr der Deinen 
Und immer mehr noch! Biſt du jemals, ſage, 
So froh geweſen, wie an dieſem Tage?“ 


Sieglind hebt an: „Sei uns, o liebſter, beſter 
Papa, und unſern Männern hold geſinnt! 
Die Liebe war, die mir und meiner Schweſter 
Den Rechten zugeführt, diesmal nicht blind, 
Und ſtolzer macht es uns, daß im Orcheſter 
Die Beiden wackre Muſikanten ſind, 
Als wenn ſie Fürſten wären; hiermit führ' ich 
Dir meinen zu; er iſt Celliſt in Zürich.“ 


Gertrude drauf: „Zwar vom Iſraeliten 
Durchaus nicht laſſen will mein Lewyſon, 
Er ſagt, die Glaubenslehren ſei'n nur Mythen, 
Und gleichviel tauge jede Religion; 
Allein, drauf will ich eine Wette bieten, 
Des allerchriſtlichſten Monarchen Sohn 
Iſt nicht ſo gut wie er, der demokrat'ſche 
Freigeiſt, noch ſolch ein Meiſter auf der Bratſche.“ 


„Mein Segen“ — ſpricht Fürſt Friedrich — „eurem 

Bunde! 

Und Alle nun, die ihr die Pilgerfahrt 

Hierher gemacht, mit mir in froher Runde 

Sollt ihr ein Feſt begehen ſeltner Art! 

Allein zuvor vernehmt von mir die Kunde, 

Die ich für dieſen Augenblick verſpart! 

Wie ihr, hab' ich den beſſern Theil erwählt 

Und nach des Herzens Drang mich neu vermählt. 


— 449 — 


„Kommt in das Kulmhaus jetzt! Wen meine Wahl 
Getroffen hat, ſollt ihr noch heute ſehn.“ 
So geht der Fürſt voran zum Gaſthofſaal 
Und läßt die Kinder dort erwartend ſtehn; 
Bald aber kehrt der neue Ehgemahl 
In ſchwarzem Hochzeitsfrack zurück, und wen 
Führt er am Arme? Eine wohlbekannte 
Geſtalt uns iſts — Emma, die Gouvernante. 


Glückwünſchend treten Alle zu dem Paar; 
Und alſo ſpricht der Fürſt: „Als viele Wochen 
Vorleſerin ſie mir und Pflegrin war, 

Hat Liebe meines Herzens Eis gebrochen; 
Zwar lange hats gewährt, bis ſie den Staar 
Auch meinem Geiſte, der ſtockblind, geſtochen; 
Ich ſtand vor einem ernſtlichen Dilemma, 
Allein am Ende ſiegte meine Emma. 


„Nach alten Satzungen und laut Statuts 
Des Fürſtenhauſes, mir geſtehn das mußt' ich, 
Ging ich der Titel, des Familienguts, 
Sobald ich dieſe Ehe ſchloß, verluſtig; 
Doch ſchließlich fügt' ich drein mich frohen Muths; 
Noch ein'ge Habe blieb mir ja, das wußt' ich; 
Und mir und meiner Gattin ſoll ein Gütli 
Jetzt Wohnſitz ſein, das ich gekauft am Rütli.“ 


Nun um die reichbeſetzte Tafel reihen 
Sich Alle wohlgemuthet, vom Ballaſte 
So vieler Sorgen frei; die Kinder weihen, 
Die Eltern gegenſeitig ſich Toaſte: 
„Mag herrlicher nun unſer Stamm gedeihen, 
Da er erlöst iſt von dem Bann der Kaſte!“ 
Ruft Nikolas, und aneinander hallen 
Die Gläſer, die von Schaumwein überwallen. 
Schack, Geſ. Werke. III. 29 


— 450 — 


Allein Aslauga, als die Tafelrunde, 
Die fröhliche, ſie mit den Blicken mißt, 
Ruft aus: „Doch Einer fehlt in unſerm Bunde, 
Der gute Karl, den nie mein Herz vergißt! 
So lang ſchon ward von ihm uns keine Kunde; 
Ob er denn wirklich ganz verſchollen iſt?“ 
Und bei den Worten ſchlugen Alle bang 
Die Augen nieder: ja, er zögert lang! 


Da ſpricht Fürſt Friedrich: „Allzuviel, ihr Lieben, 
Faſt ſinds der Freuden heut für mich geweſen, 
So daß mir die Beſinnung kaum geblieben; 
Daher vergaß ich, euch den Brief zu leſen, 
Den Karl mir aus Amerika geſchrieben. 
In ſeinem Leben welche Antitheſen! 
Er, der zur Braut begehrt ein Kind des Czaren, 
Was ſpäter aus ihm ward, ſollt ihr erfahren.“ 


Dann las er: „O mit wahrem Freudenſchauer 
Las deinen Aufruf im Journal dein Sohn! — 
Aus Preußens Kerkern, drin durch Jahresdauer 
Mein Leben hingewelkt, zuletzt entflohn 
Ward ich hier in New-York bei einem Brauer 
Brauknecht und hab' als treuer Dienſte Lohn 
Nicht ſeiner Tochter Hand bloß von dem Alten, 
Nein reiche Schätze noch dazu erhalten. 


„Nun, da mein eigner Herr, ja Millionär 
Ich bin, treibt nach der Schweiz der Wunſch, der eine, 
Dich wieder bald zu ſehn, mich übers Meer; 
Dort neu die demokratiſchen Vereine 
Organiſiren will ich nebenher. 
Alſo auf bald'ges Wiederſehn. Der Deine.“ 
Ein Jubel war, als das Fürſt Friedrich las, 
Im ganzen Kreis, und neu klang Glas an Glas. 


— 451 — 


Vom Tiſche neben dem, an dem ſie ſaßen — 
Denn noch von Fremden war dort ein Confluxr — 
Zu ihnen trat ein Herr, der über Maßen 
Beleibt war, aber klein von Körperwuchs. 
„Durchlaucht!“ rief er, „ich hoffe, Sie vergaßen 
Nicht Ihren unterthän'gen Diener Luchs?“ 

Fürſt Friedrich ſah erſtaunten Blicks den Dicken, 
Denn Körperfülle droht' ihn zu erſticken. 


Allein willkommen heißt er ihn aufs Beſte, 
Und weiter fährt der Wohlbeleibte fort: 
„Kaum hier vermuthet' ich ſo hohe Gäſte. 
Erhabner Fürſt, des deutſchen Adels Hort! 
In unſrer Zeit, die alles Guten Reſte 
Fortreißt, wo jeder Adelsſtammbaum dorrt, 
Schau' ich aus Schiffbruch-Scheitern und Ruinen 
So wie zu einem Pharus auf zu Ihnen. 


„Doch à propos! Was eben ich vernehme, 
Erfuhren Sie es ſchon, vom Grafen Lorm? 
Geſtehen muß ich, daß ich faſt mich ſchäme, 
Es zu erzählen; es iſt zu enorm. 

Sie wiſſen, immer liebt' er die Extreme. 

Er, der die Kammerherren-Uniform, 

Wie ich, getragen, ſchon in den Berliner 
Märztagen zeigt' er ſich als Jakobiner. 


„Beim Himmel, würdig ſind der lebenswier'gen 
Zuchthausbeſtrafung ſolche Apoſtaten! 
Seit er zurückgekehrt war aus Sibirien, 
Hielt er ſich offen zu den Demokraten 
Und predigte — faſt ſcheints, daß in Delirien 
Er war — den Sturz der deutſchen Potentaten; 
Deutſchland, rief er bei jedem Redeſchluſſe, 
Sei deinen Klaun entriſſen, frecher Ruſſe! 


— 452 — 


„In Dresden kämpft' er auf den Barrikaden; 
Alsdann — ſo eben leſ' ich im Organe 
Der preußiſchen Regierung das — in Baden, 
Wo er der Führer aller Umſturzplane 
Geweſen und im Kampf den Kameraden 
Vorangetragen hat die rothe Fahne, 
Fiel er und rief, als ihn die Kugel eben 
Durchbohrte, noch: die Republik ſoll leben!“ 


Gehör kaum leihn Fürſt Friedrich und die Seinen 
Dem was er ſpricht. Tief Nacht iſt es bereits 
Und, früh am Morgen wieder zu erſcheinen, 

Den Nachtgruß bieten ſie ſich gegenſeits. 

Der Fürſt will noch die Kinder auf dem kleinen 
Landgute bei ſich ſehn, das in der Schweiz 

Er jüngſt gekauft. So nächſten Tages heiter 
Des Weges ziehen ſie zum Rütli weiter. 


Dem Haus ſchon nahn ſie, wo in froher Muße 
Des Alten Lebensreſt verfließen ſoll; 
Da grüßt ein Herr ſie, der des Wegs zu Fuße 
Mit einer Dame wandert, ehrfurchtsvoll 
Und hält auch die Begleitrin an zum Gruße. 
Der Fürſt erſtaunt: „Was ſeh ich? bin ich toll? 
Du, Peter, biſt der Herr, der elegante? 
Erſtaune nicht, wenn ich dich nicht erkannte!“ 


Der Diener ſagt, es geh' ihm excellent; 
Die Flitterwochenreiſe mach' er eben, 
Mit der Gemahlin denk' er permanent 
In Ungarn auf den Schlöſſern dann zu leben. 
Die Fürſtin macht ein ſteifes Compliment, 
Und ſpricht: „Ich hab' ihm meine Hand gegeben, 
Sein ganzes Weſen war mir ſo ſympathiſch, 
Allein die Ehe iſt nur morganatiſch.“ 


— 453 — 


Abſchied nimmt mit gewohntem Redeſchwalle 
Drauf Peter tiefgerührt, und ihm verſprechen, 
In Ungarn bald ihn zu beſuchen, Alle; 
Doch können ſie der Furcht ſich nicht entbrechen, 
Gefangen ſei ihr Freund in einer Falle, f 
Und ſeine Heirath werde ſchwer ſich rächen. 
Beim Vater nahmen auf der Wochen vier 
Dann Kinder, Schwiegerkinder ihr Quartier. 


Bald kam auch Karl, geſund, mit vollen Wangen, 
Nebſt ſeinem Weib; man ſah dem ſtämm'gen Mann 
Was in Sibirien, was er gefangen 
Im Kerker ausgeſtanden nicht mehr an; 

Und, von dem Fürſten väterlich empfangen, 

Der auch die Brauerstochter liebgewann, 
Wohnt' er hinfort, ſtatt in den Yankee-Staaten, 
Bei ihm, als Haupt der Schweizer Demokraten. 


So lebte, fern von Höflingskreaturen, 
Fortan Fürſt Friedrich, glücklicher als je; 
Die Kinder, Abſchied von ihm nehmend, ſchwuren, 
Oft zu beſuchen ihn an ſeinem See. 
Nach Bayern, wo zuerſt Helenens Spuren 
Gezeigt ihm hatte eine güt'ge Fee, 
Zog Nikolas und ließ bei Berchtesgaden 
Sich nieder an den ſchönen Seegeſtaden. 


Der Andern jeder kehrte zu dem Orte, 
Nach dem ſein Herz zumeiſt Verlangen trug, 
Doch hielt der Vater alle ſie beim Worte 
Und ſah bei ſich ſie jährlich zum Beſuch. 
Dann gab es Wein und Kuchen jeder Sorte, 
Und o! wie froh das Herz dem Alten ſchlug, 
Wenn Söhn' und Töchter ihn umſchlungen hielten 
Und Enkelkinder ſeine Knie' umſpielten. 


Nachwort 


zum Dritten di 


Epiſoden. 


Dei der poetiſchen Erzählung, einer Gattung der 
Poeſie, welche bei den Griechen ſchon in dem reizenden 
Gedicht des Muſäos „Hero und Leander“ auftritt, kann 
es nicht der Zweck ſein, ein Factum kurz und bündig 
zu berichten; in dieſem Falle würde man beſſer ſich der 
Proſa bedienen. Die metriſche Form für die Erzählung 
hat nur dann Sinn, wenn der Dichter viel mehr darauf 
ausgeht, die Leſer oder Hörer auf möglichſt anmuthigem 
Wege, als ſchnell ans Ziel zu führen. Selbſt die eigent— 
lichen Epiker verfahren dergeſtalt und ſchalten in die 
Haupterzählung Vieles ein, was für deren Fortgang 
durchaus nicht nothwendig iſt, oft in beträchtlicher Aus— 
dehnung. Firduſi iſt voll von Betrachtungen und ſub— 
jektiven Gefühlsergüſſen, und dieſe tragen nicht wenig 
dazu bei, den Eindruck ſeines großen Gedichtes zu ver— 
ſtärken. Die poetiſche Erzählung hat nun hierin einen 
noch weiteren Spielraum. Es iſt daher durchaus un— 
gehörig, bei Gedichten dieſer Art zu tadeln, wenn ſie 


— 455 — 


bei Nebenſachen und Einzelheiten verweilen, Natur— 
ſchilderungen einflechten u. ſ. w. Allerdings ſollten 
dabei Schranken eingehalten werden, und dieſe möchten 
in manchen berühmten poetiſchen Erzählungen über— 
ſchritten ſein; in den meiſten Byrons z. B. überwiegen 
die Beſchreibungen, Reflexionen und Gefühlsergüſſe ſo 
ſehr, daß der Faden der Geſchichte oft faſt ganz darunter 
verſchwindet, ja daß die letztere zur Nebenſache wird. 
Als normal erſcheint es mir, wenn die Erzählung 
im Vordergrunde des Intereſſes ſteht, der Dichter aber 
auch dasjenige, was ſich ihm, abgeſehen von dem faktiſchen 
Inhalte darbietet, um den Reiz ſeiner Darſtellung zu 
erhöhen, nicht verſchmäht. Die Hauptſache wird fein, 
daß er immer nur an paſſender Stelle von der eigent⸗ 
lichen Erzählung abſchweift; es würde ſich z. B. nicht 
empfehlen, in Momenten großer Spannung oder da, wo 
die vorgeführten Perſonen unmöglich an Anderes als an 
ihre eigenen Schickſale denken können, Naturſchilderungen 
anzubringen; wo aber Jenes nicht der Fall iſt, wo ein 
Ruhepunkt eintritt oder wo die Figuren der Erzählung 
in der Stimmung ſind, um ſich den Eindrücken der 
Außenwelt hinzugeben und wo ſich die Natur in ihrem 
Gemüth wiederſpiegelt, können Landſchaftsgemälde, die 
von Empfindung getränkt ſind, einer ſolchen Dichtung 
nur zur Zierde gereichen. Völlig ſinnlos iſt es, wenn 
einige Schriftſteller, die lieber über Nationalökonomie 
als über Poeſie hätten ſchreiben ſollen, gegen Natur— 
ſchilderungen überhaupt eifern. Daß es deren giebt, 
die trocken, ſeelenlos bloß die äußerlichen Umriſſe wieder— 
geben und daher nicht in die Poeſie gehören, iſt gewiß. 
Aber wenn der Dichter ſich in den Geiſt der Natur 
verſenkt, ſein Gefühl von ihr erregen läßt und wieder 
ſeine Seele in ſie hineinträgt, ſo hat das Gemälde, 
welches er von einer Landſchaft entwirft, die vollſte Be— 
rechtigung in der Dichtkunſt. In Homer und den griechi— 


— 456 — 


ſchen Tragikern findet ſich Vieles von dieſer Art, ebenſo 
bei den alten Indern und bei Firduſi. Da die Empfäng— 
lichkeit für Naturgenüſſe ſich in neuerer Zeit, beſonders 
ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, ſo außer— 
ordentlich gemehrt hat, ſind ſelbſtredend ſolche Schilde— 
rungen bei den modernen Dichtern noch viel häufiger 
geworden, und mit vollem Recht. Denn wenn eine 
Poeſie, die den ſchlechten Neigungen ihrer Zeit fröhnt, 
zu verdammen iſt, ſo würde diejenige, welche einem edlen 
Hange derſelben, wie es die Liebe zur Natur iſt, nicht 
entgegenkäme, von vornherein eine todtgeborene ſein. 

In Bezug auf „Heinrich Dandolo“ iſt geſagt worden, 
es ſei unglaublich, daß der alte Seeheld das furchtbare 
Erlebniß ſeiner Jugend ſelbſt, und gar in einem größeren 
Kreiſe, erzähle. Dieſe Bemerkung möchte jedoch auf ſehr 
mangelhaften pſychologiſchen Beobachtungen beruhen. Es 
giebt ſicher verſchloſſene Charaktere, welche die ſchmerz— 
lichen Erfahrungen ihres Lebens vor Jedermann geheim 
halten; ich kenne dagegen mehrere, die vielmehr einen 
Troſt und eine Befriedigung darin zu finden ſcheinen, 
daß ſie die ihr tiefſtes Herz zerreißenden Schickſalsſchläge 
Anderen, ſogar bei der erſten Begegnung und in größeren 
Kreiſen, mittheilen. Bei Dandolo kommt nun noch hinzu, 
daß er im hohen Greiſenalter erzählt, was er in ſeiner 
Jugend erlitten, daß die entſetzliche an ihm verübte Miſſe— 
that ihn nicht allein als Privatmann, ſondern auch als 
den kühnen Vertheidiger der Rechte Venedigs betroffen 
hat und daß er die Geſchichte ſeiner Leiden in dem 
Momente vorträgt, wo ihm endlich Rache an ſeinen 
Verfolgern zu Theil werden ſoll. 

In dem Gedichte Giorgione hat man es für ſchwer 
denkbar erklärt, daß der venetianiſche Maler ſeine Eifer— 
ſucht ſo weit bezwinge, um der Hochzeit ſeiner Geliebten, 
der er zu Gunſten eines Anderen entſagt hat, beizu— 
wohnen. Mein Gedankengang hierbei iſt folgender ge— 


weſen. Giorgione, das Schwinden feiner Lebenskräfte 
fühlend und der Pflicht gedenk, für das Glück ſeiner 
Pflegekinder zu ſorgen, bezwingt durch die Macht des 
Willens ſeine Neigung zu Angela ſo weit, daß er ſie 
dem von ihr geliebten Sebaſtian abtritt und die Hoch— 
zeit mitfeiert. Aber in dem Seelenkampfe, der hierbei 
unausbleiblich, erliegt ſeine Kraft; er fühlt ſeinen nahen 
Tod, und nun verklärt ſich das geliebte Mädchen ihm 
nach und nach ſo ſehr, daß er in ihr, nach der in Italien 
damals viel verbreiteten neuplatoniſchen Philoſophie, nur 
noch das Abbild der himmliſchen Schönheit erblickt. So 
iſt es denn ſein letzter Wunſch, das Bildniß Angelas 
zu malen, um darin mit Aufbietung ſeiner ganzen Kunſt 
die Züge ſeiner hohen, in überirdiſchem Glanze vor ihm 
ſtrahlenden Geliebten aufzubewahren. — Wer dieſen Vor— 
gang für undenkbar hält, der muß die Macht des Willens 
über die Affekte läugnen. 


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